Anvertraute Gaben
von Angela Rinn (55124 Mainz)
Predigtdatum
:
20.07.2008
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
8. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
1. Petrus 4,7-11
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Wochenspruch:
Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. (Lukas 12,48)
Psalm: 40,9-12
Lesungen
Altes Testament:
Jeremia 1,4-10
Epistel:
Philipper 3,7-11 [12-14]
Evangelium:
Matthäus 25,14-30
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 168,1-3
Du hast uns, Herr, gerufen
Wochenlied:
EG 494
Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun
Predigtlied:
EG 503
Geh aus, mein Herz
Schlusslied:
EG 168,4-6
Wenn wir jetzt weitergehen
Vorbemerkung:
Der Predigttext wirkt wie eingerahmt durch Eschatologie (die Lehre von den letzten Dingen) am Anfang („Es ist nahe gekommen das Ende aller Dinge“) und einem Lobpreis zum Schluss („... damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“). Die Ermahnungen des Predigttextes erschließen sich aus diesem Rahmen und aus der Vorordnung des Gebets vor allem Tun. Die Welt, die schon den ersten Adressaten des Briefs lebensbedrohlich gegenübertritt, wird in ihrer Begrenzung wahrgenommen. Die letzte Macht liegt in der Hand Gottes, mit dessen Lob der Predigttext ausklingt.
Die Predigt nutzt Verse Paul Gerhardts als Interpretationshilfe. Die Liedstrophe kann auch wiederholt während der Predigt von der Gemeinde gesungen werden. Ein fettgedrucktes L im Text bietet Vorschläge, wann dies sinnvoll geschehen kann.
Die Predigt hat eine meditative Ausrichtung und wird daher sinnvollerweise langsam gelesen, damit die Hörer Zeit haben, die sprachlichen Bilder in sich nachklingen zu lassen.
Liedvorschläge: Vor (und während) der Predigt: EG 477, 8; nach der Predigt: EG 503, besonders Strophe 4.
7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. 8 Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn »die Liebe deckt auch der Sünden Menge«. 9 Seid gastfrei untereinander ohne Murren. 10 Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: 11 Wenn jemand predigt, daß er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, daß er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Liebe Gemeinde,
in Vietnam kann man sie noch beobachten – hier in Deutschland gibt es sie kaum noch: Glucken mit ihren Küken. Es ist ein rührendes Bild, wenn die kleinen gelben Fellkugeln hinter der Mutter herlaufen und sich bei Gefahr, etwa einem herannahenden Auto, unter ihre Flügel flüchten. Doch auch in Vietnam wirken die Glucken mit ihren Küken wie Relikte aus einer vergangenen Zeit, man findet sie nur noch in den Bergregionen des Landes. In Südostasien boomt die Wirtschaft, für das Schwache, Kleine, Verletzliche ist da wenig Platz. Wer nicht mithalten kann, wer zu schwach ist, um zu arbeiten oder wer krank ist und keine Familie hat, die die Kosten für medizinische Betreuung tragen kann oder will, der hat keine Chance.
Vielleicht wirkt eine Glucke mit ihrem Völkchen gerade in ihrem Kontrast zur erbarmungslosen Umwelt besonders tröstlich. Es gibt sie noch, die Zuflucht, die bergenden Flügel, den Trost der Mutter, mitten in einer unbarmherzigen, harten Umgebung.
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„Breit aus die Flügel beide, o Jesu meine Freude, und nimm dein Küchlein ein. Will Satan mich verschlingen, so lass die Englein singen: Dies Kind soll unverletzet sein.“ (Paul Gerhardt). Die Verse Paul Gerhardts sind wie eine Predigt über die Worte aus dem 1. Petrusbrief. Im Schatten dieser Flügel ist Geborgenheit, Zuflucht vor dem Schrecken der Welt. Seine Flügel setzen der Angst eine Grenze: Diese Welt hat nicht das letzte Wort, ihre Zeit ist begrenzt. Was sie behauptet: letztgültige Wirklichkeit zu sein, festzementierte Wahrheit, ehernes Gesetz, das ist Lüge. Es gibt eine andere Wahrheit! Und: die Wahrheit dieser Welt ist begrenzt. Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. Und so dürfen sich Menschen vor dem, was sie entsetzen will, was ihnen die Luft abschnüren will, unter die Flügel Jesu flüchten. Das Grauen der Welt kann verschiedene Gesichter haben: Für die ersten, die den 1. Petrusbrief in den Händen hielten, waren es die Gesichter ihrer Verfolger, das drohende Martyrium in einem Zirkus des römischen Reichs. Heute ist es die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, eine tödliche Krankheit, die Einsamkeit ohne einen Partner, bittere Altersarmut, die vergebliche Suche nach einem Ausbildungsplatz und fehlende Zukunftsperspektiven, eine Schuld, die auf der Seele lastet, das Leiden unter einer globalisierten Wirklichkeit. „Breit aus die Flügel beide. Will Satan mich verschlingen...“. Diese Welt mit ihrer Angst hat nicht das letzte Wort. In ihr eröffnet sich, schon jetzt, ein heilvoller Schutzraum, ein göttlicher Machtbereich, in dem Menschen anders, befreit leben können.
