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Den Versuchungen standhalten

von Christiane Müller (Rostiz)

Predigtdatum : 14.02.2016
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Aschermittwoch
Textstelle : Hebräer 4,14-16
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Wochenspruch:
"Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre." (1. Johannes 3, 8 b)

Psalm: 91, 1 - 4.11 - 12 (EG 736)


Lesungen
Altes Testament: 1. Mose 3, 1 - 19 (20 - 24)

Epistel: Hebräer 4, 14 - 16

Evangelium: Matthäus 4, 1 - 11



Liedvorschläge
Eingangslied: EG 168, 1 – 3. 6 Du hast uns, Herr, gerufen
Wochenlied: EG 347 Ach bleib mit deiner Gnade
Predigtlied: EG 587, 1 - 3. 6. 7 Gott ruft dich, priesterliche Schar
Schlusslied: EG 590, 1 - 3 Herr, wir bitten


Predigttext Hebräer 4, 14 – 16
„Weil wir denn einen Hohepriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten am Bekenntnis.
Denn wir haben keinen Hohepriester, der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem, wie wir, doch ohne Sünde.
Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“



Vorbemerkung
Die neutestamentliche Forschung ist sich unschlüssig, wann genau der Hebräerbrief verfasst wurde und wer seine Adressaten sind. Vermutlich sind es Judenchristen der zweiten Generation, die sich in einer Situation der Verfolgung befinden. Der Verfasser ermutigt sie, standhaft an ihrem Glauben festzuhalten.

Auffallend ist die häufige Verwendung des Titels „Hohepriester“ für Christus, so auch in diesem Predigttext. Da die heutigen Predigthörer vermutlich mit einem „Hohepriester“ wenig anfangen können, ist es wichtig, seine Funktion zu erklären, um den Text zu verstehen. Der Hohepriester zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er am Jom-Kippur-Tag als einziger das Allerheiligste im Tempel betreten durfte und befugt war, dem Volk im Auftrag Gottes seine Sünden zu vergeben. Als Zeichen dafür wurden die Sünden auf einen Bock übertragen, der in die Wüste geschickt wurde, ein anderer wurde geschlachtet und mit seinem Blut der Deckel der Bundeslade im Allerheiligsten besprengt. Der Schreiber des Hebräerbriefs betont, diese Art der Entsühnung sei durch Jesus Christus überflüssig geworden.

In Hebräer 4, 14 - 16 wird Jesus der Gemeinde als derjenige vorgestellt, der mit der Schwäche der Menschen mitleidet, weil er selbst ganz Mensch war und wie sie in Versuchung geriet. Dazu passt die Lesung des Evangeliums für Invokavit, Matthäus 4, 1 – 11, die die Geschichte von der Versuchung Jesu erzählt. Jesus blieb dabei ohne Sünde. Er ist eins mit Gott. Er wohnt nicht einmal im Jahr im Tempel wie ein menschlicher Hohepriester. Er wohnt bei Gott („hat die Himmel durchschritten“) und ist zugleich den Menschen ganz nahe.

Der Predigttext ermutigt die unter Verfolgung leidenden Christen, an diesem Glauben festzuhalten und die Gnade und Barmherzigkeit Christi zu erfahren, die ihnen jetzt in ihrer Zeit der Bedrängnis hilft.

Christen werden heutzutage weltweit verfolgt. Woher nehmen sie ihren Glauben, an diesem unsichtbaren „Hohepriester“ Christus festzuhalten?

Sind wir als Christen hierzulande auch so stark im Glauben? Oder haben wir uns bequem eingerichtet mit unseren eigenen „Hohepriestern“, denen wir leichter vertrauen als Jesus Christus? Diese Fragen wirft der Text bei mir auf. Meine Predigt will, wie der Hebräerbrief, Menschen zum Glauben ermutigen in schwierigen Zeiten.




Liebe Gemeinde,

wissen Sie eigentlich, wie mächtig der Hohepriester zur Zeit Jesu war? Als Vorsitzender des Jerusalemer Tempels hatte er genau darauf zu achten, dass die zahlreichen jüdischen Reinigungs- und Opferrituale eingehalten wurden. Auch trieb er die Tempelsteuer ein, die jeder erwachsene Jude für den Betrieb und Erhalt des Tempels zahlen musste. Menschen, die das nicht konnten, waren vom Tempel und ihren Gottesdiensten ausgeschlossen. Genauso erging es den Kranken und Behinderten. Sie galten als unrein. Mit ihnen durfte der Hohepriester nicht in Berührung kommen.

