Der dankbare Samariter
von Mechthild Böhm (55122 Mainz)
Predigtdatum
:
13.09.1998
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
12. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle
:
Römer 8,(12-13).14-17
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Wochenspruch:
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat. (Ps. 103, 2)
Psalm: 146 (EG 757)
Lesungen:
Altes Testament:
1. Mose 28,10-19a
Epistel:
Römer 8, (12-13) 14-17
Evangelium:
Lukas 17,11-19
Liedvorschläge:
Eingangslied:
EG 328
Dir, dir, o Höchster, will ich singen
Wochenlied:
EG 365
Von Gott will ich nicht lassen
Predigtlied:
EG 200
Ich bin getauft auf deinen Namen
Schlußlied:
EG 157
Laß mich dein sein und bleiben
(12 So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, daß wir nach dem Fleisch leben. 13 Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben.)
14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.
Liebe Gemeinde!
Es gibt Menschen, die bleiben immer Kinder. Auch wenn sie längst den Kinderschuhen entwachsen sind, verhalten sie sich immer noch wie die Kinder. Nur daß es bei ihnen dann eher albern und kindisch wirkt, manchmal auch traurig. Solche Menschen, die immer Kinder bleiben, kennen Sie sicher auch. Da grinst ein vierzigjähriger blondgelockter Showmaster wie ein Schulanfänger in die Kamera, um Gummibärchen anzupreisen. Oder ein Sänger erobert mit einem Lied wie aus dem Kindergarten die Hitparade und zeigt sich in den Medien, wie er mit seiner „Mutti“ Nußecken bäckt. Seine ganze Heimatstadt liegt ihm zu Füßen, seine Anhänger sind begeistert von seinen Auftritten ohne jeden Sinn und Inhalt. Der Guildo-Kult macht Spaß, und wie die Kinder jubeln alle „Piep piep piep!“
Und andere Menschen, die nie wirklich erwachsen werden, die immer Kinder bleiben, begegnen Ihnen, liebe Gemeinde, vielleicht auch in Ihrem eigenen Umfeld. Junge Leute, die mit über 20 noch immer das „Hotel Mama“ der eigenen Selbständigkeit vorziehen. Zuhause, da wird für sie gewaschen, geputzt und gekocht, und auch die finanzielle Seite des Lebens müssen sie nicht selbst regeln. Auf eigenen Füßen stehen, das erscheint in weiter Ferne.
Und solche Menschen, die sich weigern, erwachsen zu werden, die andere bestimmen lassen und selbst keine Verantwortung übernehmen, die haben dafür manchmal ja auch erschreckend gute Gründe. Viele Menschen erleben sich heute als ohnmächtig. Ihr eigener Handlungsspielraum erscheint ihnen so klein. Was kann ich denn schon tun, was habe ich denn schon für Chancen?
Und diese Fragen sind ja durchaus berechtigt angesichts solcher Erfahrungen von Ohnmacht. Die Berufs-Perspektiven für junge Menschen sind schlecht, nur wenige können den gewünschten Beruf tatsächlich ergreifen. Auch die Zukunftsaussichten können Angst machen. Daten aus der Wirtschaft oder über die Umwelt scheinen undurchschaubar und gerade deswegen beängstigend. Können wir denn da überhaupt etwas bewegen? Zweifel sind durchaus berechtigt.
Da ist es doch nur verständlich, daß sich viele abwenden von solchen Sorgen und einfach nur ihren Spaß haben wollen. Lieber sich ablenken von dem Gefühl der Angst und der Ohnmacht, das bei solchen Gedanken aufkommt, und lieber „piep piep piep“ singen. Und das ist ja auch die Botschaft von Guildo und anderen: „Die Zukunft ist unsicher, die Aussichten düster, laßt uns also jetzt Spaß haben.“
Da bleiben manche Menschen lieber unmündig und ohne Verantwortung, überlassen die wichtigen Entscheidungen lieber anderen, manchmal auch die wichtigen Entscheidungen über ihr eigenes Leben. Ewig Kind bleiben, kindisch sein, aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus und aus Angst. Das kennen wir manchmal vielleicht auch an uns selbst.
Und in diese Situation hinein wird das, was Paulus im heutigen Predigttext der Gemeinde in Rom zuspricht, auch für uns sehr aktuell. Da heißt es nämlich:
„Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“ (V. 15) Nicht knechtisch, sondern kindlich. Nicht kindisch, sondern kindlich - durch Gottes Geist, durch seine Nähe und Zuwendung.
Wo liegt der Unterschied? Was verändert sich durch Gottes Geist?
Es gibt so viel, was uns Angst machen kann. Die Arbeitslosigkeit und die Zukunftsaussichten, die Umwelt-Schäden und die Tatsache, daß die Politik auf der Stelle tritt. Und vor allem die Frage: wie geht es mit mir weiter, im Beruf, in meiner Partnerschaft, in dem, was ich mir als mein Leben aufgebaut habe?
Manchmal wollen wir darüber gar nicht mehr nachdenken, sondern einfach nur Spaß haben, das Leben genießen. Aber auf Dauer können wir Zweifel und Angst nicht vergessen. Wir werden sie nicht los, sie kommen wieder. Es ist ein Kreislauf von Angst und Ausweichen, oder wie Paulus sagt: „ein knechtischer Geist, daß wir uns abermals fürchten müssen“.
