Wochenspruch: So spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (Jesaja 43,1)
Psalm: 139,1-12
Reihe I: 1. Petrus 2,2-10
Reihe II: 5. Mose 7,6-12
Reihe III: Matthäus 28,16-20
Reihe IV: Römer 6,3-8(9-11)
Reihe V: Jesaja 43,1-7
Reihe VI: Apostelgeschichte 8,26-39
Eingangslied: EG 290 Nun danket Gott, erhebt und preiset die Gnaden
Wochenlied: EG 200 Ich bin getauft auf deinen Namen
Predigtlied: EG 293 Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all
Schlusslied: EG 432 Gott gab uns Atem, damit wir leben
6 [Denn] du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.
7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -,
8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.
9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,
10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.
11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.
12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.
Im Deuteronomium (5. Mose) hält Mose noch vor dem Einzug in das Land Kanaan mehrere Reden. Unser Predigttext ist Teil der zweiten Moserede (Dtn 5, 1 - 11, 32); der unmittelbare Kontext ist eine Warnung vor Gemeinschaft mit den Bewohnern des Landes. Konkret wird in den unmittelbar vorangehenden Versen von der Ausrottung von sieben Völkern gesprochen. Ich nehme die Perikopenabgrenzung in diesem Fall zum Anlass, über den Umgang mit den Vorbewohnern des Landes in der Predigt nicht zu sprechen. Das mag man in gewisser Weise als unehrlich empfinden. Allerdings lässt sich das Thema „Gewalt in der Bibel“ (besser nicht: „Gewalt im Alten Testament“ - denn Gewalt gibt es auch im NT) nicht am Rande behandeln. Wenn man auf dieses Thema aber eingehen will, halte ich folgendes für wichtig: Wir haben es in Texten zum „Bann“ an den Vorbewohnern mit einem „Verbalradikalismus“ zu tun, der nicht historische Realität war. Zum politischen Programm wurden Landnahmetexte später schon, allerdings doch eher in der Christenheit (so z. B. zur Begründung der spanischen Eroberung der „neuen Welt“).
Ein theologischer Ausgangspunkt der folgenden Predigt ist die Überzeugung, dass für das christliche Bekennen das Zeugnis von der bleibenden Erwählung Israels (des jüdischen Volkes) wichtig ist. Im Nachdenken über den Begriff der „Erwählung“ lässt sich auch ein Licht auf das Thema „Taufe“ werfen, das für den 6. Sonntag nach Trinitatis grundlegend ist.
Die Predigt enthält zu Beginn und am Ende einen Bezug zu meiner Wahlheimat Hessen, der sich bei Bedarf sicher regional anpassen lässt.
Hilfreich war für mich die Predigtmeditation von Klara Butting: 6. Sonntag nach Trinitatis: Dtn 7, 6 - 12. Erwählung versus Populismus, in: Studium in Israel e. V. (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe 2, Berlin 2019, 294 - 298.
Liebe Gemeinde!
Sind Sie eigentlich zu 100% ein Hesse oder eine Hessin? Und woran macht man das überhaupt fest? Geht es darum, dass man zum Frühstück schon „Handkäs mit Musik“ isst? Oder geht es doch eher um die Herkunft: Man ist hier geboren, vielleicht stammen auch die Generationen davor schon hier aus der Umgebung?
Im Internet finden sich in letzter Zeit jede Menge Videos zum Thema Gentests. Es geht darum, durch eine Untersuchung der DNA mehr über die eigene Herkunft zu erfahren. Dazu muss man nur eine Probe an einen kommerziellen Anbieter einschicken und bald darauf erfährt man das Ergebnis. In Prozentzahlen wird dort das Erbgut bestimmten Weltgegen-den zugeordnet. In den Videos ist dann zum Beispiel eine blonde Finnin zu sehen, die den Briefumschlag des Labors aufmacht und verwundert liest: Ich bin zu 15,7 Prozent italienisch und zu 12,3 Prozent vom Balkan. Oder ein junger Engländer ruft etwas geschockt: Ach du Schreck, ich bin zu 38 % deutsch!
Von Biologen und Genetikern werden solche Gentests übrigens kritisiert. Denn die Prozentzahlen gaukeln etwas vor. So exakt kann man das gar nicht zuordnen. Und außerdem: Diese Gentests schauen nur auf den ganz kleinen Teil des Erbmaterials, in dem es überhaupt regionale Unterschiede gibt. 99,9 Prozent des Erbguts aber sind sowieso bei jedem Menschen gleich.
