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Der barmherzige Samariter

von Mechthild Böhm (55122 Mainz)

Predigtdatum : 06.09.2009
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 11. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Lukas 10,25-37
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Wochenspruch:

Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Matthäus 25,40)

Psalm: 112,5-9

Lesungen

Altes Testament:
1. Mose 4,1-16a
Epistel:
1. Johannes 4,7-12
Evangelium:
Lukas 10,25-37

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 390
Erneure mich, o ewiges Licht
Wochenlied:
EG 629
Liebe ist nicht nur ein Wort
Predigtlied:
EG 631
In Gottes Namen
Schlusslied:
EG 5909
Herr, wir bitten, komm und segne uns

Hinführung

Die Geschichte vom barmherzigen Samariter gehört zu den bekanntesten Geschichten der Bibel. Dass sie vielen Menschen vertraut ist, das ist wichtig und gut, denn ganz elementar wird hier das Evangelium verkündigt.
Manchmal habe ich aber den Eindruck, sie ist zu vertraut. Ist nicht allen schon im Voraus klar, worauf es hinausläuft, nämlich auf den ethischen Appell? Hören wir noch so hin, dass wir das Evangelium hören?

Der Vordergrund des Bildes, das Jesu Geschichte entwirft, ist also klar und bekannt. Es geht ums Helfen, und die Hilfsbereitschaft, das ist jedenfalls die gängige (wenn vielleicht auch nicht immer beabsichtigte) Rezeption. Ich möchte in dieser Predig auch den Hintergrund stärker in den Blick rücken. Da geht es nämlich auch um die Provokation an die Adresse der Hörerschaft des Lukasevangeliums damals wie heute. Derer, die vom Glauben reden, und denen das Handeln manchmal schwer fällt. Es kann ja nicht anders denn als Herausforderung gehört werden, dass hier jemand hilft, von dem es niemand erwartet. Einer, der Gutes tut ohne zu glauben. Der sachlich hilft, aber es nicht inhaltlich deutet. Gottes Menschenfreundlichkeit wird hier durch die Tat eines Fremden verkündigt. Und so ist „das Reich Gottes mitten unter euch“ (Lukas 17,21).

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

„Wer ist mein Nächster?“ In einem Streitgespräch wird Jesus diese Frage gestellt. Jesu Gesprächspartner wollen erklärt bekommen, wie rechtes Handeln geht. Sie wollen sich versichern, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Doch auf ein Streitgespräch, auf eine intellektuelle Erörterung dieser Überlegung lässt Jesus sich nicht ein. Er antwortet mit einer Geschichte, die für alle Zuhörenden sofort eine sehr persönliche Note bekommt. Sie gewinnt eine existentielle Dimension, denn unwillkürlich fragen sich doch alle: Wie verhalte ich mich in einer solchen Situation? In welcher Rolle bin ich? In der Rolle des Überfallenen, eines Opfers? Oder bin ich wie der Samariter, hilfsbereit und zupackend? Oder erkenne ich mich, wenn ich ganz ehrlich bin, im Priester und im Küster am ehesten wieder? Ist mir ihr Handeln oder besser ihr Nicht – Handel am besten nachvollziehbar? Das haben sich damals die Menschen gefragt, die Jesus zuhörten, das fragen wir uns auch heute. Ehe wir zu schnell das Verhalten des Priesters verurteilen, möchte ich mit Ihnen, liebe Gemeinde, genauer hinsehen. Ich möchte hier eingangs die Sicht des Priesters einnehmen.

