Das vornehmste Gebot
von Dorothea Volkmann (06886 Lutherstadt Wittenberg)
Predigtdatum
:
15.10.2006
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
16. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Jakobus 2,1-13
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Wochenspruch:
Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
(1. Johannes 4,21)
Psalm: 1 (EG 702)
Lesungen
Altes Testament:
2. Mose 20,1-17
Epistel:
Römer 14,17-19
Evangelium:
Markus 12,28-34
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 450
Morgenglanz der Ewigkeit
Wochenlied:
EG 397
oder EG 494
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr
In Gottes Namen fang ich an
Predigtlied:
EG 420
Brich mit dem Hungrigen dein Brot
Schlusslied:
EG 295
Wohl denen, die da wandeln
Dieser achtzehnte Sonntag nach Trinitatis, liebe Schwestern und Brüder, hat – wie jeder andere Sonntag in der Trinitatiszeit auch – sein eigenes Thema. Heute geht es um die Gebote Gottes, die Maßstäbe für unser Leben. Von diesem Thema ist der ganze Gottesdienst geprägt.
Die Epistel aus dem Römerbrief (14, 17-19) mahnt uns: „…lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.“ Da hört man zunächst nicht die Gebote heraus, aber beim näheren Hinschauen erkennen wir doch die entsprechende Intention darin.
Im Evangelium (Mk. 12, 28-34) hören wir die Zusammenfassung der Zehn Gebote im so genannten Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Diesen Gedanken nimmt das Bibelwort für diese Woche aus dem 1. Johannesbrief (1. Joh. 4, 21) auf: „Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“
Und im Predigttext aus dem Jakobusbrief wird konkret ein Abschnitt intensiv bearbeitet. Die Überschrift heißt: Kein Ansehen der Person in der Gemeinde.
1 Haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. 2 Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, 3 und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz!, und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, 4 ist's recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken?
5 Hört zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? 6 Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen? 7 Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist? 8 Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift (3.Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht; 9 wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter.
10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig. 11 Denn der gesagt hat (2.Mose 20,13-14): »Du sollst nicht ehebrechen«, der hat auch gesagt: »Du sollst nicht töten.« Wenn du nun nicht die Ehe brichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes. 12 Redet so und handelt so wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. 13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.
Was Jakobus uns hier vor Augen führt, scheint ein innergemeindliches Problem anzusprechen. Für dessen Lösung will er den Lesern seines Briefes Hilfestellung geben. Und Jakobus scheut sich nicht, offensichtliches Fehlverhalten wie etwa die Nichtachtung der Armen in der Gemeinde als Sünde zu bezeichnen. Wer so handelt, so der Apostel, übertritt Gottes Gebot. Denn das ist eindeutig: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Wer dabei unser Nächster ist, hat Jesus beispielsweise mit seiner Geschichte vom barmherzigen Samariter beschrieben.
Die Gemeinde, an die sich der Apostel wendet, hat diese strenge Ermahnung offensichtlich nötig. Da gibt es Menschen, die sind wenig angesehen und werden deshalb auch in der Gemeinde nur gering geachtet. Weil sie sich nicht so richtig behaupten können, werden sie zu „Christen Zweiter Klasse“ gestempelt. Manchmal scheinen sie regelrecht ausgeschlossen. Zu manchen Veranstaltungen lädt man sie gar nicht mehr ein. „Die kommen ja eh nur selten“, redet man sich bequem raus, um seine Ruhe zu haben.
Wir kennen das. Äußerlichkeiten spielen oft eine große Rolle, wenn wir Menschen beurteilen: „Die passen nicht zu uns mit ihren schwarzen Kleidern und ihren bunten Haaren.“ „Kleider machen Leute“, hat Gottfried Keller seine nachdenkliche Novelle genannt. In einer jüdischen Geschichte hört sich das so an:
Einer kommt zum Rabbi: „Rabbi, es ist entsetzlich. Kommst du zu einem Armen - er ist freundlich, er hilft, wenn er kann. Kommst du zu einem Reichen - er sieht dich nicht einmal! Was ist das nur mit dem Geld!“
Da sagt der Rabbi: „Tritt ans Fenster! Was siehst du?“
„Ich sehe eine Frau mit einem Kind an der Hand. Ich sehe einen Wagen, er fährt zum Markt …“
„Gut. Und jetzt tritt hier zum Spiegel. Was siehst du?“
„Nu, Rabbi, was werd’ ich sehen? Nebbich mich selber.“
Darauf der Rabbi: „Siehst du, so ist es. Das Fenster ist aus Glas gemacht, und der Spiegel ist aus Glas gemacht. Kaum legst du ein bisschen Silber hinter die Oberfläche - schon siehst du nur noch dich selber!“
Vielleicht war die Gemeinde, an die Jakobus schreibt, ja stolz darauf, auch solche Leute unter sich zu haben, die hoch angesehen waren. Weil es zum Stolz aber überhaupt keinen Grund gibt, will Jakobus diesem Missstand abhelfen. Und so erinnert er daran, „dass Gott selbst die Armen in der Welt erwählt hat, die im Glauben reich sind, dass sie Erben sein sollen des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben“.
Was Jakobus damals bekämpft hat, hängt uns noch immer an. Da hat sich über die Jahrhunderte kaum etwas geändert. Wenn es heute auch nicht so sehr um die prächtige Kleidung geht, um den Pelz und die Ringe, so vielleicht darum, dass die größten Kirchensteuerzahler für die wichtigsten Gemeindeglieder gehalten werden. Oder darum, dass es in unseren Gemeinden auch Menschen gibt, denen wegen ihres Berufes besonderes Ansehen entgegengebracht wird. Welche Gemeinde schätzt es nicht, vom gesellschaftlichen Einfluss eines Mitglieds zu profitieren?
