Predigtvorschlag Lukas 16, 19 - 31 (Reihe I)
Wochenspruch:"Christus spricht: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich." (Lukas 10, 16)
Psalm: 34, 2 – 11 (EG 718)
Lesungen
Altes Testament: 5. Mose 6, 4 - 9
Epistel: 1. Johannes 4, 16 b - 21
Evangelium: Lukas 16, 19 - 31
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 452, 1, 2, 4, 5 Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied: EG 124 Nun bitten wir den Heiligen Geist
Predigtlied: EG 632 Wenn das Brot, das wir teilen
Schlusslied: EG 171 Bewahre uns, Gott
Die Predigerin hat sich gegen den vorgeschlagenen Text für den
1. Sonntag nach Trinitatis (Reihe III) entschieden. Sie bietet uns stattdessen eine Predigt über Lukas 16, 19 - 31 (Reihe I).
Liebe Gemeinde,
nicht zufällig nennt Martin Luther das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus ein „bös Evangelium“. Eine böse Geschichte ist das, in der Tat.
1. Eine „böse Geschichte!“
Zunächst sieht man die empörende Szene: hier der Reiche, der alles hat, alles bekommt, der besinnungslos schwelgt und prasst, dort Lazarus, der sich mit dem Abfall begnügen muss. Die Hunde lecken seine Geschwüre.
Diese Szene schreit nach ausgleichender Gerechtigkeit!
Und auch von ihr wird berichtet:
Der reiche Mann wird für seinen radikalen Egoismus hart gestraft. Ein einziger Goldknopf der Weste über seinem vollen Bauch hätte genügt, den Armen aus Armut, Krankheit und der Schande des Bettlerdaseins herauszuholen. Aber weil er nur sich sieht, nur das eigene Vergnügen, nur den eigenen feisten Wanst, stürzt er zuletzt in die Hölle. Der Arme aber wird von den Engeln in den Himmel erhoben wird, darf in Abrahams Schoß sitzen: in der ungeteilten Nähe Gottes. Auf den ersten Blick scheint es, das Gleichnis erlaube uns derartige innere Vorstellungen nach dem Kindermotto: „So lohnet sich das Gute, das Böse straft sich schnell, das Gute in den Himmel, das Böse in die Höll.“
Aber ist diese Sicht nicht doch recht naiv? Ist der Wunsch nach einer solchen ausgleichenden Gerechtigkeit, die hier ja auch schaurige strenge Züge trägt, ein christlicher? Und dürfen wir dem Armen sozusagen die Daumen drücken? Steht es uns zu, den Reichen zu verdammen? Sind wir so eindeutig besser als er?
Und kann eine solche Vorstellung von ausgleichender Gerechtigkeit nicht auch missbraucht werden – so dass man denen, die im Leben zu kurz kommen, einen Himmel verspricht, in dem sie, wie Lazarus, eine Art Wiedergutmachung erlangen für entgangene Lebensfreuden und erlittene Demütigung? Es mag Jahrhunderte lang so gepredigt worden sein: wir können das auf keinen Fall mehr. Solch ein billiger Trost: das wäre ein böses, ein perverses Evangelium!
2. Schadenfreude?
Zumal da ein sehr spezielles Gefühl, nämlich die Schadenfreude im Spiel ist. Die Schadenfreude, mit der man den Absturz des reichen Mannes betrachtet.
