Wochenspruch:
Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Matthäus 25,40
Psalm: Psalm 112,5-9
Lesungen
Altes Testament: 1.Mose 4,1-16a
Epistel: 1.Johannes 4,7-12
Evangelium: Lukas 10,25-37
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 452 Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied: EG 343 Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ
Predigtlied: EG 428 Komm in unsre stolze Welt
Schlusslied: EG 391 Jesu geh voran
Gedanken vorab
Die Frage des Schriftgelehrten an Jesus „Wer ist denn mein Nächster?“ steht wie eine Überschrift über dem Gottesdienst am 13. Sonntag n. Tr. Jesus kehrt diese Frage um und fragt zurück „Für wen bist du Nächster?“ .
Die Lesungen zeigen den vorbildlichen fürsorglichen Umgang und die Liebe mit bzw. zu meinen Mitmenschen. Im Evangelium höre ich vom mitfühlenden barmherzigen Samariter. Die Epistellesung ermutigt mich, dem/der anderen liebevoll zu begegnen, weil Gott mir mit Liebe begegnet.
Im Zentrum der Predigt steht eine Erzählung über Totschlag: die Urerzählung von Kain und Abel. Sie deckt die dunklen und fragwürdigen Seiten des Menschen auf und benennt, wie der Mensch (auch) ist und wie er (auch) sein kann.
Die Brutalität der biblischen Erzählung ist offenbar. Der Mord ist nicht wegzureden. Es bleiben viele Fragen offen. Warum musste es soweit kommen? Warum begegnet Gott nicht beiden Brüder gleich? Schnell scheint auch das Urteil über die beiden Brüder gefallen zu sein: Kain ist der Böse, der Mörder, der Kaltblütige. Abel dagegen, der Unschuldige, der Gute, das Opfer. Ist der Mensch so? So schwarz und weiß?
Und Gott? Gottes Handeln bleibt für mich ein Geheimnis und macht mich ratlos.
Ich schaue auf die Brüder. Im Anschluss an sie frage ich „Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um?“ – „Wie und wer bin ich?“ – „Wer ist der Mensch?“ Ich habe meinen Blick für diese Predigt auf die Gefühlswelt der beiden Brüder gelegt und mich gefragt: Gibt es etwas von Kain in mir? Habe ich etwas Abel in mir?
Der Predigttext ist in einzelne Abschnitte untereilt, die jeweils ein Gefühl fokussieren, dass auch mir nicht gänzlich fremd ist.
Der Text wird während der Predigt gelesen
„Der Mensch heißt Mensch,
weil er vergisst, weil er verdrängt.
Und weil er schwärmt und stählt,
weil er wärmt, wenn er erzählt.
Und weil er lacht, weil er lebt.
Der Mensch heißt Mensch,
weil er irrt und weil er kämpft und weil er hofft und liebt,
weil er mitfühlt und vergibt, weil er lacht, weil er lebt.“
Liebe Schwestern und Brüder,
der Musiker und Sänger Herbert Grönemeyer besingt in diesen Liedzeilen, was den Menschen ausmacht. Mit Fingerspitzengefühl und untermalt von emotionalen Klängen, beschreibt er den Menschen, als einen Gefühlsmensch. „Der Mensch heißt Mensch […] weil er hofft und liebt […] weil er mitfühlt.“
Liebe und Hass. Trauer und Freude. Zärtlichkeit und Eifersucht. Lust und Wut. Unsere Gefühlspalette hat unendlich viele Schattierungen und Farbnuancen. Sie geben unserem Leben erst die richtige Farbe. Ohne Gefühle können wir nicht leben. Wer nicht mitfühlen kann und auf alles verkopft reagiert, wird schnell als gefühlskalt und unmenschlich bezeichnet.