Aber Kleider machen die Seligkeit ebenso wenig aus, wie gesellschaftliches Ansehen. Jakobus steht mit seiner Mahnung in guter biblischer Tradition. Trotzdem ist er gern überhört worden. Auch von der Kirche. Deshalb ist es gut, wenn wir wieder einmal auf sein Wort aufmerksam werden und darauf, was das meint: „Ansehen der Person“.
Im konkreten Fall des Jakobusbriefes geht es um die Frage, unseren Nächsten zu achten und ihm die verdiente Ehre zukommen zu lassen. Ohne geachtet zu sein – und sei es im Geringen –, wird dem Menschen die Würde genommen. Da ist es womöglich leichter, Mangel an materiellen Gütern zu leiden, als Mangel an Ansehen!
Dem Apostel geht es dabei nicht um einen Personenkult der Armut. Er erinnert an die Wurzeln des christlichen Glaubens. Der orientiert sich an Jesus Christus. Und bei ihm gibt es ein solches „Ansehen der Person“ nicht. Vor ihm sind alle Menschen gleich – der Zöllner ebenso wie der Pharisäer, den er ermahnt; die arme Witwe ebenso wie die Sünderin, der er zu überwinden hilft. Vor ihm sind alle Menschen gleich geachtet, gleich Wert geschätzt, gleich geliebt.
Die Messlatte, die damit gelegt wird, ist hoch. Wir scheitern auch immer wieder daran, wenn wir es Jesus gleich tun wollen. Das wissen wir. Wir dürfen aber auch wissen, dass er uns in unserem Bemühen immer wieder unterstützt. Deshalb gibt es keinen Grund, darin nachzulassen, sondern allen Grund, die Nächstenliebe ernst zu nehmen wie er.
Und so wird, wer sein Leben mit Jesus ernst nimmt, erst recht auf solche Menschen zugehen, die uns zunächst nicht so sehr faszinieren. Und auf die, die uns vordergründig keinen Gewinn bringen, erst recht. Schließlich gibt es davon genug. Wir brauchen uns nur umzusehen. Überall leben Menschen neben uns, die von der Gesellschaft mehr oder weniger brutal an den Rand gedrängt werden. Die brauchen uns. Weil nicht nur ihr Hunger nach Brot sich danach sehnt, gestillt zu werden, sondern vor allem ihr Hunger nach einer liebevollen Geste oder einem freundlichen Wort.
Sie merken, liebe Gemeinde, wie aktuell und konkret die Ermahnung des Apostels noch immer ist! Weil Gott für die Armen Partei ergreift und will, dass denen geholfen wird, die am schwersten am Leben zu tragen haben, sind wir gerade an sie gewiesen. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, in welcher Weise sie arm sind und was sie arm gemacht hat. Gott ist immer auf der Seite derer, die um Hilfe schreien. Wer sich von ihnen abwendet, wendet sich von Gott ab. Unsere Aufgabe als Gemeinde ist es darum, die Hilferufe derer zu hören, die wir so gern und so leicht überhören und übersehen. Möglichkeiten, auf sie zu reagieren, gibt es genug.
Wir dürfen da an alle die Menschen denken, die unverschuldet in Not geraten sind; oder an solche, die allein leben, oder an die, die kein Dach über dem Kopf haben, weil sie den heutigen Anforderungen des Lebens nicht gerecht geworden sind. Und vielleicht überlegen wir einmal gemeinsam, auf welche Weise wir da helfen können. Womöglich macht einer sich zum Sprachrohr für diese Menschen, damit sie zu ihrem Recht kommen und sich ihre Lebensumstände doch zum Guten wenden. Der Phantasie sind da – wie immer – keine Grenzen gesetzt. Und schon die bescheidenste Idee kann große Wirkung zeigen.
So wird Gottes „königliches Gesetz“ – das Gebot der Nächstenliebe - konkret. Das will Jakobus uns sagen. Er weist uns zwar nicht unmittelbar auf die Zehn Gebote hin und auf den, der sie uns geschenkt hat; indirekt aber doch. Denn unser Verhältnis zu unserem Mitmenschen ist immer auch ein Spiegelbild unseres Verhältnisses zu Gott.
Darum ist das Beispiel vom „Ansehen der Person“ auch ein Bild dafür, was die Zehn Gebote uns bedeuten wollen - in der Gemeinde und über sie hinaus. Wenn wir die als sein Angebot zum Leben annehmen und uns an ihnen ausrichten, haben wir sicherlich nicht das Paradies auf Erden, bekommen aber schon hier auf Erden eine Ahnung der Herrlichkeit, die wir erwarten dürfen und die alle unsere Vorstellungen weit übersteigt. Diese Ahnung wird umso vollkommener, je mehr wir unsere Mitmenschen durch unser Tun berühren. Gottes Einladung dazu jedenfalls steht! Und sein Beistand auch. Jakobus unterstreicht das noch einmal. Wenn wir diese Einladung Gottes annehmen und aus der Kraft seiner Barmherzigkeit barmherzig leben – gegenüber jedermann und ohne Ansehen der Person –, werden wir erfahren: Seine Barmherzigkeit auch uns gegenüber kennt kein Ende. Und sie ist alle Morgen neu. Amen.
Verfasserin: Pfrn. Dorothea Volkmann, Jüdenstr. 36, 06886 Lutherstadt Wittenberg
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