Wochenspruch:
"Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben." (Johnannes 3, 14 b.15)
Psalm: 69, 2 - 4.8 - 10, 21 b - 22.30 (EG 731)
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 50, 4 - 9
Epistel: Philipper 2, 5 - 11
Evangelium: Johannes 12, 11 - 19
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 11, 1 + 2, 5 + 6 oder EG 14, 1 – 3 + 6 Wie soll ich dich empfangen Dein Konig kommt in niedern Hüllen
Wochenlied: EG 87, 1 + 3 + 5 Du großer Schmerzensmann
Predigtlied: EG 593 oder EG 620 Licht, das in die Welt gekommen Gottes Liebe ist wie die Sonne
Schlusslied: EG 255, 1 + 5 - 8 O dass doch bald dein Feuer brennte
Liebe Gemeinde,
„Das Gefieder der Sprache streicheln
Worte sind Vögel
mit ihnen
davonfliegen.“
Dieses Gedicht von Hilde Domin möchte ich neben unseren heutigen Predigttext legen – und Sie und mich dazu ermuntern, ihn wie ein zartes Gefieder zu betrachten, das gestreichelt werden will. Worte sind Vögel, behauptet Hilde Domin. Vielleicht können wir mit ihnen davon fliegen.
Nachdem Jesus seine Abschiedsrede an die Jünger beendet hatte, betete er:
1 So redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche;
2 denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast.
3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.
5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.
7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.
8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.
Versuchen wir, nur dem Gedankengang zu folgen, dann hört sich dieses Gebet fast wie ein trockener Rechenschaftsbericht an und der Inhalt ist schnell zusammengefasst. Sinngemäß sagt Jesus: Ich bin dein Erwählter. Die Stunde ist gekommen. Lass nun deinen göttlichen Glanz aus mir strahlen, damit du aufstrahlst. Ich habe meinen Auftrag erfüllt, den du mir gegeben hast. Ich habe dich unter den Menschen bekannt gemacht, die du mir anvertraut hast und sie haben verstanden, dass alles, was ich zu sagen hatte, von dir und durch dich war.
Versuchen wir aber, den Text wie ein leichtes Gefieder zu betrachten und ihn zu streicheln, was hören wir dann?
(Evt. an dieser Stelle noch einmal den Text – oder Textauszüge - lesen)
Ich höre, dass der rechte Zeitpunkt da ist. Ich höre Einverständnis, statt Rechenschaftsbericht oder letzte Bestandsaufnahme. Ich streichele das Gefieder und durch das zarte Federkleid leuchtet mir etwas von dem Glanz, von der Herrlichkeit des Textes entgegen. Ja, ich spüre etwas von dem Licht und der Leichtigkeit, die in diesem Text stecken.
Ist es nicht erstaunlich? Helles und Leichtes klingt an, anstatt Schwere, Verzagtheit und Angst. Und doch befinden wir uns auf der letzten Etappe der Reise Jesu. Zum Passahfest zieht er mit seiner bescheidenen Schar von Jüngern und Jüngerinnen in Jerusalem ein. Die Stadt ist bereits zum Bersten voll. Alles ist laut und durcheinander und immer mehr Menschen strömen durch die Tore. Jesus reitet auf einem Esel in die Stadt hinein – eine erhabene und demütige Geste zugleich. Wer sie versteht und das prophetische Zeugnis kennt, der erkennt in ihm den Messias, den lang ersehnten Retter und läuft ihm mit Palmwedel entgegen. Doch während die einen Hosianna rufen, stehen die anderen kopfschüttelnd am Straßenrand und überlegen, wie sie ihn loswerden können. Der Leidensweg Jesu klingt bereits an – und doch bleibt Jesus selbst Herr des Geschehens. Er hält eine lange und eindringliche Abschiedsrede an seine Jünger, sagt, was noch zu sagen ist und dann betet er dieses Gebet mit einer ungeheuren Klarheit und Gefasstheit.
Die Stunde ist da. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Damals, bei der Hochzeit in Kana, hatte er seine Mutter barsch angefahren: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“. Aber nun ist sie da, die Stunde. Die Zeit steht still – steht still im Gebet. Ganz vertraut und innig betet er, schaut zurück und blickt nach vorne. Selbstbewusst, mit geradem, nicht mit gekrümmten Rücken betet er. Steht aufrecht vor Gott mit erhobenem Haupt und weiß doch, dass er ganz und gar aus ihm lebt; ist erhaben und demütig zugleich. Keine Angst klingt an, keine Verzweiflung, kein Hadern mit diesem Weg, keine Bitte an Gott, dass dieser Kelch an ihm vorüber gehen möge. Dieses Gebet ist ein großes Einverständnis mit dem was war und mit dem, was kommen soll: Ich habe alles getan, was getan werden musste. Ich habe das erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Ich habe das Werk vollendet. Alles ist gut.
