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Der Einzug des Königs

von Dagmar Munck (63128 Dietzenbach)

Predigtdatum : 09.04.2006
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Judika
Textstelle : Jesaja 50,4-9
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Wochenspruch:

Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. (Johannes 3,14b.15)
Psalm: 69,2-4.8-10.21b.30 (EG 731)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 50,4-9
Epistel:
Philipper 2,5-11
Evangelium:
Johannes 12,12-19

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 384,1-2
Lasset uns mit Jesus ziehen
Wochenlied:
EG 87
Du großer Schmerzensmann
Predigtlied:
EG 133,
1-2+4+6+9
Zieh ein zu deinen Toren
Schlusslied:
EG 133,8
Du, Herr, hast selbst in Händen

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.
Liebe Gemeinde,
ein Mensch leidet, ein Mensch duldet. Er erduldet die wüstesten Beschimpfungen und Schmähungen; er lässt sich sogar anspucken. Sind Sie schon einmal angespuckt worden? Allein schon bei dem Gedanken steigt bei mir eine Welle von Ekel hoch! Pfui!
Wer ist dieser Mensch, der sagt: „Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen und meine Wangen denen, die mich rauften“? Wer war es, den der Prophet Jesaja einen „Knecht Gottes“ nennt? Beschreibt Jesaja sein eigenes Lebensschicksal? Oder steht dieser Knecht Gottes für das Schicksal des ganzen Volkes Israel?
Dabei passte das Bild eines leidenden Knechts Gottes gar nicht in die damalige Zeit vor etwa 2500 Jahren, als diese Texte verfasst wurden. Es herrschte Aufbruchstimmung. Es näherte sich das Ende einer 70 Jahre währenden Gefangenschaft im fernen Babylonien. Mit gewaltiger militärischer Macht eilt der Perserkönig Kyros von Sieg zu Sieg, zerschlägt die babylonische Großmacht, gibt die Gefangenen aus Israel frei. Er gibt sogar Order, den Tempel in Jerusalem wieder aufbauen zu lassen.
Lag es da fern, in diesem mächtigen Kyros ein Werkzug Gottes zu sehen? Sicher hat Gott sich dieses Kyros bedient. Doch schleicht sich bei einer solchen Deutung nicht ein allzu gefährlicher Virus ein: Politische Macht mit göttlicher Macht gleichzusetzen? Wir kennen solche gefährliche Gleichsetzung aus unserer Geschichte sehr genau!
Vielleicht war dieser Knecht Gottes eine jener Stimmen, die vor solcher Gleichsetzung warnte. Vielleicht bezog dieser Knecht Gottes dafür seine Prügel. Die Menschen damals wollten sich einfach nicht ihren Glaubensoptimismus versalzen lassen. Jubel über die Rückkehr nach Jerusalem allenthalben, was will da dieser Miesmacher? Und womit legitimiert sich der Knecht Gottes? Er sagt: „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zur rechten Zeit zu reden.“
Ein „Knecht Gottes“ wird er genannt, obwohl dieser Begriff in unseren Versen nicht vorkommt. „Knecht Gottes“ heißt: er steht in einem völligen Abhängigkeitsverhältnis zu Gott. Nach damaligem Rechtsverständnis war ein Knecht Eigentum seines Herrn, ihm zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Dafür war der Herr dem Knecht gegenüber zu Schutz und Fürsorge verpflichtet.
Dieser Knecht Gottes hat nur eine Aufgabe – zu reden, und zwar tröstend zu reden. Denn er ist zu Menschen gesandt, die müde geworden sind – müde der Unfreiheit in babylonischer Gefangenschaft, müde des vergeblichen Wartens auf Befreiung.
In unserer Zeit sind viele Menschen müde geworden, müde der immer wieder vergeblichen Versuche, Arbeit zu finden; müde der vergeblichen Hoffnungen auf ein besseres Leben; müde aber auch einer friedlosen Welt, in der für einen bereinigten Krisenherd drei neue an anderer Stelle aufflammen. Wo sind heute die Menschen, die tröstend mit den Müden zu reden wissen?
Der Gottesknecht hat zwar eine Zunge, die tröstend zu sprechen weiß, aber was er mit dieser Zunge zu sagen hat, muss er sich immer neu von Gott zeigen lassen. Gott gibt sein Wort nicht auf Vorrat. Es gilt, jeden Morgen neu zu hören.
