Der dreieinige Gott
von Matthias Rost (Neudietendorf)
Predigtdatum
:
31.05.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Pfingstmontag
Textstelle
:
Johannes 3,1-8.(9-15)
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Wochenspruch:
"Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll." (Jesaja 6, 3)
Psalm: 145 i. A. (EG 756)
Lesungen
Altes Testament: Jesaja 6, 1 - 13
Epistel: Römer 11, (32).33 - 36
Evangelium: Johannes 3, 1 - 8.(9 - 15)
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 140 Brunn alles Heils, dich ehren wir
Wochenlied: EG 139 Gelobet sei der Herr
Predigtlied: EG 390 Erneure mich, o ewigs Licht
Schlusslied: EG 289, 5 Sei Lob und Preis mit Ehren
Vorbemerkung
Es wird empfohlen, die Lesung des Evangeliums auf Joh 3, 1 - 8 zu beschränken, denn die Predigt ist von diesem Ab-schnitt aus konzipiert und legt die weiteren Verse nicht aus.
Liebe Gemeinde,
in Jerusalem feiert man das Wochenfest. Viele Gläubige stu-dieren in dieser Nacht in den Synagogen die Tora. Die Män-ner tragen ihren Gebetsschal, den Tallit. Sie bleiben die ganze Nacht über wach. Je zwei und zwei halten sie Nacht-wache und verbringen die Zeit mit dem gemeinsamen To-rastudium. Von Zeit zu Zeit wird das Studium durch Gesang und Tanz unterbrochen. Dann hallen fröhliche Klänge durch die nächtlichen Gassen. Danach wird es wieder still, und es dringt nur vielstimmiges halblautes Gemurmel durch die geöffneten Fenster in die laue Frühsommernacht. Und so wird es weitergehen bis zum Morgengrauen.
Der Ratsherr und Magister Nikodemus aber ist nicht dabei. Er tappt durch die mitternächtliche Stadt. Er irrt durch die Altstadt, in seinen Mantel versteckt. Kennt er sich nicht mehr aus in seiner Stadt? Er will nicht erkannt werden. Von niemandem. Sonst wird er gern gesehen - er ist ja ein wich-tiger Mann in der Stadt. Heute bleibt er lieber inkognito. Er sucht eine Herberge. Da soll ein fremder Lehrer zu Gast sein.
Ein junger Meister, ein Provokateur: sehr umstritten, aber auch sehr beliebt. Vor einiger Zeit hat er sogar den Betrieb im Tempelvorhof empfindlich gestört. Beinahe hätte die rö-mische Stadtkommandantur eingegriffen. Und das kann der Hohe Rat überhaupt nicht gebrauchen. Der Ratsherr Nikode-mus auch nicht.
Dennoch sagt sich Nikodemus: „Ich muss ihn sprechen, er hat etwas, was uns fehlt. Heute, in dieser Nacht, ist Gele-genheit dazu. Wo sie doch überall zwei und zwei beieinan-der sitzen, die Tora studieren und die ganze Nacht beieinan-der sind. Warum also nicht mit ihm!? Da fällt es am we-nigsten auf, wenn ich mich mit ihm treffe. Aber ich muss ihn erst einmal finden.“
Und so läuft er weiter, weicht Entgegenkommenden aus, schlägt den Mantel noch ein bisschen höher. Und aufge-wühlte Gedanken gehen ihm im Kopf herum: „Ich weiß nicht genau, was mir fehlt. An Kenntnis der Heiligen Schriften fehlt’s mir wirklich nicht. Ein Leben lang habe ich die Tora studiert. Dr. Allwissend nennen sie mich. Menschenkenntnis fehlt mir auch nicht, nicht Gerechtigkeitssinn, nicht Geset-zestreue, nicht einmal klares moralisches Urteil fehlt mir. Ich bin schließlich ein erfahrener Mann. Ich bin in einer ver-antwortlichen Position.
Aber die Menschen kennen und sie trotzdem lieben wie er, dieser junge Rabbi - das kann ich nicht. Ja, man wird eher bitter, je mehr man in dieser Welt gesehen hat: Wie böse die Menschen sind, wie niederträchtig, wie wenig zum Guten bereit!
Er aber, er lebt das große Erbarmen. Und das fehlt uns al-len. Dabei haben wir es doch alle wieder und wieder gebe-tet: ‚Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.’ Und: ‚Barmherzigkeit will ich, und nicht Opfer.’ Aber glaube ich das? Und lebe ich wirklich davon?
Was hindert mich nur, diese Barmherzigkeit selber zu em-pfangen und weiterzugeben? Vielleicht gerade das, was mich so selbstsicher macht: Mein Pharisäertum. Ja, ich fürchte, mein Hochmut ist meine Krankheit. Und wenn ich mich in Demut übe, dann bin ich auch noch stolz auf meine Demut. Die Eitelkeit ist mein Makel.
Was für eine Sehnsucht habe ich, da raus zu kommen!!“, stöhnt Nikodemus beinahe zu laut. Ein anderer nächtlicher Wanderer hat sich schon nach ihm umgedreht. Aber Nikodemus eilt weiter.