Es kann aber auch ganz anders aussehen. Gottes Geist macht uns zu seinen Kindern und jetzt schon zu seinen Erben, so heißt es bei Paulus. Hier ist also ganz eindeutig nicht von kleinen Kindern die Rede, sondern von erwachsenen Kindern, die mündig und kompetent sind, aus dem, was ihnen zusteht, etwas zu machen.
Wir sind sozusagen bei der Taufe von Gott adoptiert, wir sind erbberechtigte Mitglieder der Familie, die etwas zu sagen haben und die auch gehört werden. Denn der Geist Gottes läßt uns erwachsen werden. Er läßt uns Verantwortung übernehmen für die Bewahrung der Schöpfung, für den Frieden der Welt und in der eigenen Familie. Er macht uns stark, auf eigenen Füßen zu stehen und unseren Weg zu gehen.
Und das ist kein Weg, den Gott schon immer vorgezeichnet hat, aber ein Weg, den wir als Gottes Erben und Teilhaber mündig und verantwortlich gehen können. Gottes Geist ist uns bei der Taufe auf diesen Weg mitgegeben, und das ist eine Quelle von Kraft und Selbstvertrauen, weil wir Gott vertrauen dürfen. Wir sind Gottes Kinder, die auf immer zu ihm gehören, durch die Taufe unwiderruflich adoptiert, die aber schon jetzt ihr Erbe antreten können, nämlich in Gottes Namen mündig und verantwortlich zu handeln und ihren Weg zu wählen.
Ich weiß, daß uns dieser Geist Gottes nicht immer präsent ist, daß wir nicht immer aus ihm leben und entscheiden können. Nicht immer sind wir im Geist Gottes Kinder, die sich ihrer Freiheit und Würde bewußt sind und die ihre Rechte als Gottes Kinder in Anspruch nehmen. Die Angst und die Ohnmacht stellen sich auch immer wieder ein. Wir werden Gottes Geist immer wieder erbitten müssen, und manchmal wird er uns auch fern sein und fremd. Gerade darin sind wir aber Gottes Kinder, freie und mündige Kinder, die selbst entscheiden, wieviel sie aus ihrem Erbe beanspruchen. Der Theologe Herbert Anzinger hat diese Tatsache in ein anschauliches Beispiel übersetzt:
„Stellen Sie sich vor: Sie erhalten den Brief eines Notars. Daß der Name des Notars Paulus ist und seine Kanzlei sich in der Römerstraße befindet, fällt Ihnen gar nicht weiter auf. Sie grübeln darüber nach, um was es sich handeln könnte. Eine Testamentseröffnung vielleicht. Aber Ihnen ist nicht bekannt, daß ein Verwandter gestorben ist. Sie könnten eine kleine Finanzspritze durchaus gebrauchen. In mancher Hinsicht haben Sie Fehler gemacht. Schulden haben sich angehäuft.
Zum angegebenen Termin finden Sie sich bei der angegebenen Adresse ein, und der Notar macht Ihnen folgende Eröffnung: Schon vor Jahren, genaugenommen bald nach der Geburt, seien Sie von seinem Mandanten an Kindes Statt angenommen. Er habe Sie damals mit Einverständnis Ihrer Eltern adoptiert, ohne daß dadurch die Rechte und Pflichten Ihrer Eltern berührt gewesen seien. Bisher habe er sich im Hintergrund gehalten, aber Ihren Werdegang aufmerksam verfolgt und - wo es angebracht erschien - seine Hand über Sie gehalten. Er wolle Sie nun wissen lassen, daß Sie über Ihr Erbe verfügen können, obwohl er sich bester Gesundheit erfreue. Sie könnten jederzeit kleinere oder größere Beträge abheben. Er traue Ihnen zu, daß Sie die Mittel zweckmäßig und sinnvoll einsetzen würden.“
Das, was uns Gott zukommen läßt, zweckmäßig und sinnvoll einsetzen. Das sollen wir, und das traut Gott uns zu. Weil wir seine Kinder sind, die seinen Geist empfangen. Ich sehe darin zuallererst eine große Ermutigung. Im Vertrauen auf Gottes Kraft dürfen wir unseren Weg gehen in der Welt und für die Welt. Wir dürfen Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen - mit Gottes Zuspruch im Rücken. Wie erwachsene Kinder, die von ihren Eltern in Entscheidungen miteinbezogen werden und mit Verantwortung tragen, dürfen wir in unserer Welt handeln und Gottes Willen und Gottes Zukunft zur Sprache bringen. Und das ist eine laute Stimme gegen das Gefühl der Angst und der Ohnmacht.
So dürfen wir schon jetzt unser Erbe antreten und Gottes Reichtum in der Welt verteilen.
Jesus erzählt auch von einem Sohn, der über das Erbe seines Vaters schon vor dessen Ableben verfügen will. Der Vater läßt ihn. Er hindert oder maßregelt ihn nicht. Der Sohn verspielt das Erbe. Und auch als er einsieht, daß er alles hätte viel besser machen können, daß er nicht mehr Sohn dieses Vaters genannt werden kann, da breitet der Vater nur die Arme aus: „Du bist und bleibst mein Kind“, nicht entmündigt und nicht enterbt, unwiderruflich angenommen vom Vater. So erzählt Jesus. Unwiderruflich als Kinder angenommen von Gott sind auch wir, mit seinem Geist beauftragt und beschenkt. Amen.
Verfasserin: Pfvn. Mechthild Böhm, Rheingaustraße 105, 65375 Oestrich-Winkel
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Pfarrer Thomas Borchers
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