Wochenspruch: "So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3,16)
Psalm: 22,2-9.12.16.19-20
Reihe I: Johannes 19,16-30
Reihe II: 2. Korinther 5,(14b-18)19-21
Reihe III: Jesaja 52,13-15;53,1-12
Reihe IV: Lukas 23,32-49
Reihe V: Kolosser 1,13-20
Reihe VI: Matthäus 27,33-54
Eingangslied: EG 79 Wir danken dir Herr Jesu Christ
Wochenlied: EG 85 O Haupt voll Blut und Wunden
Predigtlied: EG 98 Korn, das in die Erde
Schlusslied: EG 86 Jesu, meines Lebens Leben
13 Er hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes, 14 in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünden.
15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. 16 Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. 17 Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. 18 Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, auf dass er in allem der Erste sei. 19 Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen 20 und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
Liebe Gemeinde!
Angesichts von Kriegen, Waldbränden, Fluten und all den Verwerfungen unserer Zeit sollte es nicht schwerfallen, über Karfreitag zu predigen.
[Diese Predigt wurde im Sommer 2022 geschrieben, möglicherweise müssten aktuelle Beispiele genannt werden.]
Wir erleben sinnloses Sterben, die Vernichtung von Werten und spüren unsere Ohnmacht. Der Abgrund ist uns so nahegekommen.
Doch dieser Bibeltext macht es uns schwer. Weltfern kommt er mir vor. Was Paulus über Vorgänge berichtet, die angeblich vor aller Zeit stattfanden und was er über Throne und Mächte zu wissen glaubt, die im Unsichtbaren herrschen, hat zunächst einmal keinerlei Bezug zu meinem Leben.
Der Predigttext erinnert mich ein wenig an die Fantasy-Romane unserer Zeit. Im „Herr der Ringe“ beispielsweise, wo übersinnliche Mächte auf Leben und Tod miteinander ringen. Da können die kleinen, krummen Bewohner von Mittelerde froh sein können, wenn sie einigermaßen unbeschadet bleiben.
Solche Welten sind weit von unserer Wirklichkeit entfernt. Trotzdem faszinieren sie eine Millionenleserschaft. Vielleicht hat das seinen Grund in einer hintergründigen Bedeutungsschwere, die wir uns gar nicht so leicht erklären können.
Fantasy-Romane sind moderne Mythen, Erzählungen, die in dichterischer Form Themen ansprechen, die wir nur allzu gut kennen: Neid und Eifersucht, Angst und Mut, die Prüfungen des Erwachsenwerdens, Gut und Böse, eingefügt in eine numinose Welt voller Zaubergestalten, wo man durch Traumlandschaften reist ...
Mythisches Sprechen verleiht einen Deutungsrahmen, in den sich aktuelle Erlebnisse, unsere Leiden und Zukunftsängste, die Hoffnungen und der alltägliche Kampf sinnvoll einordnen lassen. Man ist nicht mehr Spielball des Lebens, sondern da ist eine Macht, die über allem steht, so dass am Ende alles gut ausgeht. Offensichtlich will Paulus seine Glaubensgeschwister trösten, wenn er schreibt:
„In Christus ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien … Mächte oder Gewalten, … er aber ist das Haupt.“
Gott behält also die Kontrolle. Darum seid zuversichtlich, es kommt alles wieder ins Lot. Er hat uns herausgerettet aus dem Reich der Finsternis. Er hat uns mit sich versöhnt. Wir sind seine geliebten Kinder.
Am deutlichsten werde das, so der Apostel, am Karfreitag. An dem Tag, wo uns das Kreuzesopfer unseres Herrn vergegenwärtigt wird. Da schien auch alles verloren. Und ihr wisst ja, drei Tage später war alles wieder anders.
Jesus Christus, obgleich er Gottessohn ist, hat sich uns an die Seite gestellt, vor allem im Leiden. Er hat uns nicht im Stich gelassen, er ist auch weiter für uns da. In allem war er der Erste, daher kennt er unsere Qualen aus eigenem Erleben gut. Darum steht er uns bei.
Jesus Christus hat unsere Gottesferne überwunden. Hat uns mit Gott versöhnt. Hat Frieden geschaffen zwischen Himmel und Erde.
