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Das Geheimnis der Herkunft

von Gundula Guist (Usingen)

Predigtdatum : 24.12.2010
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Heiligabend (Christvesper)
Textstelle : Johannes 3,16-21
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Wochenspruch: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Johannes 1, 14 a)
Psalm: 2

Lesungen
Altes Testament: Jesaja 9, 1 – 6
Epistel: Titus 2, 11 – 14
Evangelium: Lukas 2, 1 – 14 (15 – 20)

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 36, 1 + 2 + 9 Fröhlich soll mein Herze springen
Wochenlied: EG 46,1 - 3 Stille Nacht
Predigtlied: EG 40,1 + 2 + 5 Dies ist die Nacht
Schlusslied: EG 44,1 - 3 O, du fröhliche

Einführung:
Dieser Gottesdienst ist oft der einzige Gottesdienst an Heilig Abend ohne Krippenspiel und mit „richtiger“ Predigt. Dementsprechend kommen ganz überwiegend Erwachsene in diesen Gottesdienst. Das ist die Gruppe, die angesprochen werden soll.

Ich habe mich entschlossen, den Predigttext auszuweiten, und die Rahmenhandlung des Kommens von Nikodemus zu Jesus mit hinein zu nehmen. Es fällt damit leichter, zu dem theologisch sehr anspruchsvollen Text des Johannesevangeliums, einen Zugang zu finden. Denn alles geschieht bei Nacht: das Kommen der Hirten zur Geburt Jesu Christi, die Begegnung zwischen Jesus und Nikodemus, der Gottesdienst an Heilig Abend 2010. So entsteht zum einen die Frage an alle: Was geschieht in allen drei Szenarien zwischen dem Kommen und Gehen? Und zum anderen die Frage an die Gottesdienstbesucher: Was hat sich verändert, zwischen dem Kommen und Gehen früher und dem Kommen und Gehen heute? Es ist das Ziel zu vermitteln, dass man mit dem Christusgeschehen nie am Ende ist, sondern es immer geschenkt bekommt und sich wieder anders damit auseinander setzten muss.

Das Lied: Stille Nacht, sollte auf alle Fälle vor der Predigt gesungen werden, weil Teile des Liedtextes zu Beginn zitiert werden.


Lied: Stille Nacht

ACHTUNG: Der Predigttext wird nicht am Anfang verlesen sondern im Lauf der Predigt (siehe unten)

Die Hirten auf dem Weg bei Nacht
Es war Nacht, als die Hirten im Jahre 0 sich auf den Weg machten. Sie wussten nicht, was sie erwarten würde. Sie wussten nicht, dass sie gerade den Beginn einer neuen Zeitrechnung erlebten. Sie wussten nicht, dass man sich an sie noch Jahrtausende später erinnern würde. Sie gingen. Sie gingen, weil sie dazu aufgefordert worden waren; der ein oder andere vielleicht auch nur, weil er halt mit musste. Sie gingen, weil sie das wage Gefühl hatten, vielleicht doch etwas zu finden, was ihrem Leben Sinn und ihrer Hoffnung neue Nahrung geben könnte. Sie fanden – zu ihrer Überraschung – ein Neugeborenes in einer Krippe liegend: „holder Knabe im lockigem Haar“ / „Christ, der Retter ist da.“

Es war immer noch Nacht als die Hirten den Stall wieder verließen, doch waren sie erfüllt von einem inneren Licht. Sie waren wie neu geboren. Noch ehe die Morgendämmerung anbrach, hatte Gottes Licht sich auf ihre Herzen und Seelen gelegt und sie verbreiteten die Kunde, die ihnen von diesem Kind gesagt war.