Gibt es für einen müden Menschen etwas Tröstlicheres als dies: Dass Gott ihn jeden Morgen weckt und dass er ihm zuallererst das Ohr öffnet? Dass nicht die Sorgen und die Ängste das erste Wort haben - und mögen sie noch so früh aufstehen - sondern dass Gott früher dran ist und zu uns spricht. Es geht um das tägliche Hören auf Gott.
Ja, wie spricht denn Gott zu uns? Wenn ich die Tageslosung lese – wenn ich in der Bibel lese, z. B. den Tagestext – wenn ich ein Gebet sprechen, z. B. den Morgensegen von Luther oder das Vaterunser oder wenn ich über ein Bibelwort meditiere. Dennoch müssen wir uns fragen, warum wir Gott so wenig vernehmen. Liegt es daran, dass wir kaum mehr zur Stille kommen? Und wenn wir sie haben könnten, dann fürchten wir uns vor ihr. Es könnten ja innere Stimmen und Stimmungen erwachen, die viel Verletzliches und Verletztes zutage fördern.
Oder hören wir nicht, weil wir schon selber zu wissen meinen, was gut für uns ist und was wir zu erwarten haben? Wo bliebe dann noch Raum, wo Gott uns begegnen, uns trösten, uns rufen könnte? Oder liegt es daran, dass wir zwar am Morgen ein Bibelwort lesen, aber es beginnt nicht zu sprechen. Es scheint nichts mit dem zu tun zu haben, was uns bewegt: mit dem Arbeitsplatz, der unsicher geworden ist, oder mit dem kranken Kind, bei dem das Fieber nicht heruntergeht oder mit der Verwirrtheit der alten Mutter.
Um Gottes Reden hören zu können, braucht es wohl eine besondere Aufmerksamkeit. Dazu muss er mir das Ohr wecken, Morgen für Morgen. Und zwar so, dass „ich höre, wie Jünger hören“. Dass ich merke: Sein Wort hat ja mit meinem Tag zu tun; mit der Arbeit, um die ich mich sorge, und mit dem kranken Kind, bei dem ich mir keinen Rat mehr weiß. Wenn Gott mir das Ohr weckt, dass ich höre, wie Jünger hören, dann kann mir sein Wort zum Gefährten, zum Freund, zum Stecken und Stab werden.
Der Knecht Gottes bekennt: „Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. „Alle Morgen“, das heißt: jeden Tag bereit sein, dass Gott mir etwas ganz Neues sagen will, was ich bisher noch nicht gewusst habe. Das heißt, bereit zu sein, sich von Gott den Glauben erweitern zu lassen, sich auch von ihm korrigieren zu lassen. Alle Morgen bereit zu sein, mit Müden tröstend zu reden, ihnen von der Liebe Gottes zu sagen und im Vertrauen auf Gottes Hilfe tätig zu werden.
Das lässt mich bescheiden, aber fröhlich erkennen: Heute weiß ich nur so viel, morgen lässt Gott mich bestimmt noch mehr wissen. Aus solchem Hören erwächst den Müden eine große Kraft. Der Gottesknecht sagt von sich: „Ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.“
Sich fügen, gehorsam sein, das ist die eine Frucht, die aus dem Hören kommt. Sie wird oft gering geachtet. Man wirft denen, die von ihr Gebrauch machen, vor, dass sie zu nachgiebig seien, zu weich mit sich und anderen, zu wenig auf sich selbst bedacht. Demütige Menschen sind nicht Menschen, die sich selbst klein machen. Es sind nicht Menschen, die sich vor allen Aufgaben drücken, weil sie sich diese nicht zutrauen. Es sind nicht bucklige Menschen, die in falscher Unterwürfigkeit sich selbst entwerten.
Sondern es sind Menschen, die den Mut zu ihrer eigenen Wahrheit haben. Das deutsche Wort Demut kommt aus dem althochdeutschen „diomuoti“, d. h. „dienstwillig“. Dienen hat im germanischen Gefolgschaftswesen die Bedeutung „Knecht sein, Läufer sein für jemand“. Demütige Menschen sind die, die sich freiwillig unter eine Last stellen. Dann zum Beispiel, wenn ein kranker Mensch seinen schweren Weg annehmen kann. Oder wenn eine Witwe von ihrer Trauer sagen kann, sie sei nun nicht mehr ein Feind, gegen den sie sich auflehne, sondern fast so etwas wie ein liebgewordener Freund, der sie begleite. Demütige Menschen tragen die eigene Last und die Last des anderen, nicht aufgezwungen, sondern freiwillig. Immer schon ging von denen, die ein schweres Leid annehmen konnten, eine wohltuende Ruhe und eine große Kraft aus.
