Das Leben gilt so wie es ist
von Ulf Häbel (35321 Laubach-Freienseen)
Predigtdatum
:
26.09.2010
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
15. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Römer 10,9-17.(18)
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Wochenspruch:
„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1. Johannes 5, 4)
Psalm: 25, 8 – 15 (EG 713)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 49, 1 – 6
Epistel:
Römer 10, 9 – 17 (18)
Evangelium:
Matthäus 15, 21 – 28
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 452, 1 – 5
Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied:
EG 346, 1 – 3
Such, wer da will, ein ander Ziel
Predigtlied:
EG 369, 1.2.7
Wer nur den lieben Gott lässt walten
Schlusslied:
EG 295, 1 – 4
Wohl denen, die da wandeln
„Innen ist das Leben anders!“
Unter diesem Titel ist vor vielen Jahren ein Andachtsbuch erschienen. Es war ein Bestseller. Darin waren Kurzandachten und Auslegungen biblischer Sätze des damals bekannten Fernsehpfarrers Adolf Sommerauer abgedruckt.
Bis heute gibt es in fast allen Fernseh- und Rundfunkprogrammen solche Sendungen. Sie heißen „Wort zum Sonntag“, „Zuspruch am Morgen“, „Gedanken zum Tag“ oder ähnlich.
In den Andachten von Sommerauer kommt ein Gedanke ständig vor, der im Titel des Buches genannt ist.
Unser Leben hat eine äußere und eine innere Seite. Von außen ist das Leben in Fakten und Daten schnell beschrieben: Wie alt ich bin und wo ich wohne, welchen Beruf ich ausübe und was ich darin verdiene.
Sie kennen sicher solche Vorstellungsrunden bei Tagungen und Konferenzen: Ich heiße Otto X, 1942 in Schlesien geboren und im Westerwald aufgewachsen. Bis zu meiner Pensionierung war ich Lehrer, bin verheiratet und habe drei inzwischen erwachsene Kinder. Ich engagiere mich im Vereinsleben meines Dorfes, bin im Kirchenvorstand, Träger des Ehrenbriefes des Landes Hessen usw.
Doch was sagen diese äußeren Daten und Fakten, Erfolge und Leistungen über den Menschen und seine Lebensgefühle aus. Innen ist das Leben anders. Da gelten andere Werte. Was uns im Herzen erfüllt oder die Seele berührt, lässt sich nicht in Daten erfassen oder in Fakten beschreiben. Der bekannte Satz von Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“, hat diese innere Sicht vom Leben geradezu sprichwörtlich gemacht.
Was das Herz bewegt, das erfüllt unser Leben. Wo das Herz spricht, treten kluge Gedanken zurück. Was aus dem Herzen kommt, hat mehr Kraft und Energie als äußere Machtansprüche haben.
Diese beiden Seiten des Lebens innen und außen, gelten offensichtlich auch für unseren Glauben. Wenigstens legt das der heute vorgesehene Predigttext nahe. Er steht im Römerbrief, Kapitel 10 die Verse 9 – 17.
Der zentrale Satz in diesem Abschnitt lautet: Wenn man von Herzen glaubt, so wird man (vor Gott) gerecht, und wenn man mit dem Mund bekennt, dann wird man gerettet.
Der Römerbrief ist so etwas wie eine theologische Lehrschrift des Paulus. Er hat ihn wahrscheinlich um das Jahr 56 geschrieben an die Christengemeinde in Rom, die er nicht gegründet hatte und die ihm unbekannt war. Paulus plante einen Besuch in dieser Gemeinde. Den kündigte er in diesem Brief an. Damit die Christen in Rom wissen, wer da kommt, stellt es sich vor mit seinem Glauben, seinem theologischen Denken, seinen Überzeugungen. Da geht es z. B. um das Verständnis von Abendmahl und Taufe, um Diakonie in der Gemeinde und gegenseitiges Helfen, um Sündenvergebung und Erlösung.
Zwischen all den Themen, theologischen Belehrungen und Glaubensbekenntnissen steht dieser Satz: Wenn ihr von Herzen glaubt, dann werdet ihr vor Gott gerecht; und wenn ihr mit dem Mund bekennt, dann werdet ihr gerettet.
Auch der Glaube hat diese beiden Seiten, innen und außen, was aus dem Herzen kommt und dadurch Menschen bewegt und ihr Leben erfüllt und was man dann in Worten sagen kann.
Das Wort Herz steht in der Bibel wie auch in unserer Umgangssprache für den inneren Menschen, für ergriffen und bewegt sein, für das, was uns unbedingt angeht und erfüllt. Was ist das, was Paulus von Herzen glaubt und was ihn so erfüllt, dass er es unbedingt weitersagen muss? Es ist der Glaube an die Auferstehung Jesu von den Toten.
Wer das von Herzen glaubt, der wird das Leben nicht mehr nur von
außen betrachten, mit klugen Worten beschreiben, in Fakten und Daten erfassen. Der Glaube an die Auferstehung ist eine Sache des Herzens. Wer davon erfüllt und bewegt ist, wird das auch Andere im guten Sinne spüren lassen.
Aus dem Buch von zwei amerikanischen Therapeutinnen will ich dafür ein Beispiel nennen:
Der neunjährige Bradley sitzt auf einem Schemel in der Küche und schaut seiner Mutter gelangweilt bei der Arbeit zu. Die sieht ihn da sitzen und denkt, was sie schon oft gedacht hat: Für sein Alter ist er etwas klein und mickrig geraten. Und außerdem hockt er viel zu viel im Haus herum. Was soll mal aus ihm werden?
