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Adam und Eva oder: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei

von Margit Binz

Predigtdatum : 28.09.2014
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 13. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : 1. Mose 2,4b-9.(10-14).15
ggf. Homepage, auf der die Predigt verzeichnet ist : http://www.kirchengemeinde-nauheim.gross-gerau-evangelisch.de/
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Das Bild von Chagall und der Text aus der Bibel in gerechter Sprache finden sich auf der unten angegebenen Website.

Nauheim, Abendgottesdienst mit Abendmah; Predigt: Gen 2,4b-9.15-25 – Adam und Eva: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.

Pfarrerin Margit Binz

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für den heutigen Sonntag ist einer der bekanntesten und wichtigsten Texte aus der Bibel. Fast jeder kennt ihn. Er wurde und wird immer wieder zitiert, vor allem wenn es um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen geht. Und fast jeder hat schon bestimmte Vorstellungen darüber im Kopf, wie er zu verstehen ist. Der Text steht ziemlich am Anfang in der Bibel, im 2. Kapitel vom 1. Buch Mose. Es ist die Geschichte von der Erschaffung Adams und Evas. Wir hören sie nach einer neueren Übersetzung von 2006, der Bibel in gerechter Sprache, die näher am hebräischen Wortlaut ist: (s.u.) ...

Das ist ein wunderschöner Text. Hier geht es um die Verschiedenheit der Menschen, die Entstehung der Geschlechter, die Rettung vor dem Alleinsein, um die Anziehungskraft zwischen Menschen und um das paradiesische Leben.

Sie haben ein Bild von Marc Chagall, zu dieser Geschichte. (Marc Chagall, jüdischer Maler, 1897-1985) Da sehen sie Seite an Seite oder Rücken an Rücken, zwei Menschen, unterschiedlich, aber noch verschmolzen wie siamesische Zwillinge, eine Frau und einen Mann. Sie sind umgeben von Tieren, Pflanzen und Spuren. Links steht ein Baum, ein zweiter Stamm am Bildrand ist gerade noch sichtbar. Das alles wird umarmt von einem überdimensionalen Vogel, der seine Flügel wie Arme ausbreitet. Über oder hinter ihm geht die Sonne auf und darüber fliegt ein Wesen mit Flügeln oder Blättern und streckt seine Hand, seinen Arm aus, zum Segen oder zum Gruß. Die beiden Menschen Rücken an Rücken, schauen beide auf ihre Hand mit einer Frucht, vermutlich. Oder sie pflücken sie gerade.

Das ist Chagalls Bild vom Paradies. Man hört hier förmlich Flügel rauschen, Vögel zwitschern, Blätter rascheln, spürt die Sonne strahlen in diesem Bild. Auf mich wirkt es heiter und freundlich, besonders dieses Wesen da oben. Und die beiden Menschen wirken nachdenklich oder neugierig, verwundert vielleicht. Aber in jedem Fall sind sie im Einklang mit sich selbst, miteinander und mit der Welt. Mann und Frau sind hier gleich groß, Seite an Seite und ebenbürtig. So kann man mit Chagall die Paradiesgeschichte und die Erschaffung von Adam und Eva sehen: Mann und Frau sind zusammengehörig und ebenbürtig, der Griff zur Frucht ist nicht Sünde sondern Neugier und Wundern, alles ist umarmt und gesegnet von einer heiteren Gottheit.

Aber es hat auch Tradition, die Geschichte von Adam und Eva anders zu sehen. Vielleicht haben sie das auch schon mal gehört: Da heißt es dann, die Frau sei ja doch zweitrangig: Immerhin habe Gott Adam zuerst erschaffen und Eva nach ihm, aus seiner Rippe, einem verzichtbaren Körperteil. Sie sei für ihn als seine Gehilfin erschaffen, nicht als eigenständiges Wesen und schließlich sei mit ihr ja auch die Sünde in die Welt gekommen, denn der Griff zur Frucht und das Gespräch mit der Schlange und die Vertreibung aus dem Paradies, das habe ja doch sie der Menschheit eingebrockt und so weiter.

