Der barmherzige Samariter
von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)
Predigtdatum
:
29.08.1999
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
11. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Markus 3,31-35
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Wochenspruch:
Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Matthäus 25,40)
Psalm: 112,5-9
Lesungen
Altes Testament:
1. Mose 4,1-16a
Epistel:
1. Johannes 4,7-12
Evangelium:
Lukas 10,25-37
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 169
Der Gottesdienst soll fröhlich sein
Wochenlied:
EG 343
Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ
Predigtlied:
EG 406
oder EG 616
Bei dir, Jesu, will ich bleiben
Auf der Spur des Hirten
Schlußlied:
EG 175
Ausgang und Eingang
Liebe Gemeinde,
wem gehört Jesus? Wer gehört zu Jesus? Das sind die beiden Fragen, um die es heute gehen wird. Es sind Fragen, die nicht ich erfunden habe - es sind Fragen, die aus unserem Predigtwort heraus entstehen.
31 Es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. 33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Das ist ein hartes Wort, das doch sehr betroffen macht: über die Zugehörigkeit zu Jesus entscheidet nicht die Verwandtschaft, entscheidet nicht das Blut, das in den Adern fließt. Es muß hart gewesen sein für die Familie Jesu. Da lagert sich alles um ihn herum und sie finden keinen Zugang zu dem Sohn, dem Bruder. Da ist er in aller Munde - aber die Familie selbst weiß nicht so recht, wie man sich zu ihm stellen soll.
Dabei wäre doch alles ganz einfach gewesen: wenn Jesus sich verhalten hätte, wie sich ein ordentlicher jüdischer Sohn verhält! Er hätte daheim in Nazareth die Werkstatt des Vaters führen können. Da gab es genug zu verdienen als Bauhandwerker, genug, um die ganze Familie über Wasser zu halten.
Und wenn er es mit dem Glauben der Väter ernst meinte - niemand hätte ihn wohl daran gehindert, jeden Sabbat in die Synagoge zu gehen, das Gesetz und die Propheten zu studieren und mit den Männern des Dorfes zu klären, wie man das alles denn ins tägliche Leben überträgt. Da wäre bei den Gesetzestreuen sicherlich Platz für Jesus gewesen und er hätte sich allgemeiner Achtung erfreuen können: ein richtiger Israelit, der es ernst meint mit dem Gesetz.
Keiner aus der Verwandtschaft hätte sich da von ihm distanzieren müssen, alle hätten sie stolz sein können auf ihn - ein Sohn, ein Bruder zum Vorzeigen. Und es wäre klar gewesen: er gehört zu uns und wir gehören zu ihm.
Aber nun stehen sie da und können nicht zu ihm kommen. Sie können nicht zu ihm kommen, weil sich irgendwelche Leute um ihn herum versammelt haben. Es waren wohl die, die oft um Jesus waren: seine Jünger zuerst und dann das Volk - Frauen, Witwen, Kinder, Zolleinnehmer, die keinen sonderlich guten Ruf hatten, einige Leute, deren Ruf eher in Richtung Gewalttäter ging. Und jede Menge kranker Menschen waren auch um ihn. So eng ist die Menschenmenge um Jesus, daß seine eigenen Angehörigen nicht zu ihm kommen können. Aber - da läßt sich doch Hilfe schaffen. Boten sollen für Platz sorgen.
Und da stehen dann die Sätze, die uns wohl auch zu schaffen machen werden: Wer ist denn meine Mutter, wer sind meine Brüder? Oder in meinen Worten: Wer gehört zu Jesus? Wem gehört Jesus?
Über die Nähe zu Jesus entscheidet nicht unser Herkommen. Ich kann aus einem Pfarrhaus stammen und doch meilenweit von Jesus entfernt sein. Ich kann eine Mutter haben, die eine fromme Frau ist oder war und doch Lichtjahre von Jesus entfernt sein. Ich kann in meinem Erbteil die schönsten Konfirmandenspruchsammlungen aus der Zeit meiner Vorfahren haben und doch meilenweit von Jesus entfernt sein.
Unser Herkommen entscheidet nicht über unsere Nähe zu Jesus! Das gilt auch umgekehrt: Es mag sein, daß der Vater oder die Mutter mit dem Glauben nichts am Hut hat. Es mag sein, daß der große Bruder nur dumme Sprüche über den Himmelskomiker auf Lager hat. Es mag sein, daß Du das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis nicht ohne Stottern und Stocken auf die Reihe bringst. Und doch kannst Du ein Mensch sein, der in der Nähe Jesu ist, der zur Familie Jesu gehört.
Aber - wenn es nicht auf die Herkunft ankommt, wenn es nicht auf die Verwandtschaft ankommt - worauf kommt es denn dann an? Was muß passieren, daß einer “drinnen” ist in der Familie Jesu und nicht “draußen”?
Jesus steht da und hebt die Hand und sagt: Seht - meine Mutter und meine Brüder! Nichts anderes gilt bis heute: Wo ich bin, da sind die Meinen, wo Menschen in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.
1.
