Das Wort von der Versöhnung
von Stefan Claaß (55122 Mainz)
Predigtdatum
:
01.07.2001
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
2. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Lukas 19,1-10
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Wochenspruch:
Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. (Lukas 19,10)
Psalm: 103,1-5.8-13 (EG 742)
Lesungen
Altes Testament:
Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32
Epistel:
1. Timotheus 1,12-17
Evangelium:
Lukas 15,1-7 [8-10]
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 450,1-4
Morgenglanz der Ewigkeit
Wochenlied:
EG 232
oder EG 353
Allein zu dir, Herr Jesu Christ
Jesus nimmt die Sünder an
Predigtlied:
EG 346
Such, wer da will, ein ander Ziel
Schlusslied:
EG 331,11
Herr, erbarm, erbarme dich
1 Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Hinführung:
Die Geschichte vom Oberzöllner Zachäus gehört sicher zu den bekanntesten Abschnitten im Evangelium. Das macht es schwer: manche in der Zuhörerschaft werden vielleicht nicht mehr so genau hinhören. Andererseits ist die Geschichte unglaublich stark. Das macht es leicht: Wir können der Erzählung viel zutrauen.
Es wäre schade, die Geschichte zu verlassen, um über sie zu erzählen. Ich entscheide mich dafür, in der Geschichte zu bleiben und mit ihrem Spannungsbogen eigene Fragen zu verknüpfen. Die Predigt beginnt mit der Schau auf Zachäus und schlüpft dann in ihn hinein. Ich habe versucht so zu formulieren, dass auch Predigerinnen diese Perspektive einnehmen können - und lade dazu ein, sich das Gewand des Zachäus zurechtzuschneidern, wo es für die eigene Passform nötig ist.
Liebe Gemeinde!
Endlich ist er ganz oben. Leicht war es nicht. Aber jetzt hat er es geschafft.
Zachäus rückt auf dem Ast hin und her, bis er einigermaßen bequem sitzt. Ja, hier oben hat er einen ganz guten Überblick. Hoffentlich hat ihn niemand bei seiner Klettertour auf den Baum beobachtet. Ein bisschen peinlich. Schließlich ist er eine Amtsperson und lebt davon, dass die Leute ihn respektieren und auch ein wenig fürchten.
Als Oberzöllner braucht er das. Er bestimmt den Wegezoll hier in Jericho, er legt die Pachthöhe der Bauern fest. Die Leute maulen zwar über ihn, aber aufzubegehren trauen sie sich doch nicht. Er handelt schließlich im Auftrag der römischen Besatzungsmacht. Mit denen sollte man sich besser nicht anlegen.
Zachäus kann ja verstehen, dass die Leute murren: Warensteuer, Brückensteuer, Wegezoll, Ernteabgaben, Importsteuern, Exportsteuern, Mieten und wer weiß was noch. Wer hat da noch den Durchblick – und wer soll das alles bezahlen?
Aber wenn Zachäus einmal versucht, den Leuten zu erklären, dass er selber auch nur ein Rad im großen Getriebe sei, will niemand ihm zuhören. Er findet das ungerecht. Die Römer verlangen von ihm eine festgesetzte Steuersumme im voraus – und er kann dann sehen, wie er sie wieder hereinbekommt – plus Aufschläge für den eigenen Lebensunterhalt. Zum Glück ist der Standort hier in Jericho nicht schlecht: die Haupthandelsstraße zwischen Ost- und Westjordanland wirft einiges ab. Er hat es geschafft.
Zachäus ist, was seine Möglichkeiten angeht, ganz oben.
Ein Oberer der Zöllner. Wohlhabend. Respektiert. Unbeliebt.