Gefühle können aber auch eine große Macht haben und uns beherrschen. Nicht selten sind sie die Basis für unsere Entscheidungen. Auch für die scheinbar vernünftigen.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag erzählt uns von einem Wechselbad der Gefühle. Es ist die Erzählung der beiden Brüder Kain und Abel im Ersten Buch Mose. Die Geschichte über die ersten Menschenkinder beginnt folgendermaßen:
1. (1. Mose 4,1-5a) „Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“
Was für ein Gefühl muss das für Kain gewesen sein? Da bringt er Gott ein großherziges Opfer dar. So empfindet er es jedenfalls. Aber Gott ignoriert es. Kain fühlt sich schlagartig zurückgestoßen und ungerecht behandelt. Dabei hatte er sich so viel Mühe gegeben. Er hat die besten Feldfrüchte ausgesucht und er war nicht knauserig. Ganz im Gegenteil. Stolz hat er sie vor Gott ausgebreitet. Und er hat sich gefreut, dass sein Bruder ebenfalls das Beste aus seiner Herde ausgesucht hat. Da standen sie beide. Glücklich und dankbar. Und Gott tut, was keiner von beiden erwartet hätte: er wählt! Er lehnt Kains Opfergabe ab und begründet seine Wahl nicht.
Liebe Schwestern und Brüder, die Erzählung über die ersten Kinder der biblischen Schöpfungsgeschichte erzählt uns, wie der Mensch (auch) ist und wie er (auch) sein kann. Auch ich? Ich wage die Frage: Wie viel Kain steckt in mir? Wie viel Abel trage auch ich in mir?
2. (1. Mose 4,5a-7) „Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.“
Der Neid – Kain wird neidisch. Nicht auf seinen Bruder Abel an sich oder auf seine Tiere. Abel ist wirklich ein guter Schäfer. Er geht liebevoll und fürsorglich mit seinen Tieren um, findet Kain. Nein, Kain ist neidisch, weil sein Bruder besser da steht als er selbst und angesehener ist. Amerikanische Forscher haben wissenschaftlich bestätigt, das Neid dort am besten gedeiht, wo er am wenigsten zu suchen hat: unter guten Freunden und in der eigenen Familie. Wer Geschwister hat weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Schwester bevorzugt wird. Wenn der Bruder die größeren Geschenke bekommt. Wenn die Schwester scheinbar für alles gelobt wird. Wenn der Bruder das größere Erbe bekommt. Neid ist schmerzhaft. Niemand wird gerne zurückgewiesen. Auch Kain nicht.
3. (1. Mose 4,8) „Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.“
Die Gleichgültigkeit – Was ist da auf dem Feld passiert? Haben die beiden miteinander geredet? Hat Kain seinen Bruder gefragt: „Wie findest Du, was mir hier geschieht?“ Ob Abel Mitgefühl gezeigt hat? Oder hat er sich gedacht: „Was soll’s. Jeder ist sich selbst der Nächste. Ich bin ja nicht schuld daran, dass es dir so ergangen ist. Was kann ich dafür, dass du im Beruf nicht so erfolgreich bist wie ich? Was kann ich dafür, dass du nicht so viel Geld hast, wie ich. Es tut mir ja leid, dass das Leben dir so übel mitspielt; aber ich kann mich ja nicht für alles verantwortlich fühlen.“ Es gibt diese Abels. Die vorbeigehen, wenn einer unter die Räuber gekommen ist. Sie meinen es nicht unbedingt bösartig. Es ist ihnen gleichgültig. Vielleicht hat Kain Abel auch gebeten, ihn zu unterstützen und ihm beizustehen. „Steh` mir zur Seite! Hilf mir zu kämpfen und für mich einzutreten!“
Der Zorn – Vermutlich hat Abel nur wenig Mitgefühl geäußert und kaum Interesse für seinen Bruder gezeigt. Kains Neid steigert sich in Zorn. Er bekommt einen Gefühlsausbruch und kann sich nicht mehr im Zaum halten. Sein Puls rast und innerlich kocht es in ihm hoch. Er hat sich nicht mehr unter Kontrolle und schlägt seinen Bruder kaltblütig tot.
4. (1. Mose 4,9-12) „Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.“
Die Wut – Jetzt schaltet sich Gott ein. Endlich. Von Kains Opfer hat er sich abgewendet, aber jetzt spricht er zu Kain und wendet sich ihm zu. Wie ein Vater, der sein Kind beim Lügen ertappt und die Antwort schon weiß, fragt er ihn: „Wo ist dein Bruder?“ Kain ist jetzt ein bisschen Abel. „Was weiß ich denn – bin ich denn für alles und jeden verantwortlich? Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Kain ist wütend. Vielleicht auch auf Gott.
