Den Menschen ausgeliefert
von Thomas Hessel (60311 Frankfurt)
Predigtdatum
:
11.03.2001
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Invokavit
Textstelle
:
Johannes 8,(21-26a).26b-30
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Wochenspruch:
Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Römer 5,8)
Psalm: 10,4.11-14.17-18
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 5,1-7
Epistel:
Römer 5,1-5 (6-11)
Evangelium:
Markus 12,1-12
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 79
Wir danken dir, Herr Jesu Christ
Wochenlied:
EG 366
Wenn wir in höchsten Nöten sein
Predigtlied:
EG 66
oder EG 326
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude
Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut
Schlusslied:
EG 346,4
Meins Herzens Kron
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für diesen Sonntag steht in Johannes 8,21-30 und ist in der Übersetzung von Hans Bruns überschrieben mit den Worten „Weitere und neue Selbstzeugnisse Jesu“ oder in der Lutherübersetzung mit „Jesu Weg zur Erhöhung.“ Im Mittelpunkt des Textes stehen Herkunft und Bestimmung Jesu. Jesus wird arm geboren: In einem Stall in Bethlehem kommt er auf die Welt. Maria wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, wahrscheinlich war es nur eine Futterrinne in der Erde, sodass Jesus tiefer gelegt war als wir. So ist der ganz unten, der wesensmäßig nach oben, nämlich ganz zu Gott gehört. Erstaunlich! Der in dem armen Stall Geborene zeigt uns, wie Gott ist. Wer ist dieser Jesus von Nazareth? Hören wir dazu die angesagten Verse:
21 Jesus sprach zu den Juden: [Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen. 22 Da sprachen die Juden: Will er sich denn selbst töten, dass er sagt: Wohin ich gehe, da könnt ihr nicht hinkommen? 23 Und er sprach zu ihnen: Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. 24 Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden. 25 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Und Jesus sprach zu ihnen: Zuerst das, was ich euch auch sage. 26 Ich habe viel von euch zu reden und zu richten. Aber:]
Der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt. 27 Sie verstanden aber nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach. 28 Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. 29 Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt. 30 Als er das sagte, glaubten viele an ihn.
Als er das sagte, glaubten viele an ihn.
Gott, öffne uns für dich und dein Wort. Amen.
Liebe Gemeinde, vor einigen Jahren lief über die Bildschirme die beliebte Sendung „Was bin ich?“ mit Robert Lembke. Vier oder fünf Personen hatten die Aufgabe herauszufinden, welchen Beruf der jeweils geladene Gast ausübte. An einem Abend gab es drei oder vier Gäste. Einer davon, der letzte, war dann der Ehrengast. Was bin ich? Wer oder was bist du? In unserem Bibelabschnitt wird fast die gleiche Frage gestellt. Gefragt wird, wer bist du denn?
Diese Frage war jedoch keine heitere Angelegenheit. Es ging vielmehr um eine sehr ernste Auseinandersetzung. Kritische jüdische Zuhörer stellten im Tempel die Frage an Jesus. Denn sie wiesen es als unwahr zurück, dass Jesus der Sohn des göttlichen Vaters ist. Er - in seiner eigenen: Person - ist das Licht des Lebens. Jesus stellte sich dem Gespräch mit ihnen, denn er wollte sie vor schlechten Wegen bewahren... vor Wegen, die in die Finsternis führen. Vielmehr sollten sie in ihm das Licht des Lebens haben. Wir wollen nun den Antworten nachgehen, die Jesus gibt auf die Frage: Wer bist du denn?
ERSTENS: „Ich bin von oben,“ so stellt er es in den Raum. Jesus steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Gott. Er kommt wesensmäßig von oben. Er ist in diese Welt gekommen, ist aber nicht von dieser Welt. Ist er nicht von dieser Welt, so muss es noch eine andere Welt geben, als die, in der wir uns vorfinden. Eine Welt, die nicht gleich sichtbar, aber doch wirklich ist.
Jesus kommt her von Gottes unsichtbarer Welt. Er war zuvor in Gottes Herrlichkeit, in trauter Gemeinschaft mit seinem Vater. Deshalb ist Jesus dem Vater im Himmel nahe wie niemand sonst. Er kennt seinen Willen, und er kennt, was Gott im Wesen ist. Beides offenbart er in unsere Welt hinein: „ Was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt.“ Aus bester Kenntnis und getreu verkündigt Jesus den Willen des Vaters. –
Niemand sonst kann diesen Anspruch erheben: „Ich tue allezeit, was ihm gefällt...“ Er redet also nicht nur Worte des Vaters; er lebt sie auch im Alltag..., und zwar allezeit. Er lebt im steten Einklang mit seinem Vater. Er erfüllt seinen Willen voll und ganz.
