Der erhöhte Christus
von Mechthild Gäntzle (64354 Reinheim)
Predigtdatum
:
13.05.1999
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Rogate
Textstelle
:
1. Könige 8,22-24.26-28
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Wochenspruch:
Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. (Johannes 12,32)
Psalm: 47,2-10 (EG 726)
Lesungen
Altes Testament:
1. Könige 8,22-24.26-28
Epistel:
Apostelgeschichte 1,3-4 (5-7) 8-11
Evangelium:
Lukas 24,(44-49).50-53
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 123
Jesus Christus herrscht als König
Wochenlied:
EG 121
Wir danken dir, Herr Jesu Christ, daß du gen Himmel g’fahren bist
Predigtlied:
EG 165
oder EG 632
Gott ist gegenwärtig
Wenn das Brot, das wir teilen
Schlußlied:
EG 132
Ihr werdet die Kraft
Hinführung:
Der erste Tempel wurde in der Zeit um 962-955 v.Chr. in Jerusalem in der Regierungszeit Salomos erbaut.
Folgende Überlegungen bleiben in der Predigt ausgeklammert:
- Wie viel Fronarbeit mußte für den Tempelbau geleistet werden?
- Welche Handels- und Wirtschaftsbeziehungen waren erforderlich?
- In welcher Zeit wurde dieser Bericht geschrieben?
Mit Salomo waren die Anforderungen, die Gott seinem Vater David gestellt hatte, erfüllt. In V. 25, der nicht zum Predigttext gehört, wird deutlich: Salomo war nur zum Bau eines Tempels berufen, wenn auch er, der Sohn, auf Gottes Wegen wandelte.
Die Fertigstellung des Tempels war gelungen, die Bundeslade fand ihren vorgesehenen Platz, und die Gegenwart Gottes erfüllte das Haus des Herrn. (Kap.8,11) Salomo war gelungen, was seinem Vater David verwehrt worden war. Der Tag der Einweihung war gekommen.
Salomo hätte stolz sein können. Doch bei allem, was für diesen Bau ausgegeben worden war, wurde ihm bewußt, daß der Tempel seinen eigentlichen Zweck doch nicht erfüllen konnte. War es Zweifel oder Demut, die ihn die Frage stellen ließ: “Ist unser Gott jemals zu fassen?” (V.27,a)
Die Einweihungsansprache wurde zum Weihegebet an Gott. Demütig bat Salomo, daß Gott zu den Verheißungen, die er seinem Vater David gegeben hatte, stehen möge.
Es wird eine spannende Aufgabe sein, diesen für den Himmelfahrtstag vorgeschlagenen Text in Bezug zu Himmelfahrt und zu unserer Zeit zu setzen, um ihn dann in unser Leben hineinsprechen zu lassen.
Aus dem Predigttext werde ich folgende Gedanken herausarbeiten:
* Gott ist unfaßbar – aber er war, und er ist erfahrbar.
* In Jesus Christus wurde Gottes Liebe faßbar und sichtbar.
* Seit Himmelfahrt ist Jesus, der mit dem Vater wieder vereint ist, nicht mehr faßbar, aber für uns Christen ist die Gegenwart Gottes erfahrbar.
* Wo und wie ist sie erfahrbar?
22 Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel 23 und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; 24 der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. 26 Nun, Gott Israels, laß dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast.
27 Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? 28 Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, damit du hörest das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.
Liebe Gemeinde!
Heute am Himmelfahrtstag, einem Tag, den viele Menschen nutzen, um im Wonnemonat Mai, mitten in der Woche, einen erholsamen, freien Tag in der neu erwachten Natur zu erleben, steht vor uns ein Predigttext, der uns zunächst doch sehr fremd erscheint und vielleicht auch wenig Bezug zu unserem Leben, unserer Gesellschaft hat. Er berichtet von fernen Zeiten mit einer anderen Gesellschaftsstruktur.
Da steht der König Salomo vor uns, der Sohn des viel gerühmten Königs David, der manchen von uns aus den Geschichten des Alten Testaments bekannt und vertraut ist. David schon wollte Jahwe, dem unvergleichbaren Gott einen Tempel bauen, um die Einzigartigkeit seines Gottes gegen alle Götter der anderen Völker zu bezeugen. Obwohl David ein Mann nach dem Herzen Gottes genannt wird, war er kein makelloser Mensch. Die Bibel berichtet in aller Deutlichkeit über seine schlimmen Fehltritte und seine allzu menschlichen Schwächen. Aber dennoch war er ein Mann nach Gottes Wohlgefallen, weil er um Gottes Vergebung wußte und versuchte, nach Gottes Gesetzen und Weisungen zu leben und den Bund, den Gott mit ihm und seinem Volk geschlossen hatte, zu halten.
Aber nicht David sollte dem Herrn einen festen Tempel bauen, sondern sein Sohn Salomo war dazu berufen – allerdings nur unter der Voraussetzung, daß auch er auf Gottes Wegen gehen und seinerseits den Bund halten würde. [V.17 –19.25]
Nun war der Tempel fertig, der Tag der feierlichen Einweihung war gekommen. Alle waren versammelt, auch die Gegenwart Gottes, des Heiligen, war erfahrbar geworden, ja, sogar sichtbar in der Wolke, die das Haus des Herrn erfüllte, so lesen wir einige Verse zuvor. [10+11] Sicher lag ein wunderbarer Glanz über dieser Einweihungsfeier, den alle, die dabei waren, spürten.