Ist es nicht wunderbar, wenn das jemand sagen kann und nicht hadert und mäkelt, sich und andere kritisieren oder gar in den Boden stampfen muss: Ach, hätte ich es doch geschickter angepackt … ach, wäre es doch anders gelaufen … wie konnte ich nur … warum hast du nur … hättest du nicht vielleicht doch noch … ich hätte es besser machen können, besser machen müssen …
Nein. Nichts von alledem. Am Ende des Weges steht das Wort: Es ist vollbracht. Das Werk ist vollendet, der Auftrag beendet. So, wie es war, ist es gut.
Nehmen wir diese Worte und lassen uns von ihnen tragen. Nehmen wir sie wie Vögel und fliegen mit ihnen davon.
Ach, und alle Einwände, die uns jetzt in den Sinn kommen wollen, dass das vielleicht bei Jesus möglich sei, aber doch nicht bei uns, halten uns nur bleischwer am Boden fest. Jesu Weg war gewiss zuletzt ein bitterer Weg und doch lässt ihn der Evangelist Johannes wie einen Weg voller Glanz und Licht, ja wie einen Triumphzug erscheinen. Ganz konsequent zu Ende gedacht macht er uns damit eindringlich klar: Das Leid, der Tod ist besiegt, endgültig! Das Schwere und Finstere hat keine Macht mehr über uns!
Erproben und üben wir uns in dieser gelösten Haltung: Alles ist gut. Besonders vielleicht in Situationen, in denen wir etwas Altes abschließen und ein Neues beginnen: Wenn wir an unserem Geburtstag ein neues Lebensjahr beginnen, wenn bei euch Konfirmanden und Konfirmandinnen ein neues Schuljahr anfängt, oder nach dem Wechsel einer Arbeitsstelle, am Ende eines Projektes, an dem man lange gebaut, und gewerkelt hat, zum Abschluss einer Arbeit, die uns wichtig war, an der wir mit Herzblut gehangen haben. Es war so, wie es war. Ich nehme es so an, wie es war. Ich hadere nicht auf ewig – ich kann es getrost hinter mir lassen und bin befreit, nach vorne zu schauen. Ich bin im Reinen mit mir. Nehmen wir die Leichtigkeit mit, die die Worte Jesu uns hier entgegenbringen und gestatten den schweren und düsteren Gedanken keine Macht über uns.
Und wir sollten nicht vergessen, die Herrlichkeit, das Licht und den Glanz des Textes mit uns zu nehmen. Worte sind wie Vögel.
Jesus bittet Gott in dieser besonderen Stunde: „Vater, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche!“ Bestätige und vollende du am Ende, was ich gesagt und getan habe, bestätige und bekräftige meinen Weg, so dass dein Licht durch mich aufleuchtet, deine Liebe durch mich sichtbar wird - damit Licht und nicht die Finsternis siegt, das Licht und nicht die Finsternis in der Welt regiert.
Ach, und alle Einwände, die uns jetzt in den Sinn kommen wollen, dass das für Jesus und seinen Auftrag gilt, aber doch nicht für uns, halten uns bleischwer am Boden fest.
Doch wir müssen nicht die Welt befreien, nicht den Tod besiegen und die Finsternis verbannen. Das ist einmalig und ein für alle Mal geschehen. Das war der besondere Auftrag des erwählten Messias, den Jesus erfüllt, den er vollbracht hat. Unsere Aufgabe, Gott durch uns erstrahlen zu lassen, ist viel bescheidener und doch auch eine Aufgabe. Sie setzt voraus, dass wir uns öffnen, damit Gott ankommen kann, setzt voraus, dass wir es zulassen und sein göttlicher Glanz sich auf uns legen kann.
Gott ist voller Herrlichkeit, voller Licht und Glanz, die überströmen und aufleuchten will in der Welt, auch durch uns, durch dich und mich.
„Auch ich bin dein Kind, dein Sohn, deine Tochter, Gott. Bitte, lass deinen göttlichen Glanz durch mich erstrahlen, damit du aufleuchtest in der Welt. Wirke in mir, wirke du durch mich“. Das darf auch unsere Bitte sein: aufrecht, erhaben und demütig zugleich.
„Lass deinen göttlichen Glanz durch mich erstrahlen, damit du aufleuchtest in der Welt! Nicht um meinetwillen, sondern um deinetwillen.“
Nehmen wir diese Worte mit. Nehmen wir sie wie zarte Vögel in unser Gebet und erproben sie dort – aufrecht und demütig zugleich. Nehmen wir sie mit und gehen mit ihnen Ostern entgegen.
Amen.
Anmerkung: Wer als Prediger und Predigerin mit der Gemeinde gut vertraut ist, sollte sich frei fühlen, das „wir“ in der Predigt durch ein „du“ zu ersetzen.
Verfasserin: Pfarrerin Renate Köbler
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