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Apostel und Propheten

von Harald Müller (63075 Offenbach)

Predigtdatum : 14.06.1998
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Trinitatis
Textstelle : 1. Johannesbrief 4,16b-21
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Wochenspruch:

Christus spricht: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich. (Lk. 10,16)

Psalm: 34,2-11 (EG 718)

Lesungen:

Altes Testament:
5. Mose 6,4-9
Epistel:
1. Johannes 4,16b-21
Evangelium:
Lukas 16,19-31

Liedvorschläge:

Eingangslied:
EG 397
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr
Wochenlied:
EG 124
Nun bitten wir den Heiligen Geist
Predigtlied:
EG 620
Gottes Liebe ist wie die Sonne
Schlußlied:
EG 629
Liebe ist nicht nur ein Wort

Liebe Gemeinde,
ich möchte heute morgen mit einer Frage beginnen: Stellen Sie sich vor, wir würden jetzt jedem von Ihnen einen Zettel austeilen, auf dem folgende Frage stünde: Wonach sehnen Sie sich am meisten? Was würden Sie da wohl aufschreiben? ..... Vielleicht, wer noch sehr müde ist, wird zunächst an sein Bett denken. Bei demjenigen, bei dem in der Familie oder im Bekanntenkreis jemand erkrankt ist, der wird sich vielleicht dessen Genesung wünschen. Wer im Moment selbst vielleicht ein Leiden empfindet, der wird sich wahrscheinlich Befreiung davon gerne vorstellen. Manch einer mag vielleicht auch an Erfolg, an Anerkennung oder Reichtum denken.
Wonach sehnen Sie sich? Vielleicht haben Sie inzwischen diese Frage für sich längst beantwortet. Wonach wir uns sehnen, das sagt oft viel über uns selbst aus. Denn es läßt erkennen, was uns fehlt und was für uns doch wichtig und erstrebenswert ist. Deshalb ist es immer auch etwas sozusagen Intimes und nicht jeder möchte darüber sprechen.
Die Beatles haben vor Jahren gesungen: „All you need is love“ und damit offensichtlich eine breite Zustimmung gewonnen. Gibt es ein Thema, das häufiger besungen, beredet, dargestellt wird als die Liebe? Und zugleich gibt es kaum einen Begriff, der schillernder und vieldeutiger gebraucht wird als das Wort Liebe.
Liebe, das kann heißen: Ich habe eine feste Vorstellung von dem, was gut für mich ist, und du sollst es mir geben. Liebe, das kann heißen: Ich sehe, wo ein anderer Hilfe braucht und bleibe nicht gleichgültig. Liebe, das kann heißen: Ich möchte dich besitzen und über dich und deinen Körper verfügen. Liebe, das kann die erotische Anziehung zwischen Mann und Frau bedeuten. Es kann die aufmerksame Zuwendung der Eltern gegenüber ihrem Kind gemeint sein. Das Aufhören von Einsamkeit durch die Zuneigung eines Menschen und die Erfahrung von Sympathien, genauso wie das Mitfühlen mit dem Anderen, die freundliche Anerkennung und der Einsatz für benachteiligte Menschen.
In all diesen zum Teil auch fragwürdigen Ausdrucksformen der Liebe steckt das Verlangen nach Zuwendung und Anerkennung. Dies ist etwas, was grundlegend zu uns als Menschen dazugehört. Man weiß inzwischen längst, daß ein kleines Kind sich nur dann positiv entwickelt, wenn es von der Mutter oder vom Vater geliebt wird, wenn mit ihm geschmust, gesprochen, gespielt wird, wenn das Kind merkt, ich darf ein eigenständiges Lebewesen sein, ich werde respektiert und habe eine Bedeutung für andere Menschen. Der Verhaltensforscher René Spitz hat schon vor vielen Jahren beobachtet, daß Säuglinge, wenn sie von Pflegerinnen in einem Säuglingsheim zwar korrekt gepflegt, aber kaum Hautkontakt oder persönliche Zuwendung erhalten haben, sich nicht richtig entwickeln konnten, sondern krank wurden.
Unser Predigttext handelt von dem, was das Ziel der Sehnsucht vieler Menschen ist, von der Liebe. Und er beginnt mit einem der Spitzensätze aus dem Neuen Testament, der dann näher entfaltet wird:
16b Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, daß wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. 18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. 19 Laßt uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und haßt seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? 21 Und dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebt, daß der auch seinen Bruder liebe.
„Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Ganz konzentriert ist hier die Botschaft des Neuen Testaments ausgedrückt. Luther hat diese Verdichtung sehr schön in ein Bild übersetzt, wenn er sagt: „Wollte einer Gott malen, er müßte einen Abgrund von Feuer malen – einen glühenden Backofen voll lauter Liebe. Gott ist eitel Liebe, ja die Liebe ist Gott selbst.“ Dieses Bild spricht mich so an, weil in ihm die geballte Energie und die freundliche Ausstrahlungskraft von Gottes Liebe zum Ausdruck kommt. Gott ist Liebe, das heißt die Zuwendung zum Anderen, die Zuwendung zu uns Menschen gehört ins innerste Wesen Gottes hinein. Gott ist Liebe meint etwas anderes als „Gott hat Liebe“. Wir Menschen können immer nur solche sein, die Liebe haben und weitergeben, und wenn wir Zuneigung zu anderen zeigen und uns für andere Menschen einsetzen, so ist dies schon sehr viel. Doch wir erleben auch immer wieder, daß wir nicht mit der Liebe identisch sind, das uns Liebe fehlt.
Die Aussage „Gott ist Liebe“ meint dagegen nichts geringeres, als daß Gott in seinem ganzen Sein durch und durch so von Liebe bestimmt ist, daß er mit der Liebe selbst identisch ist. Sein Tun und sein Sein ist lauter Liebe. Vom Anbeginn der Welt an, bis zu ihrem Ende.
Seine innere Klarheit bekommt dieser Satz freilich erst von dem Ereignis her, ohne das das Neue Testament überhaupt nicht entstanden wäre: Vom Tod Jesu und von der Auferweckung Jesu von den Toten durch Gott. Liebe zeigt sich hier gerade darin, daß Gott, das, was ihn in Frage stellt – die Lieblosigkeit und die Gewalt, die Jesu widerfährt –auf gleiche Art erwidert, sondern an sich erträgt und aushält, für uns aus Liebe. Zu dieser Liebe gehören deshalb nicht nur schöne Gefühle, sondern die Kraft, dem Negativen standzuhalten, ja den Tod zu überwinden. Unmittelbar vor unserem Predigttext heißt es im gleichen Kapitel (Vers 9):
“Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.“ Gottes Liebe, das ist eine lebendig machende Kraft; und so kann der Satz „Gott ist Liebe“ letztlich nur dort verstanden werden, wo Menschen diese Kraft an sich selbst erfahren. Wo sie sich die Liebe Gottes gefallen lassen, sich ihr öffnen und durch sie bestimmen lassen. Der Satz „Gott ist Liebe“ ist so stets auch ein Bekenntnis und er drückt zugleich die Zuversicht aus, daß die Liebe niemals aufhört und auch alles Trennende und Zerstörerische in unserem Leben und auf der Welt letztlich zu Gunsten des Lebens überwunden werden.
„Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. In unserem Predigttext geht es nicht nur darum, daß wir Liebe erfahren, sondern daß wir auch in ihr bleiben, d.h. uns immer wieder aufs Neue von ihr ergreifen lassen und so aus dem Auf-nehmen auch ein eigenes Über-nehmen und Tätig-werden entspringt. Mir ist dazu ebenfalls ein Bild eingefallen:
Oft ist es so, daß wir Menschen umhergetrieben werden von unseren ganz eigenen Ängsten und Sehnsüchten: Gelingt die nächste Arbeit in der Schule, gewinne ich jemanden Bestimmtes zu meinem Freund oder zu meiner Freundin, werde ich den beruflichen Anforderungen gerecht? Kann ich mir die Zuneigung meiner Kinder erhalten? Wir gleichen dann kleinen Eisenspänen, die auf einer Fläche ganz wirr durcheinander liegen, jeder für sich. Hält man nun ein Magnet unter eine solche Fläche mit Eisenspänen, so beobachten wir, wie die Kraft, die von dem Magneten ausgeht, all diese kleinen Teilchen ergreift, wie diese Kraft durch sie hindurchgeht und ihnen eine neue Richtung gibt.
