Das Wort von der Versöhnung
von Annette Bassler (55270 Ober-Olm)
Predigtdatum
:
28.06.1998
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
2. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
1. Timotheus 1,12-17
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Wochenspruch:
Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. (Lk. 19, 10)
Psalm: 103,1-5.8-13 (EG 742)
Lesungen:
Altes Testament:
Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32
Epistel:
1. Timotheus 1,12-17
Evangelium:
Lukas 15,1-7 (8-10)
Liedvorschläge:
Eingangslied:
EG 289
Nun lob, mein Seel, den Herren
Wochenlied:
EG 232
oder EG 353
Allein zu dir, Herr Jesu Christ
Jesus nimmt die Sünder an
Predigtlied:
EG 354
Ich habe nun den Grund gefunden
Schlußlied:
EG 349
Ich freu mich in dem Herren
12 Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, 13 mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. 14 Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. 15 Das ist gewißlich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. 16 Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, daß Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. 17 Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.
Liebe Gemeinde!
Der heutige Predigttext entführt uns in die Zeit der zweiten Christengeneration. Damals zu Beginn des zweiten Jahrhunderts wurde den Christen klar: der Menschensohn wird nicht kommen, und die Welt wird nicht untergehen. Das Leben geht weiter, und der Glaube muß sich in dieser Welt, so wie sie ist, bewähren. Die Gemeinschaft der Christen braucht eine Ordnung und eine Idee, wie sie in der Welt, im Alltag sich bewähren und behaupten kann.
In dieser Situation schreibt einer einen Brief. Er erzählt von sich, aber er meint damit jeden und jede. Er bedient sich des Namens des Paulus, eines seiner Glaubensväter. Vielleicht, weil sie so ähnlich sind, ihrer beider Geschichten. Vielleicht, weil in seiner ganz individuellen Geschichte alle möglichen und unmöglichen Glaubensgeschichten vorkommen. Paulus alias Timotheus alias Mister X- der Prototyp von Christ und Christin. Was hat er zu erzählen? Wie fing alles an?
Wenn wir den ersten Satz ganz wörtlich und damit ein bißchen ungelenk übersetzen, dann hören wir von ihm:
„Ich habe alle Freude der Welt in mir wegen Jesus Christus. Er hat mich stark gemacht und mich als vertrauenswürdig angesehen und mir einen Auftrag gegeben. Mir, einem, dem nichts heilig war, einem Zyniker, ‘fromme-Leute-Fresser’ und Narziß, für mich hat sich ein Mensch mit unendlicher Langmut engagiert.“
So beschreibt er den Anfang seines Glaubens. Hoffend, daß die Leser und Hörer, daß also auch wir an den Anfang unseres eigenen Glaubens zurückdenken. Wie war das? Wer hat uns an den Glauben herangeführt? Wie kam es dazu, daß wir heute hier sitzen, mit der Erwartung, daß uns in diesem Gottesdienst der Geist Jesu irgendwie berührt oder wenigstens streift, daß wir weiterkommen oder innehalten auf unserem Lebensweg?
Und vielleicht ist mein Glaubensanfang nicht nur etwas ganz Besonderes und Persönliches von mir. Vielleicht spiegelt sich darin auch der Anfang und der Ursprung von anderen Glaubensgeschichten. Der unbekannte Autor unseres Textes hatte kein Problem, seinen Brief unter dem Namen des Paulus segeln zu lassen. Vielleicht haben wir es hier mit etwas zu tun, in dem wir uns alle sehr ähnlich sind.
Alles fängt damit an, daß einer sich über alle Maßen freut. Der Grund: einer hat an ihn geglaubt. Und das hat ihn stark gemacht.
Glaube fängt nicht damit an, daß jemand etwas für wahr oder richtig hält oder damit, daß jemand etwas tut. Wenn einer glauben soll oder will, dann muß erst einer oder eine an ihn glauben, ihn wertschätzen, ihm mit unendlicher Geduld nachgehen, sich für ihn engagieren.
