Das Wort von der Versöhnung
von Ulrich Bergner (61352 Bad Homburg)
Predigtdatum
:
20.06.2010
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
2. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
1. Timotheus 1,12-17
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Wochenspruch:
„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ (Lukas 19, 10)
Psalm: 103, 1 – 5. 8 – 13 (EG 742)
Lesungen
Altes Testament:
Hesekiel 18, 1 – 4.21 – 24.30 – 32
Epistel:
1. Timotheus 1, 12 – 17
Evangelium:
Lukas 15, 1 – 3.11 b – 32
Liedvorschläge
Predigtlied:
EG 355 Mir ist Erbarmung widerfahren
Liebe Gemeinde,
da erzählt einer von der entscheidenden Erfahrung seines Lebens, von einem Ereignis, das seinem Leben eine ganz neue Richtung gegeben hat. Er erzählt davon voller Dankbarkeit und Freude. Und wir merken gleich: dieser Mensch sieht sein Leben, er sieht sich selbst in einem ganz neuen Licht. Eine Lebenswende hat er erlebt – und was für eine! Mir ist Barmherzigkeit widerfahren, schreibt er. Das ist allerdings keine Kleinigkeit.
Viel häufiger erleben wir das Gegenteil. Davon können wir ein Lied singen – wie unbarmherzig und herzlos es in der Welt zugeht. Das fängt manchmal schon in der Familie an und hört in der großen Politik nicht auf. Barmherzigkeit ist ja schon als Wort unserer Alltagssprache in den Hintergrund getreten. Auf Barmherzigkeit möchte eigentlich keiner angewiesen sein. Wir halten uns lieber an unsere berechtigten Ansprüche – auch in sozialer Hinsicht. Die kann man notfalls einklagen. Barmherzigkeit aber lässt sich nicht einklagen, weder in der eigenen Familie, noch vor Gericht.
Wer auf Barmherzigkeit angewiesen ist, der ist arm dran, ja schlimmer noch, dem geht es einfach erbärmlich.
Doch davon finden wir in unseren Briefzeilen keine Spur. Keine Spur davon, dass sich der Apostel erbärmlich gefühlt hätte, bevor ihm Barmherzigkeit widerfuhr. Was er über sein Leben schreibt, das klingt anders. Ich war früher ein Lästerer, ein Verfolger, ein Frevler. Mit anderen Worten: Ich fühlte mich keineswegs irgendwie erbärmlich, sondern ich fühlte mich völlig im Recht.
Erst im Rückblick sieht Paulus sein früheres Leben mit kritischen Augen, erst nach seiner Lebenswende vor Damaskus. Und das, was ihm da widerfuhr, das fasst er in diesem einen Satz zusammen: Mir ist Barmherzigkeit widerfahren.
Es war ja nicht so, dass Paulus sich eines besseren besonnen hätte. Seine Lebenswende kam vielmehr wie ein Überfall. Die Barmherzigkeit hat ihn gleichsam überfallen. Und erst rückblickend vermag er zu erkennen, wie erbärmlich er dran war.
Er hatte sich doch im Recht gewusst – und wie! Und wie so manche Menschen, die sich im Recht wissen, die felsenfest von sich und ihren Gedanken und Idealen überzeugt sind, hatte er sich dafür eingesetzt. Ein wahrer Überzeugungstäter.
Nichts gegen Menschen, die sich für ihre Ideale einsetzen! Dagegen wendet sich auch Paulus nicht. Aber er merkt nun doch auch, wie gefährlich es ist, wenn einer für seine Überzeugungen, für seine Ideale, bereit ist, das Leben anderer Menschen zu gefährden oder gar zu verletzen.
Die unerwartete Begegnung mit Jesus Christus, dieser Überfall der Barmherzigkeit, hat ihm die Augen dafür geöffnet, wer er selbst in Wahrheit ist: Dass er nämlich mit all seinen felsenfesten Überzeugungen, mit denen er sich so sehr im Recht wusste, in Wahrheit arm dran war. Erst der Reichtum der Gnade Jesu Christi lässt ihn wahrnehmen, wie arm er zuvor dran war, wie sehr er in den Grenzen seiner Ideale und Überzeugungen gefangen war.
Freilich ist das eine sehr eigenartige Armut. Es fällt uns schwer, diese Erbärmlichkeit zu erkennen. Denn sie äußert sich nicht in Schwäche oder Hilflosigkeit. Man sieht sie uns nicht an. Ganz im Gegenteil – rein äußerlich betrachtet kann diese Armseligkeit auch im Gewand
eines erfolgreichen, sehr selbstbewussten und moralisch argumentierenden Menschen daher kommen. Die Bibel hat dafür ein eigenes Wort; sie nennt diese Erbärmlichkeit Sünde.
