Barmherzigkeit
von Elke Burkholz (Messel)
Predigtdatum
:
27.01.2013
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Septuagesimae
Textstelle
:
Matthäus 9,9-13
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Liebe Gemeinde,
im Glaubensbekenntnis bekennen wir, dass wir an Jesus Christus glauben. In der Bibel steht, wer Jesus Christus war – nicht in beschreibenden Sätzen sondern in Geschichten. Diese Geschichten von Jesus sind in der Bibel in vier Evangelien gesammelt. Eine dieser Geschichten ist heute Predigttext. Ich lese Matthäus 9,9-13:
9 Als Jesus von Kafarnaum aus weiterging, sah er einen Menschen beim Zoll sitzen, der hieß Matthäus. Jesus sagt zu ihm: »Folge mir!« Und Matthäus stand auf und folgte Jesus. 10Und nun geschah es, als Jesus im Haus zu Tisch lag, seht, da kamen viele, die sich als Zollbedienstete bereichert, und viele, die Unrecht getan hatten. Sie kamen, um mit Jesus und seinen Jüngerinnen
und Jüngern zusammen zu essen. 11Das sahen einige aus der pharisäischen Bewegung und sagten zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: »Warum isst euer
Lehrer mit Leuten, die betrügen und Unrecht tun?« 12 Jesus hörte es aber und sagte: »Nicht die Gesunden brauchen ärztliche Hilfe, sondern die Kranken!
13 Geht nun weiter und lernt, was das heißt: Erbarmen möchte ich, kein Opfer. Denn ich kam nicht, um die zu berufen, die gerecht handeln, sondern die, die Unrecht tun.«
In dieser Geschichte haben wir einiges versammelt, was Jesu Wirken ausmacht.
1. Jesus kommt gerade aus Kafarnaum. Dort hat er einen Gelähmten geheilt. Das war seine spektakulärste Tätigkeit. Wo er auch hingekommen ist in Galiläa, haben die Leute Kranke zu ihm gebracht. Und er hat sie alle geheilt. Es gibt davon nur eine Ausnahme in der Bibel. In Nazareth, dem Ort, in der er aufgewachsen ist, hatten die Leute so wenig Vertrauen zu ihm, dass er nur wenige und nicht alle heilen konnte.
2. Jesus hat Menschen berufen, ihm zu folgen. Heute würde man sagen, er hat Lehrverträge abgeschlossen und Leute ausgebildet. Wenn er jemanden berufen hat, dann ist der ihm gefolgt, hat mit ihm und den anderen Auszubildenden zusammen gelebt und hat dabei alles gelernt, was der Lehrer auch konnte. Nach Abschluss der Lehre bei Jesus war man Rabbi und konnte eine eigene Rabbinenschule gründen. Damals in Israel war das das Größte. Rabbis waren sehr angesehen. Und nur die besten der besten Schüler bekamen eine Chance, weiterzlernen und selbst Rabbis zu werden. Wenn ein Rabbi einen als Schüler angenommen hat, dann war das das große Los und eine große Ehre. Hier benimmt sich Jesus ziemlich merkwürdig. Er beruft einen Zolleinnehmer und bietet ihm einen Ausbildungsvertrag an. Und es ist nicht die Rede davon, dass er vorher seine Kenntnisse im Alten Testament und der Auslegung des Alten Testaments geprüft hätte. Das war damals ziemlich schräg. Und dann auch noch ein Zolleinnehmer. Zollpächter waren ausgesprochen unbeliebt. Sie haben mit den feindlichen Römern zusammen gearbeitet und sie haben die Leute, die Handel trieben ausgenommen. Im Mittelalter hätte man gesagt: Sie waren Raubritter. Jesus wählt seine Schüler jedenfalls nicht nach ihren Noten und nach ihrem Ansehen aus. Vielleicht liegt das daran, dass sie etwas lernen müssen, dass so sehr vom Gewohnten abweicht, dass er bei seinen Schüler andere Vorerfahrungen braucht als die anderen Rabbis.