Bei Jesus stimmen deshalb Reden und Tun überein. Beides ist deckungsgleich: WAS ER REDETE, DAS TAT ER AUCH! WAS ER TAT, WAR DURCH SEIN REDEN ABGEDECKT. - Eine wunderschöne Einheit.
ZWEITENS: „Ihr seid von unten.“ Wir kommen von unten her, wir kommen nicht aus des Vaters Schoß. Wir finden uns nicht vor in trauter Gemeinschaft mit Gott. Seit dem Ungehorsam der ersten Menschen im Paradies ist diese Gemeinschaft mit Gott zerstört, zwischen Gott und seinen Geschöpfen ist ein tiefer Riss entstanden. Er war und ist für uns Menschen unüberbrückbar.
Es ist eine harte Trennungslinie. Von Gott getrennt sein, das ist die Ursünde des Menschen. Zuerst redet Jesus von der Sünde, dann von den Sünden. Er unterscheidet also die Ursünde, den Abfall von Gott, und die daraus folgenden sündigen Gedanken, Worte und Taten. Im Deutschen hängen die Worte SÜNDE und SUND zusammen. Die Sünde ist für uns wie ein tiefer Einschnitt, durch den wir getrennt von Gott sind.
Die Sünde will Leben verhindern. Sie führt ins Verderben. Sie richtet zugrunde. Dreimal sagt Jesus zu seinen ungläubigen Zuhörern: „ IHR WERDET STERBEN IN EUREN SÜNDEN.“ - Und in der Tat: Auf dem Hintergrund des gelebten Lebens kann kein Mensch sagen, er tue allezeit, was Gott gefällt. Das kann nur Jesus sagen.
Paulus formuliert zurecht im Römerbrief: „ Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.“ Der von Gott getrennte Mensch tut, was Gott missfällt. Nur der Selbstgerechte kann von sich behaupten: „Ich bin schon recht, so wie ich bin.“ Denn er misst sich an den Maßstäben, die er sich selber zurechtgelegt hat.
Wer sich im Lichte Gottes erkennt, der muss wie Jesaja demütig bekennen: „WEH MIR; ICH VERGEHE!“ Jesus lebt aus der Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater; wir sind immer wieder zu schwach das zu tun, was vor Gott und den Menschen recht und angebracht wäre: Manchmal versprechen wir etwas, was wir beim besten Willen nicht einhalten können, etwa weil wir uns verschätzt haben..., weil wir unsere Zeit, unsere Kraft, unsere Mittel nicht richtig berechnet haben. Und immer wieder fehlt uns auch die Kraft umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben.
Entsprechend hat auch schon Paulus gesagt. „Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute kann ich nicht.“ Deshalb der himmelweite Unterschied, der große „Sund“ zwischen Gott und uns. „ Ihr kommt nicht zu Gott, sondern ihr werdet in euren Sünden sterben!“ Spricht Jesus uns alle so an, so will er sagen:
„Ihr seid behaftet in eurer Sünde.“ Oder noch anders gesagt: Die Sünde hängt euch an. Und deshalb seid ihr von unten her. „IHR SEID VON DIESER WELT,“ so sagt es Jesus. Für euch gelten die Gesetze dieser Welt. Die zwei Leitfragen, nach denen sich solch ein Leben dann ausrichtet sind: Wie kann ich mich gegenüber den anderen behaupten und durchsetzen? Zweitens: Wie kann ich aus meinem Leben so viel wie möglich machen?
Wir fragen meist nicht: Wie kann ich im Einklang mit Gott... mit den anderen Menschen und mit der Natur leben. Dann bleiben wir bei uns selber stehen/ sehen letztendlich nur mehr uns selbst... vielleicht gerade noch den engen Kreis, in dem wir leben.
Ein berühmter lateinischer Dichter hat es gesagt und auf den Punkt gebracht, was Jesus meint: „ Niemand wird ohne Böses geboren.“ Er weiß, dass in der Welt das Böse eine große Rolle spielt. In der Welt dominiert der EGOISMUS. Das heißt, wir alle sind Gefangene unserer selbst. Wären wir alleine auf uns gewiesen, kämen wir nicht davon los. Wären wir nur auf uns gewiesen, würden wir im Tode bleiben. Denn der Tod ist der Lohn für unsere Sünde.