Die Sünde ist nichts anderes als unsere Gottesferne. Wir nennen Sünder ja in erster Linie solche Menschen, die Schuld auf sich geladen haben. Doch das ist nur die Folge davon, dass wir fern von Gott sind. Fern von Gottes Barmherzigkeit werden wir an anderen Menschen schuldig – und stehen vor Gott als Sünder da.
Und aus dieser Gottesferne können wir nicht heraus, auch beim besten Willen nicht. Denn wir bleiben alle Gefangene unserer Vorstellungen und Ideale. Und unser Wille führt uns immer wider zurück zu uns selbst. Keiner von uns kann über den Schatten seiner Gottesferne springen. Auch Paulus konnte das nicht.
Vorhin in der Lesung des Evangeliums haben wir das Gleichnis vom verlorenen Schaf gehört. Es passt gut zu unserem Abschnitt aus dem 1. Timotheusbrief und hilft uns ihn noch besser zu verstehen. Da verläuft sich ein Schaf. Ohne den Hirten, der ihm nachgeht und es sucht, bis er’s findet, wäre das Tier rettungslos verloren.
So verhält es sich mit Gott, erzählt uns Jesus. Er geht uns nach und sucht uns, wo wir uns zu verlieren drohen – und er findet uns. Keinen Menschen, nicht einen einzigen, gibt er verloren. Er findet uns in unserer Verlorenheit. In unserer Verlorenheit sucht er uns auf. Selbst wenn wir uns in unseren Idealen und felsenfesten Überzeugungen verlieren, sucht er uns auf. Liebevoll und barmherzig sucht er uns auf. Mit unserer Verlorenheit, sagt Jesus, verhält es sich wie mit einem Schaf, das sich verlaufen hat: Es findet von sich aus nicht mehr zur Herde zurück. Es bleibt irgendwann erschöpft liegen und bewegt sich einfach nicht mehr.
Verloren – aber gefunden!
Nichts anderes erzählt Paulus, wenn er sagt: Mir ist Barmherzigkeit widerfahren. In Jesus Christus hat Gott Paulus gefunden. In seiner Gottesferne hat er ihn gesucht und gefunden. Unter den Sündern, unter allen, die in der Gottesferne leben, bin ich der erste, der das erfahren durfte, schreibt der Apostel. Der erste, aber nun doch gewiss nicht der einzige! Der Apostel beansprucht für sich keine Exklusivität. Im Gegenteil. Er will ja die Adressaten seines Briefes, er will ja uns, an der Barmherzigkeit teilhaben lassen, die ihm widerfahren ist. Er will uns die Augen dafür öffnen, dass die Barmherzigkeit Gottes uns alle gleichermaßen umgibt wie die Luft, die wir atmen.
Denn mit Jesus Christus sucht Gott weiterhin die verlorenen Menschen aller Zeiten: Zuverlässig ist das Wort und wahrhaftig glaubwürdig, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen.
Ist Paulus für uns ein Vorbild? So nennt er sich jedenfalls selber in diesen Zeilen. Vorbilder sind Menschen, denen wir nacheifern; wir schauen zu ihnen auf und möchten sein wie sie – zumindest ein wenig.
Hier freilich verhält es sich etwas anders. Denn die Barmherzigkeit, die Paulus widerfahren ist, der kann man weder nacheifern noch sie einfordern. Doch wir können mit Paulus erstaunt wahrnehmen, dass er eben nur der erste, aber doch keineswegs der letzte war, den die Barmherzigkeit Gottes, wie sie uns in Jesus Christus begegnet und wie er von ihr in Gleichnissen erzählt hat, zu neuen Menschen macht. Da werden wir zu Menschen, die ganz und gar aus seiner Barmherzigkeit heraus leben, die plötzlich erkennen und glauben: Er hat mich gesucht und schon längst gefunden.
Denn Gott sucht uns alle unermüdlich und er freut sich – wie jener Mann, der sein Schaf gefunden hatte, - wenn wir uns von ihm finden lassen. Und das heißt nichts anderes, als den vor uns stehenden Gott als unseren glücklichen Finder anzuerkennen: Gott sei Dank! Du hast mich gefunden. Und was meine Vergangenheit angeht, alles was mich beschwert, das nimmst du mit auf deine Schultern und trägst mich, trägst mein Leben, mein ganzes Leben, trägst mich bis ins Himmelreich.
Darum dürfen wir mit dem Apostel sagen: Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.
Verfasser:Pfarrer Ulrich Bergner, Kirchgasse 3 a, 61352 Bad Homburg
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