Mit niemandem hat er je darüber gesprochen. Nur in ihm selbst war jedes Mal, wenn er wie jede Woche diesen Weg von Jerusalem nach Jericho ging, immer wieder das Bild des am Boden liegenden Mannes, der blutete und stöhnte, deutlich vor Augen. Und jedes Mal kam diese Anfrage, die Anklage wieder: Warum hast du das gemacht? Warum bist du vorüber gegangen?
Und das Schlimmste: eigentlich konnte er es selbst nicht sagen. Gut, da gab es vordergründige Erklärungen: er wurde in Jericho erwartet und wollte sich nicht verspäten. Er war gut angezogen und wollte sich nicht beschmutzen. Er hatte so etwas noch nie erlebt und wusste gar nicht, wie man erste Hilfe leistet. Aber waren das wirkliche Begründungen?
Wenn er ehrlich war – nur zu sich selbst -, dann war der Grund vorüber zugehen, noch ein anderer gewesen: er wollte damit nichts zu tun haben. Es ging ihn nichts an. „Ich weiß doch gar nicht, was hier passiert ist. Ich kenne den Verletzten doch gar nicht. Ich lasse mich doch nicht einfach so aus dem Takt meines Alltags bringen. “ Das hatte er gedacht, mehr noch gespürt, als er seine Schritte beschleunigte, um schnell von der Stelle wegzukommen, wo der Überfallene lag.
Beklemmend unangenehm wurde es, als der Küster, der denselben Weg ging, ihn einholte. Der hatte wohl noch schneller als er selbst die Unglücksstelle passiert, vor Schreck, vor Angst, vor Zweifel, was zu tun wäre. Ohne ein Wort zu wechseln begegneten sich ihre Blicke, und jeder wusste vom Anderen: Auch du. Auch du hast nicht geholfen. Auch du bist vorbeigegangen. Diese brennende und wortlose Scham verband sie seitdem. Und seit diesem Tag konnten sie einander nicht mehr leiden.
Beiden war nämlich in ihrer Begegnung klar geworden: es ist so erschreckend normal, vorüber zu gehen. Es fällt so leicht.
Glasklar erinnert er sich noch an den Moment auf ihrem nun gemeinsamen Weg, als ihm und dem Küster der Fremde entgegen kam. Auf einem Esel ritt er den steilen Weg nach Jerusalem bergan, hinauf, dorthin, wo sie beide, jeder für sich, den Schwerverletzten hatten liegen lassen. Wenn er überhaupt noch am Leben ist, dann wird dieser Fremde seine letzte Rettung sein. Ausgerechnet ein Ausländer.
Der Priester und der Küster waren beide auch für den Ausländer durch ihre Kleidung zu erkennen als diejenigen, die die Einhaltung von Gottes Geboten predigten und forderten – und vorleben sollten. Besonders von diesem einen Gebot: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.

Ich glaube, diese Provokation hat Jesus ganz bewusst in seine Beispielgeschichte eingebaut. Es muss eine Provokation für alle Zuhörenden sein, damals wie heute, dass gerade die gleichgültig vorüber gehen, die vom Helfen eigentlich etwas verstehen und von der Nächstenliebe viel reden.
Und erst recht ist es eine Herausforderung, dass da einer zupackt, das Nötige und das Richtige tut, der dabei keine frommen Worte macht. Er tut, was zu tun ist, ganz ohne Voraussetzung: ohne Auftrag und ohne Ausrüstung zur ersten Hilfe. Er handelt spontan. Er tut es nicht, um hinterher zu erklären: so geht Nächstenliebe. Oder: das ist christliches Handeln. Er will auch durch sein Tun das Opfer nicht zum Glauben führen. Er ist dem Opfer des Überfalls einfach nah, als ein Mensch, der tut, was getan werden muss. Er versorgt die Wunden. Er bringt ihn in Sicherheit. Er wird ihm zum Nächsten, weil er das nächstliegende tut. Das ist eine Verkündigung, die keine Worte braucht. Dass hier einer seinen Nächsten liebt, weil er Gott liebt, das geschieht. Der Samariter ist der, der die frohe Botschaft von der Menschenfreundlichkeit Gottes überbringt, indem er sich einem Bedürftigen zuwendet.

Wer ist mein Nächster? Gott ist mir nah, wo ich seine Menschenfreundlichkeit, seine Zuwendung, andere Menschen erfahren lassen. Dann ist Gott mein Nächster, der mich für mein Tun stärkt und sich daran freut.