Zachäus gibt sich da keinen Illusionen hin: Die Leute achten ihn wegen seines Amtes. Als Privatperson, außerhalb seiner Amtsgeschäfte ist er ein Niemand. Das hat er heute morgen wieder einmal überdeutlich zu spüren bekommen. Ursprünglich war er einer der ersten gewesen, die an der Zollstation davon gehört hatten, dass Jesus von Nazareth nach Jericho kommen sollte. Aber obwohl Zachäus einer der ersten an der Straße gewesen war, hatten ihn die anderen wie unabsichtlich, aber konsequent abgedrängt. Die meisten waren größer und breiter als er, und hier war nicht die Zollstation. Zu guter Letzt hatte er in der hintersten Reihe gestanden, die anderen alle vor ihm, Schulter an Schulter. Damit nicht genug, sie raunten sich auch noch Kommentare zu - wie: „Findest du nicht auch, dass es hier schlecht riecht? Muss irgendwo ein Zöllner stecken...“
Aber Zachäus weiß sich immer zu helfen. Er will diesen Jesus sehen. Er will wissen, was es mit ihm auf sich hat. Propheten und Prediger gibt es viele, täglich ziehen sie auf der Straße hinauf nach Jerusalem. Aber bisher hat Zachäus noch nie einen getroffen, zu dessen Freundeskreis auch Zöllner gehörten. Im Gegenteil: Die meisten hielten an der Zollstation an, um eine extra gewürzte donnernde Gerichtspredigt über die Zöllner zu halten, die sich mit den römischen Hundesöhnen verbünden, um das eigene Volk auszusaugen.
Dieser Jesus aus Nazareth scheint aus anderem Holz geschnitzt: Zachäus war mehr als erstaunt zu hören, dass Jesus den Zöllnerkollegen Levi vom Zollhaus weg engagiert hatte (s. Lukas 5, 27-32). Nicht, weil er ihm gedroht hätte mit furchtbaren Strafen, sondern weil er ihn, diesen Levi, offensichtlich bei sich haben wollte.
Wer ist dieser Jesus? denkt sich Zachäus und rückt erneut auf seinem Ast zurecht: Ich will ihn sehen. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, von hier oben den ganzen Trubel zu verfolgen. Direkt an der Straße wäre manche Überraschung möglich. Was würde ich sagen, wenn er mich plötzlich mitnehmen wollte? Mein Leben, das ich mir so mühsam aufgebaut habe, aufgeben? Ich weiß nicht... Ach, Unsinn, er kann ja nicht alle Zöllner abwerben und mit ihnen durchs Land ziehen. Es ändert auch nichts: wo ein Zöllner verschwindet, bewerben sich fünf andere um den Posten. Man ist zwar nicht beliebt, aber man hat etwas zu beißen. Von Beliebtheit kann keiner satt werden.
Andererseits: Das kann doch nicht alles gewesen sein in meinem Leben. Ich bin ganz oben, gewiss. Ich habe mein Auskommen, die Sorgen halten sich in Grenzen, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus. Soll das meine Hoffnung sein: dass es so weitergeht wie bisher? Wenn ich jetzt schon ganz oben bin – kann’s eigentlich nur noch bergab gehen. Ich glaube, ich weiß selber nicht, was ich will. Ich kann doch mein Leben nicht einfach aufgeben. Aber ich kann auch nicht einfach so weitermachen wie bisher. Nur satt sein reicht doch nicht.
Ich möchte diesen Jesus sehen!
Ich? Ich soll vom Baum runterkommen? Meinst du wirklich mich? Aber wieso, um Himmels willen? Hier sind doch Hunderte von anderen Leuten – warum gerade ich?
Also gut, ich komme. Ja, ich bin schon da.
Natürlich können wir in mein Haus gehen, bitte hier entlang, es ist nicht weit: nur hier die Gasse hinunter, gleich das zweite Haus rechts. Bitte kommt mit. Ich muss um Entschuldigung bitten, ich war natürlich nicht darauf gefasst, es ist nichts vorbereitet. Aber ich habe natürlich etwas da, nur einen kleinen Moment.
Bitte setzt euch, man wird euch gleich die Füße waschen...
Auf Leute, schnell, Getränke, bringt Feigen und Oliven, Brot und Wein...
Verzeih, Herr, aber die Leute draußen machen mich ein wenig nervös. Was werden sie von dir denken, dass du bei einem Zöllner einkehrst? Und was werden sie von mir denken?
Ich soll mich nicht kümmern und mich endlich hinsetzten?
Ja, Herr, verzeih, ich bin ein wenig aufgeregt.
„Gelobt sei Gott, unser Schöpfer, der uns Brot schenkt, Früchte und Wein: Dank sei Gott!“ Greift nur zu, es ist genug da...
Herr, ich weiß, dass ich zuviel rede, wenn ich aufgeregt bin, aber erlaube mir... Ich sehe, du lächelst – nun gut. Weißt du, seit Jahren waren keine wirklichen Gäste in meinem Haus.