Das Kreuz Christi kann darüber hinaus den Zwist besänftigen helfen, der im Zwischenmenschlichen überall herrscht. Hier dient die Schuld oft dazu, Verantwortung abzulenken, um andere damit zu belasten. Die anderen sind schuld, wir können nichts dafür. Aber an Karfreitag hat einer, der unschuldig war, alle Schuld auf sich genommen und hat stellvertretend für alle gebüßt. Er machte prinzipiell Schluss mit Rechthaberei und Schuldzuweisung, mit Gewalttat, mit all dem, was Menschen einander antun. „Denn es hat Gott gefallen, durch Christus alles zu versöhnen mit ihm, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.“
Das steht allen normalen sozialen Abläufen entgegen, welche die Tendenz zur Eskalation in sich tragen bis hin zum Krieg. Einer verzichtet auf sein Recht und nimmt den Druck heraus, so dass alle sich besinnen müssen. Das verschafft eine Atempause, wo man wieder anfängt, miteinander zu sprechen. Dieser große, umfassende Friedensimpuls wurde möglich durch das Opfer Christi. Die Welt kann wieder zurück finden ins rechte Gleis.
Was auf der religiösen Symbolebene gilt und beim mythischen Sprechen folgerichtig erscheint, muss aber noch lange nicht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit gelten.
Darum setzt Paulus voll auf die christliche Gemeinde und ihren Zusammenhalt. Er stellt keine weiteren Spekulationen über die himmlischen Verhältnisse an, alles entscheidet sich für ihn auf Erden. Christus existiert nämlich auf Erden als Kirche. „Er ist das Haupt“ und wir sind seine Glieder.
Das erinnert mich an ein Wort aus unserer Zeit. Dietrich Bonhoeffer schrieb einmal: „Das Entscheidende am Christentum ist nicht der Jenseitsglaube, sondern die bedingungslose Verantwortung für diese Welt.“ Kirche kann daher nur Kirche sein, wenn sie Christi Opferbereitschaft in sich trägt. „Wenn sie Kirche für andere ist.“ So wird sie auch Kirche für uns.
Die wichtigste Zeit für uns ist demnach nicht die spekulative Ewigkeit, sondern der Augenblick, in dem wir uns zu bewähren haben. So wie der wichtigste Mensch jemand ist, der uns gerade braucht, der jetzt auf uns angewiesen ist. Ob wir Christen sind, zeigt sich daran, ob wir zum Beispiel unseren Geldbeutel öffnen für die Ärmsten oder Partnerschaften pflegen mit afrikanischen Gemeinden, ob wir uns in der Diakonie vor Ort engagieren oder Organisationen wie Amnesty International unterstützen.
Deswegen sind wir im Anschluss nun selbst gefragt. Ihr seid jetzt dran, sagt Paulus wenig später im Kolosserbrief zu seiner Christengemeinde. Denkt nicht, auf Euch käme es nun nicht weiterhin an. Da Christus nämlich beim großen Friedenmachen der Erste war, dient er Euch nun in allem zum Vorbild.
[Parkplatz: Alternativ eigene Beispiele, die verdeutlichen und konkretisieren, wo unser friedfertiges und versöhnendes Handeln gefragt ist.]
So redet Paulus seinen Kolossern – und uns – ins Gewissen. Dabei ist der Karfreitag für ihn Dreh und Angelpunkt des Weltgeschehens. Im Blick darauf kann sich alles wenden.
Damit soll die Ewigkeit nicht abgemeldet sein. Manche meinen, weil wir heute in einer Welt leben, die den unsichtbaren, numinosen Hinterhof geschlossen hat, sei diese Frage erledigt. Durchaus nicht, denn Geheimnisvolles bleibt genug. Wir gehen heute nur anders damit um. Wir sind dem weisen Sokrates heute näher als die Christen damals, indem wir präziser unterscheiden, was wir wissen können und was wir glauben dürfen. Wir haben gelernt, dass auf jede Antwort der Wissenschaft sich eine neue Frage auftut und dass es da kein Ende gibt und die Welt geheimnisvoll bleibt. Das hält die Frage nach Gott, nach Leid und Erlösung auf der Tagesordnung.
Auf Gott vertrauen bedeutet heute wie zu allen Zeiten: Jederzeit kann sich die Geschichte wenden, weil wir niemals alles wissen und schon gar nicht im Voraus wissen. Zwischen Karfreitag und Ostern war es ja auch so. Auf jede Nacht folgt ein Tag und das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Wir erwarten immer noch etwas von Gott, der für uns allein das letzte Wort hat.
Nur das kann uns trösten, dass wir mit mehr Zuversicht und Mut im Herzen vielleicht auch nachher wieder nach Hause gehen.
Amen.
Verfasser: Winfried Anslinger, Homburg/Saar
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