Es hat natürlich auch Tradition dagegen zu argumentieren und für die Höherwertigkeit der Frau eine Lanze zu brechen. Aus den 80er oder 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts stammt der eingängige Spruch: „Als Gott den Mann schuf, übte sie nur.“ Aber schon Jahrhunderte vorher gab es Theologen, die das so sahen: Da die Frau als letztes geschaffen wurde, sei sie die Krönung und das höchste Schöpfungswerk Gottes. Außerdem sei sie aus beseeltem Fleisch geschaffen und nicht – wie Adam – nur aus Erde oder Dreck. Und schließlich sei sie nicht als Gehilfin sondern zur Rettung Adams erschaffen. Adam sei ja alleine verloren gewesen. Eva, die Frau, sei in der Geschichte die mutige und treibende Kraft, das sehe man auch bei dem Griff zur Frucht: Die Freiheit, das Denken und die Erkenntnis von Gut und Böse, das habe man ihr zu verdanken. Das klingt doch auch überzeugend, oder? Einflussreicher und bekannter war jedoch immer die Argumentation für Höherwertigkeit des Mannes und die Minderwertigkeit der Frau.

Ich glaube jedoch, beide Interpretationen gehen völlig am Text vorbei. Es geht hier gar nicht darum, wer höher- oder minderwertig ist. Sondern es geht hier darum, dass ein Mensch nicht gut allein sein kann und dass Menschen einander als Gegenüber brauchen und sich zueinander hingezogen fühlen.

Und daher stelle ich Ihnen noch eine dritte Möglichkeit vor, die Geschichte zu verstehen:

Adam, der erste Mensch, wird aus Erde vom Acker geschaffen, und er soll – ganz seinem Namen entsprechend – die Erde, den Ackerboden bebauen. Ackerboden heißt in hebräisch Adamah. Adam also könnte man mit Erdwesen übersetzen. Erdling wird er genannt in einer jüdischen Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig: Adam, ein Erdling, der erste Mensch, allein.

Und dann stellt Gott fest: Es ist nicht gut, dass der Mensch (also das Erdwesen, der Erdling) allein sei; ich will ihm ein Gegenüber schaffen.

Gegenüber so heißt es in der neueren Übersetzung. Luther übersetzt: Ich will ihm eine Gehilfin schaffen. Eine Gehilfin oder: Ein Gegenüber – Das klingt schon anders. Und dann läßt Gott einen Schlaf auf das Erdwesen fallen, und nimmt – nicht eine Rippe – (nirgendwo sonst wird dieses Wort mit Rippe übersetzt) sondern Gott nimmt eine seiner Seiten.

Gott teilt das Erdwesen quasi und verschließt und formt die eine Seite neu mit Fleisch. So entsteht ein Mann. Und dann formt Gott die andere Seite – zu einer Frau. Und hier, jetzt erst, entstehen Mann und Frau. Ob das Erdwesen vorher schon ein Mann war, darüber kann man streiten. Man kann auch sagen: Erst mit der Teilung des Erdwesens wurden Mann und Frau und alle Verschiedenheit der Menschen geschaffen. Hier wird nicht nur Eva, hier werden zwei Menschen geschaffen in all ihrer Unterschiedlichkeit. Insofern erübrigt sich die Frage, wer zuerst oder zuletzt. Auf dem Bild von Chagall sehen wir quasi den Moment der Teilung und Erschaffung. Noch sind sie nicht ganz voneinander gelöst, noch sind sie Seite an Seite, verbunden, aber schon deutlich sichtbar, zwei unterschiedliche Menschen.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Ich will ihm ein Gegenüber machen. Weil das Alleinsein nicht gut ist und ein Mensch ein Gegenüber braucht, geht Gott also noch einmal ans Werk und bildet unterschiedliche Menschen. Denn es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.

