Wochenspruch:
"Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte die nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!" (Jesaja 43, 1)
Psalm: 139, 1 - 16. 23 - 24
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 43, 1 - 7
Epistel: Römer 6, 3 - 8 (9 - 11)
Evangelium: Matthäus 28, 16 - 20
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 156 Komm, Heiliger Geist
Wochenlied: EG 443, 1 - 3 Aus meines Herzens Grunde
Predigtlied: EG 331, 1 - 3 Großer Gott, wir loben dich
Schlusslied: EG 443, 5 - 6 Aus meines Herzens Grunde
Aus der Werkstatt des Predigtschreibers:
Das Thema des 6. Sonntag nach Trinitatis ist die Taufe. Bittruf und Lobpreis, Tagesgebet und Fürbitten nehmen darauf Bezug. Taufe ist Eingliederung in den Leib Christi, die christliche Gemeinde. Der Predigttext handelt von einer Aufnahme eines Nichtjuden in die Gemeinde des Gottes Israels; und sie geschieht ohne Übertritt zum Judentum allein durch die Taufe.
In Teil (1) knüpfe ich an verklärende und verklärte Israel- und Jerusalembilder an, von denen ich vermute, dass nicht wenige Gemeindeglieder sie in ihren Herzen tragen –, vielleicht weil sie schon einmal im „Heiligen Land“ waren oder es ihnen als Projektionsort ihrer Sehnsüchte gilt. In der Liturgie klingt dies bereits im Eingangspsalm (Ps 122) an.
Teil (2) erschüttert diese Verklärung: Mit „Gaza“ verbinden wir gegenwärtig ganz andere Bilder. Und der Kämmerer wird durch Bibeltext, den er liest, mit einer anderen Realität konfrontiert.
Teil (3) versucht, beide Welten zusammenzubringen. Dazu habe ich aus vielen anderen biblischen Texten eine, wenn man so will, Missionspredigt des Philippus zusammengestellt. Wer Zeit und Lust hat, mag seine bzw. ihre Bibel daraufhin einmal durchblättern.
Hermeneutisch habe ich mich dabei leiten lassen von Frank Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Eine neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011. Crüsemann vertritt darin die ungemein spannende These, dass alles(!), was im Neuen Testament gesagt wird, Auslegung der „Schrift“ ist, die den neutestamentlichen Autoren vorliegt: nämlich der Hebräischen Bibel, unseres Alten Testaments. Der Predigttext selbst belegt diese These dadurch, dass Philippus das Christusgeschehen als Auslegung von Jes 53 beschreibt.
Liebe Gemeinde,
(1)
da hat einer das getan, was wir gerade miteinander gesungen haben: „Großer Gott, wir loben dich. / Herr, wir preisen deine Güte.“ Und dazu war er den ganzen weiten Weg von Äthiopien bis nach Jerusalem gekommen. Schwer abzuschätzen, wie lang er unterwegs gewesen sein mag. Aber dass eine solch weite Reise über mehrere tausend Kilometer – und sei es auch mit dem Wagen eines mächtigen nubischen Hofbeamten – in der Antike höchst beschwerlich, gefährlich und alles andere als eine Vergnügungsfahrt gewesen war, das steht außer Frage. Den Kämmerer hat das nicht abgehalten, nach Jerusalem und zum Tempel zu reisen, dem Ort, an dem Gott einzig auf voll gültige Weise verehrt und angebetet sein wollte.
Immer wieder berichtet die Bibel von Menschen, die sich aus fernen Ländern nach Jerusalem aufgemacht haben, weil sie von der Stadt, vom Tempel, dem König oder auch vom Gott Israels gehört hatten.