Wären wir nur auf unsere eigene Kraft verwiesen, müssten wir ein Leben für uns alleine führen. Wie das in der Tat aussieht, kann uns eine alte Legende sehr treffend verdeutlichen:
Vor einigen Jahre war ich mit einer Gruppe junger Leute unterwegs in der Schweiz. Am Genfer See besichtigten wir das Schloss Chillon, das in den See hineingebaut ist. Dort wird den Besuchern noch heute ein dunkler Raum gezeigt, der einst ein Gefängnis gewesen ist. In der Mitte des Raumes ragt eine große Säule nach oben. An der Säule war über lange Jahre angekettet der Freiheitskämpfer Franz Bonivard. Mit langer Kette soll er immer um die Säule herumgegangen sein, bis seine Tritte Spuren im Fußboden des Raumes hinterließen. -Was für ein Weg, wenn man die Tausende von Schritten zusammenrechnet? Verlorene Mühe dieses Sich-Drehen im Kreis? Ebenso ist ein Leben, das mit all seinen Kämpfen und Sorgen, mit all seinem Streben und Verlangen im Grunde genommen ein sinnentleertes und vergebliches Leben, wenn es sich nur um diesen einen Mittelpunkt, wenn es sich nur ums eigene Selbst dreht...
WIR FASSEN ZUSAMMEN: Jesus ist von oben, wir sind von unten. Obgleich Jesus Mensch geworden ist, gibt es doch himmelweite Unterschiede. Jesus lebte ohne Sünde, wir aber werden stets von neuem von der Sünde in den Bann gezogen und in Beschlag genommen. Und schuldig werden wir allzumal in unserem Leben. Es geht uns so wie dem Baron Münchhausen, der in einen Sumpf geraten war und sich nicht selbst an seinem eigenen Haarschopf herausziehen konnte.
DRITTENS: Jesus kam von oben nach unten! Er kam nicht, um nur einen kurzen Besuch zu machen oder sich interessehalber umzuschauen. Nein, er kam, um uns Menschen aus der Umklammerung der Sünde zu befreien. Ihn jammerte der Menschen, die an ihrer Sünde zugrundegingen.
Die Vorstellung ist folgende: Hier konnte nur einer helfen, der selber ohne Sünde war. Ein Sünder kann seine eigene Sünde nicht wegschaffen. Jesus zeigt hier für uns den Weg der Befreiung auf: „WENN IHR DEN MENSCHENSOHN ERHÖHEN WERDET..., DANN WERDET IHR ERKENNEN, DASS ICH ES BIN...“
Jesus spricht hier von sich selbst. Er redet von seinem Erhöhtwerden am Kreuz. Nur durch das Sterben dessen, der von oben kam, war es möglich, die Sünde zu überwinden. Jesus büßte für unsere Sünden am Kreuz. In dieser Hinsicht hat Johannes der Täufer sehr treffend ausgedrückt: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Sünden machen uns zu schaffen. Sie belasten und drücken nach unten. Jesus befreit von ihnen und hilft zu einem Leben, das nach oben ausgerichtet ist.
Jesus bringt nach oben, jetzt schon, indem er uns unter seine gute Herrschaft stellt. In großartiger Weise wird er uns einst zum Leben bringen. Seit Jesus am Kreuz erhöht wurde und auferstanden ist, muss es nun nicht mehr zwangsläufig heißen: „Ihr werdet sterben in euren Sünden!“ Jetzt heißt die Botschaft: „Ihr dürft leben mit all eurer Schuld und mit all euren Sünden, allerdings als davon Losgesprochene!“
Jesus ist am Kreuz erhöht, aber sein Weg hat ihn immer wieder nach unten geführt. Jesus geht zu den Menschen in ihre Tiefe und schenkt ihnen neue Lebenschancen; er überwindet und überbrückt dadurch, was sich zwischen Gott und die Menschen gestellt hat. Seit Jesus gekommen ist, ist Gott nicht mehr unerreichbar fern, sondern ganz nahe bei uns. Er ist ganz nahe in unserem Leid, denn er leidet mit. Er ist nahe in unserer Trauer, in unserer Ohnmacht und Niedergeschlagenheit, er ist uns nahe, wenn wir abzustumpfen oder gleichgültig zu werden drohen. Er hat seinen Weg zum Vater eingeschlagen; und doch ist er uns als der lebendig wirksame durch Ostern und seit Pfingsten ganz nahe. Im Glauben schenkt er uns seine Gemeinschaft. Es gibt einen Weg von oben nach unten. Die Brücke steht, und es liegt an uns, ob wir sie glaubend beschreiten. Amen!
Verfasser: Pfr. Thomas Hessel, Brentanostr. 21, 60325 Frankfurt
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