Beten schafft Lebendigkeit
von Rudolf Stein (Paulusgemeinde Wiesbaden)
Predigtdatum
:
10.05.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Kantate
Textstelle
:
Johannes 16,23b-28.(29-32).33
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Predigt
von Prädikant Rudolf Stein, Wiesbaden
Datum: 10.05.2015
Lesereihe: I
Feiertag: Rogate
Textstelle: Johannes 16,23b-28.(29-32).33
Leitbild: Beten schafft Lebendigkeit
Wochenspruch: "Gelobt sei der Herr, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet." (Psalm 66, 20)
Psalm: EG 739 / Ps 98 Singet dem Herrn, rühmet und lobet
Lesungen
Altes Testament: 2. Mose 32, 7 - 14
Epistel: 1. Timotheus 2, 1 - 6 a
Evangelium: Johannes 16, 23 b - 28 (29 - 32) 33
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 165, 1+6-8 Gott ist gegenwärtig
Wochenlied: EG 133, 1+5-7 Zieh ein zu deinen Toren
oder EG 625, 1-3 oder Wir strecken uns nach dir
Predigtlied: 328, 1-2+5-6 Dir, dir, o Höchster, will ich singen
Schlusslied: 369, 1-3+7 Wer nur den lieben Gott lässt walten
Liebe Gemeinde,
Heute, am 5. So n.Ostern, leben wir noch in der Osterzeit. Zu Ostern geht es auch um das Thema Weggehen und Wiederkommen, es geht um Abschied und um das, was denen bleibt, die zurückgelassen werden. Ostern hat uns die gewaltige Botschaft gebracht: Christus, der Herr ist auferstanden. Noch am Karfreitag sah die die Welt ganz schwarz aus. Jesus ist tot. Die Jünger waren verwirrt, ja verzweifelt und sie hatten Angst nun auch verfolgt und getötet zu werden. Dann kam Ostern, Jesus Christus war auferweckt, er hatte den Tod besiegt und er erschien wieder.
Aber er war anders, ganz verändert. Maria von Magdala, Jesu Vertraute, hielt ihn für den Gärtner. Zwei Jünger führten auf dem Weg nach Emmaus ein angeregtes Gespräch mit dem Auferstandenen, doch sie erkannten ihn nicht. Menschen, die drei Jahre mit Jesus durch Palästina gezogen waren, erkannten ihn nicht! Es mußte erst etwas geschehen, was heller leuchtet, als Augen sehen, und was klarer tönt, als Ohren hören können. Es mußte etwas ins Herz fallen. Bei Maria von Magdala war es der Ruf ihres Namens, der das Feuer der Liebe neu entfachte. Bei den Jüngern war es das Brotbrechen im Abendmahl, das die Wärme der Gemeinschaft, die Liebe zwischen Christus und seinen Freunden neu ins Leben rief.
Der auferstandene Christus war ein anderer geworden und doch war er derselbe geblieben. Er war zunächst nicht wiederzuerkennen und doch wies er sich aus. Er war den Seinen zugetan wie zuvor, mehr noch: Er zog ein in ihre Herzen, wo die Augen ihn nicht sahen und die Ohren ihn nicht hörten und doch wußten die Seinen ihn bei sich, denn sie hörten seine Worte und sahen ihn wie leibhaftig bei sich. Im Herzen schenkte er ihnen aufs Neue Wärme und Kraft und Zuversicht.
Bevor all diese geheimnisvollen Ereignisse geschehen, bereitet Jesus seine Jünger vor auf seinen Abschied. Ein Abschied, der kein Ende im Tod, sondern ein Gang durch den Tod ist; der ein Verlassen dieser irdischen Welt bedeutet und in eine neue Welt, in das Reich Gottes führt. Von dort aber wirkt er weiter hinein in unsere irdische Welt.
Das freilich verstehen seine Jünger noch nicht, obwohl Jesus sie vorbereitet hatte. Drei Jahre war Jesus für sie der Meister, der Herr. Er war der Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft und er bestimmte ihr Leben. Jetzt kündigt er seinen Abschied an, die einzigartigen Jahre, die Wunder, die Heilungen, die begeisternden Predigten, das alles soll vorbei sein? Nein, das kann nicht sein! Mit einem Schlag packt sie die Angst. Wer wird sie führen? Wen können sie fragen, was zu tun ist? Wie sich die Gegner vom Leib halten? Wie sollen sie leben ohne ihn? Hören Sie, was Jesus ihnen da verkündet. Das Predigtwort steht im Joh-Ev., Kap. 16:
Joh 16,23b—28(29-32)33: Trauer und Hoffnung bei Jesu Abschied (Titel gilt ab V16)
23 ... Jesus Christus spricht: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.
