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Anvertraute Gaben

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 17.08.2003
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 8. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Matthäus 25,14-30
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Wochenspruch:

Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. (Lukas 12,48)

Psalm: 40,9-12

Lesungen

Altes Testament:
Jeremia 1,4-10
Epistel:
Philipper 3,7-11 [12-14]
Evangelium:
Matthäus 25,14-30

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 295
Wohl denen, die da wandeln
Wochenlied:
EG 497
Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun
Predigtlied:
EG 414
Lass mich, o Herr, in allen Dingen
Schlusslied:
EG 527,10
Wohl dem, der auf ihn trauet

Jesus sprach: 14 Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15 dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort.
16 Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. 18 Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. 20 Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. 21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 22 Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen. 23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! 24 Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25 und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine.
26 Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27 Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28 Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30 Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

Liebe Gemeinde!
Wie hoch denkt Gott von uns? Ist das eine komische Frage? Vielleicht, aber sicher ist es eine Frage, die uns angesichts dieses Gleichnisses kommen kann. Welche Antwort würden wir auf diese Frage wohl geben? Etwa: Gott traut uns soviel zu, dass er lieber alles selbst macht? So verhalten sich ja manche Mütter ihren Kindern gegenüber. „Das ist doch nicht richtig. Komm, lass mich das lieber machen. Du kannst es ja doch nicht.“
Ist das Gottes Haltung uns gegenüber eine Haltung, die mutlos macht? Oder so: Gott traut uns soviel zu, dass er uns streng kontrolliert und überprüft. Ich gebe dir noch eine Chance. Wenn du die nicht nützt, dann bin ich endgültig mit dir fertig. Ich muss mich vor Schaden bewahren und deshalb schaue ich dir scharf auf die Finger. So etwa geht eine misstrauische Gesellschaft mit ihren „Problemfällen“ um. Steht Gott uns so, wie ein Wachtposten, gegenüber?
Oder: Gott traut uns soviel zu, dass er uns in unwichtigen Dingen selbst werkeln lässt, alles Wichtige aber sich vorbehält? Briefmarken einkaufen und auf die Briefumschläge kleben, das darf der Lehrling, aber die Briefe schreiben, das macht der Chef doch lieber selbst. Handlangerdienste sind willkommen, aber die Verantwortung bleibt oben beim Chef. Die wird nicht geteilt. Ist das Gottes Haltung gegen uns, dass er eifersüchtig die Zuständigkeiten verteidigt?
Jesus zeigt uns eine ganz andere Haltung Gottes: Gott tritt uns mit einem atemberaubenden Vertrauen entgegen. Das ganze Vermögen übergibt der Mann unseres Gleichnisses an seine Knechte. Alles, was er hat, gibt er an diese Sklaven, die soviel Geld noch nie in eigenen Händen hatten. So hoch, will Jesus sagen, denkt Gott von euch, dass er euch alles anvertraut. So sehr glaubt Gott an uns, dass er sein Vermögen in unsere Hände gibt.
Jesus erzählt dieses Gleichnis an der Wende seines Lebens, auf dem Weg nach Jerusalem, ans Kreuz. Bis dahin waren seine Jünger Schritt um Schritt hinter ihm hergegangen. Aber jetzt kommt eine Zeit, da wird aus der wortwörtlichen Nachfolge die Nachfolge, die sich nicht mehr so orientieren kann an dem vorangehenden Herren. Dies Gleichnis will die Jünger einweisen in die Zeit zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft Jesu.
In dieser Zeit wird ein neuer Gehorsam der Nachfolge nötig. In dieser Zeit ist Gottes Reichtum uns anvertraut. Gott gibt, wenn wir Jesus glauben dürfen, wirklich seinen ganzen Reichtum an uns, mit vollen Händen. Für die Jünger wird das klar durch die Zahlenangaben: das ist für sie eine Summe, die sie schwindeln macht. Wir müssten wohl heute in die Milliarden gehen. So hoch denkt Gott von uns, dass er uns solchen unendlichen Reichtum anvertraut zur selbständigen Verantwortung.