Der ein oder andere Kollege gewiss, aber das ist doch wenig, immer nur mit seinesgleichen zusammenzukommen. Wirkliche Gäste seid ihr: ihr erwartet von mir keine Vorteile, kein Protegieren im Beruf, keine Fürsprache bei den Vorgesetzten.
Sonst esse ich, und wenn ich satt bin, stehe ich auf. Aber heute?
Dass wir miteinander essen und trinken, bedeutet soviel mehr!
Weißt du, was mir aufgefallen ist? Wir haben kein einziges Wort über meine Arbeit verloren...
Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Alle sehen in mir nur den Oberzöllner. Ich auch. Ich weiß gar nicht, wer Zachäus als Mensch ist. Wer bin ich, was bin ich – außer Zöllner?
Ich bin doch auch ein Mensch, ich habe Gefühle.
Immer muss ich funktionieren, muss bei den Römern geschickt taktieren und verhandeln. In der Zollstation darf ich mir keine Blöße geben. Lieber kein persönliches Wort verlieren, es könnte jemand ausnutzen.
Weißt du, Jesus, dass ich heute zum ersten Mal seit langer Zeit mich wirklich gefreut habe? Als ich auf dem Baum gemerkt habe, dass du mit mir sprichst, dass du mich anschaust, mich meinst. Die Leute am Zoll gucken auf meine Hände, meine Kleidung, auf ihr Geld. Du bist der erste seit langer Zeit, der mir in die Augen geschaut hat. Und dem ich in die Augen schauen konnte. Ich wollte von dir kein Geld, und in deinen Augen war nicht nur Hass und Verachtung zu lesen.
Weißt du – ich glaube nicht, dass ich darauf wieder Jahre warten könnte. Ich glaube nicht, dass ich darauf wieder verzichten könnte. Ich glaube nicht, dass morgen alles so sein kann wie gestern.
Ich möchte dir ein Geschenk machen. Kein übliches, wie bei anderen Leuten. Ich möchte dir etwas ganz Besonderes schenken. Ich werde dir schenken, dass ich den Menschen, die ich am Zoll über die Maßen geschröpft habe, ihr Geld vierfach zurückerstatte – so wie es im Gesetz des Mose steht. Und ich werde die Hälfte meines Besitzes an die Bedürftigen geben.
Ich glaube, ich habe heute eines gespürt: solange ich Angst habe um mich und meine Sicherheit und meinen Besitz, kann ich überhaupt niemandem wirklich in die Augen schauen. Egal, wen ich sehe: ich denke immer nur an mich. Wenn ich die Menschen am Zoll sehe, denke ich nur daran, wie viel ich verlangen kann.
Es muss doch mehr geben im Leben als nur meine Sorge um mich selbst.
Weißt du was, Herr? Als wir miteinander gegessen haben, habe ich gespürt, dass du dich um mich sorgst. Das hat so gut getan. Ich habe bisher immer gedacht, ich wäre der Einzige, der sich um mich sorgt.
Ich weiß noch etwas: Bisher steht draußen an meinem Haus geschrieben: „Zachäus, Oberzöllner“. Damit habe ich ein bisschen angegeben. Es sollte auch die vielen Bettler abschrecken.
Ich werde es ändern – du hast eben selbst gesagt, auch ich sei Abrahams Sohn. Ich werde „Oberzöllner“ überpinseln und darunter schreiben: „Abrahams Sohn“.
Vielleicht ist das ja auch etwas für euch alle in dieser Gemeinde. Schreibt es euch auf und hängt es an die Pinnwand, legt es auf den Schreibtisch oder auf das Bügelbrett oder klebt es an den Computer: „Ich bin gemeint. Gott will bei mir einkehren.“
Und wenn dann wieder so ein Tag ist, an dem ihr das Gefühl habt, ihr müsst nur funktionieren und dies und das tun, was jeden Tag getan werden muss, dann schaut auf das Schild und freut euch: Gott ist da – mitten im meinem Leben. Er nimmt mich, wie ich bin. Aber ich muss Gott sei Dank nicht so bleiben. Amen.
Verfasser: Pfr. Stefan Claaß, Am Fort Gonsenheim 151, 55122 Mainz
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