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Beschädigte Beziehungen heilen

von Güntzel Schmidt (Nesse-Apfelstädt)

Predigtdatum : 16.11.2016
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Buß- und Bettag
Textstelle : Römer 2,1-11
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Wochenspruch:
Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben. (Sprüche 14,34
Psalm: 51, 3 - 14 (EG 727)

Lesungen
Altes Testament: Jesaja 1, 10 - 17
Epistel: Römer 2, 1 - 11
Evangelium: Lukas 13, (1 - 5) 6 - 9


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 481 Nun sich der Tag geendet
Wochenlied: EG 144 Aus tiefer Not lasst uns zu Gott
Predigtlied: EG 235 O Herr, nimm unsre Schuld
Schlusslied: EG 232
Allein zu dir, Herr Jesu Christ


Predigttext Römer 2, 1 - 11
„Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?
Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jedem geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun, zuerst der Juden und ebenso der Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.“

Zur Liturgie
„Büßen“ bedeutet ursprünglich: heilen, ganz machen, reparieren. Der Bußtag gibt den Anstoß, beschädigte Beziehungen zu heilen - zu den Mitmenschen und zu Gott. Dazu muss man sich zunächst bewusst werden, dass etwas beschädigt, zerstört oder zerbrochen ist.

"Die Buß- und Bettage“ trugen ursprünglich öffentlichen Charakter: Die gesamte Bevölkerung wurde … zu Buße und Gebet aufgerufen. Dieser Charakter ging allmählich verloren und machte einem stärker auf den einzelnen bezogenen Verständnis von Buße und Bitte Platz" (Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr, München 1994, S. 181). Um zu vermeiden, dass der Bußtag zu einer "Nabelschau" wird, in der man nur um eigene Schuld kreist, nimmt die liturgische Gestaltung den Mitmenschen und die Welt in den Blick. Der Gottesdienst soll bewusst machen, dass ich mit meiner Schuld nicht allein bin und dass es Schuldzusammenhänge gibt, die weltweite Auswirkungen haben. Die hier vorgeschlagenen Texte für den Eingangsteil versuchen diesen Zusammenhang herzustellen. Dazu dient insbesondere das Versöhnungsgebet von Coventry, das hier als Schuldbekenntnis eingesetzt wird. Den 51. Psalm kann man entweder im Wechsel sprechen oder, wo das nicht eingeübt ist, eine Übertragung von Eugen Eckert auf EG 299 II singen.

Das Evangelische Gottesdienstbuch sieht ein eigenes Ordinarium für den Buß- und Bettag vor (S. 191 - 201). Dies sieht keine Abendmahlsfeier vor, aber vielerorts ist sie üblich. Man sollte dann auf die schlichtere Form der Abend-mahlsbetrachtung zurückgreifen (im EGb S. 142 - 143, weitere Formen S. 661 - 663 und 666 - 669). Der Charakter des Bußtages wird nicht zuletzt durch eine schlichtere Gestaltung des Gottesdienstes hervorgehoben.

Anrede
An diesem Buß- und Bettag werden wir uns bewusst:
Wir sind angewiesen auf Gottes Gnade.
Sie ist die Hoffnung für uns und für die Menschen
in unserem Land. Wir sind nicht auf dem richtigen Weg,
wenn Menschen ungerecht behandelt werden,
wenn der soziale Frieden gefährdet ist,
wenn das Leben aller bedroht wird,
weil wir über unsere Verhältnisse leben,
weil wir unsere Umwelt nicht achten,
weil wir Ressourcen verschwenden.

Damit wir nicht in einer gnadenlosen Welt enden, sondern nach Gottes Willen eine Zukunft für alle Menschen schaffen, lasst uns gemeinsam vor Gott unsere Verstrickungen in Schuld bekennen, ihn um Vergebung bitten und den Mut für einen neuen Anfang empfangen.

Kyrie
Vaterunser

Psalm 51 im Wechsel
oder:
Psalmlied zu Psalm 51 – Text: Eugen Eckert, M: EG 299 II

Aus tiefer Not
1. Ein reines Herz, Gott, schaff in mir, hilf mir nach deiner Güte. Du weißt um Last, die mich bedrückt, kennst Schuld, an der ich brüte. Verwirf mich nicht. Dein Angesicht nimm nicht von mir, ich traue dir - treib mich zu neuer Blüte.

2. Gott, sei mir gnädig, ohne dich bleib ich verstrickt, verloren. Oft tu ich, was ich gar nicht will, Schuld scheint mir angeboren. Erbarme dich, Gott, über mich. Wasch du mich rein, dein Geist allein durchspüle meine Poren.

3. Ein reines Herz, Gott, schaff in mir und sei mit meinem Geiste. Verleihe mir Beständigkeit, dass ich mich nicht erdreiste, was falsch war, nun erneut zu tun. Hilf, Gott, dass ich mich halt an dich und Gutes will und leiste.