Möglich ist es, weil da einer so sehr liebt, dass alle Sünden, alles, was Menschen voneinander und von Gott trennen will, zugedeckt werden. Unter dem Schatten der Flügel ist kein Platz für kleinliches Aufrechnen, da wird keine Gerichtsverhandlung abgehalten. Unter dem Schatten der Flügel ist nur: Liebe! Da kann die Welt noch so toben, der Satan noch so sehr sein Maul aufsperren, um Menschen zu ängstigen oder niederzudrücken: An dieser großen Liebe beißt er sich die Zähne aus. Die Liebe deckt auch der Sünden Menge. Und so entsteht, mitten in einer sich selbst zerstörenden Welt, ein Ort, ein Refugium, in dem Menschen Atem holen dürfen, sich erholen können von der Welt – und von sich selbst. Ihre Schuld, alles, was sie bedrückt und belastet – es muss draußen bleiben. „Breit aus die Flügel beide“.
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Während es ihnen eben noch schwindelig werden konnte vor lauter Angst, während sie gerade noch wie betäubt waren von dem, was auf sie einströmen wollte, hektisch auf der Flucht vor sich selbst, vor anderen Menschen, getrieben im Getriebe dieser Welt, ist jetzt Raum und Zeit, um aufzuatmen, um wieder zu sich zu kommen.
Zu sich kommen, dafür braucht es diesen Schutzraum, diese Geborgenheit. Und diese Vergebung, die die Wunden der Vergangenheit sanft zudeckt. Die Liebe deckt der Sünden Menge. Wenn das geschieht, müssen Menschen sich nicht mehr vor Scham die Augen zuhalten, sich betäuben, um ihren Lebensschmerz nicht spüren zu müssen. Sie können, aus der schützenden Geborgenheit, der Welt in die Augen sehen. Nüchtern und wach, um besonnen wahrzunehmen, was zu tun und zu lassen ist. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. Das Gebet, mit ausgebreiteten Armen oder gefalteten Händen antwortet auf die ausgebreiteten Flügel, ist die natürliche Haltung der Küken, die sich an die Mutter schmiegen, ist Antwort der Menschen auf Gott. Betend öffnen sich Menschen für Gott, öffnen ihre Herzen, ihre Lebenswirklichkeit für diese fremde, göttliche, heilvolle Wirklichkeit. Das Ergebnis ist: Klarheit. Während die Welt die Sinne vernebelt („Zivilisation betäubt, Glaube befreit“ hat der berühmte Glaskünstler Johannes Schreiter einmal gesagt), ist der Glaube nüchtern.
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Die kleinen Küken handeln sehr gezielt und klar – der genetischen Programmierung sei Dank. Sie reagieren sofort auf den Lock- oder Warnruf der Mutter. Schließlich hängt ihr kleines Kükenleben davon ab. Christus geht es auch um unser Leben, nichts ist ihm wichtiger. „Dies Kind soll unverletzet sein.“ Schließlich hat er sein eigenes Leben dafür hingegeben, dass wir leben dürfen: ein erfülltes, reiches, befreites Leben. Wir sind viel zu geliebt, als dass wir uns mit einem dumpfen, hektischen, in Zwänge gepressten Leben abfinden sollten. Betend wird deutlich, was zu tun ist – und was wir unterlassen dürfen oder sollen. Und das Beten ist unbedingt notwendig, um es wahrzunehmen. Der Lockruf unseres HERRn Jesus Christus und kein Aktivismus soll unser christliches Handeln bestimmen.
Im Schutz seiner Liebe, unter den bergenden Flügeln, wird, betend, klar: menschliche Liebe ist die erste, angemessene Antwort auf die göttliche Liebe. Aus dieser Liebe ergibt sich alles Notwendige: Gastfreundschaft, gemeinsames Handeln, wobei alle mit ihren ganz persönlichen Gaben dazu beitragen, die gute Nachricht von der Liebe Gottes weiterzutragen. Nüchtern sind wir, als betende Menschen unter Gottes bergenden Flügeln, und ehrlich. Was ich tue, das tue ich ganz. Ob es jetzt um das Predigen geht oder um Hilfe für andere, ob ich Kranke besuche oder am Arbeitsplatz anderen zeige, dass Christus ein menschliches Gesicht hat. Was ich tue, ich tue es nicht aus eigener Kraft – das wäre wohl zu viel verlangt von einem kleinen Küken. Es geschieht aus der Kraft, die Gott uns, seinen geliebten Menschenkindern schenkt.
Es ist eine Kraft, die – zuletzt – diese bedrängende, bedrückende Wirklichkeit der Welt verwandeln wird. Denn sein – Jesu Christi – ist die Gewalt, nicht der Welt. Die Macht der Welt ist ja schon jetzt begrenzt, und aus dieser Begrenzung erwächst mehr. Diese Oase der Liebe, dieses Refugium der Menschenfreundlichkeit, in der Liebe Schuld zudeckt, in der Menschen Gastfreundschaft und Nähe, Fürsorge und Zärtlichkeit erfahren dürfen, in der Menschen aufatmen können, das strahlt aus. Zuletzt wird sich auch die harte Wirklichkeit erweichen lassen und einstimmen in das Lob, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Dr. Angela Rinn-Maurer, Eleonorenstr. 31, 55124 Mainz
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