Es gibt – so wird vielleicht jemand einwenden – ein Alleinsein, das auch gut sein kann. Wenn ich mich vorübergehend zurückziehe, um zur Ruhe zu kommen, aufzuatmen, ganz bei mir selbst zu sein. Viele Menschen genießen das und brauchen das unbedingt. Auch Jesus zieht sich in den Evangelien oft zurück, um alleine zu sein. Wieviel Alleinsein gut tut, das ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Beim allein sein ist es in jedem Fall wichtig, gut mit sich selber umzugehen, Dinge zu tun, die einem gut tun und sich in Gedanken aufzubauen. Dann ist auch das allein sein gut.

Es gibt aber auch ein Alleinsein, das quälend ist. Wer zu oft oder zu lange allein ist, kann leicht trübsinnig werden, einsam. Alleine kommt man schwerer auf neue Gedanken und Ideen. Es fehlt jemand, mit dem man Gedanken und Gefühle teilen kann, jemand der einen bestätigt oder auch mal etwas anderes sagt, neue Anstöße gibt, jemand mit dem man einfach nur lachen oder weinen oder – wenn es sein muss auch mal Auseinandersetzungen haben kann. Ein Gegenüber eben, jemand anderes als Ich und immer nur Ich. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Und es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.

Daher hat Gott hier mehr als einen Menschen erschaffen und daher hat Gott auch nicht zwei gleiche sondern etwas unterschiedliche Menschen erschaffen. Unterschiedlich und gleichzeitig auch wieder so ähnlich, dass sie etwas miteinander anfangen können.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei – Ja, heißt das jetzt, dass jeder einen festen Partner oder Partnerin braucht? Oder dass ein Mann nicht ohne Frau und eine Frau nicht ohne Mann durchs Leben gehen kann? Nein, das heißt es nicht. Es geht hier darum nicht allein zu sein, ein Gegenüber zu haben.

Also kann ein Mann kann auch mit einem Mann, eine Frau mit einer Frau durchs Leben gehen. Und ein Mensch kann auch ohne feste Beziehung durchs Leben gehen, ohne allein zu sein. Jeder Mensch ist zunächst einmal für sich – auch ohne Partner – vollkommen. Viele Menschen wünschen sich eine feste Beziehung, viele haben sie und sind glücklich damit, viele haben sie und sind nicht glücklich damit und lösen sie und manche leben froh und glücklich, ohne feste Beziehung.

Und vor dem Alleinsein kann einen ein Einzelner auch gar nicht retten. Niemand kann vom anderen die Rettung erwarten. Damit wäre eine einzelne Person heillos überfordert. Und man kann auch zu zweit allein sein. Vor dem Alleinsein retten nicht nur ein Partner oder eine Partnerin, sondern auch Freundinnen und Freunde, gute Bekannte, Kolleginnen, Nachbarn, auch die Kirchengemeinde und alle, mit denen wir uns verbunden fühlen.

Die Geschichte von Adam und Eva ist eine Geschichte über die tiefe Zusammengehörigkeit von Menschen. Wir sind miteinander verbunden und können einander Gegenüber sein, gerade weil wir so ähnlich und gleichzeitig doch verschieden sind. Manchmal ist es wunderschön, ein Gegenüber zu sein und ein Gegenüber zu haben und manchmal ist es anstrengend. Es ist nicht immer paradiesisch. Doch ich möchte Sie und uns alle ermutigen, das anstrengende daran auszuhalten und das Schöne zu genießen. Wir als Menschen brauchen einander in ganz unterschiedlicher Weise. Zum Feiern, zum Trauern, zum Planen und Machen, zum Musizieren und Tanzen und so weiter. Zusammen kommt viel in Gang, da geht viel. Und deswegen sind Begegnungsmöglichkeiten wichtig! Nicht nur in der Familie und im Freundeskreis, sondern auch in der Gemeinde und in größeren Kreisen. Und dass wir diese Möglichkeiten lebendig erhalten, schaffen und wahrnehmen können, dazu verhelfe uns Gottes Geist.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.