3. Jesus isst mit Verachteten. Am Tisch sitzen die Zöllnerfreunde von Matthäus. Später wird erzählt, dass auch Prostituierte bei einem Essen dabei sind. Jesus macht keine Unterschiede zwischen Angesehenen und Nicht angesehenen. Anfangs wird er übrigens durchaus bei Angesehenen eingeladen. Zum Beispiel von einem Synagogenvorsteher, sogar von einem Mitglied des Hohen Rates wird erzählt, dass er Jesus aufsucht. Jesus möchte dass das gespaltene Volk Gottes wieder vereinigt wird. Er will eine Gemeinschaft schaffen zu der alle dazu gehören. Niemand soll mehr ausgeschlossen werden. Und dabei bekommt er gewaltigen Ärger. Und zwar ausgerechnet mit den Leuten aus der pharisäischen Bewegung. Anfangs gehört Jesus ja selbst dazu. Die pharisäische Bewegung ist eine Volksbewegung, die versucht trotz römischer Besatzung und trotz schwieriger Lebensbedingungen genau nach dem Gesetz des Mose zu leben und die alte Tradition trotz vieler Widerstände aufrecht zu erhalten. Zu recht waren Pharisäer damals sehr angesehen. Sie brachten viele Opfer, um ihre Frömmigkeit zu leben. Die Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide sagt übrigens, dass in allem, was von Jesus in der Bibel erzählt wird nie berichtet wird, dass er jemals ein Gebot gebrochen hätte. Und natürlich sind die Pharisäer entsetzt, dass Jesus sich ausgerechnet mit den schlimmsten Sündern abgibt. Jesus begründet sein Verhalten mit dem Satz: Nicht die Gesunden brauchen ärztliche Hilfe sondern die Kranken. Das ist eine völlig neue Sichtweise der Welt. Die Unrecht tun werden nicht als böse beschrieben sondern als krank. Jesus beschreibt seinen Auftrag mit dem Satz: Denn ich kam nicht, um die zu berufen, die gerecht handeln, sondern die, die Unrecht tun.« Das ist ungewöhnlich für einen Rabbi. Jesus lehrt also die unfähigsten Schüler, die er finden kann, die mit den schlechtesten Vorraussetzungen. Der Mann traut sich etwas zu. Und er verbindet seine Lehrtätigkeit mit seiner ärztlichen Tätigkeit. Er sagt: Im Grunde mache ich das Gleiche, wenn ich Leute heile und Gesetzlose das Gesetz lehre. Jesus versucht seine pharisäischen Freunde davon zu überzeugen, dass dieses Ungewohnte richtig ist. Er zitiert die Bibel: Dort sagt Gott: Erbarmen möchte ich, nicht Opfer. Jesus verlangt also allen Ernstes Erbarmen und Mitgefühl für die, die Unrecht tun. Er setzt sie damit mit dem Armen und Witwen und Waisen und Kranken gleich. Er sagt: Die Unrecht tun sind nicht böse, sie sind krank und arm dran. Und man muss ihnen helfen zu lernen wieder richtig zu handeln. Sie brauchen eine Chance, um wieder dazu gehören zu können.
Diese Ansichten waren damals sehr fremd und sehr ungewöhnlich.
Heute gehören diese Sätze zu unserer Tradition. Viele kennen sie. Aber so zu denken und zu handeln ist heute noch genauso schwer wie damals.
Man kann diese Sätze von drei Seiten betrachten.
1. Von der Seite derer, die Unrecht tun. Ja, ich tue öfter mal Unrecht und ich bin ziemlich sicher, dass das auch auf Sie und auf euch liebe Konfis zutrifft. Wer hätte noch nie gelogen oder noch nie jemanden stehen gelassen, der Hilfe gebraucht hätte. Wer hätte noch einen unnötigen Streit böswillig angefangen. Uns, die wir wissen, dass wir auch manchmal Unrecht tun, sagt Jesus: Du bist krank, aber du kannst wieder gesund werden. Du kannst aufhören unrecht zu tun. Ich lehre dich wie das geht. Du gehörst zu Gott. Und niemand kann dir das wegnehmen auch du selbst durch deine falschen Taten nicht.
2. Man kann das neue Denken Jesu von der Seite derer betrachten, die sich an die Regeln halten und dafür Opfer bringen. Das sind wir auch. Schließlich begehen wir keine schlimmen Verbrechen. Wir leben in Messel. Und da ist es im wesentlichen ruhig. Und alle leben eher friedlich zusammen. Übrigens kennen die meisten von uns weder Prostituierte noch Investmentbänker, um mal die Zolleinnehmer von damals auf heute zu übertragen. Was heißt das neue Denken von Jesus also für uns?
Jesus erwartet von uns Barmherzigkeit. Und das ist schon eine hohe Anforderung. Mal ein paar Worte wechseln mit jemandem, mit dem niemand befreundet sein möchte, kann in der Schule schon gefährlich werden. Oder der Freundin verzeihen, dass sie einen auf dem Schulhof hat stehen lassen, weil sie sich unbedingt zu der Clique stellen wollte, wo dieser überaus süße Junge dabei ist. Das ist schon anstrengend. Oder trotzdem freundlich mit der Nachbarin umgehen, die den Schnee immer auf die eigene Straße schiebt. Das fällt schon schwer. Übrigens heißt Barmherzigkeit nicht, sich alles gefallen zu lassen. Barmherzigkeit kann auch sein, dem anderen zu sagen, was man schwierig findet. Aber das ist meistens noch unbequemer als einfach freundlich zu sein. Also das neue Denken von Jesus ist schon eine Herausforderung.
3. Es gibt noch eine dritte Seite. Das ist die Sichtweise von Jesus. Jesus begibt sich hier zwischen alle Fronten. Er irritiert die Pharisäer und die Zöllner. Und er hat sich ganz schön viel vorgenommen, wenn er versucht die beiden Seiten wieder zusammen zu kriegen und zu einem Volk Gottes zu machen. Schon in dieser Geschichte wird deutlich, dass seine Aufgabe gewaltig ist, und dass sie gefährlich werden wird. Aber Jesus wird sie zu Ende bringen, denn es ist der Auftrag Gottes, den er erfüllt. Er bringt mit seinem Leben, seinem Heilen und Lehren das Evangelium in die Welt. Die gute Nachricht, dass Gott für uns alle Gemeinschaft und Heilung will und dass wir aufhören werden Unrecht zu tun, und dass Gott barmherzig ist auch wenn wir Unrecht tun. Damit hat Jesus die Welt radikal verändert. Jesus bringt das Reich Gottes. Der Himmel fängt für uns genau jetzt an, in dem Moment, in dem wir Schülerinnen und Schüler Jesu werden. Eine anspruchsvolle und lohnende Aufgabe. Es ist gut so etwas im Leben zu haben. Und der Friede Gottes….