Gibt es oder gab es Menschen in ihrem Leben, die an Sie geglaubt haben? Gibt oder gab es Menschen, die sich für Sie engagieren, Sie wertschätzen? Oder gibt es eine innere Stimme oder einen Ort, an dem Sie das spüren und erfahren können?
Paulus oder Timotheus sagt: das eine hat mit dem Anderen zu tun. Wer glauben will oder soll, er braucht zuerst einen, der an ihn glaubt, der sich für ihn engagiert.
Mit diesem Gedanken kommen mir eine ganze Reihe Fragen in den Sinn. Könnte der vielbeklagte Schwund des Glaubens heute damit zu tun haben: mit dem Schwund an Erfahrungen von: da glaubt einer an mich, da engagiert sich einer für mich!
Wie soll ein arbeitsloser Mensch glauben können, wenn er tagtäglich erfährt: es gibt keinen, dem du etwas wert bist! Wie soll eine Hausfrau glauben können, wenn alle in der Familie ihre Arbeit wie selbstverständlich und nicht der Rede wert in Anspruch nehmen? Wie soll ein Kind glauben können, wenn die Eltern nicht seine besonderen Gaben sehen, es loben und sich für ihr Kind, dort, wo es Probleme hat, engagieren?
Wie soll eine Kirche stark seine und ihre Aufgabe in dieser Welt erfüllen, wenn sie selbst nicht einen hat, von dem sie sich wertgeschätzt und geliebt weiß?
Also gehen wir noch einmal zurück an den Anfang, von dem alles weitere abhängt:
Paulus oder Timotheus oder Mister X sagt:
„Mir, einem dem nichts heilig war, einem Zyniker, Gotteslästerer und Narziß ist Barmherzigkeit widerfahren.“ Welchen Menschen er damit meint, welche Erfahrungen er gemacht hat, benennt er nicht eigens. Aber es müssen so einschneidende Erlebnisse gewesen sein, daß sein bisheriges Leben einen Schnitt, einen Einschnitt erfährt und danach alles einen anderen Wert bekommt.
Zyniker und Gotteslästerer erleben sich selbst alles andere als schwach- aber im Nachhinein erkennt er- eigentlich geschah mein Handeln aus einer Schwäche heraus. Stark- wirklich stark wurde ich erst, als mir dieser Mensch begegnet ist. Und erst dann war ich in der Lage zu erkennen, daß ich eigentlich schwach war.
In dem Film „Good Will Hunting“ wird die Geschichte des jungen Will erzählt. Sein Leben verändert sich von Grund auf durch die Begegnung mit einem Mann, der ihm zum väterlichen Freund wird.
Der 20-jährigeWill ist hochintelligent, aber er pfeift auf Beruf oder Karriere. Mit seinen Freunden trift er sich regelmäßig zum Saufen und für Prügeleien, denn er steckt voller Wut gegen alle und jeden. Durch Zufall entdeckt ein Professor für Mathematik seine Begabung und will ihn fördern. Er verschafft ihm einen Therapeuten, der ihm seine Raufereien abgewöhnen soll.
Will spürt sofort, daß dieser Mann noch immer unter dem Tod seiner Frau vor einigen jahren leidet und macht ihn mit seiner Trauer lächerlich. Aber der läßt sich nicht einschüchtern und gibt ihn auch nicht auf. Beim nächsten Treffen in einem Park, als sie nebeneinander auf einer Bank sitzen, fängt er an.
