Apostel und Propheten
von Heinz-Günther Beutler-Lotz (55276 Dienheim)
Predigtdatum
:
18.06.2006
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Trinitatis
Textstelle
:
Jeremia 23,16-29
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Wochenspruch:
Christus spricht zu seinen Jüngern: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich. (Lukas 10,16)
Psalm: 34,2-11 (EG 718)
Lesungen
Altes Testament:
5. Mose 6,4-9
Epistel:
1. Johannes 4,16b-21
Evangelium:
Lukas 16,19-31
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 571
Nun geh uns auf, du Morgenstern
Wochenlied:
EG 124
Nun bitten wir den Heiligen Geist
Predigtlied:
EG 193
Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
Schlusslied:
EG 590
Herr, wir bitten, komm und segne uns
16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. 17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen -, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. 18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
21 Ich sandte die Propheten nicht und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen und doch weissagen sie. 22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR.
25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? 28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR. 29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?
Zur Liturgie
Lieder zur Auswahl:
Ach bleib bei uns (EG 246), Ein wahrer Glaube (EG 413), Gott ist gegenwärtig (EG 165), Herr, Jesu Christ (EG 155), Herzlich lieb hab ich dich, o Herr (EG 397), So jemand spricht (EG 412), Ich rede, wenn ich schweigen sollte (EG Hessen 585), Kommt, herbei, singt dem Herrn (EG Bayern 599), Liebe ist nicht nur ein Wort (EG Hessen 629), Nun bitten wir den Heiligen Geist (EG 124 - Wochenlied), O dass ich tausend Zungen hätte (EG 330), Sonne der Gerechtigkeit (EG 263), Wir strecken uns nach dir (EG Hessen 625)
Psalm 34 nachempfunden
ich will den herren loben allezeit,
meine stimme erheben, freudig singen,
seinen namen nennen, seine güte preisen und seine liebe loben.
die armen sollen es hören und reich werden.
die elenden sollen es hören und froh miteinstimmen.
als ich den herrn suchte, erhörte er mich,
er befreite mich aus meinen ängsten,
ließ mich mit meinem kummer nicht allein,
verwandelte meinen schmerz,
gab sicheren boden meinen füßen
und stellte mir seinen engel zur seite.
blickt auf ihn, so steht ihr im licht,
eure tränen werden trocknen,
wärme erfüllt euer herz, freude zieht ein,
die dunkelheit weicht, neues leben beginnt.
schmeckt und seht, wie freundlich der herr ist,
wohl denen, die auf ihn vertrauen.
sie finden schutz an leib und seele,
selbst wenn die viel leid erfahren.
oder
Wechselgebet „Er macht unser Herz leicht“ (nach Psalm 34)
in: Heidi und Jörg Zink, Wie Sonne und Mond einander zurufen.
Gebete und Gespräche mit Kindern. Stuttgart 1981
Kyrie
die halbe welt hungert,
hungert nach lebensmitteln,
hungert nach frieden und gerechtigkeit.
und wir
wir lieben uns,
unseren besitz, wohlstand und erfolg.
die halbe welt schreit vor gewalt, schreit vor leid.
und wir
wir lieben uns,
unser einkommen, gewinne und programme.
weil wir die anderen aus unseren augen verlieren,
müssen wir bekennen: wir liegen schief mit unserem denken und tun.
jesus, erbarme dich!
gloria
friede, friede denen in der ferne und denen in der nähe, spricht der herr; ich will sie heilen. (jes 57,19)
gott, deine liebe überwindet unsere gleichgültigkeit.
mit dir können wir neu anfangen,
uns selbst und die anderen in einem neuen licht sehen,
die zusammenhänge erkennen und das, was wir tun können.
tagesgebet
reich sind wir und oft so arm und spüren doch keine not.
arm sind wir und oft so reich und spüren doch kein glück.
öffne uns unsere sinne, damit wir das gute wahrnehmen und tun,
damit wir das böse erkennen und meiden.
lesung
evangelium: lk 16, 19-31 - gleichnis vom reichen mann und armen
lazarus
epistel: 1. joh 4, 16b-21 – gott ist die liebe
halleluja
deine mahnungen , herr, sind gerecht in ewigkeit; unterweise mich, so lebe ich. Halleluja. (psalm 119, 144)
fürbitten
du bist die liebe und lässt dein licht über uns aufgehen.
ohne deine liebe könnten wir nicht leben,
aber nicht immer erreichen uns deine strahlen.