Tagesgebet
Wer sind wir?
Wo stehen wir?
Was sind wir anderen schuldig geblieben?
Was bleiben wir dir schuldig?
Wir suchen Antwort auf diese Fragen und finden sie nicht ohne dich, Gott, ohne dein richtendes und rettendes Wort.
Darum bitten wir dich: komm zu uns in deinem Wort und sprich uns an. Hilf uns, die Wahrheit zu erkennen und anzunehmen: die Wahrheit über uns und die Wahrheit deiner Gerechtigkeit. Stärke unser Vertrauen auf deine Barmherzigkeit und hilf uns, nach deinem Willen zu leben.
Das bitten wir dich um Jesu willen. Amen

Versöhnungsgebet von Coventry
Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten. (Römer 3, 23)
Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Klasse von Klasse:
Vater, vergib!
Das Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist: Vater, vergib!
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet: Vater, vergib!
Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der Anderen:
Vater, vergib!
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, Heimatlosen und Flüchtlinge: Vater, vergib!
Die Entwürdigung von Frauen, Männern und Kindern durch sexuellen Missbrauch: Vater, vergib!
Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott: Vater, vergib!
Lehre uns, o Herr, zu vergeben und uns vergeben zu lassen,
dass wir mit dir und miteinander in Frieden leben.
Darum bitten wir um Christi willen.
Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebt einer dem anderen, wie Gott euch vergeben hat in Christus! (Epheser 4, 32)

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,

entschuldigen Sie bitte!

Wie oft sagt man das?! Im Theater z. B., wenn man zu spät kommt und sich dann alle anderen erheben müssen, damit man zu seinem Platz gelangt. Wenn man sich bei Tisch etwas nehmen möchte und dabei mit dem Arm über den Teller des Nachbarn fegt. Wenn man jemanden nach dem Weg fragt, oder nach der Uhrzeit. Entschuldigen Sie bitte!

Wie oft sagt man das so dahin?! Es gehört zum guten Ton, sich zu entschuldigen, wenn man anderen in irgendeiner Weise Umstände macht. Meistens meint man es sogar, wenn man sagt: "Entschuldigen Sie bitte!".

Vielen Menschen ist es unangenehm, wenn andere etwas für sie tun sollen. Man bittet nur im äußersten Notfall darum. "Ich will doch keine Umstände machen", hört man dann, "ich möchte niemandem zur Last fallen".

Ja, wir sind höfliche, rücksichtsvolle Mitmenschen, wenn es um die Etikette geht, um den höflichen Umgang, das richtige Verhalten in der Öffentlichkeit.

"Du kannst dich nicht entschuldigen, Mensch, wer du auch bist." Man kann sich nicht selbst entschuldigen. Das müssen andere für einen tun. Die, bei denen man in der Schuld steht. Darum also vermeiden es viele, andere um Hilfe zu bitten. Man möchte niemandem etwas schuldig bleiben. Einzig die eigenen Eltern oder Kinder, die engere Familie wird eingespannt, wenn man Hilfe braucht.

Man kann sich nicht selbst entschuldigen.
Besonders unangenehm wird es, wenn man jemand anders um Entschuldigung bitten muss. Es geht noch, wenn man nur zu spät gekommen ist, jemanden aus Versehen angerempelt oder irgendein Missgeschick begangen hat.
Schwerer wird es, wenn man etwas getan hat, was den anderen kränkte oder verletzte: Wenn böse Worte gefallen sind.
Und am allerschwersten ist es, wenn man sich gar keines Fehlers bewusst ist oder meint, der andere hätte viel mehr Grund, sich zu entschuldigen. Ja, erst müsse er sich entschuldigen, dann könne man selbst auch einen Fehler eingestehen.

Viele Beziehungen stecken in dieser Schuldenfalle, aber auch viele Nachbarschaften und Freundschaften. Beide sind verletzt, beide haben Fehler gemacht, aber keiner kann und will den ersten Schritt tun. Woran liegt es, dass es oft so schwer fällt, jemanden um Entschuldigung zu bitten?

"Du kannst dich nicht entschuldigen, Mensch, wer du auch bist", schreibt Paulus am Beginn seines Briefes an die Römer. Was meint er mit dem: "Du kannst dich nicht entschuldigen …"?