Der Mann aus Samaria - heute würde wir ihn Migrant nennen - hilft, weil er Mitleid hat. Er lässt sich aus dem Takt seines Alltags bringen. Er unterbricht das, was er vorhatte. Er nimmt sich Zeit. Er hilft. Ohne Umwege und ohne Erklärungen. Ohne Handy und ohne Krankenwagen. Er hilft selbst. Er hilft mit dem, was er kann und was er hat.
Öl und Wein hat er dabei, vielleicht als Proviant, vielleicht als Mitbringsel. Aber da nicht anderes zur Hand ist, nutzt er, was er hat zur Hilfe. So einfach kann es sein. Mit Öl und Wein versorgt der Migrant die Wunden, dann bringt er den Verletzten in eine sichere Unterkunft und wacht die Nacht über an seinem Krankenbett. Er tut, was er kann. Er gibt, was er hat. Das nächstliegende. Und so wird er selbst zum Nächsten.
Er gibt, was er hat, und das ist vor allem Zeit. Er nimmt sich für den Hilfsbedürftigen Zeit. Er verschwendet seine Zeit an ihn und seine Aufmerksamkeit. Der Samariter, von dem Jesus erzählt, macht es vor: er verschwendet seine Zeit für jemand anderen. Es ist das einzige, was ihm in dieser bedrängten Situation im Überfluss zur Verfügung steht. Und er geizt nicht damit, er schenkt sie großzügig seinem Nächsten. Was für ein Segen ist es, Zeit für andere verschwenden zu können!
Was zu tun ist und was er tun kann, das ergibt sich wie von selbst. Vielleicht ergibt es sich auch schlicht dadurch, dass er den Verletzten fragt: „Was brauchst du? Was hilft dir?“
Verschwenderisch ist der Migrant mit seiner Zeit, seiner Aufmerksamkeit, seiner Liebe, Und erzählt damit ohne Worte von der verschwenderischen Liebe Gottes zu den Menschen.

Und hier entdecke ich eine ganz neue Antwort auf die Frage, die Jesus gestellt wird. „Wer ist mein Nächster?“
Er antwortete auf diese Frage nicht theoretisch oder mit einer Handlungsanweisung. Nein mit einer Geschichte beantwortet Jesus diese Frage. Und er macht damit deutlich: Nächster und Nächste werden, das geschieht. Ich selbst werde Nächste für einen Menschen, den Gott mir in den Weg stellt oder vor die Füße legt. Ich selbst werde Nächste, wo ich für einen bedürftigen Menschen das nächstliegende tue.
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.
Gott lieben ist vor allem Handeln. Den Nächsten lieben, so wie es das Doppelgebot der Liebe fordert, das heißt vor allem: bereit sein, selbst Nächster und Nächste zu werden, wo es darum geht für einen anderen Menschen das nächstliegende zu tun.

Das ist eine wunderbare Erfahrung, die wir machen können, wenn wir Nächste werden: da ist auch Gott uns nah. Da können wir Gottes Menschenfreundlichkeit hautnah miterleben. Das wird wahr, was Jesus sagt: Das Reich Gottes ist mitten unter euch (17,21). Da geschieht ein Wunder, wo wir erfahren: Gottes Reich von Frieden und Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ist mitten unter uns. Wo sich Helfende und Hilfsbedürftige nah sind. Wo sich Menschen in Jesu Namen mit all ihrer Bedürftigkeit wahrnehmen und mit Offenheit begegnen. Da muss nicht mehr gepredigt werden, da braucht es keine großen Worte.
Da ereignen sich Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Das Reich Gottes ist ein Geschehen mitten unter uns Menschen, wo wir einander Nächste werden.
Auf die Frage Wer ist mein Nächster? gibt es keine Handlungsanweisung und keine Moralpredigt.
Auf die Frage Wer ist mein Nächster? antwortet Jesus mit einer Einladung in Gottes Reich: Wo ihr einander Nächste werdet, geschieht das Reich Gottes mitten unter euch!

Das Reich Gottes geschieht auch mitten unter uns.
Wer ist mein Nächster? Ich werde Nächste, dann ist Gott mir nah. Dann ist das Reich Gottes mitten unter uns. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem lebendigen Herrn. Amen.

Pfarrerin Mechthild Böhm, Luthergemeinde Mainz, An der Bruchspitze 51, 55122 Mainz

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