Jahreslosung: "Du bist ein Gott, der mich sieht."
Psalm: Psalm 116 (EG 746), Psalm 121 (EG 749)
EG+ 88 Ich seh empor zu den Bergen
EG+ 31 Der Herr segne dich
EG 432 Gott gab uns Atem, damit wir leben
EG+ 118 Gott sieht mich an
13 (Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete:)
Du bist ein Gott, der mich sieht.
(Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.)
Liebe Gemeinde!
In der Jahreslosung 2023 geht es um Ansehen und angesehen Sein.
Der Satz steht in der Geschichte von Hagar. Eine berührende Geschichte. Ich werde sie Ihnen kurz erzählen.
Hagar ist die Magd von Sara, Abrahams Frau. Sara kommt auf die verzweifelte Idee, Hagar ihrem Mann als Zweitfrau zu empfehlen, da sie selbst kein Kind bekommen kann. Als Leihmutter sozusagen. Abraham willigt ein und Hagar wird schwanger.
Es kommt wie es kommen muss: Hagar wird gegenüber ihrer Herrin hochmütig und sieht auf sie herab – was Sara natürlich verletzt und kränkt. Da sie aber – Abrahams Frau – am längeren Hebel sitzt, demütigt sie wiederum die Magd. Bis Hagar es nicht mehr aushält und in die Wüste flieht.
Zwei Frauen, die sich nach Ansehen sehnen – aber nur aufeinander herabsehen können. Welch ein Elend!
Hagar also in der Wüste. Sie findet eine Quelle am Weg – und dort wird sie gefunden. Vom Engel des Herrn. Der redet sie an: „Hagar, Saras Magd, wo kommst du her und wo willst du hin?“
Hagar erzählt. Der Engel hört zu und schickt sie dann wieder zurück in ihre schlimme Situation bei Abraham und Sara. Aber nicht ohne eine Perspektive: Er verheißt ihr, dass das Kind in ihrem Leib ein Sohn werden und viele Nachkommen haben wird. Er soll Ismael heißen, das bedeutet: Gott erhört. Denn, sagt der Engel: „Gott hat dein Elend erhört.“
Hagar fühlt sich angesehen. Angesehen von Gott. Und bekommt dadurch Kraft und Mut, ihren Weg weiterzugehen.
„Und sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: Du bist ein Gott der mich sieht.“ So wird die ägyptische Magd Hagar zur ersten Namensgeberin Gottes: „El-Roi“ (im Hebräischen), „Gott-sieht-nach-mir“.
Liebe Gemeinde, die Jahreslosung 2023 ist also ein Name. Der Name Gottes: Du bist ein Gott der mich sieht.
Die Jahreslosung, dieses Bibelwort für das neue Jahr, hat die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen herausgesucht. Sie soll uns in den nächsten 365 Tagen begleiten, will Orientierung geben in diesen bewegten Zeiten, trösten und bestärken im Schweren, unterstützen und begleiten bei den vielen Herausforderungen. Und derer gibt es wahrlich genug, im Persönlichen wie in unserer Welt.
[Parkplatz für aktuelle Beispiele, die den Horizont von Krieg, Energiekrise, Klimawandel … ins Bewusstsein rufen. Oder/und etwas Persönliches teilen.]
Heute sehen wir auf dieses ungewisse neue Jahr vor uns – und vielleicht kann uns die Jahreslosung ermutigen und stärken: Unser Gott ist der „Du-bist-ein-Gott-der-mich-sieht“.
Ansehen, gesehen, wertgeschätzt werden – das ist ein Grundbedürfnis der menschlichen Seele. Wir brauchen das Gefühl, geliebt zu sein, geborgen und akzeptiert. Wir brauchen als Menschen ein Gegenüber, das uns liebevoll und wertschätzend ansieht.
Ich möchte gesehen werden. Als Mensch, so wie ich bin. Wenn mir etwas gut gelungen ist und ich erfolgreich war. Wenn es mir elend geht – aus welchen Gründen auch immer. Bestimmt kennen Sie das auch, wie gut es tut, wenn jemand das sieht und mir das Gefühl gibt mich zu verstehen. Das stärkt mich, gibt mir Mut und kann mich manchmal sogar verändern.
Mir fällt z. B. der Zöller Zachäus ein. Dass Jesus ihn sieht, oben auf dem Maulbeerbaum sitzend, dass Jesus sich ihm zuwendet und ihn anspricht und mit ihm nach Hause geht – das verändert sein komplettes Leben.
[Parkplatz: alternativ eine eigene persönliche Erfahrung, wie gut es war, angesehen worden zu sein.]
Liebe Gemeinde, Gott hat uns Menschen genau so geschaffen. Er hat das Grundbedürfnis nach Ansehen tief in unsere Seelen gelegt.
Und: Von Anbeginn an will ER uns ein Gegenüber sein, das uns sieht und Ansehen schenkt. Dieses Grundbedürfnis will er höchstselbst erfüllen. Das ist sein Wesen, seine Menschen zu sehen. Sie zu lieben. In Beziehung mit uns zu kommen.