1
wir beten für alle, die traurig sind,
weil sie einen menschen verloren haben und sich hilflos fühlen:
sie mögen durch den schmerz hindurch kommen
wie durch eine dunkle nacht,
deine liebe spüren und am morgen neu beginnen.
2
wir beten für alle, die mutlos sind,
weil sie mit ihrem leben nicht zu recht kommen
und sich verloren fühlen:
sie mögen im gewirr ihres lebens das finden,
was du längst an gutem angelegt hast, den roten faden deiner liebe,
der alles zusammenhält.
3
wir beten für alle alle, die ängstlich sind,
weil sie im berufsleben und im privaten verantwortung tragen
und sich fürchten:
sie mögen mit ihren sinnen nie abstumpfen,
sondern immer empfindlich bleiben, damit die liebe sie erreicht.
4
wir beten für uns und alle geschwister gemeinden und kirchen:
beflügle uns mit deinem wort, erfülle uns mit deinem geist,
dass wir einander verstehen und miteinander leben
lass uns zusammen gute frucht bringen.
5
in der stille bringen wir vor dich, was uns bewegt
…
du bist die Liebe, nimm dich unserer an.
Zur Predigt
Jeremia lebt in spannenden Zeiten. Könige kamen und gingen: manasse, Amon, Josia. und eine Großmacht löste die andere ab. Erst waren es die Assyrer, die den Ton angeben, jetzt die Babylonier. Ständig war das kleine Juda in Gefahr, von Stärkeren völlig eingenommen zu werden. Nebukadnezar erscheint 597 mit seinen Soldaten vor Jerusalem und deportiert die führenden des Landes. Jeremia überlebt die Katastrophe, wird verschleppt, doch dann verlieren sich seine Spuren. Er ist ein Prophet, ein sprachrohr Gottes und unangenehmer Mahner des Volkes. Er ist ein Prophet in der Krise und sah in allen Ereignissen die handschrift Gottes, fragte nach dem Verhältnis zwischen Volk und Gott. das macht ihn für heute so interessant. In direkter Rede sprach er Klartext zu allen: gegen Verblendung, falsches Denken und Leben, von toten Götzen und vom lebendigen Gott, gegen böse Hirten und falsche Propheten, vom zu erwartenden Unheil, möglicher Umkehr und dem drohenden Gericht.
Liebe Gemeinde!
Hört einen Ausschnitt aus seiner Rede gegen die falschen Propheten in der Übersetzung der Guten Nachricht (Jeremia 23,16-23+29):
16 Der Herr, der Herrscher der Welt, sagt: »Hört nicht auf das, was die Propheten euch verkünden! Sie halten euch zum Narren. Sie sagen euch, was ihr Herz ihnen eingibt, nicht was sie aus meinem Mund gehört haben. 17 Denen, die meine Warnungen nicht ernst nehmen, wagen sie zu verkünden: Der Herr sagt: Es wird euch blendend gehen, und selbst denen, die ihrem eigensinnigen und bösen Herzen folgen, sagen sie: Ihr habt nichts Schlimmes zu befürchten. 18 Keiner dieser Propheten hat je in meiner Ratsversammlung gestanden und von meinen Plänen gehört; keiner hat erfasst, was ich will!« 19 Wie ein verheerender Sturm wird der Zorn des Herrn losbrechen und alle Schuldigen treffen. 20 Er wird nicht aufhören zu wüten, bis alles ausgeführt ist, was der Herr sich vorgenommen hat. Erst wenn es zu spät ist, werdet ihr zur Einsicht kommen und alles begreifen. 21 »Ich habe diese Propheten nicht geschickt«, sagt der Herr, »und doch sind sie losgelaufen; ich habe nicht zu ihnen gesprochen und doch reden sie und berufen sich dabei auf mich. 22 Wenn sie in meiner Ratsversammlung gestanden hätten, dann müssten sie meinem Volk doch verkünden, was ich gesagt habe; sie müssten es dazu anhalten, sein Leben und Tun zu ändern!« 23 Der Herr sagt: »Ich bin nicht der nahe Gott, über den ihr verfügen könnt, ich bin der ferne Gott, der über euch verfügt. 24 Niemand kann sich so gut verstecken, dass ich ihn nicht doch entdecken würde. Es gibt keinen Ort im Himmel und auf der Erde, an dem ich nicht wäre!« … 29 »Mein Wort brennt wie Feuer. Es ist wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt!«
1. Propheten unter uns
Falsche Propheten kennen wir, weil wir schon manchen nachgelaufen sind: schönredenden Politikern, brutalen Machthabern, irrenden Fachleuten, verführerrischen Verkäufern, viel versprechenden Medizinern. Und am Ende nur heiße Luft, herbe Enttäuschung, sogar Unglück, großer Schaden und Tod. Auch auf dem religiösen Parkett gibt es viele Scharlatane und auch in der Kirche kann es falsche Propheten geben, die uns auf die falsche Spur setzen.