Wir meinen oft, eine Last hinnehmen, das hieße, sie erdulden müssen und selber passiv sein. In Wirklichkeit aber ist es ein aktives Geschehen. Bis jemand sich in Gottes Willen fügen kann, ist es oft ein hartes Ringen. Viele kranke Menschen müssen das erfahren. Zu ihrem Weg gehört es auch, dass sie es zuerst gar nicht wahrhaben können, was ihnen widerfahren ist. Schließlich werden sie in eine tiefe Krise geführt. Und erst, indem sie so mit sich und ihrem Leiden kämpfen, erwächst ihnen die Kraft, es anzunehmen. Es sind meistens Menschen, deren Lebensbäume schon manche Stürme und Unwetter standhalten mussten.
Durch das rechte Hören auf Gottes Wort bekommen wir Vertrauen. „Ich gehe nicht zurück“, sagt der Gottesknecht. Er hat für seine Haltung ein eindrückliches Bild gefunden „Ich habe mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein.“ Sollen sie doch kommen, die ihn verspotten, weil sie ihn nicht verstehen! Sollen sie ihn einen Schwärmer schimpfen oder gleichgültig mit den Schultern zucken, weil sie nicht glauben können, was sie nicht sehen! Er hat sein Gesicht hart gemacht! Wohlgemerkt, sein Gesicht, nicht das Herz!
Das ist wichtig, dass wir das auseinanderhalten. Denn es gibt eine Verhärtung, die innerlich bitter macht. Sie erwächst aus Misstrauen und Hass. Aber hier geht es um die Hartnäckigkeit des Vertrauens. Die brauchen wir angefochtenen und anfechtbaren Jüngerinnern und Jünger so nötig wie Fügsamkeit. Den festen Geist so sehr wie das weiche Herz. Den Widerstand so dringend wie die Kraft, uns ganz Gott anzubefehlen und nicht zurückzuweichen.
Denn es geht um die Sicherheit, um das Vertrauen, dass Gott, der Vater, für uns da ist und uns hilft – wie auch immer! Der Gottesknecht sagt: „Gott der Herr hilft mir.“
Wer ist denn gemeint mit diesem Gottesknecht? Wir wollen uns der Deutung der frühen Christengemeinden anschließen, die in den Gottesknechtsliedern - und es gibt deren mehrere beim Propheten Jesaja - einen Hinweis auf Jesus Christus gesehen haben.
Als Jesus in Jerusalem einzog, an jenem Tag, den wir heute als Palmsonntag begehen, herrschte eitel Freude, Jubel und Aufbruchstimmung. Die Menschen riefen: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“ Auf dem Weg nach Jerusalem jedenfalls kam es sicherlich nicht einmal den Jüngern in den Sinn, Jesus gleichzusetzen mit dem leidenden und geschundenen Gottesknecht von Jesaja.
Selbst nach der Kreuzigung beherrschten wohl mehr Gedanken der Enttäuschung die Gemüter der Jünger. Erst der Auferstandene selbst musste ihnen die Ohren öffnen. Er legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt worden war und fing bei Mose und allen Propheten an. So steht es im Evangelium des Lukas: „Musste nicht Christus dies erleiden, und in seine Herrlichkeit eingehen?“ Der auferstandene Herr musste den Jüngern selbst die Ohren öffnen. Jetzt erst konnten sie hören, wie Jünger hören. Vorher hörten sie nur auf die eigene Stimme, das was ihnen ihr Herz sagte, oder was ihnen der Verstand sagte.
Jesus Christus hat ihnen nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen geöffnet und die Zunge gelöst. Noch in der Nacht laufen sie zurück nach Jerusalem, um es den anderen zu berichten - ungeachtet aller Gefahren, die ihnen in der Dunkelheit des Weges drohen.
Auch wir Jüngerinnen und Jünger Jesu Christi hören und erkennen in dem Bild des leidenden Gottesknechtes Jesus selbst, der seinen Weg in Demut für uns gegangen ist. Jetzt bekommt das Lied noch einmal einen neuen Klang. Dann ist er es, der seinen Rücken darbietet - für mich. Er, der den Spott und die Schmach erduldet - für mich. Und er, der gegen alles Unrecht eintritt - für mich. Er ist es, der mir täglich die Liebe Gottes zeigt. Er ist es, der mir täglich vor Augen und Ohr führt: Gott der Herr hilft mir.
Gott segne uns diese Karwoche, in der wir den begleiten wollen, der im Garten Gethsemane mit Gott, seinem Vater, gerungen hat „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir ... doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Amen.

Verfasserin: Prädikantin Dagmar Munck, Odenwaldstraße 18, 63128 Dietzenbach

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