An der Spitze dieses Pilgerstroms steht der biblischen Überlieferung zufolge die sagenumwobene Königin aus Saba. Sie hatte von König Salomo gehört, der den ersten Tempel bauen ließ, und von seiner großen Weisheit. Und sie kommt, um sich selbst ein Bild davon zu machen. Und als sie Jerusalem wieder verlässt, ist sie tief beeindruckt: „Ich hab’s nicht glauben wollen, bis ich gekommen bin und es mit eigenen Augen gesehen habe. Gelobt sei er Herr, dein Gott, der an dir Wohlgefallen hat, so dass er dich auf den Thron Israels gesetzt hat“ (1.Kön 10,7.9).
Oder denken Sie an die Heiligen Drei Könige. Auch sie haben sich aus einem fernen Land aufgemacht nach Jerusalem: „Wo ist nun der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten“ (Mt 2,2).
Bis heute, bis zu den ungezählten Gemeindefahrten nach Israel, ist dieser Pilgerstrom nicht abgerissen. Unterbrochen oftmals durch Zeiten des Krieges und der Unterdrückung, ja, und doch immer wieder neu anschwellend.
„Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll“, heißt es im 122. Psalm. Und wer einmal da war, wer einmal in Jerusalem war, wer einmal das goldene Licht dieser Stadt geschaut hat, den verlässt dieser Eindruck ein ganzes Leben lang nicht mehr. „Lasst euch Jerusalem im Herzen sein“ (Jer 51, 50), ruft der Prophet Jeremia den aus Jerusalem Vertrieben hinterher.
Und so, erfüllt von Eindrücken aus der Heiligen Stadt, stelle ich mir den Kämmerer auf der Rückreise vor. Und, wer weiß, vielleicht mag er leise noch den Tempelgesang der Priester und Leviten nachgesummt haben: „Heilig, Herr Gott Zebaoth! / Heilig, Herr der Himmelsheere! / Starker Helfer in der Not! / Himmel, Erde, Luft und Meere / sind erfüllt von deinem Ruhm; / alles ist dein Eigentum.“
(2)
Doch irgendetwas stimmt hier nicht. Irgendetwas stört das Bild von der heilen Welt des Tempels und der Heiligen Stadt. Der Predigttext selbst ruft diese Störung hervor: Es ist die Straße, auf der der Kämmerer unterwegs ist. Die Straße von Jerusalem nach Gaza. „Gaza“ – wie anders klingt der Name dieser Stadt uns heute in den Ohren! „Gazastreifen“. „Flüchtlingslager“. „Hamas“. Weit über eine Million Menschen eingemauert, eingesperrt auf engstem Raum. Der am dichtesten besiedelte Flecken unserer ganzen Erde.
Gaza war immer schon anders. Ganz zu Beginn der Geschichte Israels gehörte die Stadt zu den fünf Philisterstädten im Süden Judas, die König David nicht erobern konnte. Und zur der Zeit, in der unsere Geschichte spielt, war Gaza kein Teil der judäischen Provinz, sondern eine neugegründete römische Kolonie. Und irgendwo zwischen der Gottesstadt Jerusalem und der römischen Kolonie Gaza ist der Kämmerer unterwegs. Und die Straße ist öde.
Der Kämmerer wollte etwas mitnehmen aus Jerusalem. Doch als Souvenir, als nettes Andenken an die Reise, eignet sich die Schriftrolle nicht. Er liest Worte des Propheten Jesaja und ist verstört. Da ist nicht vom Tempel die Rede. Auch nicht von den feierlichen Gottesdiensten und den großartigen Lobgesängen der Tempelsänger. Sondern vom Elend eines Menschen muss er lesen, der unschuldig wie ein Lamm, hingerichtet wird: „Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.“
Der Kämmerer ist verwirrt. „Wie soll ich das verstehen, wenn mich keiner anleitet?“, fragt er verärgert einen jüdischen Mann, der sich seiner Karawane angeschlossen hatte und nun schon eine Weile neben seinem Reisewagen her geht.
(3)
Ja, wie passt das zusammen: Gaza und Jerusalem? Wie passt das zusammen, der herrliche Lobgesang auf den Schöpfer des Himmels und der Erde einerseits und das Elend eines unschuldig hingerichteten Menschen anderseits?
Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort des Propheten Jesaja an und predigte dem Kämmerer das Evangelium von Jesus.
Ich muss gestehen, liebe Gemeinde, ich wäre gerne dabei gewesen und hätte Philippus gerne zugehört bei dem, was er dem Kämmerer erzählt hat. Das, was Philippus dem Kämmerer erzählt hat, muss von so grundlegender Bedeutung gewesen sein, dass der Kämmerer – als sie an einer Wasserstelle vorbeikommen – den Wagen anhalten lässt und sich taufen lässt. Was hat den mächtigen nubischen Hofbeamten dazu bewogen, dass er sich hat taufen lassen?
Vielleicht ist es das, was Philippus dem Kämmerer gesagt hat:
„Du, Kämmerer aus Äthiopien, hast den ganzen weiten beschwerlichen und gefährlichen Weg auf dich genommen, um den Gott Israels im Tempel zu Jerusalem anzubeten. Dafür gebührt dir Dank und Hochachtung. Denn unser Gott hat den Himmel und die Erde gemacht und alles, was darinnen ist. Er thront über den Lobgesängen Israels, und die Erde ist des Herrn.
Er hat sein Volk errettet aus der Macht des Pharao und uns bewahrt auf den ungewissen Pfaden durch die Wüste. Er hat uns geheiligt durch seine Gebote und uns in das Land geführt, dass er unseren Väter verheißen hat, uns zu geben. Doch wir taten, was dem Herrn missfiel, und dienten anderen Göttern. Da gab er uns in die Hände von Räubern und verkaufte uns unter unsere Feinde. Wir aber schrien zum Herrn, und er errettete uns von allen unseren Feinden und brachte uns zurück in das Land, dass wir Frieden hätten, ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinen Feigenbaum.
Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, denn er hat uns besucht und erlöst sein Volk und unter uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David. Unser Gott ist Mensch geworden in seinem Sohn Jesus Christus. Er nahm Knechtsgestalt an und hat unser Leben geteilt bis in alle Nöte und Abgründe. Jesus wurde verfolgt und gefangenen genommen.
Er tat seinen Mund nicht auf und wurde hingerichtet am Kreuz.
In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Gott hat ihn von den Toten auferweckt und ihn eingesetzt in Herrlichkeit. Unser Gott ist ein Gott, der sich mit den Fröhlichen freut, und ist ein Gott, der mit dem Elenden leidet. Ein Gott, der bei uns ist in Jerusalem ebenso wie in Gaza, bis ans Ende der Welt.“
(4)
Natürlich weiß ich nicht, was Philippus dem Kämmerer gesagt hat. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es wohl so etwas Ähnliches gewesen sein muss.
Der Kämmerer, der Gott im Tempel in Jerusalem angebetet hat, der findet ihn wieder im Staub der Straße nach Gaza. Unser Gott ist nicht nur ein Gott für Festtage und Feiertage, sondern ist ein Gott, der bei uns ist auch auf den staubigen Straßen und Wegen unseres alltäglichen Lebens. „Wer dem sich anvertrauet, / der hat das beste Teil, / das höchste Gut erlesen, / den schönsten Schatz geliebt; / sein Herz und ganzes Wesen / bleibt ewig unbetrübt.“
Und der Kämmerer ließ sich taufen und zog fröhlich seine Straße. Amen.
Lasst uns beten:
Gott, unser Vater,
du hast uns in der Taufe
zu Kindern des Lichtes gemacht.
Lass nicht zu,
dass die Finsternis des Irrtums über uns Macht gewinnt,
sondern hilf uns, im Licht deiner Wahrheit zu bleiben.
Darum bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn,
der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und Leben schenkt in Ewigkeit.
Verfasser: Pfarrer Reinhard Brand
Wilhelmshöher Allee 330, 34131 Kassel
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