Sie wendet sich sofort gegen uns, wenn wir uns klar darüber werden, dass diese Figur uns artverwandt ist. Gemessen am Lebensniveau der meisten Menschen der Welt gehören wir auf die Seite der Reichen. Wir sitzen mit an der Tafel des reichen Mannes. Das Gleichnis reizt also zur Selbstkritik. Wie antwortet doch Abraham auf die Bitte des in der Hölle schmorendenden Reichen, der erst um ein paar Tropfen Wasser fleht, und nachdem er nichts erreicht, dann aber an seine fünf Brüder denkt: Lass mich ihnen eine Warnung schicken, damit sie nicht dieselbe Strafe ereilt! Abraham weist ihn harsch zurück: Die Entscheidung über Himmel und Hölle ist endgültig! Die Kluft ist zu groß zwischen oben und unten! Und: haben deine Brüder nicht Mose und die Propheten? „Hören sie auf Mose nicht und die Propheten, dann werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“
Mose und die Propheten: mit dieser Wendung erinnert Abraham, erinnert das Gleichnis uns an die ethische Seite unserer Religion: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der Herr von dir fordert. Nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Micha 6,8).
Gottesverehrung kann sich nicht in rein seelischen oder ästhetischen Empfindungen erschöpfen. Echter Glaube an Gott hat immer auch eine sichtbare Außenseite: sich zu kümmern um den Mitmenschen, der ein Geschöpf Gottes ist, so wie ich. Zeit für ihn aufwenden, Geduld, Ideen, Kraft. Das Wort Gottes kommt entweder in uns auch praktisch zur Welt, oder es gerinnt zu einem Zierrat, zum religiösen Schnörkel, der Gott am allerwenigsten interessiert. Das Gleichnis läuft also auf eine ernste Selbstanfrage hinaus: Liebe Gemeinde, hören wir auf Mose und die Propheten? Diese Frage richtet sich heute an uns! Erst wenn die heimliche Schadenfreude von uns weggesprengt ist und wir zu dieser Frage vorgedrungen sind, kann das Gleichnis nun auch seine gute Seite für uns entfalten.
3. Worauf der reiche Mann gesetzt hat
Martin Luther hat in seiner Meditation über dieses Gleichnis darauf hingewiesen, dass der Reiche nicht etwa darum in die Hölle kommt, weil er reich ist. Vielmehr ist sein Besitz für ihn der Gott geworden, dem er huldigt. Dieser Reichtum hat den Mann blind gemacht für das Schicksal anderer Menschen. Wir erkennen einige Facetten unserer Gegenwart in diesem Bilde nun genauer: nicht nur Auto und Markenkleidung, teures Essen und exklusive Urlaubsorte fesseln unsere Phantasie, manchmal wirklich im Übermaß; es gibt auch einen Begabungsreichtum, den manche Menschen nicht mit anderen teilen wollen; andere vergöttern ihre oder ihrer Kinder Intelligenz und sorgen dafür, dass die lieben Kleinen einen Vorsprung erhalten, damit sie auf jeden Fall den späteren Mitkonkurrenten davon spurten, wenn es einmal zum Wettkampf um gute Jobs und Gehälter geht. In manchen Kindergärten wird jetzt Mathe für Dreijährige angeboten. Zweisprachige Gruppen stehen hoch im Kurs. Solche Angebote sind nicht an sich verwerflich. Aber es kann sie nicht jeder sich leisten! So wird die Frage erlaubt sein, ob hier nicht ein Bildungsegoismus bezweckt ist, der nur darauf zielt, nicht die Stufen zum armen Lazarus hinuntergehen zu müssen.
Der Reiche aus dem Gleichnis, das ist heute der Mensch, der den Nächsten darum nicht sieht, weil er nur an der eigenen Karriere bastelt, unter Fortschritt lediglich die Sicherung seiner Chancen sieht, die ihn vom Schicksal derer trennen, die unten vor der Tür, an den Stufen des Lazarus sitzen , so dass er sich mit denen nicht gemein macht, sich mit denen erst gar nicht abgeben muss.
Der religiöse Horizont dieses reichen Menschen ist leer. Er braucht Gott nicht, er erwartet von Gott nichts. Gottes Propheten, selbst ein Mose, erreichen sein Herz nicht.
