Aus der Befreiung durch Christus leben
von Reinhard Simon (39307 Genthin)
Predigtdatum
:
01.11.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
21. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Matthäus 18,21-35
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Wochenspruch:
"Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte." (Ps 130, 4)
Psalm: 143, 1 - 10
Lesungen
Altes Testament: Micha 6, 6 - 8
Epistel: Philipper 1, 3 - 11
Evangelium: Matthäus 18, 21 - 35
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 379 Gott wohnt in einem Lichte
Wochenlied: EG 404 Herr Jesu, Gnadensonne
Predigtlied: EG 358 oder EG 413 Es kennt der Herr die Seinen oder Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt
Schlusslied: EG 424 Deine Hände, großer Gott
Liebe Schwestern und Brüder,
heute, am Übergang vom Reformationstag zu Allerheiligen geht es um etwas ungeheuer Schönes, Kostbares: Wie ein inneres Feuer leuchtet das Mitleiden, das Verzeihen, das „Ich tue es für dich“ durch das ganze Evangelium. Hier schauen wir in Gottes Herz.
Von diesem Schatz betroffen schrieb Martin Luther die 95 Thesen. Hier liegt das Geheimnis der Heiligkeit Gottes in den Menschen, die uns Vorbilder des Glaubens sind.
Petrus hat es Christus abgespürt und gefragt: „Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben? Alle siebenmal?“ Siebenmal meint keine beschränkte Zahl: „Bei sieben ist mein Soll erfüllt …“ Siebenmal heißt in der Bibel „vollzählig“. Also: Vergeben? Immer? Immer!
„Ist es wirklich so?“, fragte Petrus. Und Jesus ließ nun die Vollzahl zu echter Fülle werden, weil man Vergebung nicht zählt: „siebzigmal sieben!“ Das geht nur, wenn du nicht mehr aufrechnest: „Ich habe dir doch schon oft genug …“ Vergebung ist mehr: Könnte es nicht sogar sein, dass Vergebung, die du schenkst, dich selbst nicht ärmer macht, sondern reicher? Das ist ein seltsames Geheimnis.
Die Bibel erzählt immer – und gar nicht moralisierend – mit dem Hintergrund: Was, wenn Du der wärest, auf dem die Last einer Schuld liegt? Auch wenn du ein ganz anderer Mensch bist, du kannst dich in ihn hineinfühlen. Dass du ihm abnimmst, was er an Schuld auf sich geladen hat, kann für euch beide ein Augenblick der Befreiung werden.
Hier beginnt unser Fragen. Es ist damit im konkreten Fall meistens gar nicht leicht. Ein Rechtsgefühl sperrt sich: Gerechte Strafe muss sein. Man tut doch gut daran, dem Unrecht zu wehren. Wo kämen wir denn hin? Und mehr noch, nach einer traumatischen Erfahrung: wie kann ich einen mir zugefügten Schmerz überwinden?
Die Bibel ist voller Gesang für das Recht. Sie hat ein feinstes Gespür für Unrecht und für erlittene Gewalt. Sie nennt das Sünde vor Gott und Menschen. So scharf!
Aber – und das wollen wir in Respekt vor denen bedenken, die Schlimmes erlitten haben – wo kämen wir hin, wenn es dieses Größere, Wunderbare nicht gäbe, das Erbarmen heißt? Diese schönste Gabe des Menschlichen, an die Seite des Schuldigen zu treten und vielleicht sogar an seine Stelle? Welchen Ausweg gäbe es sonst?
Schuld verbindet sich mit dem unheimlichen Gefühl, im Boden zu versinken. Und da brauche ich jemand, der das mit mir zusammen aushält. Da brauche ich eine Atmosphäre, in der nicht alle Welt samt Medien auf mich einstürzt, um draufzuhauen und zu verurteilen. Der unnachgiebigste Richter, wohnt er nicht vielleicht sogar in mir selbst?
Die Bibel erzählt kühn, wie der Vergebung heilende Kraft innewohnt. Können wir das glauben? Gibt es eine eigene Erfahrung, die davon einen Geschmack gibt? Gibt es dafür vielleicht einen Anhaltspunkt hier uns unserer Gemeinde?
Kirche, wenn es dir gelänge, eine Atmosphäre der Vergebung zu schaffen, weil du um deine Unzulänglichkeit weißt und dabei ehrlich bist! Wenn es dir gelänge, Wahrheit, Recht und Verzeihen in einer tieferen Weisheit zusammenzubringen, „Gottes Wort zu halten, Liebe zu üben und demütig zu sein vor deinem Gott!“
Es könnte ein befreiendes Gespräch beginnen! Menschen könnten sich unter vier Augen aussprechen, vielleicht zusammen erschrecken vor dem, was geschehen ist, aber sich nicht abwenden. Es könnte diese Verwundung der Seele, die wir Mitleid nennen, etwas öffnen an Trauer und Scham, dass sie da sein können im Schutz der Vertraulichkeit.
Es könnte Eine zum Anderen sagen: Hast du auch daran gedacht, dass Christus gekommen ist, uns zu vergeben, dir und mir? Findest du den Mut, ihm alles ohne Scheu zu sagen? Er ist für dich der, der sich nicht abwendet, vertraue ihm! Ich könnte dir dabei helfen …
Gebet und Verzeihen – und daraus Tatkraft: ist das nicht ein Widerschein des Himmels auf unserer leidenden Erde?
Es könnte schließlich sein, dass wir so wiederentdecken, was in der Kirche „Beichte“ heißt, dieses mit Moral und Scham belastete Wort, das aber das kleine Wunder der Befreiung meint! Die katholische Kirche hat dafür eine ganz treffende Bezeichnung: „Sakrament der Versöhnung“.
Was von dem hier Angesprochenen wird für uns wichtig sein? Kommen wir darüber ins Gespräch! Frère Roger sagt in einem Gebet:
Jesus, Freude unseres Herzens, du lässt jeden, der aus deinem Verzeihen und deinem Erbarmen lebt, die tiefste aller Gewissheiten ahnen: Wo Barmherzigkeit wohnt, ist Gott.
Verfasser: Pfarrer Dr. Reinhard Simon
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