Ein Wissenschaftler hat diese Tests auch mit Horoskopen verglichen: Unwissenschaftlich, aber doch irgendwie immer zu-treffend. Denn man findet sich darin auf jeden Fall wieder, nach dem Motto: Ich bin zu 15 Prozent Italiener? Ach, deshalb esse ich so gerne Pizza.
Wie auch immer, die Botschaft bleibt irgendwie gleich, bei den Gen-Testern genauso wie bei den kritischen Wissen-schaftlern: Wir alle haben viel gemeinsam. Wir alle sind mit-einander verwandt. Eine reine Rasse oder einen Vorrang gar eines Volkes, für so etwas gibt es aus Sicht der heutigen Wissenschaft einfach keine Grundlage.
Liebe Gemeinde,
ein Blick in die Welt zeigt natürlich, dass es da offenbar gerade in diesem Sinne nicht sehr wissenschaftlich zugeht.
Überall werden jetzt wieder Unterschiede betont. Überall wird auf das angeblich Eigene gepocht, auf die eigene Stärke, Macht, Hochkultur. Das Vaterland soll zurückerobert werden. Oder eben auch, in Übersee: Amerika zuerst.
Da scheinen dann plötzlich wieder einige Menschen besser als andere zu sein.
Aber ist nicht die Religion sogar an solchen Entwicklungen beteiligt?
Auch die Christenheit hat sich ja immer wieder erwählt genug gefühlt, um sich über andere zu erheben, auch gewaltsam zu erheben. Denken wir nur an Kreuzzüge und Inquisition. Und auch heute stehen in vielen Ländern wieder christliche Theologen an der Seite von populistischen Politikern. Hat solches nicht eine Ursache auch in der Sprache der Bibel?
„Du bist ein heiliges Volk dem Herrn… dich hat Gott erwählt“ (V. 6).
So heißt es hier.
In der Bibel ist das Volk Israel etwas ganz besonderes. Ist er-wählt. Übrigens im Neuen Testament genauso wie im Alten Testament. Ist solche Sprache in der Bibel nicht mit Schuld daran, dass sich immer wieder Menschen über andere erheben?
Der Begriff der Erwählung ist offenbar schwierig. Wie soll man denn davon reden, dass eine Gruppe von Menschen „erwählt“ ist, ohne die anderen Menschen herabzusetzen?
Vielleicht sollten wir uns die Sache mit der Erwählung noch einmal genauer anschauen. Was ist denn damit in der Bibel gemeint, wenn es heißt: da ist jemand „erwählt“.
Bedeutet das: Gott ist auf der Seite der Macht?
Bedeutet das: Man wird von Gott rundum versorgt und kann sorglos durchs Leben gehen?
Bedeutet das: Für andere bleibt nichts übrig?
Ich glaube, Erwählung muss man aus der Bibel heraus ganz anders verstehen. Drei Punkte sind mir wichtig:
1. Wenn Gott erwählt, dann stellt er sich damit auf die Seite der Geringen
„Nicht hat euch der Herr erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern.“
Gott stellt sich auf die Seite der Geringen, der Bedrohten.
Ich stelle mir das so vor wie bei einem Schüler, der in einer Klasse sehr an den Rand gedrängt ist. Vielleicht ist er auch manches Mal ein sogenannter schwieriger Schüler. Und trotzdem wählt die Lehrerin ihn aus, für eine besondere Aufgabe, zum Beispiel beim Klassenfest. Gerade dadurch will sie ihn wieder integrieren und ihm zeigen, dass er genauso wie die anderen anerkannt ist.
Gott ist bei denen, die am Rande stehen. Auf die Seite Jakobs stellt er sich, der von seinem Bruder Esau verfolgt wird. Auf die Seite Josefs, der von seinen Brüdern verraten und verkauft wird. Auf die Seite des Volkes Israel, das der Sklaverei entronnen ist.
Um militärische Macht geht es hier nie, auch nicht um irgend-eine biologische Eigenart der Erwählten. Denn biologisch sind wir alle verwandt. Das sagen uns nicht nur die Gentests. Sondern das sagt uns auch die Bibel. Die Schöpfungs-geschichte erzählt die Menschheitsgeschichte als Familiengeschichte: Mit Adam und Eva beginnt alles, über Kain und Abel, Noah und seine Familie usw. geht es weiter. Alle Menschen sind miteinander verschwistert und verschwägert. Da stimmen Bibel und Gentests miteinander überein.