Nikodemus auf dem Weg bei Nacht
Gut 30 Jahre später. Wieder ist es Nacht und es macht sich einer auf den Weg, der sehr wohl weiß, zu wem er da geht. Nein, so einer wie die Hirten ist er nicht. Er kommt nicht zufällig, er kommt mit Bedacht. Diesen Gang hat er geplant. Er weiß schon einiges, aber er hat auch Fragen. Hören wir den Text aus dem Johannesevangelium

1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden.
2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.
3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.
4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?
5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.
6 Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.
7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. …
16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.
20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.
21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Die erste und die zweite Geburt
Wir feiern heute das Fest einer Geburt. Das ist etwas, was uns alle mit Jesus Christus verbindet: wir alle sind geborene. Auch wir waren mal klein, schutzlos, völlig angewiesen auf die Hilfe unserer Eltern und die Fürsorge anderer Menschen. Unser Leben hatte einen Anfang, einen ersten Schrei, ein erstes Lächeln. Das ist unterschiedlich lang her, 20 Jahre vielleicht oder 36; vielleicht auch 55, 72, 83 Jahre. Wir alle sind Geborene. Das eigentlich entscheidende, das Leben selbst, haben wir uns alle nicht selbst gemacht, es ist uns, es ist mir und dir, geschenkt worden.

Kann man also noch einmal, von neuem geboren werden? Manchmal sagen wir das ja: „Ich fühle mich wie neu geboren!“. Welche Art von Situationen sind das, in denen wir das Gefühl eines völlig neuen Anfangs haben?

Das ist sehr unterschiedlich. Mancher mag jetzt an eine Operation denken, die ein Weiterleben ermöglichte; jemand anderes an einen Autounfall, bei dem wie durch ein Wunder niemand verletzt wurde; der nächste vielleicht aber auch schlicht an die Dusche nach dem Sport.
„Ohne von neuem geboren zu sein, kann niemand das Reich Gottes erlangen“, so sagt Jesus. Und wir wissen, damit meint er etwas anderes als das neue Leben nach einer Operation, das Glück bei einem Autounfall oder das schöne Gefühl wieder sauber zu sein. Mag sein, die neue Geburt, die Jesus meint, wird ausgelöst durch eine äußerliches Erlebnis, aber das, worauf Jesu Worte zielen, ist das Innere von uns Menschen. „Du musst innerlich neu werden“, sagt Jesus zu Nikodemus. „Denn dazu bin ich in die Welt gekommen, dass die Menschen durch mich von der Liebe und der Wahrheit Gottes erfahren. In das Dunkel der Welt hat Gott mich, sein Licht, gesandt. In mir finden die Menschen Rettung und neues Leben. Wer daran glaubt, der meidet das Böse und tut die Wahrheit.“

Das Verschweigen der Reaktion des Nikodemus
Wie geht Nikodemus mit dieser Auskunft? Hat er verstanden, was Jesus sagte? Ist es ihm so ergangen wie bei der ersten Geburt, hat er sich beschenken lassen mit diesem neuen Leben, diesem neuen Vertrauen, diesem neuen Glauben, diesem neuen Willen sich der Wahrheit zuzuwenden und das Böse zu meiden? Was ist nach der Begegnung passiert? Hat er ebenso wie die Hirten mit freudigem hellem Herzen und die Kunde ausgebreitet, die ihm gesagt worden war?

Hier schweigt die Bibel. Es wird nur berichtet, wie Nikodemus kommt, - im Gegensatz zu den Hirten gut vorbereitet – aber die Bibel verrät uns nicht, wie er wieder gegangen ist. Vielleicht wäre das auch schwierig gewesen, weil es nicht so klar war, wie bei den Hirten.

Unser Glaube wird erwachsen
Warum? Gehen wir zurück in unsere eigene Glaubensgeschichte.
Als Kind, da hatte Weihnachten etwas Zauberhaftes, Überraschendes, Faszinierendes. Man wusste nicht so genau, wer und wie und was – aber man war erfüllt, sang Weihnachtslieder und ließ sich einfach mit nehmen und treiben.

