Schriftlesung: Lukas 12,35-40
Wochenspruch:
Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. (Ps 103,8)
Wochenlied:
EG 59 oder 64
Weitere Liedvorschläge:
EG 351; 620
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
Liebe Gemeinde!
Vor einigen Jahren unterhielt ich mich mit einem befreundeten Theologen genau über diese einzigartige und besondere Stelle im Neuen Testament. Er machte mich damals auf einen interessanten Unterschied zu den anderen Evangelien aufmerksam.
Kurz zur Erklärung: Bekanntlich ist das Johannesevangelium das jüngste der Evangelien, davor wurden etwa zeitgleich das Matthäus- und das Lukasevangelium verfaßt, während das älteste das Markusevangelium ist. Nun beginnt Markus seine Geschicht über das Leben Jesu mit dessen Empfang des Geistes Gottes mit Johannes dem Täufer, Matthäus und Lukas mit der Empfängnis Marias -“Aber noch bevor die beiden die Ehe eingegangen waren, stellte sich heraus, daß Maria durch die Wirkung des heiligen Geistes ein Kind erwartet“ - hiervon in Markus kein Bemerkung.
Das jüngste Evangelium hingegen geht hier noch weiter zurück -“Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“- einige Verse weiter steht noch eine Erkärung -“und das Wort wurde Mensch“-. Johannes bezieht sich mit der Menschwerdung Gottes, mit dem Empfang des Geistes auf die Schöpfung, auf den Anbeginn unseres Seins. Alles kommt aus dem Wort, alles aus einem Gedanken.
Dieser philosophische Beginn eines Evangeliums fällt sicherlich vielen schwer zu verstehen. Auch ich muß immer wieder bei solchen Worten nachdenken und um den Sinn förmlich ringen. Gut, es gibt Erklärungs- und religionshistorische Einordnungsversuche. So hatten die Menschen zur Zeit der Enstehung der früheren Evangelien zum Teil noch eine konkrete Endzeiterwartung, konkrete Vorstellungen über das Leben Christi und dessen Auferstehung, dies wird an einigen Stellen, gerade auch zu Beginn der ersten drei Evangelien deutlich.
Die Kindheitsgeschichte Jesu und alles was davor war interessiert zum Beispiel Markus nicht. Ganz konkret befaßt er sich mit dem Erwachsenen Menschen Jesus, dessen Leben, Sterben und Auferstehung und trägt der ganz konkreten Erwartung einer Endzeit zu Lebzeiten der ersten Gemeinden Rechnung. Die Kindheit Jesu wird zunehmend interessanter, je mehr konkrete Erinnerungen verlöschen und je stärker und größer auch damals die Gemeinde wurde und somit der unmittelbare Bezug zu Jesus verloren geht, siehe Matthäus und die stark verklärte Weihnachtsgeschichte des Lukas.
Zeit spielte in und für die ersten drei Evangelien, wie wir sehen, eine gewaltige Rolle. Johannes dagegen relativiert die Zeitfaktoren. Ein lineares Zeitverständnis wird aufgelöst. Er erwartet keinen Christus mehr unmittelbar, ihn interessieren auch nicht Kindheitsgeschichten von Jesus, die entstanden sind, weil vielen über die Zeit konkrete Erinnerungen verloren gingen. Ein neuer Rahmen wird von ihm gesetzt, Jesus in einen zeitlosen Zusammenhang gestellt. Das Wort, Gott und Jesus waren schon immer, sind und werden immer sein.
Es wird dadurch unwichtig was war, was ist und was kommen wird. Nicht mehr Geschichten, Anekdoten, trügerische Endzeiterwartungen und vieles mehr stehen im Mittelpunkt, sondern von Anbeginn findet eine Konzentration auf das Wesentliche - auf das Wort, auf Gott - statt. Vielleicht fällt uns das Verstehen des Textes deshalb so schwer, weil wir in unserer egozentrischen Welt unsere Aufmerksamkeit und Konzentration dauernd auf uns richten, wir uns als Maß der Dinge sehen, ein Weltbild über uns definieren, wir uns als die Krone der Schöpfung betrachten. Die Krone, alles was war, alles was ist und alles was sein wird, bildet das Wort, bildet Gott.
