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#NichtUnsereWM - Die Fußball-WM in Katar 2022

Die Diskussion zur Fußball-WM in Katar ist sehr spät, aber doch noch in Gang gekommen. Die Broschüre, von Propst Oliver Albrecht angestoßen, hat eine gute Wirkung entfaltet und auch andere Kirchenvertreter sehen das ganze Ereignis inzwischen sehr viel kritischer als noch vor einigen Wochen. Der Eklat um die Armbinde mit den Regenbogenfarben bringt inzwischen auch den neuen Sportbeauftragten der EKD, Torsten Latzel, zu der Aussage: „Was wäre ich stolz auf den DFB gewesen, wenn er Strafe gezahlt hätte - gut angelegtes Geld! Es bringt nichts, Spieler T-Shirts mit "Human Rights" malen zu lassen, und jetzt zu kneifen.“ In der Tat – die FIFA offenbart sehr deutlich, welch Un-Geistes Kind sie ist. Allerdings ist die Armbinde ja schon die allerkleinste der möglichen Aktionen gewesen, mit dem da auf dem Platz ein Zeichen gesetzt werden sollte. Dass es mal wieder die Spieler richten sollten, ist nun auch kein Ruhmesblatt – gefordert sind vielmehr die Funktionäre in den Verbänden.

Die Broschüre „Macht hoch die Tür, die Toooor macht weit“ ist inzwischen weitgehend vergriffen - ein gutes Zeichen! Es gab auch sonst nicht sehr viel Material, das von Seiten der Kirchen kam. Am 15. November 2022, also kurz vor der WM, haben Peter Noss und Thorsten Lattki vom Deutschen Koordinierungsrat (DKR) der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit ein spannend-informatives Gespräch mit Benjamin Best geführt, der u. a. die ARD-Doku "Katar - WM der Schande" produziert hat (siehe ARD-Mediathek). Best recherchiert seit der Vergabe der WM 2010 zu den Fragen von Korruption bei der FIFA, zu der politischen Situation im Gastgeberland Katar, zur Frage der Menschen- und Arbeitsrechten. Insbesondere die Rolle von Präsident Infantino hat er unter die Lupe genommen. Demnächst ist das Gespräch auch nachschaubar auf der Seite www.deutscher-koordinierungsrat.de.

Wie also umgehen mit der WM in Katar?

Zu dieser Frage erreichte uns ein Schreiben von Felix Krauß Mitglied, des Vorstands Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V.:

„Sehr geehrte Damen und Herren der EKD Landesarbeitskreise für den Arbeitsbereich Kirche und Sport,

als langjähriges Mitglied der evangelischen Kirche darf mich zunächst für Ihr außerordentliches Engagement und Ihre wichtige Arbeit bedanken. Es ist sehr erfreulich, dass sich als Kirchenvertreter:innen so kritisch-konstruktiv mit dem Sport auseinandersetzen. Auch die Broschüre zur Fußball-WM der Männer in Katar 2022 ist begrüßenswert und es werden zum Teil deutliche Worte gefunden, was wahrlich ein starkes und wichtiges Zeichen ist! In diesem Zusammenhang erlaube ich es mir auch, mich mit einem vielleicht eher unüblicheren Anliegen an Sie zu wenden: Wir machen uns als Nürnberger Menschenrechtszentrum für eine koordinierte Social-Media-Aktion gegen diese WM stark und würden uns sehr über Ihre Unterstützung freuen.

Wir, das Nürnberger Menschenrechtszentrum, sind eine unabhängige und ehrenamtlich getragene, gemeinnützige Organisation, die seit Jahrzehnten für die Einhaltung der Menschenrechte auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene eintritt. Da für uns klar ist, dass menschenrechtsproblematische Regime sowie menschenrechtsfeindliche Strukturen durch die Fußball-Weltmeisterschaft nicht aufgewertet und legitimiert werden dürfen, setzen wir uns auch kritisch mit diesem Turnier auseinander.