Heute gehören wir eher zu den Nikodemussen. Keiner hat uns hierher geschleift. Wir sind gekommen, weil wir wollten. Wir sind gekommen, weil …., ja, warum eigentlich? Suchen wir wie Nikode-mus Antwort auf unsere Fragen? Lassen wir uns von Jesus zum Gespräch herausfordern? Fangen wir untereinander Rede und Gegenrede an: Wer ist das eigentlich, dieser Jesus? Warum ist er „der Retter“? Was heißt das, dass er das Licht der Welt ist? Wozu die Freude über eine Geburt in Armut? Was bedeutet es, das derjenige, der Jesus kennt im Licht und in der Wahrheit lebt?

O, lieber Evangelist Johannes! Konntest du es nicht genauso schlicht und einfach halten wie dein Kollege, der Lukas: Nacht, Stall, Geburt, Hirten, Freude! Aber nein, Du machst immer alles so kompliziert!

Aber so ist das Leben, wenn aus Kindern Leute werden. Der kleine Jesus braucht nur zu Lächeln und die Welt der Hirten ist vom Licht erfüllt. Der große Jesus stellt Fragen, sucht das Gespräch, fordert Konsequenzen auch außerhalb der heiligen Nacht. Er wird sperriger. Er verbreitet Licht, doch er weiß um die Finsternis. Er redet von Wahrheit, doch kennt er die Bosheit der Menschen. Er redet davon, dass die Welt nicht nur Licht ist, aber eben halt auch nicht nur Dunkel.

Wie gehen wir wieder?
Gekommen bin ich heute Abend, bleiben werde ich fast eine ganze Stunde – wie gehe ich wieder?
Gerne würde ich gehen wie die Hirten, freudig und unbeschwert. Gerne würde ich alles, was mich bedrückt hier lassen, am liebsten das Elend der ganzen Welt, hier lassen an der Krippe, bei Gott und wie neu geboren meinen Weg nach Hause antreten.
Als Kind war das tatsächlich auch so. Für ein paar Stunden war die Welt heil. Heute geht der dunkle Schatten immer mit. Denn wir Erwachsene können das Elend der Welt und das Elend in uns selbst oder in unseren Familien zwar in den Hintergrund drängen, aber ganz vergessen werden wir es nicht. Das ist der Nachteil von Lebenserfahrung.

So ist auch unser Weihnachten ist erwachsen geworden, wie Jesus. Jesus bleibt das Licht, die Freude, die Liebe, der Mensch gewordene Sohn Gottes; aber es bleibt auch – und das ist uns mit den Jahren viel deutlicher geworden – die Finsternis, die Bosheit, das Dunkel der Welt. Vielleicht bedürfen wir Erwachsenen gerade deshalb noch viel mehr der Weihnachtsbotschaft, weil wir um die Macht der Dunkelheit, auch auf uns selbst, viel genauer wissen. Mitten im Leben bekommen wir das Angebot, noch einmal neu geboren zu werden: dem Licht mehr zu trauen als der Dunkelheit; der Hoffnung den Vorrang zu geben vor der Verzweiflung; die Versöhnung anzustreben und nicht den Streit fort zusetzen; zäh zu bleiben, wenn es um die Wahrheit geht; uns einzusetzen für unseren geliebten und ungeliebten Nächsten. Wahrhaftig alles schwere Dinge.

Ob das sich in dieser Welt auszahlt, (wovon ich letztlich überzeugt bin) oder nicht, ist nicht das Kriterium. Es ist nicht wichtig, was für uns dabei rum kommt. Auch davon können wir uns frei machen! Wir können dies alles fröhlich und frei einfach tun, weil wir gekommen sind, um das zu hören und zu glauben, was Jesus auch dem Nikodemus sagte: dass das für uns entscheidende; das, was zählt, schon passiert ist und wir würdig sind, dieses Geschenk für uns anzunehmen.

16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Gott schenkt Leben. Nicht nur in der ersten Geburt.

Die Begegnung von Nikodemus und Jesus hat ein offenes Ende, und auch dieser heilige Abend ist Anfang vom Rest meines Lebens.

Amen.



Verfasserin: Pfarrerin Gundula Guist, Kirchgasse 10, 61250 Usingen












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