Der ist drinnen in der Familie Jesu, der seine Nähe sucht. Der ist drinnen in der Familie Jesu, der dahingeht, wo Menschen zusammen sind im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Der ist drinnen in der Familie Jesu, der sich anziehen läßt von seinen Worten, der sich ansprechen läßt von seinen Verheißungen, der sich anlocken läßt von den weit ausgebreiteten Armen, die sagen: Komm, schön, daß du kommst!
Ich kann es auch so herum sagen: Der, zu dem Gott gesagt hat: “Du bist mein lieber Sohn”, der sagt zu uns: “Ihr seid meine Brüder und Schwestern.” Er müßte nicht, aber er tut es. Der, in dem Gott Mensch geworden ist, in dem sich der Herr der Welt unter uns Menschen gemischt hat, der stellt sich in unsere Mitte und an unsere Seite. Und von ihm sagt dann später ein Zeuge: “Er schämt sich nicht, uns seine Geschwister zu nennen.”
Drinnen bei Jesus sind alle, die sich das gefallen lassen. Drinnen sind alle, die sagen: Das will ich für mein Leben in Anspruch nehmen. Ich will mir seine Liebe gefallen lassen. Ich will mir seine Vergebung gefallen lassen. Ich will es mir gefallen lassen, daß er mich bei meinem Namen gerufen hat in meiner Taufe und mich erwählt hat und ich sage mein kleines, schwaches Ja zu seinem Ruf und seiner Wahl.
2.
Und dann ist da das andere: Drinnen in der Familie Jesu sind die, die sich seinen Weg gefallen lassen. Wie viele gibt es, die sagen: ja, ich würde ja auch zu Jesus halten, wenn er nicht diesen Weg gegangen wäre. Ich würde ja auch zu Jesus halten, mich zu Jesus halten, wenn er nicht so arm, so schwach, so unscheinbar gekommen wäre. Ich würde mich ja auch zu Jesus halten, wenn er als Gott besser erkennbar geworden wäre. Aber so - so sieht er aus wie unsereiner und nicht einmal das: er läßt sich niedermachen, er läßt sich fertigmachen, er läßt sich festnageln ans Kreuz. An einen Gott, der groß und stark wäre, der diese Welt mit eisernem Besen in Ordnung bringt und Recht schafft mit Macht - an den würde ich mich halten. Aber so?
Dahinter steht oftmals etwas anderes: ich bin mit den Wegen meines eigenen Lebens nicht einverstanden. Ich will nicht, daß mein Weg durch Leiden geht. Ich kann es nicht annehmen, daß meine Lebensträume unter meinen Händen zerrinnen und zerbrechen. Ich kann nicht ja dazu sagen, daß mir Lasten aufgebürdet werden und ich Unrecht erfahre. Nein, einen Gott, der solche Wege selbst geht und solche Wege mir zumutet - der ist nichts für mich.
Aber anders kann ich nicht zu Jesus gehören, als daß ich das Ja einübe zu seinem Weg ans Kreuz und zu den Kreuzeswegen, die er auch mit uns geht. Anders kann ich nicht “drinnen” sein in der Familie Jesu als in diesem mühsamen und leidvollen Lernen: Herr, dein Wille geschehe!
In einem Lied wird in großer Einfachheit gesagt, worum es geht:
“Bei Dir, Jesus will ich bleiben,
stets in deinem Dienste stehn.
Nichts soll mich von dir vertreiben,
will auf deinen Wegen gehn.
Du bist meines Lebens Leben,
meiner Seele Trieb und Kraft,
wie der Weinstock seinen Reben
zuströmt Kraft und Lebenssaft.”
3.
Und dann ist das Letzte, was Jesus sagt: Die gehören zu mir, in meine Familie, die sich dem Willen Gottes zur Verfügung stellen im Tun des Gerechten. Es genügt nicht, Jesus den Herrn zu nennen und dann doch seine eigenen Wege zu gehen. Es genügt nicht, eine korrekte Meinung über Jesus zu vertreten, aber im Übrigen den eigenen Willen durchzusetzen. Jesus will keine Leute, die ihn folgenlos bewundern, sondern er will Nachfolger, die sich an seinen Willen halten. Er will uns zu Menschen machen, die aus den Geboten Gottes ihre Leitlinien gewinnen. Er will uns zu Menschen machen, die an seinem Erbarmen ihr Vorbild gewinnen. Er will uns zu Menschen machen, die das Geschenk der Gnade und der Güte des Vaters nicht für sich behalten, sondern es weitergeben.
Und Jesus hat ein ganz großes Zutrauen zu uns: er traut uns zu, daß in seiner Nähe und in der Zugehörigkeit zu ihm unser Herz so verwandelt wird, unser Denken so neu wird, daß wir gar nicht mehr anders können als mit unseren Händen und Füßen, unseren Augen und Ohren, unserem Mund und unserem Verstand, unserer Zeit und unserem Geld die Wege des Friedens und der Gerechtigkeit einzuschlagen und die Werke der Barmherzigkeit zu tun, so gut wir es vermögen.
Wo aus dem Glauben an Jesus gelebt wird, da geschieht Gottes Wille, da macht keiner mehr Ansprüche auf Jesus - “der gehört mir” - aber da stellen sich Menschen dem Anspruch Jesu und wagen es, den Willen des Vaters als Söhne und Töchter Gottes zu tun. Amen.
Verfasser: Pfr. Paul Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg
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