Die Einstellungen der Mitglieder der Urgemeinden damals haben sich sicherlich innerhalb der kürzesten Zeit geändert. Viel interessanter sind die Aspekte dieses Textes, die uns heute beschäftigen. Nun leben wir heute unter ganz anderen Vorzeichen, unter anderen Bedingungen, in einer anderen Historie. Gerade deswegen muß so ein Text außer religionsgeschichtlichen Aspekten auch eine Bedeutung für unser Leben haben.
In der Zeit zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr, werden uns, unserem Religionsverständnis, unserer Einstellung zu Gott und der daraus resultierenden Aufforderung nach neuem Leben, neue Aspekte unseres Lebens vor Augen geführt. Nicht das Kind süß und fein, niedlich in der Krippe liegend, fern unserer Geschichte, ein Gott weit ab, muß uns mehr beschäftigen, sondern ein Gott, eine Schöpfung mitten in uns und wir in Ihm bilden das Verhältnis.
Der Faszination, die diese Textstelle auf mich ausübt, liegt der Gedanke eines ganz anderen Verhältnisses zu Gott zugrunde, ausgehend von dem Anbeginn alles Seins. Hier beginnt ein Evangelium mit einem Schöpfungsbericht. Das Verhältnis Gottes zum Menschen wird geschaffen und hat Bestand. Die Einheit dieser Beiden wird besiegelt. Worte bilden die Basis. Alles andere wird unwichtig. Irrelevant, wie Pflanzen und Tiere überhaupt entstanden sind. Nicht wichtig, welche Bedeutung die biologische Evulotion spielt. Alle Erklärungen werden zum Modell. Nicht schwierig, sondern einfach ist der Text zu verstehen, weil dieser sich einfach auf das Wesentliche beschränkt.
Welche Befreiung für uns, daß wir uns nicht mehr mit Erklärungsversuchen über den lieben Gott abgeben müssen und damit unter anderem Weihnachten den Kitsch und Karfreitag den Schrecken verliert. Die Offenbarung findet mit der Schöpfung statt. Ich bin froh, daß Gott ein Teil von mir wird und ich ein Teil von Ihm. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, keine Angst mehr zu haben, vor irgendetwas. Die Gottlosen in dieser Welt haben keine Chance mehr, alles verbunden mit Gott. Der Entzug ist nicht möglich. Das Wort, Gott, der Mensch und die Schöpfung sind stark. Nichts Schwaches ist geschaffen, daß irgendwelchen veränderten Weltbildern, veränderten Moden, veränderten Rahmenbedingungen standhalten muß. Das Wort stellt sich nicht zur Disposition, sondern war, ist und wird die einzige Realität.
Vielleicht mag mancher unter Ihnen jetzt meinen, was für eine Arroganz, sich mit Gott gleich zu setzen, oder meint, bei so einer Vorstellung mache man es sich sehr einfach, ruhe auf dem sicheren Gottespolster aus. Wo bleibt die Moral, wo der Anstand, wo die Gerechtigkeit. Was ist mit den Hungernden in der Welt, den Armen, den Geschundenen? Was für eine Bedeutung hat meine Spende, die ich großzügigerweise zusätzlich zu meinen sämtlichen Sozialversicherungen getätigt habe? Solche eine Ignoranz kurz nach der Weihnachtszeit, dem Fest der Liebe, kurz vor Neujahr, wo doch alle allen Lastern entsagen möchten. Alles egal? Ungerechtigkeit legal?
Ich bin kein Richter, Gott sei dank, ich muß nicht über diese Welt entscheiden, noch kann ich Menschen verstehen, die sich täglich danach drängen, dies zu tun. Ich bin nicht arrogant, nur weil ich im Vertrauen auf die Schöpfung Gott in mir und in der Welt sehe. Diese Sicherheit, dieses Vertrauen, wünsche ich allen und, da bin ich ganz ehrlich, mir auch. Dies ist das schönste Weihnachtsgeschenk Gottes, daß wir auf diese Gewißheit vertrauen können. Es ist das erhebenste Ziel für alle neuen Jahre, für alle, die wir erleben. Mit der segensreichen Erkenntnis fasse ich noch einmal zusammen: Die Offenbarung findet in der Schöpfung statt. Amen.
Pfr. Ralf Bräuer-Nitsch
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