4. Die Überwindung der Schadenfreude
Als Gegenbild dazu zeichnet Martin Luther den Menschen, der in einer lebendigen Beziehung zu Gott steht: „Wer Gottes Güte fühlt, der fühlt auch seines Nächsten Unfall“, sagt er. Wer - modern gesagt - ein Bewusstsein davon hat, wie sehr er oder sie privilegiert ist, und wer dafür Dank empfindet, der fühlt auch des Nächsten Unglück, fühlt, wo jemand Fehler macht, sich verrennt, der distanziert sich nicht vom andern und kriegt es hin, die eigene vielleicht spontane Schadenfreude in Schach zu halten und umzuwandeln in die Energie des Mitleidens und Helfens. Darüber nachzudenken lohnt sich für uns. Hier können wir alle einen Schritt weiterkommen.
(An dieser Stelle können Beispiele von eigenem Misslingen angedeutet werden).
„Wer Gottes Güte fühlt, der fühlt auch seines Nächsten Unfall.“
Liebe Gemeinde, dieser Satz ist eine Art lutherische Zusammenfassung von „Mose und den Propheten“. Ich kann mich von Gott nicht geliebt fühlen und gleichzeitig dem andern alles Schlechte wünschen oder mich über sein Pech freuen.
Nun sind wir wohl alle so gelagert, dass man über das Geliebtsein durch Gott seltener nachdenkt als über negative Gefühle, die wir andern gegenüber empfinden. Darum ist Luthers Wort wie ein Lichtstrahl, an dem entlang man weiterkommt: mach dir klar, wie schnell du innerlich anspringst, wenn andere eins auf den Deckel kriegen; wie viel Schadenfreude in dir steckt; wie sehr du spontan bereit bist, dir mit anderen das Maul zu zerreißen über Abwesende.
Das zu verstehen, bedeutet ja keineswegs, dass man andere in ihren Fehlern nicht kritisieren soll. Aber des Nächsten Unfall nicht als Triumph feiern, sondern mit ihm zu fühlen: die Niederlage eines Menschen, mag sie noch so selbstverschuldet sein, sie zu begreifen als ein Ausdruck der Sündenmacht, die auch mich und dich immer wieder umwirft. So zu empfinden, das macht uns menschlich und solidarisch und führt heraus aus dem Haus des Reichen. Da gehen einem die Augen auf und man tut das, was der reiche Mann versäumt: ich überwinde die Kluft, die vom Nächsten trennt, gehe hin, schaue hin, nicht als besserwisserischer Voyeur, sondern um den Ansatzpunkt zu finden, wo ich mit meinen Möglichkeiten helfen kann.
Ob Martin Luther dieses strenge auch darum ein bös Evangelium nennt, weil es so ganz und gar ethisch ausgerichtet bleibt?
Immerhin – Lukas hat noch andere Gleichnisse Jesu überliefert. Der reiche Mann und der arme Lazarus, oder: Die Überwindung der Schadenfreude: das ist eine wichtige, aber nur eine Facette des Glaubens. Lukas ist es, der uns die Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt! Wer zu Gott umkehrt, wird nicht verworfen. Wer umkehrt in der Hoffnung auf Barmherzigkeit, wird nicht enttäuscht.
Und so sind wir wohl am ehesten in den fünf Brüdern des reichen Mannes portraitiert: auch wir haben noch Zeit zur Umkehr, wir stehen mehr oder weniger mitten im Leben, wir können aus dem Gebot Gottes Nutzen ziehen für uns und unsere Mitmenschen. Wir können die Tür öffnen, die Stufen hinuntergehen und fühlend uns dem zuwenden, der unseren Rat, unsere Kritik, unsere Aufmunterung unseren Beistand braucht. Dass Gott sich uns fühlend zuwendet, dass er die Stufen zu uns täglich hinuntergeht, damit wir menschlich werden und bleiben können: da ist unser Glaube, der uns zur Liebe frei macht. Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer
Evangelische Immanuel-Gemeinde
Königstein im Taunus
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