Das Lamm Gottes
von Martina Schefzyk (63303 Dreieich)
Predigtdatum
:
09.04.2000
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Lätare
Textstelle
:
4. Mose 21,4-9
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Wochenspruch:
Der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele. (Matthäus 20,28)
Psalm: 43 (EG 724)
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 22,1-13
Epistel:
Hebräer 5,7-9
Evangelium:
Markus 10,35-45
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 83
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Wochenlied:
EG 76
O Mensch, bewein dein Sünde groß
Predigtlied:
EG 94
oder EG 190.1
Das Kreuz ist aufgerichtet
O Lamm Gottes, unschuldig
Schlußlied:
EG 586
Herr, der du einst gekommen bist
Hinführung zum Text:
Die Geschichte von der “ehernen Schlange” ist versierten PredigthörerInnen sicher bekannt. So kommen auch schnell Assoziationen zum Thema Schlange auf: Äskulap-Stab als Zeichen der Medizin, die Schlange als Haupt-Agitator im Sündenfall und schließlich jetzt die “erhöhte Schlange” als Hinweis auf die Kreuzigung von Jesus Christus.
Andererseits werden viele Predigthörer mit diesem Text nach dem ersten Hören wenig anfangen können. Deshalb habe ich versucht, die Aussagen des Textes in die heutige Zeit zu transferieren und so für die Predigthörer erfahrbar zu machen: auch meine Lebenswelt hat etwas mit diesem Text zu tun.
Zwei Aussagen des Textes waren mir dabei vor allen Dingen wichtig: zum einen die Frage nach der Schuld und dem Warum, die ja gerade in Krisenzeiten immer wieder gestellt wird. Und zum anderen der Gedanke des Vertrauens zu Gott. Die Schlangenplage wird ja nicht einfach auf Moses Bitte hin weggenommen, sondern der Gebissene muß voller Vertrauen zu der ehernen Schlange aufsehen. Damit wird kein blinder Gehorsam gefordert, sondern das Vertrauen, daß Gott den Menschen in der Not beisteht und ihnen so durch die Not hindurch hilft.
Den Predigttext habe ich an für mich geeigneten Stellen jeweils eingefügt. Vielleicht kann er ja von einer anderen Person gelesen werden. Das ist für einen Lektor in ihm einer oft weniger bekannten Gemeinde sicher etwas schwieriger, vielleicht ist aber auf Nachfrage doch ein KirchenvorsteherIn dazu bereit.
Liebe Gemeinde!
Er hatte eine “ganz normale” kirchliche Karriere hinter sich. Seine Eltern hatten ihn als Baby taufen lassen, mit einem der Paten hatte er einen guten Kontakt, die andere Patenbeziehung hatte sich in Geschenken und ein paar Urlaubsgrüßen erschöpft. Später war er dann wie alle anderen zum Konfirmandenunterricht gegangen. Mit dem älteren Pfarrer hatten sie ein leichtes Spiel gehabt und seine Gutmütigkeit entsprechend ausgenutzt. Es war nicht schwer gewesen, sich um den sonntäglichen Gottesdienstbesuch zu drücken und um das Auswendiglernen herumzukommen. Dennoch war es erstaunlich, daß er gerade in den letzten Wochen oft an diese Zeit zurückdenken mußte. Wie hatte sich der Pfarrer, - der Name wollte ihm auch nicht mehr einfallen, - bemüht, diesen desinteressierten Jugendlichen etwas von der christlichen Lehre, ja vielmehr noch von der Bedeutung des christlichen Glaubens beizubringen. Wie oft hatte er versucht, ihnen alle möglichen Geschichten vom Volk Israel und von Jesus Christus zu erzählen, und was der Glaube an Gott für jeden Menschen bedeuten konnte. Manche dieser Geschichten waren sogar recht spannend gewesen, aber eigentlich hatten ihn ganz andere Themen beschäftigt. Ob er wohl ein toller Typ war und wie sich seine Beziehungen zu Mädchen entwickeln würden, die er auf einmal ganz schön interessant fand. Etwas ganz Neues ging mit ihm vor. Was interessierte da schon Kirche und frühes Aufstehen am Sonntagmorgen.
Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten herausgeführt, daß wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot und noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise.