„Ob der junge Meister meine Sehnsucht überhaupt ver-steht? Ob er mich heilen kann? Ob ich ihn finde in dieser Nacht?
Ah, dort brennt noch Licht, das muss die Herberge sein. Hoffentlich sieht und hört es niemand, dass ich, der Rats-herr, hier eintrete! Oh, die Türe ist angelehnt! Als wäre ich erwartet worden …“ [deutliche Pause!]
Viele Stunden später: In der Morgendämmerung des neuen Tages ist überall Gesang auf den Gassen. Dann versammeln sich vor Sonnenaufgang alle zum Gebet, um das Schema [sprich: schemá] Jisrael zu sprechen: Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der EWIGE ist einzig. Und dann steigt der strahlende Sonnenball über dem Ölberg auf.
Auch Nikodemus hat mit dem anderen gebetet und Psalmen gesungen, wie eh und je. Nun aber geht er weiter durch die morgendliche Stadt. Mit brennendem Herzen. „Hoffentlich läuft mir jetzt kein Kollege über den Weg!“ schießt es durch seine Gedanken.
„Oh, da ist immer noch der alte, feine Hochmut in mir? - Was würde ich einem Kollegen wohl sagen, wenn er mir jetzt begegnet? Will ich leugnen? - oder bekennen, mit wem ich diese Nachtwache geteilt habe? Lügen will ich nicht! Nein, das will ich nicht mehr. Es käme schließlich doch heraus, dass ich bei Ihm gewesen bin, dass ich zu Ihm ge-schlichen bin.
Wenn ich verleugnen wollte, dann müsste ich diplomatisch sein und sagen: ‚Ja, ich war bei diesem Rabbi Jesus, um ihn unter vier Augen zu prüfen. Heute Nacht war ja Gelegenheit dazu. Fest steht: Ein berufener Rabbiner ist er nicht. Wir könnten ihn ignorieren. Aber nach der Unterscheidung der Geister kann ich wohl sagen: Er hat keinen Dämon. Er ist ein guter Mann. Lassen wir ihn vorläufig wirken und lehren. Wenn Gott nicht wirklich mit ihm ist, wird es sich ja bald herausstellen. Dann wird es bald wieder still um ihn. Oder er verschwindet, wie er gekommen ist. Warten wir’s ab!’ - So könnte ich reden, ganz der Alte: ich könnte mein Urteil abgeben und meiner Wege gehen.
Wenn ich ihn aber bekennen will,“ sagt sich Nikodemus, „dann muss ich erzählen, wie es wirklich war: ‚Ja, das war ein ganz besonderes Wochenfest für mich. Das war eine Nachtwache, wie ich sie noch nie erlebt habe. Er hat mich empfangen. Er hat mich gar nicht ganz aussprechen lassen. Er wusste schon alles, was mich jahrelang bedrückt. Er wusste: Es ist unmöglich, aus eigener Kraft die alte Haut abzustreifen. Und ich musste ihm Recht geben: Wie soll ich, so geprägt, wie ich nun einmal bin, mich noch grundlegend wandeln? Wie soll ich ihn loswerden: den Hochmut - und den Groll … und die Menschenverachtung … und die falsche Gottesfurcht.
Er hat gesagt, wir müssen neugeboren werden, speziell wir Pharisäer. Wir eingefleischten Frommen. Wir, die wir mit al-len Fasern unseres Lebens dem Willen Gottes zu folgen suchen. Er hat es sehr ernst und zugleich lachend gesagt, als ob das etwas Leichtes wäre. Mir erschien es zuerst ab-surd. Ich alter Mensch soll noch mal neu geboren werden? Ich wollte schon protestieren. Ich hatte alle möglichen Einwände im Kopf.
Aber dann spürte ich plötzlich: genau das ist es doch, was ich ersehne, eine Neugeburt. Nicht neue Appelle, nicht ein bisschen besser werden, nicht immer neue Anstrengungen.
Nein: Noch einmal ganz unschuldig und makellos von vorne anfangen dürfen, neugeboren werden aus dem Sein Gottes – haben wir alle genau dies nicht schon immer unbewusst ersehnt und haben nichts davon geglaubt?
Wir müssen alle von neuem geboren werden! Da muss ich gar nichts machen. Geboren werden, das ist nicht etwas, das ich machen kann, das ich machen muss. Geboren werden, das geschieht mir. Es ist die Gnade, die ich an mir geschehen lassen kann. Was habe ich denn dazu getan, als ich das erste Mal geboren wurde?! Nichts! Es ist mir ge-schehen. Und von neuem geboren werden, ja, das geschieht mir genauso.
