Befreiung im Vertrauen auf Gottes Gnade
von Stefan Claaß (55122 Mainz)
Predigtdatum
:
31.10.2006
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
23. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Galater 5,1-6
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Wochenspruch:
Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
(1. Korinther 3,11)
Psalm: 46,2-8 (EG 725)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 62,6-7.10-12
Epistel:
Römer 3,21-28
Evangelium:
Matthäus 5,1-10 (11-12)
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 243
Lob Gott getrost mit Singen
Wochenlied:
EG 341
oder 351
Nun freut euch, lieben Christen g’mein
Ist Gott für mich, so trete
Predigtlied:
EG 494
In Gottes Namen fang ich an
Schlusslied:
EG 170
Komm, Herr, segne uns
Liebe Gemeinde!
„Wer in die Kirche geht, ist noch lange kein Christ. Ich bin ja auch kein Auto, wenn ich mich in eine Garage stelle.“ Ein bekannter Graffiti-Spruch. Ob der Mensch, der ihn geprägt hat, wusste, wie nah er mit seinem Gedanken bei Martin Luther ist?
„In die Kirche gehen macht noch keine Christenleute“, hat der Reformator festgestellt. Und er fährt dann fort: „...aber Christen gehen in die Kirche.“
Martin Luther wusste es, der Graffiti-Sprüher wusste es, wir wissen es auch: äußere Kennzeichen sind noch nicht eindeutig. Nicht der Kirchgang, nicht das Kreuz am Hals und nicht der Fisch auf dem Auto. Sie können Hinweise sein auf unseren Glauben, aber sie beweisen noch nichts.
Dabei wüssten wir oft so gern, wer wirklich, wirklich dazugehört. Was macht die Zugehörigkeit zu den Christen aus? Ein sanfter Blick, leicht himmelwärts? Tatkräftige Nächstenliebe? Das Zahlen der Kirchensteuer? Demonstration für das Asylrecht? Auswendig den 23. Psalm sagen können? Es gibt Hunderte von Zeichen, die auf unseren Glauben, auf die Orientierung unseres Herzens und unserer Gedanken hinweisen. Aber alle Zeichen können immer auch noch ganz anders verstanden werden. Neben dem Heiligen wohnt das Scheinheilige, und der Bruder des Glaubens ist immer wieder der Zweifel. Hat auch Martin Luther gesagt.
Es war das Herzensanliegen der Reformation, die äußeren Zeichen nicht mit der Überzeugung des Glaubens gleichzusetzen. Das hat bekanntermaßen zum Kampf in einer Kirche der Zeichen geführt. Heiligenbilder, Papst, Ablasszettel – nichts dergleichen haben die Reformatoren als wahre und eindeutige Beweise persönlichen Glaubens gelten lassen. In allem haben sie uns gelehrt, die Frage nach dem Ursprung zu stellen. Gehen die Dogmen und Lehren der Kirche wirklich auf biblischen Ursprung zurück? Lassen sich die Entscheidungen der Päpste und Konzilien an Christus und am Neuen Testament nachvollziehen? Ist Umkehr, Buße, Reue wirklich eine Sache des Herzens und nicht nur der Geldbeutel? Darauf kommt es an, darauf haben sie gepocht und dafür haben sie gekämpft.
Und das war nicht nur eine historische Episode vor fünfhundert Jahren. Lassen Sie uns einen Blick werfen zurück in die Zeit des Paulus. Und dann einen Blick auf uns selbst. Und wir werden feststellen, dass dieses Anliegen ständig aktuell ist: Zeichen des Glaubens nicht mit dem Glauben selbst zu verwechseln.
Lassen Sie uns also in der Zeit noch weiter zurückreisen, an 1517 und den 95 Thesen Martin Luthers vorbei, vorbei an Karl dem Großen und Kaiser Konstantin. Lassen Sie uns nach Galatien reisen, einer Landschaft in der Mitte der heutigen Türkei. In den Gemeinden dieser Gegend ist Mitte der fünfziger Jahre im ersten Jahrhundert ein Brief des Apostels Paulus eingetroffen und wird heftig diskutiert. Denn er nimmt Stellung zu einer aktuellen Streitfrage in den Gemeinden. Ja, es ist mehr als eine Streitfrage, es ist eine Zerreißprobe für die jungen Gemeinden.
Wir hören hinein ins 5. Kapitel:
1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Darum geht es in Galatien, darüber ereifern sich die Parteien in den Gemeinden: Einige verlangen von jenen, die neu hinzukommen, dass sie sich beschneiden lassen.