Gelegentlich lässt sich unter Schwestern und Brüdern in der Kirche ein tiefes Misstrauen erkennen. Pfarrer und Pfarrerinnen sind sich untereinander nicht grün, Gemeinden auch nicht; grundsätzlich falsch liegen die Leitungsgremien. Jeder traut dem anderen nicht über den Weg. Jeder hält den anderen für einen falschen Propheten, einen falschen Fünfziger, nimmt ihm seine Worte nicht ab. Uns führt kein markantes Gesicht und kein charismatischer Führer an den Rand des Abgrundes oder noch weiter. Unter uns scheint es eher die Lebenskultur zu sein, der wir wie die Lemminge folgen. Wir spielen mit, was andere auch spielen. Eine Art gesellschaftliches und kirchliches „Monopoly“ oder „Mensch, ärgere die anderen“. Unser Misstrauen anderen gegenüber ist tödlich, weil es die Verständigung unterbricht. Über das, was uns wichtig ist, müssen wir uns austauschen. Und meist finden wir nur gemeinsam einen gangbaren Weg. Wahrheit wird nicht durch Abstimmung erreicht, aber Klarheit durch Verständigung, durch Kommunikation, durch Reden und Streiten, durch Hören und Vergleichen. Und wenn Gottes guter Geist uns dann erfasst, findet sich auch die Wahrheit, die uns gemeinsam gilt, und entdecken wir zusammen, wie wir das Leben in unseren Familien, unseren Gemeinden im Land und überall gestalten können.
In der Regel versucht jeder, seine Meinung mit guten Gründen zu belegen und ist von seinem Standort und seiner Wahrheit überzeugt. Ob unsere Gedanken, unsere Position und unsere Lebensweise dem Willen Gottes entsprechen oder nur allein unseren Vorstellungen und Wünschen entspringen, ist eine schwierige Frage. Schöne Worte gibt es genug, allein unser Tun zeigt, was wir glauben, hoffen, lieben. Aber entspricht das, was wir tun, dem Willen Gottes? Entspricht unser Leben den Weisungen Gottes?
Ich bin vorsichtig mit einem schnellen Ja. Denn was ist der Maßstab? Wie sieht die Messlatte aus, die ich anlegen soll an meine tagtäglichen Entscheidungen und an die Ergebnisse von Sitzungen in unserer Kirche? Wie kann ich das beurteilen? Für Jeremia ist es klar: er misst unsere Worte und unser Tun am Wort Gottes. Aber was ist das Wort Gottes? Sind es die Zehn Gebote, die wir als Weisungen zum Leben kennen, die aber doch immer mehr an gesellschaftlicher Bedeutung verlieren? Ist es die Bibel als Ganzes mit ihren vielen verschiedenen Texten, die man früher Heilige Schrift nannte?
Unser Kirchenpräsident Peter Steinacker sagte vor einiger Zeit in einem Interview: „Die Bibel ist nicht mit dem Wort Gottes identisch. Das Wort Gottes ist kein Buch, sondern ein lebendiges Geschehen. Es ist überall in der Welt zu vernehmen, auch nonverbal, zum Beispiel in der liebevollen Zuwendung zu einem anderen Menschen, wie es in der Diakonie geschieht. Die Bibel hilft uns allerdings dabei, das Wort Gottes zu erkennen.“ (zeitzeichen 11/2005, 39)
Die Situationen des Lebens machen uns gelegentlich ratlos. Und die Buchstaben der Bibel helfen auch nicht automatisch weiter. Beides will in eine Beziehung gesetzt werden. Die alten Texte wollen entschlüsselt, in ihrer Absicht verstanden werden. Und unser Leben gilt es, im Licht des befreienden Evangeliums von Jesus Christus zu betrachten.
