Apostel und Propheten
von Michael Heymel (64291 Darmstadt)
Predigtdatum
:
14.06.2009
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Trinitatis
Textstelle
:
Lukas 16,19-31
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Apostel und Propheten
Wochenspruch:
Christus spricht zu seinen Jüngern: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich. (Lukas 10,16)
Psalm: 34,2-11 (EG 718)
Lesungen
Altes Testament:
5. Mose 6, 4-9
Epistel:
1. Johannes 4, 16b-21
Evangelium:
Lukas 16, 19-31
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 451
Mein erst Gefühl sei Preis und Dank
Wochenlied:
EG 124
Nun bitten wir den Heiligen Geist
Predigtlied:
EG 398
In dir ist Freude
Schlusslied:
EG 171
Bewahre uns, Gott
Liebe Gemeinde!
Es gibt ein ,Zu spät‘. Erst im Nachhinein, wenn nichts mehr zu ändern ist, geht einem auf: Das habe ich ja gar nicht gewollt! Oder: Hätte ich mich damals doch nur anders verhalten! Aber jetzt ist es unwiderruflich geschehen. Was ich getan habe, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Was ich versäumt habe, kann ich nicht mehr nachholen. Es ist zu spät.
Sind Sie auch schon einmal auf dieses ,Zu spät‘ gestoßen? Es ist ja eine harte Erkenntnis, die einen erschreckt und schmerzt: zu merken, in was für eine Sackgasse man sich selbst hineinmanövriert hat. Man sucht verzweifelt einen Ausweg, versucht seine elende Lage zu mildern, das schier Unerträgliche irgendwie abzuändern. Und immer dieselbe Antwort: Dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Zu spät.
I.
Dieses ,Zu spät‘ ist es, was der reiche Mann erfahren muss, von dem Jesus uns erzählt. Der reiche Mann, der den armen Lazarus alle Tage elend und hungrig vor seiner Tür liegen ließ. Er „lebte alle Tage herrlich und in Freuden.“ Hauptsache, mir geht‘s gut. Wer sich so schön und teuer kleiden kann, dass er nicht auf die Mark schauen muss, wer reichlich zu essen und zu trinken hat und in einer behaglichen Wohnung sitzen kann, ist reich. Der muss sich keine Gedanken machen um das Lebensnotwendige.
Und der reiche Mann macht sich keine sorgenvollen Gedanken. Braucht er auch nicht. „Wozu an morgen denken? Es ist doch noch Zeit, mir geht‘s ja noch gut. Da liegt einer vor der Tür, irgend so ein Habenichts. Schlimm genug, dass man dieses Bettelvolk überhaupt auf der Straße sieht. Aber zu Hause kann man sich den Anblick ersparen. Ich lass mir doch mein schönes Leben nicht durch ein Hungergesicht vermiesen. Tür zu! Aus den Augen, aus dem Sinn. Na ja, ist schon ein armes Schwein, der Kerl da draußen. Aber bin ich etwa von der Fürsorge? Soll er doch arbeiten gehen! Sollen sich doch andere um ihn kümmern!“
Der reiche Mann nimmt von dem Armen einfach keine Notiz. Er lebt so, als ob da draußen vor seiner Tür alles in Ordnung wäre, und inszeniert sein Leben als ein einziges Fest. Machen wir uns nicht auch gerne etwas vor, wenn es uns gut geht? Dass die Welt da draußen gar nicht so schlimm ist. Dass es gar nicht so viele Arbeitslose und Obdachlose gibt, wie immer behauptet wird. Dass eigentlich keiner bei uns Hunger leiden muss, wenn er nur arbeiten will.
Das wirkliche Elend draußen vor der Tür nicht sehen, weil man es gar nicht sehen will. Nur die schönen Seiten des Lebens betrachten und die anderen, unschönen, ausblenden, einfach wegzappen, so wie im Fernsehen ein anderes Programm einschalten, wenn einem Hässliches gezeigt wird: so lebt der reiche Mann.