Die Beschneidung ist seit dem Bund Gottes mit Abraham das Erkennungszeichen des Gottesvolkes, Erkennungszeichen des Glaubens. Diese Zeichen füllte Gott dann mit innerem Leben, mit der Verheißung an Abraham, eine große Nachkommenschaft zu haben. Oder indem Gott dem Volk am Berg Sinai seine große Weisung gibt inklusive der Zehn Gebote. Dort ist die Rede von der „Beschneidung der Herzen“ (5. Mose 10,12-13+16): „Nun, Israel, was fordert der Herr, dein Gott, noch von dir, als dass du den Herrn, deinen Gott, fürchtest, dass du in allen seinen Wegen wandelst und ihn liebst und dem Herrn, deinem Gott, dienst von ganzem Herzen und von ganzer Seele, dass du die Gebote des Herrn hältst und seine Rechte, die ich dir heute gebiete, auf dass dir's wohlgehe?... So beschneidet nun eure Herzen und seid hinfort nicht halsstarrig!“
Gottes Bund meint: Wo ich bin unter Menschen, da nehmen sie mein Zeichen an und folgen meiner Weisung. Paulus beklagt nun in Galatien, dass dort Gottes Bundesschluss umgekehrt wird. Der heißt dann so: Wo Menschen beschnitten sind und die Weisung halten, da ist Gott.
Gewiss, Gott hat sich an seine Zeichen gebunden – aber er bleibt in seiner Zuwendung frei. Und wir gehen in die Irre, wenn wir von uns aus versuchen, Gott festzulegen und festzuhalten und Zeichen seiner Gegenwart für Gott selbst zu halten.
Das steckt für Paulus hinter dem Wort „Gesetz“: dass wir aus eigenen Kräften versuchen, gemeinschaftsfähig mit Gott zu sein. Dass wir durch Erfüllung aller Weisungen versuchen, an Gott heranzukommen. Das Fatale daran ist, dass uns dieses Bemühen immer weiter in die Frage verstrickt: wie viel muss ich noch tun? Was soll ich denn noch alles vollbringen? Wir schauen auf unsere Lasten, auf unsere Mühen, und der Glaube wird zu einer sauren Angelegenheit. Gott wird uns zu viel. Und weil wir letztlich nie genug tun können, wenden wir uns am Ende von Gott ab und resignieren: Lass mich doch in Ruhe! Oder, zweite Möglichkeit: Übereifrige Genossen machen aus dem Glauben eine Leistungsschau, die dazu dient, andere auszuschließen, weil sie nicht gut genug sind.
Wenn ich mich hineinversetze in diese Gemeindedebatten in Galatien, dann höre ich förmlich das Aufatmen der Suchenden, wenn aus dem Brief des Paulus vorgelesen, ja proklamiert, verkündet, ausgerufen wird: „Zur Freiheit hat euch Christus befreit!“ Nicht zur Freiheit von Gott, sondern zu einer Freiheit mit Gott. Christus hat euch davon befreit, euer Leben selbst retten, herstellen und mit Sinn füllen zu müssen. Christus hat euch zur Hingabe befreit an einen Gott, der euch liebt, und in dessen Nähe das pralle und volle Leben zu finden ist.
Lassen Sie uns durch die Zeit zurückreisen. Wir kommen noch einmal kurz bei Martin Luther vorbei und schauen ihm 1520 am Schreibtisch über die Schulter. Da notiert er gerade: „Der Christ ist völlig freier Herr über alles und niemandem untertan. Der Christ ist ein allen völlig dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ (Traktat von der christlichen Freiheit, 1520)
Neues Vertrauen zu Gott führt vor allem dazu, freudig, dankbar und leidenschaftlich auch einen neuen Lebensstil zu entwickeln. Glaube an Gott durch Jesus Christus kann nicht ohne Gemeinschaft sein. Gewiss, beten, meditieren, in der Bibel lesen kann ich gut allein und für mich. Entscheidend wird aber dann sein, was daraus wird. „In Christus Jesus gilt ... (allein) der Glaube, der durch die Liebe tätig wird“, schreibt Paulus. Liebe zu Gott, zu meinen Nächsten, zu mir selbst.
Zu mir selbst: Danke, Gott, dass du uns befreist davon, unser Leben aus eigener Kraft bestehen zu müssen. Wenn du mich und jede und jeden hier und heute wirklich liebst, sollten wir das selbst doch auch ein wenig hinbekommen!
Liebe zu unseren Nächsten: da berührt sich unser Christenleben wieder mit dem Spruch vom Auto vorhin. Ein Auto, das nur in der Garage steht, hat seinen Sinn verfehlt. So, wie ein Auto fahren will und soll, so ist es auch an uns Christen, unterwegs zu sein, beweglich, andere ein Stück mitzunehmen, sie zu begleiten, ihnen Schutz zu bieten.
Aber so ganz ohne Garage? „In die Kirche gehen macht noch keinen Christen“, sagt Luther, „aber Christen gehen in die Kirche.“ Ein Auto, das nie die Garage sieht, nie geschmiert, gewaschen und gepflegt wird, gibt bald seinen Geist auf. Darin zeigt sich nämlich auch unsere Liebe zu Gott: dass wir zusammen kommen, um gemeinsam zu danken, unseren Kummer zu teilen und miteinander den Erfinder des Lebens und der Liebe zu feiern. Da sind alle Marken eingeladen, ob orthodox, anglikanisch, freikirchlich, römisch oder evangelisch: möge Gott selbst es schenken, dass unser Glaube nicht nur in äußeren Zeichen lebt, sondern dass andere uns und unserer Lebensart ansehen, dass wir von Christus gezeichnet sind. Amen.
Verfasser: Pfr. Stefan Claaß, Am Fort Gonsenheim 151, 55122 Mainz
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