24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen empfangen, daß eure Freude vollkommen sei.
25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, daß ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündige von meinem Vater.
26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten will;
27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr euch zu mir, in Liebe, bekannt habt und glaubt, daß ich von Gott ausgegangen bin.
28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
29 Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern.
30 Nun wissen wir, daß du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, daß dich jemand fragt. Darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist.
31 Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?
32 Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, daß ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein laßt. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.
33 Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt findet. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost aber faßt Mut, ich habe die Welt überwunden.
»In der Welt habt ihr Angst« behauptet Jesus. Nein, ich habe keine Angst, wird jetzt mancher denken. Ich, unsere Gesellschaft, wir haben alles im Griff; wir sorgen vor gegen Krankheit, gegen Armut im Alter, gegen Arbeitslosigkeit, gegen jedes Risiko im Leben haben wir eine Versicherung, sogar gegen das Sterben (Lebensversicherung). Unsere Regierenden garantieren unsere Sicherheit. Wo sich das kleinste Risiko zeigt, spannen sie sofort ein neues allumfassendes Sicherheitsnetz scheinbar.
Ein Beispiel: Das Risiko bei einem Terroranschlag zu Schaden zu kommen ist ungefähr so winzig klein, wie vom Blitz getroffen zu werden und vieltausendfach kleiner als im Verkehr zu sterben. Und doch beschwören die Regierenden ständig die schlimmsten Terrorgefahren bei uns herauf, als würde gleich morgen gerade bei uns vor der Haustür das Blut in Strömen fließen. Ja, die Regierenden verkünden stolz, dass sie uns bewahren vor allen Gefahren, ob echten oder nur behaupteten. Sie wollen uns die eigene Verantwortung für unser nehmen abnehmen – manchmal denke sich, sie wollen sie uns wegnehmen, damit wir Zeit und Geld nicht in die Gestaltung unseres Lebens, sondern den verlockenden Angeboten der Konsum- und der Unterhaltungsindustrie widmen, die ständig neue Angebote und Attraktionen anpreisen.
– Aber: Hat das nicht einen gegenteiligen Effekt? Warum wird dauernd über Terror, Schwäche des Euro, Überalterung der Gesellschaft, Krise der Renten, Arbeitsplatzabbau usw geredet, wenn alles unter Kontrolle ist? Dieses ständige Reden über Gefahren, das schürt doch die Angst geradezu. Das nährt den Zweifel, ob wir wirklich so sicher leben wie diese Leute behaupten. Also wird doch in Wahrheit die Angst gepredigt in der Politik; manche sprechen sogar von einer Empörungsindustrie.
Ich denke, wir alle wissen, dass wir auf Sicherheit in den Straßen, auf Sicherheit bei Geschäften und auf gesicherte Einkommen angewiesen sind. Aber das Eigentliche, das was wirklich Ruhe zum Leben schafft, das woraus wir wirklich leben, das sind Werte wie Vertrauen, wie Liebe und wie Hoffnung, das sind Trost und Zuversicht. Unser ganzes Planen und Tun ruht auf diesen Grundsicherheiten: dem Vertrauen in unsere Lebenskraft, der Liebe zu unseren Mitmenschen und der Hoffnung, ja dem festen Glauben, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Diese Werte aber finden wir nicht in der Welt, sondern im Gebet: Der Herr schenkt sie uns aus seiner Gnade, weil er uns liebt. Beim Beten geht es eben nicht um Wohlstand, sondern um Heil.
Nicht in der Terrorbekämpfung, nicht in den Börsenkursen, im Alltag zeigen sich die Schwierigkeiten und Widerstände, dort spüren wir die Zweifel und Sorgen. Wir erleben Niederlagen, Enttäuschungen und auch Abschiede. Man könnte sagen: viele kleine Tode haben wir schon hinter uns. Ich denke an den Abschied von der Kindheit und von der Jugend, das Ende der ersten Liebe, der Tod der Großeltern, die Trennung von den Eltern und mancherlei anderes. Immer bleiben wir einsam oder traurig oder entmutigt zurück. Wir stecken manchmal fest in dunklen Stimmungen, sehen keine Zukunft, obwohl wir doch wissen, dass morgen ein neuer Tag kommt, der uns neue Erlebnisse bringt, der uns eigenes Tun aufs Neue ermöglicht.