„Ich dachte, du wärst klug,“ sagt er „und du wüßtest alles. Aber du weißt nichts! Du redest über Liebe, aber selber hast du sie noch nie erlebt. Du redest über Sex und Treue, aber noch nie bist du verzaubert gewesen durch Berührung einer Frau, und du weißt nicht, was es heißt, jeden Morgen mit dem Menschen an deiner Seite aufzuwachen, den du liebst. Mit deinem Verstand hast du die Welt erobert, aber als Mensch lebst du noch in einem dunklen Kellerzimmer ohne Sonne, ohne Licht.“
Will ist wütend, beleidigt und schließlich - tief berührt. Noch keiner hat ihn so angesprochen. Noch keiner hat ihn so gesehen. Keiner hat gesehen, wie er wirklich ist, wie es in ihm wirklich aussieht. Er, der hochintelligente Raufbold, der zynische Macker ist ein Prügelknabe, der noch immer von den Schlägen getrieben wird, die er selber erfahren hat. Nicht seine Intelligenz regiert sein Leben, wie er allen versucht weiß zu machen. Die Gewalt, die er selbst erfahren hat, hat ihn, seinen Verstand, seine Seele fest im Griff.
Die Begegnung mit jenem Mann läßt ihn erst erkennen, wie er eigentlich ist. Seine Geduld, seine Leidenschaft und seine Bereitschaft, Verletzungen auszuhalten machen es ihm, Will, erst möglich, eine neue Geschichte zu beginnen.
Da ist einer, der zu ihm hält, sich nichts vormachen läßt und trotzdem an ihn glaubt. Da ist einer, der seine ganze zerstörerische Wut erkennt und ihn trotzdem für vertrauenswürdig hält. Er erkennt, wie schwach und verletzlich er eigentlich ist. Und wird darüber stark.
An Leute wie Will Hunting muß ich denken, wenn ich die Worte unseres Briefeschreibers höre. Solche, die souverän und selbstbewußt auftreten und den Eindruck vermitteln, daß sie ihr Leben im Griff haben. Vielleicht sind sie mit den Jahren etwas zynisch geworden, besonders wenn die Rede auf verbindliche Werte wie Liebe, Treue und Verläßlichkeit kommt, besonders, wenn es da Leute gibt, die behaupten, es gibt soetwas wie Liebe und Treue.
Für Paulus oder Timotheus oder Mister X war die Begegnung mit einem Menschen mehr als nur eine Begegnung. Sie hat alles Bisherige umgewertet, bisher wertvolles entwertet und scheinbar Wertloses kostbar gemacht.
Er deutet diese Begegnung als eine, die nicht austauschbar, nicht zufällig, nicht peripher ist. Für ihn ist ihm darin Gott selbst begegnet.
Das Wort ist Fleisch geworden. Die Ewigkeit ist in die Zeit eingebrochen. Es gibt Erfahrungen und Begegnungen, die kommen aus der Ewigkeit. Man kann sie daran erkennen, daß nichts in der Welt sie zerstören kann. Sie können verblassen oder zeitweise in Vergessenheit geraten, aber sie gehen nicht verloren. Man kann sich erinnern. Man kann immer wieder daran anknüpfen, sich nach ihnen ausstrecken, sich danach sehnen und sie suchen. Es gibt Erfahrungen und Begegnungen, die gehen nicht verloren. Warum?
Weil - so deutet unser Textschreiber - weil Jesus Christus in die Welt gekommen ist, um das Verlorene oder das verloren Geglaubte wiederzufinden und stark zu machen und glücklich zu machen.
Davon können wir heute noch zehren. Unsere Kirche steht heute vielleicht in vielerlei Hinsicht genauso am Anfang wie damals. Viele beschäftigt die Frage, welche Ordnung der Kirche gut tut in diesen Zeiten des Umbruchs, des Wertewandels. Von welchen Werten soll Kirche sich leiten lassen? Woraus soll sie schöpfen - ihre Kraft und ihre Reichtümer schöpfen?
Unser Textschreiber stellt sich als Prototyp des Gläubigen zur Verfügung. Das ist gewißlich wahr, sagt er, wenn ich schon nicht verlorengegangen bin, wozu dann sich Sorgen machen darüber, etwas oder jemanden verlieren zu können! Am Anfang ist die Beziehung. Die Beziehung zu dem, der an mich glaubt. Amen.
Verfasserin: Pfrn. Annette Bassler, Pfannenstiel 54, 55270 Ober-Olm
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