Trotz der intensiven Berichterstattung zahlreicher Menschenrechtsorganisationen und dem unermüdlichen Einfordern von tatsächlichen Veränderungen und Reformen, ist kein echter Reformwille der Verantwortlichen zu erkennen bzw. haben die bisherigen Entwicklungen nur zu äußerst unzureichenden Verbesserungen der Menschenrechtslage geführt. Umso erfreulicher ist es, dass sich dank dieser kontinuierlichen kritischen Berichterstattung mittlerweile eine stark wachsende Protestbewegung entwickelt hat, die Änderungen bei der Vergabe solcher Großereignisse fordert und sich für eine Einhaltung der Menschenrechte ausspricht. Damit den Verantwortlichen klar wird, dass wir es damit ernst meinen, müssen wir das höchst profitable Zusammenspiel zwischen FIFA, Sponsoren und autokratischen Regimen stören. Wir müssen deutlich zum Ausdruck bringen, dass ein „weiter so“ völlig inakzeptabel ist und wir echte Veränderungen brauchen.

Mittlerweile haben sich auch zahlreiche Fan-Gruppen, Fußballvereine, Organisationen, Unternehmen, Einzelpersonen sowie Besitzer*innen von Restaurants, Sportsbars und Kneipen kritisch zu dieser WM geäußert. Da unser Protest gegen diese WM umso wirkungsvoller ist, je mehr Akteure sich öffentlich kritisch positionieren, möchten wir uns an Sie wenden.

Primär möchten wir Sie persönlich für eine gezielte Social-Media-Aktion gewinnen. Hierzu schreiben wir „#NichtUnsereWM“ gut lesbar auf einen Karton, fotografieren uns selbst und teilen das Bild am Eröffnungsspieltag der WM (Sonntag, den 20. November) via Social Media.

Mit dieser Social-Media-Aktion machen wir online auf die problematische Situation vor Ort aufmerksam. Je mehr Menschen und Organisationen bei dieser Aktion mitmachen, desto stärker natürlich der Protest. Wenn Sie hinter dieser Idee stehen und sich über Ihre Kanäle dafür einsetzen, erhöht das die Reichweite/Sichtbarkeit der Kampagne erheblich und trägt maßgeblich zu einem Erfolg der Aktion bei. Zum besseren Verständnis und zum Zwecke einer möglichst einfachen Umsetzung, haben wir Ihnen einen fiktiven Beispielpost angehängt, wie ein Post umgesetzt werden könnte.

Zu diesem Thema sind wir auch aktiv im Austausch mit Politiker:innen, Fußballfans, Sportvereinen, Brauereien, Sportsbars und Kneipen, Influencer:innen sowie weiteren Organisationen und Multiplikator*innen zur breiten Umsetzung des Protests. Gerne dürfen Sie das Schreiben mitsamt der geplanten Aktion natürlich auch an Interessierte weiterreichen.

Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen für die Menschenrechte setzen!

Wir bedanken uns für Ihren bisherigen und zukünftigen Einsatz für die Menschenrechte und freuen uns schon sehr von Ihnen zu hören bzw. zu lesen!

Mit herzlich-sportlichen Grüßen
Felix Krauß, Mitglied des Vorstands Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V.
Hans-Sachs-Platz 2
90403 Nürnberg“

An dieser Aktion hat sich Peter Noss beteiligt (siehe Foto).

In der Evangelischen Akademie Frankfurt fand am 16. November 2022 ein Gespräch statt mit dem Titel „Was passiert nach dem 19. Dezember? Evangelische Akademie Frankfurt beschäftigt sich mit Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.“ Beteiligt waren u. a. Thorsten Latzel und Martina Knief vom Hessischen Rundfunk. Davon berichtet unser langjähriges AK-Mitglied Albert Mehl:

„Wer von Katar redet, darf von Frankfurt nicht schweigen. Natürlich lassen sich der derzeit im Blickpunkt stehende Wüstenstaat am Persischen Golf und die heimische Finanzmetropole nicht einfach so auf einen Nenner bringen. Aber nicht nur Fußball-Kenner wissen, dass das nächste Großereignis dieser Sportart  nach der Weltmeisterschaft auf der arabischen Halbinsel die Europameisterschaft 2024 in Deutschland sein wird. Mit der Arena im Frankfurter Stadtwald als Austragungsort. So war Lokalkolorit vorhanden, als die Evangelische Akademie in Frankfurt kurz vor dem Auftakt der Welttitelkämpfe zur Hybrid-Veranstaltung „Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit. Zur WM im Advent" geladen hatte. Nicht von ungefähr angelehnt an die gleichnamige Broschüre, die mit Beteiligung des AK Kirche und Sport der EKHN vor wenigen Wochen erschienen ist.