Abschiede bleiben uns nicht erspart, das verbindet uns mit den Jüngern Jesu. Mit dem Weggang von Jesus bricht ihr Lebensgrund weg. Jesus sieht das voraus und zeigt den Weg aus dieser existenziellen Krise. » Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.« (V23) Jesus, der Herr, er muß nicht leibhaftig neben uns stehen und uns auf die Schulter klopfen. Wir dürfen den Vater direkt ansprechen im Gebet und ihm unsere Bitte vortragen im Namen von Jesus Christus. Dann wird er uns erhören, weil der Vater uns liebt. Natürlich, wir müssen im Namen Jesu bitte, ohne Jesus geht es nicht.
Hier gilt es, manches Mißverständnis auszuräumen. Der Herr wird unsere Wünsche nicht so erfüllen, wie ein Lottogewinn als Geldregen auf uns niederkommen würde. [Regen und Segen kommen auch beide von oben, aber sie sind doch sehr verschieden.] Der Herr wird uns Lebensmut, Lebensenergie und Lebensfreude schenken, alles was das Grundvertrauen in das Leben aufrichtet und stärkt. Beten heißt, bitten um alles, was das Leben lebendig macht. Dazu gehören durchaus auch die Sorgen und Zweifel, die Lebenskrisen und manche Schmerzen, die unser Leben zeitweise bestimmen. All dem sollen wir nicht ausweichen, sondern wir sollen es geduldig ertragen. [Paulus geht sogar noch weiter, wenn er sagt: »Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.« (Gal 6,2)]
Wenn wir solche schweren Situationen im Rückblick nochmal bedenken, dann sehen sie ganz verwandelt aus. Denn wir gehen anders aus solchen Sitationen heraus, als wie wir in sie hineingeraten sind. Dann können wir meist erkennen, daß wir auf einem guten, einem richtigen Weg geführt wurden. Wir können – wenn wir ehrlich zu uns sind – Gründe erkennen, warum der schwere Weg richtig, ja notwendig war, auch wenn wir dazumal einen anderen gehen wollten. Vielleicht waren wir nicht reif genug, haben uns überschätzt, lebten in einer Illusion, handelten zu egoistisch, hätten anderen allzusehr geschadet. Wir können einsehen, dass wir die Lehre des Lebens brauchten für unsere Entwicklung.
Und wir können erkennen, daß Neues aus der Krise, aus dem Schmerz geboren werden kann. Ein Beispiel gibt uns Jesus selbst. » Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist.« (Joh 16,21)
Jesus verspricht sogar mehr als die einfache Erfüllung unserer Gebete. » Bittet und ihr werdet empfangen, sodaß eure Freude vollkommen sei.« (V24) Beten schafft Freude!
Diese Freude erwächst nicht daraus, dass der Grund für unsere Bedrängnis schlagartig beseitigt wird. Indem wir beten, indem wir unser Denken und Fühlen ganz auf Jesus Christus richten, geben wir ihm Raum in unserer Seele, wo er aufleben kann in uns. Und das erfüllt uns mit Lebensfreude.
Die Freude entsteht ganz konkret, weil wir angehört, weil wir erhört werden. Im Gebet, im intensiven Gebet spüren wir, wie die Einsamkeit schwindet, wie unser Herz erwärmt wird, wie neue Lebendigkeit einzieht, wie uns Kraft zuwächst und das Vertrauen, dass wir von da an tragen können, was zuvor unerträglich schien.
Freilich, die Worte können nur hinweisen auf das Geschehen im Gebet. Nur im Erleben selbst, nur wer selbst betet, wer mit Herzenshingabe betet, immer wieder, kann die Freude, die Wahrheit im Gebet erfahren, denn das ist die Liebe Gottes selbst, die höher ist als alle Vernunft.
Im letzten Satz des Predigtworts schließlich zeigt Jesus, wie gut er uns versteht: » Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber faßt Mut, ich habe die Welt überwunden.« (V33) Mit anderen Worten: Zwar werdet ihr hart geprüft in der Welt, manchmal im Feuer geläutert. Doch glaubt an mich, denn mein Sieg über die Welt bereitet euch den Weg in mein Reich. Und »ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.« (Mt 28,20) Amen
Vater im Himmel,
wir danken Dir, dass Du uns in Jesus nahe gekommen bist.
Wir danken Dir, dass wir durch Jesus zu dir reden können und bei dir Gehör finden.
Wir danken Dir, dass wir durch Jesu Tod und seine Auferstehung ganz nah mit dir verbunden sind.
Wir bitten dich, schenke uns immer wieder die Freude daran,
dass du in uns lebst und wir deinen Frieden haben.
In Jesu Namen. Amen.
Verfasser: Prädikant Rudolf Stein, Berliner Str. 197, 65205 Wiesbaden