Vergleichbares, so kommt es mir vor, geschieht mit einem Menschen, der sich der Kraft der Liebe Gottes aussetzt. Auch ihn ergreift eine neue Energie. Er erfährt sich im Inneren seines Lebens bejaht und angenommen. Er wird frei von der ängstlichen Sorge um sich selbst und bereit anderen Menschen mit Freundlichkeit, Anerkennung und Wohlwollen zu begegnen. Es geht um das Bleiben in der Liebe, um die Erkenntnis, daß die erfahrene Annahme meines Selbst zugleich die Befähigung bedeutet, auch andere anzunehmen.
Doch bevor unser Predigttext die Liebe zu unseren Mitmenschen anspricht, zeigt er zunächst die Auswirkungen der Liebe bei uns selbst. Auch hier formuliert er wieder sehr prägnant: „Furcht ist nicht in der Liebe“. Und er spricht von der Zuversicht, die uns durch die Liebe zuwächst. Zuversicht, das meint hier, daß einer „frei von der Leber weg“, ohne Scheu reden und sich ausdrücken kann. Er braucht sich keine Gedanken zu machen, wie kommt das, was ich sage, bei anderen an, wer wird mich vielleicht von oben herab belächeln?
Wer sich von der Fülle der Liebe Gottes getragen weiß, der ist von der allerletzten Angst um den Wert und Sinn seines Lebens befreit. Dabei wird dieses Empfinden eines letzten Angenommenseins gerade wach und hellsichtig machen für die Gefahren, die das Leben bedrohen wie Gleichgültigkeit, Haß und Befangenheit in eigenen Wünschen. Diese Art von Furcht ist hier sicher nicht ausgeschlossen. Vielmehr geht es hier um das ungeteilte Zutrauen gegenüber Gott, daß in ihm mein Leben geborgen ist. Jeder Zwiespalt, jeder nagende Zweifel, jedes sich doch teilweise vor Gott verschließen ist mit dieser vollkommenen Liebe nicht vereinbar. Solange ich mich selbst nicht wirklich einlasse, kann ich auch nicht wirklich frei sein. Für den, der aus der Verbundenheit mit Gott lebt, erübrigt sich dagegen die Furcht vor Gott, da er letztlich nichts anderes will als Gott selbst.
Erst nach diesem Durchdrungen-sein von Gottes umfassender Liebe wendet sich unser Predigttext nun dem Bruder und der Schwester zu. Von der Liebe Gottes kann man nicht distanziert reden, ohne sich zugleich dem Anspruch der neuen Ausrichtung, die diese Liebe gibt, auszusetzen. Wer meint, Gott lieben zu können, seine Liebe auch damit erwidern zu können, ohne zugleich seinen Mitmenschen in einer wohlwollenden und zugewandten Haltung zu begegnen, der wird hier ganz deutlich als ein „Lügner“ bezeichnet.
Lügner nicht, weil er irgendwelche falschen Sätze behauptet hätte, sondern weil sein Verhalten einfach nicht stimmig ist, bei ihm Gottes Liebe nicht zu ihrer Erfüllung findet. Alles kommt darauf an, daß der Satz „Gott ist Liebe“ keine bloße Behauptung bleibt, sondern unter uns zu einer lebendigen Erfahrung wird, die uns an dieser Liebe teilhaben läßt und uns in dieser Liebe mit anderen verbindet. Wo dies geschieht, hat dies erhebliche Auswirkungen auf unser Leben. Auch gerade angesichts der Bedrohungen, denen wir immer wieder ausgesetzt sind.
Gott ist Liebe, das heißt: Vertrauen ist möglich, trotz aller Dunkelheit, trotz Angst, Versagen und Schuld. Vertrauen ist möglich zu mir selbst, zu anderen Menschen, zum Leben in der Welt. Wir sind letztlich einander zur Freude gegeben. Von diesem Geist der Liebe sich bestimmen zu lassen, das kann bedeuten: Sich selbst und andere Menschen als ein Geschenk Gottes anzusehen, als jemanden, in dem Gottes Liebe zu ihrem Ziel kommen kann. Mit den Augen dieser Liebe zu sehen, das läßt uns erkennen, was über den Augenschein hinaus möglich werden kann.
Daß wir immer wieder neu von der Liebe Gottes durchdrungen werden und uns selbst und mit anderen daran erfreuen können, daß wünsche ich uns allen. Amen.

Verfasser: Pfr. Harald Müller, Schloßgartenstr. 5, 63075 Offenbach

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