Dieser Reichtum, den Gott uns gibt, ist zuerst die Botschaft von der Versöhnung mit Gott durch Jesus Christus. Das ist Geschenk, unverdientes Geschenk, dass Gott sich unser erbarmt und uns Gemeinschaft mit sich gewährt. Einen Anspruch auf diese Gemeinschaft gibt es nicht, für niemanden unter uns. Gott ist nicht dazu verpflichtet, wie es uns die törichte Redeweise vom „lieben Gott“ weismachen will. Es gibt keine Pflicht für Gott, sich an uns hinzugeben, sondern er gibt sich aus freien Stücken.
Dieser Reichtum umfasst dann weiter unsere natürlichen Gaben. Leben, Fähigkeiten haben, Arbeit und Freizeit gestalten können, Essen und Trinken, das alles ist unermesslicher Reichtum, der uns gegeben wird. Die Gaben des Gefühls, des Verstandes, der Empfindung, das alles sind Geschenke Gottes. Das alles vertraut Gott uns an.
Und er traut uns zu, dass wir uns mit diesem anvertrauten Vermögen zurechtfinden in der Welt, ja, nicht nur zurechtfinden, so dass wir selbst durchkommen. Er, Jesus, erwartet von seinen Jüngern, dass sie mit diesem ganzen Reichtum wirken in dieser Welt, dass sie durch ihn neuen Reichtum hinzugewinnen für Gott. Das Wort von der Versöhnung soll in seiner Gültigkeit nicht auf einen kleinen Kreis beschränkt werden, sondern die ganze Welt soll versöhnt werden. Die ganze Welt soll von Gottes Liebe ergriffen werden. Die ganze Welt soll von Gottes Gerechtigkeit ergriffen werden.
Um es auf uns zuzuspitzen: Unser Ort ganz und nicht nur ein paar Auserwählte und Fromme soll Gott gehören. Dazu wird uns dieser Reichtum gegeben. Der Reichtum Gottes hat eine Richtung: hinein in die Welt, um sie zu gewinnen.
Schön und gut, geht es uns durch den Kopf, aber dabei kann einem nur Angst werden. So großer Reichtum, so große Verantwortung das ist viel Mühe. Das ist mir zu viel Risiko. Ich denke, wir können den dritten Knecht gut verstehen. Für ihn wird der Reichtum zur Last, zu etwas, das ihm Furcht macht. Wenn ich mich darauf einlasse, ist es mit der Sicherheit und Gemütlichkeit meines Lebens vorbei. Dann werde ich am Ende in alle möglichen Dinge hineingezogen, die mich eigentlich nichts angehen. Meine Lebensmaxime ist anders: Kümmere dich um deinen Kram. Lass die Finger von fremden Angelegenheiten. Sieh zu, wie du durchkommst. Denn ändern lässt sich sowieso nichts.
Was ändert es denn, wenn ich mich in einen Ehestreit einmische? Wahrscheinlich werden sie gemeinsam gegen mich Front machen. Was ändert es denn, wenn ich gegen die Entlassung älterer Kollegen im Betrieb protestiere? Wahrscheinlich bin ich dann der Nächste, der seine Stelle verliert - oder ich werde vorgemerkt. Was ändert es denn, wenn ich in unserer Zeitung einen Leserbrief schreibe, dass das Parteiengezänk fruchtlos, ja schädlich sei für unsere Ort? Wahrscheinlich kriege ich dann in seltener Eintracht von allen Seiten Prügel für meine Einmischung in die hohe Politik und kann nur noch heimlich durch die Straßen schleichen. Wenn es gut geht, komme ich mit der bissigen Antwort davon: Mache es doch selbst besser und engagiere dich endlich in irgendeiner Partei.
Ja, da ist es doch viel besser, still zu sein, die Gabe des Friedens in den eigenen vier Wänden zu pflegen und die Gaben Gottes zu behüten und bewahren. Das Risiko für eine christliche Existenz ist einfach zu hoch und die Verhältnisse sind nicht danach. Diese Gedanken sind wohl keinem von uns fremd. Mir jedenfalls kommt der dritte Knecht mit seinem Sicherheitsbedürfnis wie ein moderner Zeitgenosse vor und ich könnte mir vorstellen, wie wir mit ihm in guter Freundschaft leben als mit einem angenehmen Zeitgenossen.
Aber Jesus will von seinen Jüngern ein anderes Verhalten. Er hat sie nicht mit seinen Gaben betraut, damit sie „Sicherheitspolitik“ betreiben, damit sie sich aus allem heraushalten und auf saubere Hände achten. Jüngerschaft ist keine Superlebensversicherung gegen alle Misshelligkeiten des Lebens, sondern sie ist Ruf zur Übernahme von Verantwortung in unserer Weit, die doch Gottes Welt ist. Jüngerschaft ist das Wahrnehmen der Verantwortung, die Gott in unsere Hände legt, ist Übernahme von Gottes Risiko in dieser Welt.
Es gibt einig Gedenktage zu Kriegen und Kriegsverbrechen - den Tag der Befreiung des Lagers Auschwitz im Januar, den Tag der deutschen Kapitulation im Mai, den Hiroshimatag im August, und auch den Volkstrauertag. Es gibt eine Art, diese Tage zu feiern, zu begehen, die mich an den dritten Knecht erinnert. Man ist voller berechtigter Trauer über die Toten, über die Wunden des Krieges. Es wird deutlich, was Krieg und Hass für schlimme Dinge sind, die das Leben zerstören. Es wird deutlich gesagt: das darf nie mehr passieren, dass es zu Krieg kommt.