Jeremia misst das vermeintliche Wort Gottes daran, ob es den Menschen zur Wandlung und Erneuerung führt, ob es uns allein gut zuredet, beruhigt und beschwichtigt, oder uns ermutigt, unsere Lebensweise zu verändern, andere Wege zu beschreiten, ob es in der Gegenwart verweilt oder die Zukunft ansagt. Veränderung, Umkehr und Buße werden bei ihm zu einem Maßstab für das, was Gott von uns will. Das Wort Gottes befreit und bewegt.
Falsche Propheten dagegen machen träge, bestätigen uns in unserer Selbstsicherheit. Alles darf so bleiben, wie es ist. Alles ist gut so. Alles wird irgendwie schöngeredet. So schlimm ist es doch nicht. Sehr leicht wird Nachdenken vernebelt und werden so gute Veränderungen und Wege behindert. Wir sollten uns auch fragen: welchen Eindruck machen wir als Christen, als Gemeindemitglieder oder auch Trägerinnen und Träger eines Amtes, auch die Menschen um uns herum: sind wir Schönredner oder Spielverderber, sind wir glaubwürdig in unserem Tun und Reden? Oder sind wir eher Witzfiguren? Sind wir wie die Propheten, Menschen, die Gottes Sprachrohr sind, oder sind wir gar falsche Propheten? Welche Rolle spielen wir im Leben?
2. Gottesbilder unter uns
Jeder von uns hat wahrscheinlich sein ganz eigenes Bild von Gott, das im Lauf des Lebens gewachsen ist mit den Erfahrungen, die wir gemacht haben. für die eine ist Gott wie ein guter Vater, wie eine gute Mutter, ein guter Hirte. Für den anderen eher wie ein Prinzip, eine Frage, wie Unruhe im Alltag, wie ein Stein, der ins Wasser fällt, wie eine offene Tür, wie die Hoffnung auf Gerechtigkeit, deutlich erkennbar an der Person Jesu, sich erfüllende Liebe. Oder deutlich erkennbar in der Schöpfung als Urgewalt und Kraft des Lebens. Egal wie wir uns Gott vorstellen, bleiben zwei Fragen: worauf wir unser Bild von Gott begründen, und wie unser Verhältnis zu ihm aussieht: eher distanziert, gelegentlich und auf Abstand, oder näher, öfters und verbindlich.
Gott ist gegenwärtig, singen wir. Bei so manchem Kirchentag, den ich besucht habe, in manchen Gottesdiensten, in manchem Gespräch, sogar in schwierigen Sitzungen, in denen ich mit anderen tage, in manchem Ereignis, das ich erlebe, habe ich das Gefühl: Gottes guter Geist weht durch unsere Reihen und Herzen. Dass Gott mir oder anderen nahe war, erkenne ich allerdings meist erst aus der Rückschau, und leider ist mein Gedächtnis auch nicht sehr gut. Ich vergesse diese guten Erfahrungen recht schnell wieder und neige zum kleingläubigen Pessimismus.
Stärker ist meist wohl eine andere Erfahrung, die viele machen und mit sich tragen: dass Gott ihnen fremd ist oder wird, dass er zu Sorgen und Nöten schweigt, dass kein klares Zeichen auf unsere Gebete erscheint, dass lieben Menschen Böses widerfährt, dass die Gerechtigkeit in der Welt auf der Strecke bleibt. Wo bleibst du Trost der Welt? Das ist die alte Frage nach dem ewigen Advent. Wann kommt das Reich Gottes? Wann geht’s endlich allen gut?
In den Texten der Bibel lese ich von der unendlichen Ferne Gottes und seiner unendlichen Liebe. Dass er größer ist als seine Schöpfung: Himmel und Erde, das Weltall und die Gezeiten. Dass er sich aber finden lässt im Kleinen wie im Großen. Dass er Jesus geschickt hat, damit wir ein Modell seiner Liebe vor Augen haben. Dass er ihn wieder auferweckt hat uns alles voran zum Zeichen, Dass seine Liebe das letzte Wort hat. Allein mir fehlt oft der Glaube. Oft bringe ich den fernen und den nahen Gott nicht zusammen.
Gott redet durch den Propheten Jeremia und bestreitet seine zwei Seiten nicht. Er bleibt der andere, der sich meinen Bildern entzieht und den meine Vorstellungen nur dürftig erfassen, der mir manchmal nah und manchmal fremd ist. Das tut weh und macht das Leben nicht einfach. Ein Gott aber, über den ich verfügen könnte wie über mein Sparbuch, ist keiner, sondern ein Götze, ein selbstgeschaffenes Trugbild. Ich aber bin Geschöpf in einer vom lebendigen Gott geschaffenen Welt. Ich begreife nicht alles, aber ich habe Anteil an seiner Geschichte mit uns, seiner Liebe und Sorge. Nicht, weil ich es mir erarbeitet habe, sondern weil ich es geschenkt bekomme.