Der wichtigste Tag im Leben des Hohepriesters aber war Jom-Kippur, der Versöhnungstag, der höchste jüdische Feiertag. Nur an diesem einen Tag betrat der Hohepriester das Allerheiligste in der Mitte des Tempels. Hier befand sich die Bundeslade, die die Tafeln mit den zehn Geboten enthielt. Das ganze Jahr über durfte kein Mensch in diesen Raum, nur an Jom-Kippur. 24 Stunden zuvor reinigte sich der Hohepriester gründlich und legte ein goldenes Gewand an. Die ganze Nacht hindurch blieb er im Allerheiligsten und las in der Thora, dem Gesetzeswerk von Mose. Sobald dann der erste Sonnenstrahl die goldenen Zinnen des Tempels erhellte, trat er in den äußeren Vorhof. Hunderte von Menschen hatten sich dort schon Stunden zuvor versammelt, um diesen besonderen Moment nicht zu verpassen.

Stellen Sie sich diese eindrückliche Szene vor, liebe Gemeinde: den Sonnenaufgang, das im Morgenlicht funkelnde Tempeldach, den Priester in seinem glitzernden Gewand! In die feierliche Stille hinein betete er mit dem Volk das Sch‘ma Jisrael, das Hauptgebet der Juden, „Höre Israel, dein Gott ist einer“. Anschließend spendete er den Segen, tauschte sein goldenes Gewand gegen ein einfaches, weißes und verschwand im inneren Tempelhof. Laut bekannte er hier sich selbst, die Gemeinschaft der Priester und das ganze Volk vor Gott als Sünder. Zwei Ziegenböcke standen bereit. Einer wurde als Sühneopfer geschlachtet. Den andern schickte er in die Wüste als Zeichen dafür, dass nun alle Sünden vergeben und ein Neuanfang möglich war.

Jetzt zog sich der Hohepriester wieder ins Allerheiligste zurück. Hier besprengte er die Bundeslade mit dem Blut des Opfertiers und versenkte sich ins Gebet, bis er in eine Art religiöser Verzückung geriet. Draußen wartete das Volk gespannt, dass er wiederkehrte. Nur dann, so glaubte es, habe Gott wirklich die Sünden vergeben. Es wird erzählt, jedes Mal, wenn er endlich erschien, habe sein Gesicht so hell geleuchtet wie das Gesicht von Mose, nachdem er mit Gott geredet hatte.

Ich stelle Ihnen die kultischen Handlungen am Jom-Kippur-Tag hier sehr verkürzt dar. Eines aber wird deutlich: Der Hohepriester schien Gott näher als jeder Mensch. Es gab zwar immer wieder Kritik an seiner Person. Als Vorsitzender des Hohen Rates, der wichtigsten politischen Institution, missbrauchte er nicht selten seine Macht, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Aber die Menschen, meistens einfache, ungebildete Leute, konnten sich seiner Ausstrahlung nicht entziehen. Heilige Ehrfurcht erfasste sie bei seinem Anblick.

Wir können uns kaum vorstellen, wie entsetzlich es für sie war, als bei einem jüdischen Aufstand gegen die Römer der Tempel völlig niederbrannte. Von heute auf morgen veränderte sich das religiöse Leben in Jerusalem. Seitdem – seit fast 2000 Jahren – gibt es keinen Hohepriester mehr.

Wir wissen nicht genau, wann der Hebräerbrief geschrieben wurde, ob kurz vor oder kurz nach der Zerstörung des Tempels. Aber den meisten Christen, denen er im Gottesdienst vorgelesen wurde, stand sofort ein Bild vom Tempel und seinem Hohepriester vor Augen. Die meisten waren früher Juden, ehe sie sich zu Christus bekehrt hatten. Viele der Älteren waren sicher schon einmal in Jerusalem gewesen. Und denen, die die Stadt nicht kannten mit ihrem Tempel nicht kannten, war sie sicher in den schillerndsten Farben geschildert worden. Fühlten sie sich bei den Worten des Briefes ertappt? Sehnten sie sich nicht oft nach solch einem Tempel und einer hohepriesterlichen Autorität?

Sie hatten Jesus. Ja. Aber das Bild von ihm drohte zu verblassen. Hohn und Spott ernteten sie für ihren Glauben an den, der einst barfuß durch das Land lief, unter freiem Himmel predigte, sich mit dem Abschaum der Gesellschaft abgab, mit Bettlern und Obdachlosen, mit Prostituierten und Verbrechern und der schließlich selbst wie ein Verbrecher am Kreuz hingerichtet wurde. Die Vorstellung, die die Gläubigen von Jesus hatten, konnte kaum in einem größeren Widerspruch stehen zu jenem prunkvollen, mächtigen Hohepriester in Jerusalem. Ihr Glaube stieß immer mehr auf Unverständnis, auf offene Aggression und Gewalt.
Der Schreiber des Hebräerbriefs, dessen Namen wir nicht kennen, will die Christen trösten: „Lasst euch doch nicht verblenden! Solch ein Hohepriester ist doch gar nicht an euch interessiert. Die Menschen, die ihm nicht genehm sind, grenzt er einfach aus - die Armen, die Schwachen und Leidenden. Jesus ist anders. Er weiß, wie es sich anfühlt, Mensch zu sein, Schmerzen zu haben, zu leiden. Er weiß, wie es ist, arm zu sein und ohne Ansehen. Er versteht euch auch jetzt, in eurer schwierigen Situation, wo ihr versucht seid, an ihm zu zweifeln. Denn auch er war der Versuchung ausgesetzt. Er hat widerstanden. Aus Liebe zu euch hat er Verfolgung und Tod auf sich genommen. Was ihn von euch unterscheidet, ist, dass er wirklich heilig ist. Eins mit Gott. Aber er versteht euch. Denn er ist euch ganz nahe. Er tröstet euch. Er gibt euch die Kraft, dem Hass und der Gewalt zu widerstehen. Er ist ein echter, ein wahrer Hohepriester.“