Jesus sagt uns nicht, wie dieser Mann heißt. Er hat keinen Namen. Er hat kein Gesicht. Ist nicht ansprechbar. Ein Nobody. Wenn einer so lebt, dass er sich das Unerfreuliche immer vom Leib hält, nicht hinsieht und keine Hand rührt, ist er als Person nicht zu fassen.
Den Armen dagegen, den der Reiche nicht sehen will, zeigt Jesus uns als Person. Das ist jemand, den man mit seinem Namen ansprechen kann: Lazarus, El Azar, Gott hilft. Der Arme liegt, weil er nicht laufen kann. Er hat Geschwüre, ist also krank und hilflos. Und zwei weitere Kennzeichen verraten uns, wie arm dran er ist: er möchte gern etwas von den Essensresten und Abfällen des reichen Mannes haben, und er wird von den umher streunenden Hunden abgeleckt. Wenn ein Mensch seinen Hunger mit den Abfällen anderer stillen will, wenn er selber so zum armen Hund geworden ist, dass nur noch Tiere sein Elend lindern – dann ist er wirklich arm dran. Von wem soll er noch Hilfe erwarten, wenn nicht von Gott?
Doch zu seinen Lebzeiten ändert sich nichts. Der Arme stirbt und wird von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. An den Ort der Seligkeit, des vollkommenen Glücks. Auch der Reiche stirbt und kommt in die Hölle. Und jetzt sind die Verhältnisse umgekehrt: der Reiche, der zu Lebzeiten alles hatte und genießen konnte, muss jetzt alles entbehren. Er sieht den Armen, an dem er auf Erden vorbeigesehen hat. Jetzt ist er dem gegenüber, den er vor seiner Tür im Elend sterben ließ. Und der Arme ist in vollkommenem Glück.
II.
Jetzt lernt der Reiche die Qual eines unstillbaren Durstes kennen. Er hebt den Blick empor und sieht Lazarus in festlicher Freude – sieht einen Menschen, der in Fülle genießt, was er selber „alle Tage“ genossen hat! „Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.“
Liebe Gemeinde, geht es Ihnen auch so: an dieser Stelle habe ich Mitgefühl mit dem reichen Mann. Er bittet um Erbarmen, bittet den Stammvater des Gottesvolkes, Abraham, um Hilfe. Erbarmen – er, der mit Lazarus doch kein Erbarmen hatte! Und Jesus erzählt uns die Geschichte so, dass sie dieses Mitgefühl in uns selber geradezu hervorruft. Auf einmal spüren wir, was der reiche Mann zu Lebzeiten nicht gespürt hat: Erbarmen.
Doch es gibt ein ,Zu spät‘. Freundlich, aber bestimmt antwortet ihm Abraham: „Gedenke, Sohn ...“ Du hast in deinem Leben dein Gutes empfangen – denke daran, was du damit getan hast. Lazarus dagegen hat Böses empfangen – denke daran: er lag vor deiner Tür. „Nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt.“
Die Auskunft lässt kein Ausweichen zu. Sie erinnert daran, wie es gewesen ist. Sie erinnert den reichen Mann an seine Verantwortung. Was jetzt geschieht, ist nur die Folge seines lieblosen Verhaltens. Ist es nicht so, dass wir uns oft keine Zeit nehmen, über die Folgen unseres Verhaltens nachzudenken? Dass wir es lieber auf später verschieben, als uns jetzt genau anzusehen, was wir eigentlich tun?
Jetzt wird der reiche Mann damit konfrontiert, wie er sich selbst in seine ausweglose Lage gebracht hat. Er hat sein Leben zu einem täglichen Fest gemacht, ohne Lazarus zu beachten – deswegen spürt er nun, wie das ist: ein Leben ohne Liebe, ohne mitfühlendes Erbarmen. Zwischen einem solchen Dasein und einem Dasein, das von Erbarmen erfüllt ist, klafft ein unüberwindlicher Abgrund.
Nun erinnert sich der Reiche an seine fünf Brüder. Sie führen zu Hause noch das gleiche Leben, das er geführt hat. Daher bittet er Abraham: Schicke Lazarus zu meinen Brüdern! Er soll sie warnen, damit sie nicht auch an den Ort der Qual kommen.