Offenbar möchten wir uns gern entschuldigen, oder, besser gesagt: Wir möchten nicht "schuld" sein. Kaum einer gibt freiwillig einen Fehler zu; wer nicht erwischt wird, gesteht nicht von sich aus ein, wenn er etwas kaputt gemacht hat. Wie peinlich ist es, einen Fehler zugeben zu müssen! Wie groß ist die Angst vor Strafe, vor der Gardinenpredigt, die man dann zu hören bekommt, vor der Traurigkeit, der Wut oder der Enttäuschung des Geschädigten. Wir möchten nicht schuld sein …

Vor allem deshalb nicht, weil das nicht zu unserem Selbstbild passt. Wir wissen zwar, dass wir nicht perfekt sind, dass wir Fehler machen. Aber es zu wissen - und es sich selbst und anderen offen einzugestehen, sind doch zwei verschiedene Paar Schuhe. Lieber beobachten wir, was anderen so Dummes passiert, achten darauf, was andere falsch machen. Wir "richten", wie Paulus schreibt.

Wir urteilen über andere und beurteilen sie: Ist der gut oder schlecht, ist die schön oder hässlich, hat der das richtig gemacht oder nicht …

Und wir tauschen uns darüber aus. Wir fragen andere nach ihrer Meinung, wir vergewissern uns, dass wir die gleiche Sicht der Dinge haben, zu Deutsch: Wir tratschen und reden hinter dem Rücken der Leute, um die es geht.

Das ist überhaupt das allergrößte: Das Reden über andere. Eine ganze Industrie lebt von Klatsch und Tratsch: Fernsehzeitungen und bunten Blätter, die "Sozialen Medien" im Internet und die Boulevardmagazine im Fernsehen verbreiten sich darüber, wer was mit wem hat, wer sich von wem getrennt hat und wer wo was getan oder nicht getan hat. Und wir nehmen es begierig auf, als wären das wichtige Neuigkeiten!

Wir reden so gern über andere. Und am schönsten ist es, am interessantesten wird es, wenn die sich irgendwas zuschulden kommen ließen; wenn es herauskommt, dass sie Dreck am Stecken haben. Dann freuen wir uns, dass die Schönen, Mächtigen und Reichen, die Großkopferten und Gutbetuchten auch nur Menschen sind - als ob wir das nicht vorher gewusst hätten!

Das ist vielleicht der Sinn der ganzen Tratscherei, der Neugier auf die Fehler der anderen, des "Richtens", wie Paulus schreibt - dass man merkt: Die anderen sind ja gar nicht besser als man selbst, die machen ja auch Fehler. Die sind ja auch nur Menschen …

Wenn wir glücklich sind, oder frisch verliebt, wenn wir einen großen Erfolg feiern oder die Geburt des Enkelkindes - dann interessiert es uns überhaupt nicht, was Heidi Klum oder Horst Seehofer, getan haben oder nicht. Dann ist uns das herzlich egal. Aber im grauen Alltag können wir nicht genug davon bekommen und machen fleißig mit.

"Du kannst dich nicht entschuldigen, Mensch, wer du auch bist."

Wir brauchen das Gerede, das Getratsche, das Vergleichen und Kritisieren, um uns besser zu fühlen. Wenn alle anderen Schweinehunde sind, dann ist es nicht so schlimm, wenn ich auch einer bin.

Wir suchen nach den Fehlern der anderen, um zu ertragen, dass wir Menschen sind mit Fehlern und Schwächen; wir zerren die Intimitäten anderer ans Tageslicht, damit niemand auf die Idee kommt, dass es auch in unserem Leben verpasste Gelegenheiten und verschwiegene Geheimnisse gibt.

Wir brauchen das Vergleichen und Kritisieren darum vielleicht, weil wir so schnell vergessen, wie glücklich wir waren. Und weil wir uns so schämen für das, was wir getan haben.

Wir brauchen das Vergleichen und Kritisieren … - dabei brauchen wir gar nicht zu vergleichen und zu kritisieren. Wir brauchen das nicht, weil wir Mensch sein dürfen.
Und Menschen machen nun einmal Fehler. Was zählt, ist nicht das, was wir getan haben. Was zählt ist, was wir jetzt tun. "Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun."

Gott interessiert sich nicht dafür, was wir einmal getan haben. Gott sucht nicht die Flecken und Fehler, zählt die Haare auf dem Kopf, nicht die in der Suppe. Gott interessiert sich dafür, was wir jetzt tun - und was wir tun werden. Ob wir den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut verachten, indem wir den Fehlern anderer hinterher hecheln und unsere eigenen Wunden offen halten.

Oder ob wir sie annehmen als ein Geschenk, das uns gilt, das alle Fehler auslöscht wie ein Tintenkiller und uns als unbeschriebene, weiße Blätter dastehen lässt. Und ob wir den anderen das auch zugestehen: Heute ein anderer werden zu können, nicht festgelegt zu sein auf das, was vorgestern war.

Denn Gottes Güte, Geduld und Langmut gilt für sie genauso wie für mich. Amen



Verfasser: Pfarrer Güntzel Schmidt
Ernst-Haeckel-Platz 6,99192 Nesse-Apfelstädt

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