Ich merke: Ich glaube nicht mehr an den freien Willen. Mit all unseren Anstrengungen, es Gott recht zu machen, sind wir doch schon längst gescheitert. Ich glaube jetzt an den freien Wind des Gottesgeistes. Ich spüre ihn wehen. Er hat mein Herz geschwängert und mich bereits in die Wehen ge-bracht. Ein Gotteskind will in mir geboren werden. Die Gnade der neuen Geburt macht meinen Willen frei. Ja, wol-len, was Gott will, das ist schön. Wie leicht ist das Leben mit einem Mal! Und Gott will ja, er kann nicht anders, er muss ja da hineinströmen, wo ich Ihm das Vakuum meiner Sehn-sucht geöffnet habe.“
Nikodemus spürt eine tiefe innere Freude: „Ja, das alles müsste ich den Kollegen bekennen, wenn sie mich nach Ihm fragen. Ich müsste mich bekennen und sagen, dass ich in dieser Nacht in einen dunklen, engen und zugleich befreien-den Geburtskanal des Reiches Gottes gekommen bin. Ich alter Mensch darf noch einmal von vorne anfangen. Ich muss nicht mehr perfekt sein. Ich darf jetzt Fehler machen und aus Fehlern lernen.
Ich darf mir verzeihen und kann anderen alles sofort und ganz verzeihen, sieben Mal siebzigmal am Tage. Ich spüre, ich habe Lust dazu, und es geht ganz leicht. Ja, das alles will ich den Kollegen sagen. Ich sorge mich nicht, ob ich die rechten Worte finden werde. Ich sorge mich nicht, ob sie mich verstehen werden.“
Nikodemus bleibt einen Augenblick stehen. Die Gasse, die er hinaufgestiegen ist, war steil. Jetzt scheint ihm die volle Morgensonne ins Gesicht.
„Guten Morgen Herr Kollege!“ dröhnt eine Stimme plötzlich neben seinem Ohr. „Nach dieser langen Nacht noch immer unterwegs?“ Nikodemus erschrickt. Es ist Joseph von Ari-matia, ein anderer Ratsherr, zum Glück einer, mit dem Ni-kodemus sich meistens gut versteht. Trotzdem will er erst einmal zu einer umständlichen Ausrede ansetzen. Dann aber sagt er zu seiner eigenen Überraschung: „Komm mit mir nach Hause, Bruder, frühstücke mit mir! Ich muss dir viel erzählen. Ich habe die Nachtwache mit Rabbi Jesus verbracht. Er ist ein Meister von Gott gesandt. Er hat mit mir geredet, und es war, als hätte Gott selber zu mir ge-sprochen. Gott sprach – und es wurde Licht in meiner Fins-ternis! Ich sag dir, das Licht scheint in der Finsternis. Ge-rade und nur in der Finsternis. Wo denn sonst? Komm. Ich erzähle dir von meiner Nachtwache unter vier Augen. Ich erzähle dir von der Neugeburt eines Gotteskindes!“
Fröhlich und ausgelassen, wie Jungen beim Ballspiel, sieht man die zwei Alten die nächste Gasse hinab hüpfen. Von neuem geboren. Dem Reich Gottes entgegen.
Amen.
Fürbitte
Gott, lebendige formende Kraft, du rufst uns ins Leben, von Anbeginn an, jeden Tag neu, du stellst unser armes Leben in den Horizont deiner ewigen Gegenwart. An dich glauben wir.
Jesus, unser Bruder, du Bild des unsichtbaren Gottes, Mensch nach seinem Willen, du kennst unser Leben, du teilst die Freude und die Fragen mit uns, die Sehnsucht und die Angst. Durch dich vertrauen wir.
Heiliger Geist, bewegender, verwandelnder Atem des Le-bens, du erfüllst unser Leben mit Liebe und Vergebung, du beschenkst unsere Gemeinschaft mit vielfältigen Gaben. Durch dich hoffen wir.
Vielfältiger, dreieiniger Gott, vor dir sprechen wir aus, was uns Sorgen macht, womit wir nicht fertig werden, was nur in dir und durch dich sich lösen kann:
die Zerrissenheit der Kirchen,
die Armut ihrer Worte,
die Unglaubwürdigkeit ihres Tuns,
den Unfrieden unter den Völkern,
die Unfähigkeit der Regierenden,
die Leiden der Vertriebenen,
die Bitterkeit der unschuldigen Opfer,
den Zweifel der Suchenden,
die Angst der Überforderten,
den Kummer der Einsamen,
den Schmerz der Trauernden.
Wir sagen dir das alles und bitten dich um dein Erbarmen.
In der Stille nennen wir Dir die Namen derer, die uns besonders am Herzen liegen … [Stille]
Gott, unser Schöpfer, erfülle uns heute mit deinem Leben, Christus, unser Erlöser, stärke unsern Glauben, Heiliger Geist, unser Tröster, entfache die Liebe in uns. Komm zu uns und bleibe in Ewigkeit.
Amen.
(Die Predigt nimmt Anregungen aus der Erzählung „Eine Nacht der Neugeburt“ von Dietrich Koller auf, in: Gute neue Mär. Erzäh-lungen und Poesien zur Menschwerdung des Menschen in schwie-rigen Zeiten, Nordersted 2012)
Verfasser: Pfarrer Dr. Matthias Rost
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Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
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