Auch diese Bitte wird abgelehnt. Warum? In der Thora, der Weisung mit den Geboten, die Mose und die Propheten überliefern, steht alles schwarz auf weiß, was die Brüder wissen müssen, alles auch, was der Reiche selber hätte wissen können. Da wird ihnen gesagt, was Gott fordert. Das sollen sie hören: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen ...“ (5. Mose 6,5). „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst ...“ (3. Mose 19,18). Wer darauf hört, weiß, vor wem und für wen er verantwortlich ist.
Der Reiche kennt seine Brüder: sie sind offenbar ähnlich wie er selbst und kümmern sich nicht um Gottes Gebot. Deshalb bittet er zum dritten Mal: „Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.“
Doch Abraham, der Gerechte, urteilt wie ein unbestechlicher Richter: Wenn deine Brüder nicht auf Mose und die Propheten hören, so werden sie auch nicht überzeugt, wenn einer von den Toten auferstünde.
III.
Liebe Gemeinde, was geschieht mit uns, wenn wir diese Antworten des Erzvaters Abraham hören? Mir geht es dabei so, dass mein Mitgefühl mit dem reichen Mann wächst. Ich empfinde die Antworten Abrahams als gerechte Urteile – hart, aber gerecht. Ich merke: mit einer solchen Gerechtigkeit ohne Erbarmen kann kein Mensch es aushalten. Und ich glaube, dass Jesus uns diese Geschichte erzählt, damit wir das merken.
Er belehrt uns nicht, was einer verdient hat, der sich so verhält wie der reiche Mann. Er droht uns nicht: wenn ihr so lebt wie dieser Reiche, dann wird euch die Hölle heiß gemacht! Nein, Jesus spricht hier mit einer strengen Liebe zu uns, indem er uns fühlen lässt, wie das ist: gerecht, aber ohne Erbarmen behandelt zu werden. Er ruft Erbarmen in uns hervor mit dem reichen Mann, der plötzlich so arm dran ist wie jener Lazarus, von dem er vorher keine Notiz nehmen wollte.
Liebe Gemeinde, so lässt uns Jesus spüren, was der reiche Mann nicht nur dem Lazarus, sondern was er sich selbst antut, wenn er die Not des andern nicht sehen will. Wer nur um sein eigenes Ich kreisend „alle Tage herrlich und in Freuden“ lebt, spaltet das Arme, Schwache und Verwundete in sich selber ab. Darum will er den armen Lazarus nicht sehen, weil diese Gestalt ihn ja daran erinnern würde, dass auch in ihm ein armer Lazarus steckt, der um Nahrung und Anerkennung bittet.
Früher oder später kommt der Tag, wo wir uns dem stellen müssen, was in uns selber dem armen Lazarus ähnlich ist. Der Tag, wo diese Gestalt uns plötzlich gegenüber steht, so dass wir nicht mehr an ihr vorbeisehen können. Jesus mahnt uns, weil er uns liebt: das Arme, Schwache, Verwundete, das wir aus unserem Ichbewusstsein und damit aus unserem Leben ausschließen, mitfühlend anzunehmen, bevor es zu spät ist. Und weil keiner von uns gerne ein armer Lazarus sein will, weckt Jesus unser Mitgefühl mit dem reichen Mann. Der ist so gut dran wie eigentlich jeder gerne wäre. Und macht sich vor, er könnte ohne Erbarmen leben. Das ist die Illusion, die jeder und jede von uns sich zurechtmacht – solange es uns gut geht.
Darum lässt Jesus uns mit dem reichen Mann mitfühlen. Wir merken am eigenen Leib, dass ein Dasein ohne Erbarmen nicht auszuhalten, dass es die Hölle ist. Wir merken, was wir uns selber antun, wenn wir einen armen Lazarus draußen vor der Tür in seinem Elend liegen lassen. Und genau das ist der Weg der Umkehr, den Jesus uns ermöglicht. Der Weg, auf dem wir uns des armen Lazarus erbarmen – vor der Tür wie in uns selbst.
Pfarrer Dr. Michael Heymel, Schulzengasse 9, 64291 Darmstadt-Arheilgen
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