Deshalb kam die Aussage von Martina Knief „Man muss auch immer vor der eigenen Haustür kehren" nicht von ungefähr. Die Sportreporterin des Hessischen Rundfunks ist stolz, eine der acht deutschen Radiostimmen zu sein, die live aus den Stadien Katars berichten. Dazu war noch Dr. Thorsten Latzel als Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und als Sportbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gefragt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte erst am Abend vorher mitgeteilt, niemand auf den Römerberg schicken zu können. Geleitet wurde die Gesprächsrunde von Eugen Eckert, dem Stadionpfarrer im Deutsche Bank Park und Mitglied des AK Kirche und Sport, und von Hanna-Lena Heuser, der kommissarischen Direktorin der Akademie.

Vor ihrem tags darauf anberaumten Abflug zum Dienstantritt in Katar hatte Martina Knief nicht nur ein profundes Briefing durch die ARD im Gepäck, sondern auch etliche Fragen. Die mittlerweile vielleicht schon vor Ort beantwortet werden. Aber erst einmal bekannte die erfahrene Reporterin, dass sie sich freue. Denn sie dürfe „erstmals live von einer WM berichten". Sie sagte aber auch, dass sie andere Gedanken mitnehme als bei den vorhergehenden Weltmeisterschaften. Einige Ungewissheit ob der noch nicht absehbaren Arbeitsbedingungen schwang auch mit. „Was dürfen wir berichten? Das müssen wir erst einmal sehen."  Denn Pressefreiheit zähle ja nicht zu den positiven Errungenschaften in Katar.

Knief bekundete, „alle Seiten zu beleuchten", wenn sie vor Ort arbeite. „Wir dürfen nicht den Fehler machen, mit unseren Maßstäben zu messen." Von den Fußballern selbst erwartete sie dabei nicht viel. Die sollten gut spielen und sich gesund ernähren. „Sie müsse nicht bei jedem Interview den Finger heben."  Es werde aber interessant sein zu beobachten, „wie sich die Funktionäre verhalten". Dabei brach die Journalistin eine Lanze für den DFB. Es habe sich viel getan, seit Bernd Neuendorf Präsident sei, auch beim Thema Katar.

Eine spannende Frage wird Martina Knief erst nach ihrer Rückkehr und dem Ende der WM beantwortet bekommen. „Was wird ab dem 19. Dezember sein?" Ihre Skepsis begründete sie auch mit dem Blick auf die Frauen-Nationalmannschaft in Katar, die seinerzeit von der Frankfurterin Monika Staab trainiert worden war. Als die umstrittene Vergabe der WM unter Dach und Fach gewesen sei, „wurde die Mannschaft wieder aufgelöst".

Kirchenvertreter Thorsten Latzel rief nicht zum Boykott der Spiele und der Fernsehübertragungen auf, verwies aber auf den „kritischen Blick", mit dem solche Sport-Großereignisse begleitet würden. Deshalb habe er auch mit anderen Vertretern der EKD einen Brief an den DFB geschrieben und gebeten ein Augenmerk auf die Situation der Menschenrechte zu haben. Etwa bei Gesprächen mit dem Weltfußballverband Fifa. Für die christlichen Kirchen sei es neben den vielfach erwähnten Kritikpunkten eine „hochproblematische WM", schon allein mit dem Beginn am Ewigkeitssonntag und der Gleichzeitigkeit mit der Adventszeit. Zudem sprächen sich viele Proteste dafür aus, im Sport wieder stärker die sportlichen Interessen in den Mittelpunkt zu rücken. „Wir müssen wieder rauskommen aus der Überkommerzialisierung!"

Man muss kein Prophet sein, um erahnen zu können, dass diese Thematik auch in 19 Monaten bei der Fußball-EM in Frankfurt auf der Tagesordnung stehen wird.“

Evangelische Akademie
© Peter Noss
#NichtUnsereWM
© Peter Noss