Was aber sind die Folgen solcher Trauer? Es gibt keine! Es ist Trauer, die rückwärtsgewandt der Vergangenheit nachsinnt und die Gefahren des Lebens beklagt. Aber es erwächst daraus kein Einsatz für den Frieden, kein Kampf um Versöhnung, kein Ringen um Gerechtigkeit. Das wird von oben her erwartet und passiv empfangen, wenn es gut geht oder aber neues Leid wird eben erduldet.
Wer Jünger Jesu sein will, der kann so nicht denken, trauern. Der wird durch die Gaben Gottes an ihn in die Pflicht genommen. Ich kann mich nicht mit dem Geschenk der Versöhnung aus der Weltgeschichte verabschieden und irgendwo still in der Ecke sitzen, bis alles vorbei ist, bis - Gott sei Dank - der Herr wiederkommt. Das wäre ein Warten auf die Wiederkunft, das gottlos wäre, weil es faul ist und der Welt die Hoffnung schuldig bleibt.
Die beiden ersten Knechte sind Wartende in Aktion. Sie breiten Versöhnung, Liebe und Gerechtigkeit aus in Wort und Tat. Sie stehen in ganzem Einsatz ein für ihren Herren. Sie sind angesteckt von Gottes Hoffnung für diese Welt. Denn wenn Gott uns Gaben gibt für diese Welt und unsere Zeit, so sagt er damit, dass sie in seinen Augen kein hoffnungsloser Fall ist. Wenn aber Gott Hoffnung hat für seine Welt, haben wir dann noch das Recht, irgendetwas oder irgendwen zum hoffnungslosen Fall zu erklären?
Auf unsere Gedenktage bezogen heißt das: Es gibt eine offensive Trauer, die aus der Traurigkeit um die Toten und aus der Hoffnung Gottes den Blick für die eigene Verantwortung gewinnt. Wir tragen selbst Verantwortung für die Verhinderung von Kriegen und von Traueranlässen. Diese Verantwortung liegt nicht nur im Gebet für die Politiker - so gewiss sie auch da liegt und wir dieses Gebet für unsere politisch verantwortlichen Frauen und Männer ganz neu lernen müssen, sondern sie liegt vor allem in unserer eigenen Bereitschaft und Wachheit zum Kampf gegen Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit.
Das aber bedeutet unter Umständen Einmischung in fremde Verhältnisse und fremde Not. Dann geht es nicht ab ohne den Einsatz für den arbeitslosen Kollegen, für den hoffnungslosen Alkoholiker und seine Familie, für die überlastete Mutter. Das geht nicht ohne den Einsatz an Zeit und Geld, an Kraft und Bequemlichkeit. Und das wird einen unter Umständen Freunde kosten, weil die Freunde das alles ganz anders sehen.
Das bedeutet auch: festhalten am Willen zur Veränderung, wenn das nicht mehr erwünscht ist. Es gibt vieles, was verändert werden kann, ohne dass man gottgewollte Ordnungen zerstört: der Hass zwischen Menschen ist nicht gottgewollt, die Ungerechtigkeit der Rassentrennung ist nicht gottgewollt, die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist nicht gottgewollt, die Gleichgültigkeit und Entfremdung zwischen Ehepartnern oder zwischen den Generationen ist nicht gottgewollt, die Angst vor den atomaren Unmöglichkeiten unserer Welt ist nicht gottgewollt.
Zu den Gaben, die der Heilige Geist gibt, zählt die Bibel vor allem Langmut, Sanftmut und Demut. Das sind Gaben, die es mit Menschen und Umständen aushalten lehren, obwohl sie nicht sind, wie sie von Gott her sein sollten. Nur in diesem Aushalten, das getragen ist von dem langen Atem der Liebe Gottes, werden Menschen verändert, können sie für Gott gewonnen werden. Dieses zähe Festhalten an Menschen und unter Lebensumständen in der Liebe Gottes ist die Wurzel aller Veränderungen und dies erfordert unseren ganzen Einsatz.
Jesus Christus ruft uns als seine Gemeinde durch dieses Gleichnis in die Verantwortung und in das Leben mit seinem Risiko. Er ruft uns, indem er uns begabt. Und er ruft uns, indem er uns das Ziel zeigt: Geh ein in die Freude deines Herren. Nimm Platz an dem Tisch, den Gott seinen treuen Knechten bereitet hat. Das ist die Verheißung - und sie gilt risikobereiten Christen. Wer für Gott Verantwortung in dieser Welt wahrnimmt, ob unter den Augen der Öffentlichkeit oder unbeachtet von allen anderen, der wird nie und nimmer mit leeren Händen da stehen. Gott wird die Hände, die in seinem Dienst leer geworden sind, füllen. Amen.

Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg

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