Ich frage mich manchmal: Wäre mein Glaube stark genug, um zu widerstehen, wenn ich seinetwegen verfolgt und bedroht würde? Oder würde ich versuchen, meine Haut zu ret-ten und Christus verleugnen?

Mehr als 200 Millionen Christen in über 60 Ländern werden heutzutage verfolgt, unterdrückt, kommen ins Gefängnis, werden gefoltert oder zur Zwangsarbeit verurteilt. Ihr Leid ist für uns unvorstellbar. Besonders die syrischen Christen leiden unter dem muslimischen Terror, der ihr Land über-zieht. Zehntausende fliehen. Wie Karima: „Wir haben alles verloren. Ich habe viel geweint, als wir Syrien verlassen mussten. Das war wirklich sehr schwer für mich“, erzählt sie

In all dem Leid, das ihrer Familie widerfahren ist, kam Ka-rimas Glaube nicht ins Wanken: „Unser Gottvertrauen hat sich nicht verändert … Wir werden Gott dienen, ganz egal wo – ob in Europa, Kanada oder sonst wo,“ sagt sie.

Die Glaubensstärke solcher Christen, die so viel Leid durchmachen, rührt mich. Sie fordert mich, sie fordert uns alle heraus - unsere Solidarität und Hilfsbereitschaft, unsere Gebete und unseren Glaubensmut.

Wie stark ist unser Gottvertrauen? Verlassen wir uns auf Jesus, den Christus? Oder mehr auf unsere „Hohepriester“ in der Politik, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, in der Wirtschaft, wenn es um unsere finanzielle Absicherung geht, in der Medizin, wenn es um unsere Gesundheit geht, oder in den Kirchen, wenn es um unser Leben geht, sein Woher und Wohin? Wo immer wir aber Menschen für allmächtig halten, werden wir enttäuscht werden. Vielen sind ihre eigenen Interessen wichtiger als wir. Beispiele kennen wir zur Genüge:

Die Reichen in unserem Land profitieren davon, dass es keine Vermögenssteuer gibt. Unternehmer bereichern sich durch die Produktion von Billigfleisch unter unsäglichen Qualen für die Nutztiere und auf Kosten unserer Gesundheit. Manchmal suchen wir nach Sündenböcken, um unseren Zorn und unsere Enttäuschung zu verarbeiten. Aber das hilft nicht weiter. Es geht um eine Änderung der Gesinnung.

Viele Menschen machen heute die Religionen und ihre Vertreter zu Sündenböcken für all die religiös begründete Gewalt auf unserer Welt. Dabei ist es auch hier allein menschliches Versagen, wenn Religion zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht wird. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, eine gottlose Welt wäre eine bessere Welt. Wenn wir Religionen und unterschiedliche Denkweisen gegeneinander ausspielen, trägt das nicht zum Frieden bei.

Christus lädt uns ein, darauf zu vertrauen, dass Gott seine liebende Zuwendung allen Menschen dieser Erde schenkt. Sein Mitleid gilt allen, die leiden, den Kranken, den Mühseligen und Beladenen und denen, die unterdrückt, verfolgt, gefoltert und vertrieben werden, egal welche Religion sie haben. Er ermutigt uns, unsere Stimmen zu erheben für all die, die mit Gewalt zum Schweigen gebracht werden und für die zu beten, die wegen ihrer Gesinnung im Gefängnis sitzen. Solche Gebete helfen gegen den Gleichmut und das Vergessen und bewahren vor falschen Schuldzuweisungen.
Unser Vertrauen auf Christus macht seine Liebe zum Maßstab unserer Urteilsbildung und ermutigt uns, nach Wegen zu suchen, um zu helfen, selbstlos und unbürokratisch.

Und wenn wir einmal leiden müssen, weil wir krank sind, schwach oder verzagt, dürfen wir im Glauben an ihn „Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“, heißt es in unserem Predigttext.

Ermutigende Sätze, die gut tun in diesen schwierigen Zeiten. Wenn wir als Christen der Liebe Gottes nichts zutrauen, wer dann? Ich wünsche uns allen solch einen Glaubens- und Lebensmut.
Amen.


Verfasserin: Pfarrerin Christiane Müller
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