Gott verkündet durch Jeremia: „Es gibt keinen Ort…, an dem ich nicht wäre“. Ich empfinde diesen Satz als sehr beunruhigend, weil ich aus der Geschichte und aus der Gegenwart viele Orte als schrecklich empfinde. Auschwitz und Buchenwald, Hiroshima und Nagasaki, Vietnam und die Falkland-Inseln, die Stasi-Gefängnisse und die zerstörten Zwillingstürme von New York, die Schlachtfelder der Gegenwart und die Zimmer, in denen Frauen und Kinder misshandelt werden…
Da scheint überall Gott meilenweit weg. Und doch ist er da. So, dass selbst im jüdischen Ghetto von Warschau ein Mensch an eine Hauswand schreiben konnte: „Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre. Ich glaube an Gott, auch wenn ich ihn nicht sehe.“
Wenn ich Jeremia recht verstehe, lässt sich Gott finden trotz aller Katastrophen im Leben, trotz aller Krisen und Zweifel. Wir sind ausgestattet mit unserem Gewissen und können die Fragen unseres Lebens bewegen und abwägen. Wir können uns mit anderen mitteilen, unseren Horizont erweitern, Schwachstellen und Fehler erkennen, der Wahrheit ins Auge schauen, Falsches benennen und eingestehen und müssen nicht damit nicht untergehen, sondern werden neue Wege entdecken. Gott findet uns, nicht um uns fertig zu machen, sondern um uns weiter zu bringen. Er schlägt uns seine Liebe und seine Wahrheit nicht wie einen Lappen um die Ohren, sondern hält uns seine Liebe und Wahrheit wie einen Mantel hin, in den wir hineinschlüpfen können. So sollten wir mit anderen auch umgehen.
So vieles kann durch Beschwichtigung kaputt gehen: da überschütten Eltern ihre Kinder mit Geschenken. Um sie nicht zu behindern, setzen sie ihnen keine Grenzen. Sie sehen nicht, wie sie Schaden anrichten, streiten es ab oder versuchen, ihn zu bezahlen. Sie erleben, wie ihre Kinder auffällig werden und sagen: Es ist nicht so schlimm, wir hatten auch wilde Zeiten. Bis am Ende die Kinder vor Gericht stehen, und da klagen sie: Die anderen sind schuld und beschwichtigen sich damit selbst.
So vieles kann aus Liebe falsch laufen: Eine Frau meint es gut mit ihrem Mann. Als ihre Liebe erlosch, sagt sie es ihm nicht. Kurz vor ihrem Sterben fragen sie sich jeweils beide: Was wäre gewesen, wenn … Aber miteinander gesprochen haben sie nicht. So sterben beide ohne Liebe und ohne Wahrheit. Sie gaben dem Leben keine Chance, dem anderen nicht und sich selbst nicht. Aus Liebe, die falsch verstanden wurde und zur Pflichtübung verkam.
„Mein Wort brennt wie Feuer“, sagt uns Gott durch den Propheten, „es ist wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt.“ Er sagt nicht: Ich schlage euch damit den Schädel ein. Er sagt auch nicht: Benutzt es als Waffe und schießt euch damit ab, sondern eher: Nutzt es als Werkzeug - dafür brennt es, dafür ist es stark, damit ihr gemeinsam mit anderen zusammen den richtigen Weg zu leben findet, die richtigen Entscheidungen fällt und nicht falschen Propheten aufsitzt, damit ihr euren Geist, euren Verstand, eure Herzen und alle Sinne schult und liebevoll lebt in den Spuren des Einen, der stark wie ein Löwe war und dennoch zum Kreuz ging, der völlig frei war und sich aus Liebe an seine Freunde und die ganze Welt band. Das Wort wurde Fleisch, damit wir Zukunft haben: aus reichem Herzen leben und lieben. Amen.
Literatur: Hans-Joachim Kraus, Prophetie in der Krisis. Studien zu Texten aus dem Buch Jeremia, Biblische Studien 43, Neukirchen-Vluyn 1964
Verfasser: Heinz-Günter Beutler-Lotz, Pfarrer und Religionspädagoge,
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