Da gibt sie dem Jungen Ratschläge: „Junge, iss ordentlich, damit du wächst und stark wirst.“ Sie schmiert ihm ein dickes Butterbrot, bei dessen Anblick Bradley die Maulsperre kriegt. „Junge“ fährt die Mutter mit Ratschlägen fort, „wenn du schon nicht groß und stark bist wie die anderen, dann lern in der Schule wenigstens ordentlich.“ Und Bradley fällt die hysterische Englischlehrerin ein, die er überhaupt nicht leiden kann. Die Mutter merkt, dass auch dieser Ratschlag nicht bei ihm ankommt. Sie macht noch einen Versuch: „Junge, wenn du nicht groß und stark wirst und auch in der Schule nicht gut bist, dann sei immer zu den Erwachsenen zuvorkommend und höflich, damit sie dich mögen.“ Und Bradley fällt die Nachbarin ein, die ständig an ihm rummault.
Die Mutter spürt, dass alle Ratschläge an ihm vorbeigehen. Sie lässt sich auf einen Stuhl in der Küche plumpsen und stöhnt: „Junge, was soll ich mit dir nur machen, damit aus dir etwas wird.“ Und Bradley sagt: „Mutter, wenn du manchmal zuhören würdest, ehe du redest, dann würde ich wachsen, wirklich wachsen.“
Nicht nur ein kleiner Junge braucht die feinfühlige von Herzen kommende Zuwendung. Jeder von uns sehnt sich nach einem Menschen, der einem wirklich zuhört statt einen abzuhören. Haben Sie das nicht auch schon erlebt: Man will etwas erzählen oder darlegen. Und der andere wartet nur auf sein Stichwort, und dann legt er los: Das hätte ich dir gleich sagen können; da sprechen alle Erfahrungen dagegen; ich kann da nur sagen … Und dann kommen Ratschläge, Vorschriften, moralische Urteile und Dogmen, Einschärfungen und manchmal auch Drohungen.
Wer von Herzen glaubt, verhält sich anders. Der sagt, was ihn innerlich berührt, bewegt, erfüllt. Und der wendet sich einem Menschen auch anders zu – eben feinfühlig und innerlich zugewandt.
Wer von Herzen glaubt, trägt die Botschaft vom Leben weiter anstelle einer äußerlichen Darstellung des Daseins. Die sogenannte Realität in Daten und Fakten, Vorschriften und Regeln greift zu kurz, wenn es um die innere Seite des Lebens geht.
Innen zählt, was uns im Herzen bewegt und erfüllt und die Botschaft, die ein erfülltes Herz dann weitersagt. So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aus dem Wort Gottes. Mit diesem Satz – der letzte im heutigen Predigttext – fasst Paulus seine Gedanken zusammen.
Ich finde, dass man ihn so deuten kann: Der Glaube, der uns im Herzen berührt und innerlich erfüllt, der entspringt aus der Predigt (des Wortes Gottes).
Predigt heißt im Verständnis des Paulus nicht so eine von Theologen geschriebene intellektuelle Kanzelrede, die Lektorinnen oder Prädikanten, Pfarrerinnen oder Pfarrer von der Kanzel runterlassen. Predigen heißt das Weitersagen einer Botschaft, die das Leben deutet und erfüllt. Das ist die Botschaft von der Auferstehung. Wer diese Botschaft von Herzen glaubt, der glaubt an den guten Ausgang aller Dinge, also ans ewige Leben und fühlt sich den sogenannten Realitäten nicht mehr ausgesetzt und unterworfen.
Die Botschaft von der Auferstehung macht uns frei, das Leben anzunehmen, wie es ist und Realitäten, die uns Angst machen zu widerstehen.
Diese Lebenseinstellung habe ich in einem Drama von Anton Tschechow gefunden. Dieser russische Dichter lebte vor ungefähr 100 Jahren eine Zeit lang in Berlin. In einer seiner Dichtungen tritt ein Mensch auf mit der Frage: Ich denke oft, wie, wenn man das Leben noch einmal beginnen könnte – und das mit allem Wissen und der gesammelten Erfahrung? Wie, wenn das Leben, das man bis heute geführt hat, nur so ein erster Entwurf wäre, zu dem die Reinschrift dann folgte?
Bei diesem Gedanken an ein neues, vielleicht ganz anderes Leben fallen ihm die Realitäten seines jetzigen Daseins ein, die ihn einfangen und begrenzen. Wie, wenn es noch einmal anfangen könnt? Eine große, helle Wohnung würde er sich nehmen. Alles ist voller Blumen, Sonne und Licht.
Einen Beruf würde er ausüben, der krisenfest ist, immer Freude macht und viel Geld bringt. Ja, meine Frau, sinnt er dann nach, die ist oft krank. Und dazu kommen die Sorgen mit den Kindern und, und, und … Wie, wenn man noch einmal beginnen könnte?
Dann bleibt er stehen, wirft einen Blick zum Himmel und sagt: Das Leben noch einmal beginnen? Nein, das muss nicht sein; das Leben gilt, so wie es ist.
Amen
Verfasser: Dr. Ulf Häbel, Wintergasse 19, 35321 Laubach
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Missionarisch-Ökumenischer Dienst
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