Die Geschichte von Hagar zeigt es uns heute. Und das Spannende finde ich, dass zwischen Hagar und Gott solch eine Beziehung entsteht. Sie nennt Gott „Du“. Du bist ein Gott, der mich sieht.
Viel später erzählt Jesus von Gott, seinem Vater. Etwa im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Dort wartet der Vater auf seinen Sohn, der sich das Erbe hatte auszahlen lassen, um in die Ferne zu ziehen. Und als er reuevoll wieder zurückkommt und noch weit entfernt ist, sieht ihn sein Vater und schenkt ihm einen Neuanfang.
So ist Gott, sagt Jesus. Und auch er selbst sieht die Menschen: die am Rande, die Bedürftigen, die Verlorenen. Er hat ein Auge für sie und gibt ihnen Ansehen.
Hagar erfährt Gottes Ansehen durch den Engel, der zu ihr in die Wüste kommt.
Das finde ich einen ganz wichtigen Aspekt in dieser Geschichte. Denn es steht ja nun die Frage im Raum, wie wir Menschen Gottes Ansehen ganz konkret erfahren können. Wir kriegen wir das mit, dass Gott uns sieht, ansieht, uns sein Ansehen schenkt? Wie können wir das spüren?
Wir können es hören in seinem Wort. In der Bibel lesen und in Liedern singen. So wie heute.
Wir können es aber auch ganz konkret spüren durch Engel! Das war bei Hagar so und genauso ist es bis heute. Menschen, die mich sehen, ansehen, mir Ansehen schenken, können zu Engeln werden. Durch sie kann ich Gott erfahren als der-mich-sieht.
Vielleicht kenne Sie die Geschichte von dem kleinen Jungen, der Gott treffen wollte. Sie erzählt das ganz wunderbar.
Der Junge war sich sicher, dass der Weg zu dem Ort, an dem Gott lebte, ein sehr langer war. Darum packte er einige Coladosen und Schokoriegel in seinen Rucksack und machte sich auf den Weg.
In einem Park sah er eine alte Frau, die auf einer Bank saß und den Tauben zuschaute.
Der Junge setzte sich zu ihr und öffnete seinen Rucksack. Als er eine Cola herausholen wollte, sah er den hungrigen Blick der Frau. Also nahm er stattdessen einen Schokoriegel heraus und gab ihn der Frau. Dankbar nahm sie den Riegel und lächelte ihn an – ein wundervolles Lächeln!
Um dieses Lächeln noch einmal zu sehen, bot ihr der Junge auch eine Cola an. Sie nahm sie und lächelte wieder, noch strahlender als zuvor. So saßen die beiden den ganzen Nachmittag im Park, aßen Schokoriegel und tranken Cola, ohne auch nur ein Wort zu sprechen.
Als es dunkel wurde, wollte der Junge nach Hause gehen. Nach einigen Schritten hielt er inne, ging zurück und umarmte die Frau. Die schenkte ihm dafür ihr allerschönstes Lächeln.
Zu Hause fragte ihn seine Mutter: "Was hast Du denn heute Schönes gemacht, dass Du so fröhlich aussiehst?" Der Junge antwortete: "Ich habe mit Gott Mittag gegessen – und sie hat ein wundervolles Lächeln!"
Auch die alte Frau war nach Hause gegangen, wo ihr Sohn sie fragte, warum sie so fröhlich aussehe. Sie antwortete: "Ich habe mit Gott Mittag gegessen – und er ist viel jünger, als ich dachte!"
[Parkplatz: alternativ eine persönliche Erfahrung, die zeigt, wie wir anderen zu Engeln werden können, wenn wir ihnen Ansehen schenken.]
Er hat die alte Frau gesehen, der Junge, hat den Hunger in ihren Augen gesehen – und ist ihr zum Engel geworden. Und die Frau hat dem Jungen das allerschönste Ansehen geschenkt, was es gibt: ein Lächeln. Auch für ihn war das eine Gottesbegegnung.
Liebe Gemeinde,
ich finde, die Jahreslosung ist ein schöner Wahlspruch, ein gutes Motto für dieses Jahr!
Vergewisserung, dass Gott uns sieht, mit unserem Glück oder in unserem Elend.
Ermutigung, anderen Menschen Ansehen zu schenken und so selbst zu Gottesboten zu werden.
Damit wir spüren und erfahren: Du bist ein Gott, der mich sieht!
Das wird die Situationen, in denen wir gerade stecken, vermutlich nicht verändern. Aber es kann uns verändern, kann uns ermutigen und stärken. Wie der Segen, den wir am Ende des Gottesdienstes zugesprochen bekommen: Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir. Er erhebe sein Angesicht über dich.
Amen.
Verfasser: Pfarrer Thomas Borchers, Westbahnstraße 4, 76829 Landau
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