Natürlich hatte er wie alle anderen am Konfirmationsgottesdienst “Ja” gesagt, schließlich konnte es nicht schaden und zuhause warteten eine schöne Feier und ein Haufen Geschenke. Er hatte später auch kirchlich geheiratet. Ihm war es egal gewesen, aber seiner Frau bestand auf der Feierlichkeit der Zeremonie. In der Kirche wäre doch alles viel schöner mit Orgel und Gesang ganz in weiß.
Sie hatten dann natürlich auch ihre beiden Kinder taufen lassen, obwohl er erst strikt dagegen war. Sie sollten sich doch später einmal selbst entscheiden können. Aber dieses Mal hatten seine Eltern darauf bestanden. Das sei schon immer so Sitte und Tradition gewesen. Und so ein “Heidenkind” hätte doch nur Nachteile. Was, wenn dem Kind etwas zustoßen würde. Also wurden beide getauft.
Gerade damals hatte er sich noch einmal mit der Kirche auseinandergesetzt, mit dieser Institution und ihren Lehren. Für kranke und alte Menschen war das bestimmt nichts Schlechtes. Sie hatten eine Beschäftigung und einen Halt für ihr Leben. Es war sicher auch gut, daß die Kinder im Kindergarten und in der Schule etwas über Gott erfuhren, schließlich leben wir in einem christlich geprägten Land. Deshalb hatte er seine Kinder auch in den kirchlichen Kindergarten geschickt. Aber er selber kam gut ohne Kirche und Glaube zurecht.
Deshalb war er auch vor ein paar Monaten aus der Kirche ausgetreten. Nicht weil er etwas gegen die Institution oder den Pfarrer vor Ort hatte. Nein, seine Frau und Kinder waren ja auch dabei geblieben, aber er konnte doch einen erheblichen Teil seiner Steuern sparen, und das war ihm gerade recht.
Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose.
Denn er hatte eine nicht unbeachtliche Karriere bei seiner Firma gemacht und einen durchaus verantwortlichen Posten inne. Natürlich kostete das alles viel Zeit, die er daher nicht für Familie oder Freizeitaktivitäten aufbringen konnte. Aber seine Frau und seine Kinder hatten sich nach anfänglichem Murren daran gewöhnt, und er ging ganz in seiner Arbeit auf. Natürlich war es ihm manchmal auf alles zu viel, aber das war doch normal, das ging doch jedem mal so. Im Großen und Ganzen war er mit seinem Leben durchaus zufrieden.
Um so mehr hatte ihn die Nachricht getroffen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel war sie auf ihn herniedergesaust und hatte sein ganzes bisheriges Leben durcheinandergewirbelt. Vor ein paar Tagen war die Polizei bei ihnen aufgetaucht. Man hatte ihren Sohn in der Toilette einer Diskothek gefunden, wo er sich Heroin gespritzt hatte. Und das wohl nicht zum ersten Mal. Gott sei Dank war er noch einmal mit dem Leben davon gekommen. Zur Zeit lag er auf der Intensivstation des Krankenhauses. Seine Frau hatte einen Weinkrampf bekommen, so daß er den Arzt holen mußte. Später, als sie schlief, hatte er sich in einen Sessel ins Wohnzimmer gesetzt und über sein Leben nachgedacht.
Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben.
Wie hatte es nur dazu kommen können? Es ging ihnen doch gut, sie waren eine durchschnittliche Familie, oder doch eher eine gute. Sie konnten sich vieles leisten, das große Haus mit Garten, zwei Autos, mehrere Urlaube im Jahr. Die Kinder hatten doch alles, was sie brauchten und dazu noch vieles mehr. Warum das alles? Was hatte er falsch gemacht? Warum mußte ausgerechnet uns das passieren? Wieso hatte er vorher nicht einmal etwas bemerkt oder seine Frau? Sie hatte doch immer mehr von den Kinder gewußt als er.
Die Fragen kreisten in seinem Kopf herum wie lästige Fliegen. Warum, warum, warum, immer wieder prallte dieses Wort auf ihn ein. Er war doch ein tüchtiger, ordentlicher Mensch, der sich nie etwas zu schulden hatte kommen lassen. Warum mußt er so gestraft werden? Warum tat Gott ihm das an? Sicher, er war aus der Kirche ausgetreten, aber das hatte doch nichts mit Gott zu tun. Bislang hatte er doch Gott nicht belästigt und war allein mit seinem Leben klar gekommen. Warum sollte er jetzt für dieses Verhalten bestraft werden?
Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben.
Was hatte er für Hoffnungen in seinen Sohn gesetzt. Mit ihm hatte er sich selbständig machen wollen in ein paar Jahren, wenn sein Sohn das Studium beendet hätte. Er wäre noch jung und dynamischen genug gewesen. Die Computerbranche boomte. Das wäre doch für ihn kein Problem gewesen. Aber jetzt, alles auf einmal aus und vorbei. Wie ein Seifenblase zerplatzt, aus der Traum.
Der behandelnde Arzt hatte ihnen zwar versichert, daß sein Sohn mit dem Leben davonkommen, und wahrscheinlich auch keine größeren Schädigungen zurückbleiben würden, aber die Sucht müßte natürlich gesondert behandelt werden. Würde ihr Sohn das schaffen? Und bliebe da nicht immer die Angst, daß er wieder rückfällig werden könnte?
In den Augen seiner Frau und seiner Tochter hatte er die Vorwürfe ablesen können, die sie ihm machten. Aber was konnte er dazu? Sicher er hätte sich mehr um seinen Sohn kümmern können, ja müssen, aber da war die viele Arbeit gewesen, der tägliche Konkurrenzkampf.
Seine Frau hatte sich ihm gegenüber deutlich verändert. Sie begann, ihn mit ihren Schuldzuweisungen fertig zu machen. All ihre gemeinsamen Jahre stellte sie auf einmal in Frage. Zum ersten Mal tauchte das Wort Scheidung auf. Die nervliche Anspannung lastete schwer auf ihm. Er konnte sich kaum noch auf seine Arbeit konzentrieren. Unschwer konnte er das Getuschel seiner Kollegen hinter seinem Rücken vernehmen. Wie schwer war es doch nach oben, zum Erfolg zu kommen. Und wie leicht dagegen der Abstieg. Warum? Warum? Warum?
Er merkte, daß er sich seine ganze aufgestaute Wut, Angst und Aggression immer mehr gegenüber Gott zu entladen schien. Ihm hatte er das zu verdanken. Er hatte diesen Gott zwar nicht belästigt, aber er hatte sein Leben zerstört. Dieser Gedanke setzte sich in ihm fest. Nur so konnte es gewesen sein. Gott strafte ihn für sein Verhalten. So war dieser Gott.
Er sah sich den tiefsten Tiefen des Lebens ausgesetzt, hoffnungslos im Strom der Gestrandeten treiben. Wie würde es weitergehen? Eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit, er hatte wie immer das Radio eingeschaltet, hörte er folgenden Satz: “Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen.” Er schien in eine Runkfunkandacht geraten zu sein, denn der Sprecher begann diesen Vers auszulegen. Er sprach von einer großen Hoffnung, die der Glauben an Gott schenkt, daß dieser Gott jedem Menschen seine Türen öffnen würde, daß er besonders denen, die am Boden lägen, seine Hand reichen würde.
Da kamen sie zu Mose und sprachen: wir haben gesündigt, daß wir wider den Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, daß er die Schlagen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.
Alles Quatsch, dachte er, dennoch ging ihm dieser Vers nicht aus dem Kopf. “Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen.” Immer wieder mußte er an diesen Text denken.
Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.
Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.
Traf dies nicht genau auf ihn und seine Familie zu? Er war wie ein geknicktes Rohr und es würde nicht viel mehr fehlen und er würde zerbrechen. In ihm war nur noch eine winzige Lebensflamme am züngeln. Wann würde auch sie verlöschen? Gab es da Hoffnung für ihn, etwa bei diesem Gott? Konnte er sich vertrauensvoll an ihn wenden? Aber könnte er denn überhaupt beten? Wie machte man das überhaupt? Wenn er doch damals nur besser aufgepaßte hätte. So faltete er wie aus einem Impuls heraus seine Hände und sagte nur diesen einen Satz: “Gott hilf mir.” Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in diesem Herrn Jesus Christus. Amen.
Verfasserin: Pfrn. Martina Schefzyk, Rheinstr. 33, 63303 Dreieich
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