2. Wenn Gott erwählt, dann geht es um eine Aufgabe
Wenn es in der Bibel um Erwählung geht, dann wird man sicher nicht zu einem Leben in Saus und Braus erwählt. Ganz und gar nicht. Es geht hier wirklich nicht darum, sich über andere zu erheben. Sondern es geht darum, eine Aufgabe zu erfüllen.
Ich stelle mir das so vor wie eine Wahl im demokratischen Staat: Da wählen wir eine Frau oder einen Mann in ein Amt, damit er politische Arbeit und Führung übernimmt – nicht aber, damit er oder sie sich wie Kaiser oder Kaiserin aufführt. Dann werden die Wähler schnell böse.
Eine Aufgabe zu erfüllen: Dafür werden die Propheten des Alten Testaments erwählt. Dazu wird auch das Volk Israel erwählt, um inmitten dieser Welt nicht mehr nach dem Recht des Stärkeren zu leben, sondern nach dem Recht Gottes, nach der Tora, dem Gesetz, den fünf Büchern Mose.
Und was steht da, in diesem Gesetz? Die Zehn Gebote zum Beispiel. Oder auch dies hier: „Es soll ein Recht unter euch sein, der Fremde soll wie der Einheimische gelten; denn ich bin der Herr euer Gott“ (3. Mose 23, 22).
Gottes Wille soll gelten, nicht der Wille eines Volkes. Das ist nun wirklich das Gegenteil von jedem politischen Populismus.
3. Wenn Gott erwählt, dann geht es um Liebe
Der Herr hat euch erwählt, weil er euch geliebt hat. So steht es im Predigttext. Wenn ich jemanden liebe, dann erwähle ich ihn, dann hänge ich an ihm. Gott hängt sich an das jüdische Volk, geht mit ihm, bleibt bei ihm, unverbrüchlich. Durch Gutes und Schlimmes hindurch.
So wird es auch hier gemeint sein: Das jüdische Volk ist erwählt, so sagt es die Bibel. Es ist geliebt von Gott. Daran halte auch ich fest, das glaube ich. Denn wenn diese klare Botschaft der Bibel nicht mehr gelten sollte – wie sollte ich dann noch daran glauben, dass Gott uns dreißig- bis hundertfünfzigprozentige Hessen hier in unserer Gemeinde liebt und mit uns durch Gutes und Böses geht? Das Verhalten von uns Christinnen und Christen lässt da doch manchmal wenig hoffen. Verlassen will ich mich lieber auf Gottes Treue zu seinen Verheißungen.
Liebe Gemeinde, an diesem Sonntag im Kirchenjahr geht es um die Taufe. Einige andere Bibeltexte des Sonntags und auch viele Gemeindelieder heute sprechen davon.
Die drei Merkmale der Erwählung, die können wir auch in der Taufe wiedererkennen:
Gott ist an der Seite der Geringen. Er nimmt Partei für die schutzbedürftigen Kinder. „Lasset die Kindlein zu mir kom-men, und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes“ – so hat Jesus es gesagt.
Gott gibt eine Aufgabe. Er mutet den Kindern den Lebensweg zu, den wir für sie erst noch erahnen und mit unserer Fürsorge als Eltern und Paten auch erst noch freimachen müs-sen: Dass die Kinder nämlich zu selbständigen, mutigen, freien Menschen heranwachsen, liebevoll und hoffentlich geleitet von Gottes Wort und seinen Geboten. Denn dazu hat Jesus seine Jünger auch aufgerufen: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt“ (Joh 15, 16).
Und: Gott liebt. Er ist treu. Wir hören es in den Bibelversen, die auch als Taufsprüche sehr beliebt sind: „Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.“ (1 Joh 4, 10) Oder: „HERR, deine Güte reicht, soweit der Himmel ist, und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.“ (Psalm 36, 6)
Auf diese Liebeserklärung Gottes kann sich jedes Taufkind verlassen und auch wir können sie heute Morgen mitnehmen: Gott nimmt mich an, unabhängig von meiner Leistung, unabhängig davon, was andere über mich sagen. Er steht zu mir, ganz sicher auch unabhängig davon, zu wieviel Prozent ich ein Hesse oder was auch immer bin.
Amen
Verfasser: Pfarrer Dr. Felipe Blanco Wißmann, Kirchstraße 65, 64354 Reinheim
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