5. (1. Mose 4,13-14) „Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.“
Die Scham – Je länger Kain darüber nachdenkt, was geschehen ist, wird ihm bewusst, dass er Schreckliches getan hat. Er erkennt, dass es falsch war und ihm wird klar, welche schwere Schuld er auf sich geladen hat. Fassungslos über sich selbst, beginnt er sich zu schämen. Aus der Magengegend breitet sich ein Gefühl aus, dass ihn wellenartig überrollt.
Vielleicht erschrickt er über sich selbst und fragt sich: „Wie konnte es nur soweit mit mir kommen?“ Er fühlt, dass er nichts rückgängig machen kann und erkennt, dass es im Leben ein Zuspät gibt. Manchmal stirbt der andere, ehe ich ihn um Verzeihung bitten kann. Manchmal kann ich meine Worte nicht ungeschehen machen, die ich zu ihr gesagt habe. Manchmal bekomme ich ein „Ich zeihe dir.“ nicht über die Lippen.
Die Angst – Kain bekommt es mit der Angst zu tun. Er hat keine Angst vor Gott. Vielmehr fürchtet er sich vor seinen Mitmenschen, die sich an ihm rächen könnten. Kain hat Angst vor dem Tod.
6. (1. Mose 4,15) „Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände.“
Die Liebe Gottes – Hier wendet sich die Geschichte. Dem Neid, der Gleichgültigkeit, dem Zorn und der Wut, der Scham und der Angst vor dem Tod setzt Gott etwas entgegen, was wir Menschen nur als ein Gefühl kennen: die Liebe. An dieser Stelle stoppt Gott das Geschehen und greift ein. Ob er erschrocken war, als er sah, wozu Menschen fähig sind? Hat er geahnt, was Menschen einander antun können?
Gott markiert Kain mit einem Zeichen. Ein Schutzzeichen, dass Kain auf ewig markiert und ihn als Mörder kennzeichnet. Aber ein Zeichen, dass ihn am Leben lässt.
Der ganzen Brutalität, die Gott bei seinen Menschenkindern sah, hält er seine Liebe entgegen. Eine Liebe, die wir weder fühlen noch fassen können. Eine Liebe, die unsere Vernunft übersteigt, weil sie dem Tod etwas entgegen zusetzen hat und Zukunft möglich macht. Gott zeichnet Kain, damit jeder erkennt: Kain steht unter Gottes Schutz.
7. (1. Mose 4,16) „So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.“
Liebe Gemeinde,
Kain lebt! Wer ein paar Seiten weiter liest, der erfährt, dass Kain die erste Stadt baut. Er wechselt seinen Beruf und wird Bauingenieur und Architekt. Er findet eine Frau und bekommt mit ihr zusammen Kinder. Er fängt von vorne an.
Jedoch: Kain verlässt das Antlitz des Herrn und geht weg. An einen anderen Ort, jenseits von Eden. Aber, er hätte es nicht gemusst. Gott hat ihn nicht weggeschickt. Kain ist freiwillig gegangen.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Erzählung über die ersten Kinder der biblischen Schöpfungsgeschichte erzählt uns, wie der Mensch (auch) ist und wie er (auch) sein kann: Neidisch gegenüber seinem Bruder. Gleichgültig gegenüber der Schwester, der es schlechter geht. Zornig, wütend und beschämend gegenüber sich selbst. Ängstlich gegenüber dem Leben und dem Tod. Und sie zeigt, was Gott dem entgegenhält: Seine Liebe. Sein Erbarmen. Seine Gnade. Weil er uns liebt. Weil er den Menschen liebt.
„Und der Mensch heißt Mensch
Weil er vergisst, weil er verdrängt.
Und weil er schwärmt und glaubt, sich anlehnt und vertraut.
Und weil er lacht und weil er lebt.
Und der Mensch heißt Mensch, weil er erinnert, weil er kämpft.
Und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergib
und weil er lacht und weil er lebt.“
Amen.
Verfasserin: Pfarrerin Maria Bartsch
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