Salomo hatte seinen Auftrag erfüllt, segnend stand er vor der Gemeinde, erkannte und bekannte es, daß Gott zu seinen Verheißungen steht. Denn Gottes Treue wurde immer wieder in der Geschichte, in den Führungen des Volkes erfahren. Aber Salomo erkannte auch: Gott ist unfaßbar. Wie sollte ein so wunderbares Haus, ihn fassen?- “der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen”.
Gott ist unfaßbar
Ist es nicht das, was sich seit Beginn der Menschheitsgeschichte wie ein roter Faden durch das Wünschen der Menschen zieht? Zu allen Zeiten wollten Menschen diesen Gott in den Griff bekommen, sie wollten ihn faßbar machen.
Sie bauten einen Turm, um seine Größe zu erreichen. Sie wollten sein wie er. Sie fertigten ein goldenes Kalb an, das sollte ihr faßbarer Gott sein. Als er unfaßbar blieb, haben sie versucht, ihn zu entmachten, indem sie sagten, da ist kein Gott. “Wenn es einen Gott gäbe, wer könnte es ertragen, kein Gott zu sein”, so lautet ein Ausspruch Friedrich Nietzsches aus dem vorigen Jahrhundert.
Als Juri Gagarin als erster Kosmonaut den Weltraum erkundete, war auch seine klare, überzeugende Erkenntnis: Nein, hier im Himmel ist kein Gott. Er ist ein Trugbild, dem die unwissenden Menschen aufgesessen sind. Aber:
Gott ist erfahrbar
Die Menschen des Alten Testamentes haben dies immer wieder in vielfältiger Weise erfahren.
Mose erfuhr ihn im brennenden Dornbusch oder im sanften Säuseln des Windes. Das Volk Gottes erfuhr ihn in einer Feuersäule in der Nacht und in einer Wolke am Tage. Andere erfuhren ihn in den Führungen des Lebens, in Freude und auch in Leid und Krankheit –, aber faßbar, für Menschen verfügbar wurde er nie.
Für die Menschen des Alten Testamentes waren nur die Auswirkungen der Gotteserfahrung sichtbar: Das Gesicht leuchtete, die strahlende Herrlichkeit Gottes war für Menschen nicht ertragbar, denn Gott wohnt in einem Licht, zu dem kein Erdbewohner Zutritt hat.
Das war ihre Vorstellung – und dennoch baute Salomo ein Haus, ein Gotteshaus, in dem dieser unfaßbare Gott erfahrbar wurde, sich erfahrbar machte. “Höre das Flehen deines Knechtes”.
Gott ist gegenwärtig, so singen wir es in unseren Gotteshäusern und wissen doch, daß wir ihn nicht fassen können Aber: Erfahren können auch wir ihn.
Gottes Liebe wurde faßbar und sichtbar
In Jesus wurde Gottes Liebe faßbar und sichtbar. Menschen konnten ihn nicht nur hören und sehen, sondern ihn berühren. Durch seine zärtliche Berührung – so das Thema des diesjährigen Weltgebetstages – wurden Menschen heil, heil an Körper, Seele und Geist.
Seine Jünger erlebten in seiner Gegenwart die Nähe Gottes, wenn er sagte: “Ich und der Vater sind eins.” Gott wohnte bei den Menschen, und die Menschen sahen seine Herrlichkeit. Er heilte, er lehrte und er liebte die Menschen, die Armen, die Kranken, die Mühseligen und Beladenen. Er war ihnen täglich nahe.
Doch dann kam die Zeit, als er nicht mehr faßbar war. Eine Wolke trug ihn vor den Augen seiner Jünger in eine unerreichbare, andere Wirklichkeit. Die Jünger sprachen: “Er ist aufgefahren in den Himmel”, und wir Christen bekennen es: “Er sitzt zur Rechten Gottes, von dort wird er kommen ...”
Doch noch bleibt die drängende Frage: Was hat dieser Text heute mit uns zu tun? Was hat er mit Himmelfahrt, diesem etwas fragwürdigen Fest, das viele Menschen zum “Vatertag” umfunktioniert haben, zu tun?
Seit Himmelfahrt ist Jesus nicht mehr faßbar
In unserem modernen Denken ist Himmelfahrt keine Ortsveränderung, sondern eine Machtveränderung, eine Substanzveränderung. Wenn wir heutigen, modernen Menschen fasziniert in den Himmel schauen und – wenn auch nur am Bildschirm – hingerissen zuschauen, wie eine schwere Trägerrakete sich vom Boden abhebt und in den Himmel entschwindet, dann begreifen wir wohl auch nicht komplett, wie die entsprechende Technik funktioniert.
Seit Himmelfahrt ist Jesus nicht mehr faßbar, er ist zu Gott erhoben und mit ihm vereint und allgegenwärtig. Er sitzt im “Regimente und führet alles wohl”, wie es ein Liederdichter ausdrückt. Und wir müssen es wie Salomo bekennen: Er ist unfaßbar.
Und doch ist auch für uns heute Jesus, der in der Einheit Gottes geglaubt und bekannt wird, erfahrbar.
Wo und wie können wir Gott erfahren?
Auch wir heutigen Menschen würden uns gerne Gott und Jesus verfügbar machen. Wir möchten gerne bestimmen, wo und wann wir ihn brauchen – und wann wir ganz gut ohne ihn auskommen.
Gott und seine Treue können wir darin erfahren, daß er auch heute zu seinem Wort und zu seinen Zusagen steht. Auch heute gilt die Einladung Jesu: “Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid ...” Oder: “Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.”
Gott hält seinen Bund, den er mit uns in der Taufe geschlossen hat. Doch ein Bund muß zweiseitig sein. Wir wissen es aus der Geschäftswelt: Ein einseitig geschlossener Vertrag ist nicht gültig. – Und eine Medizin, die helfen kann, darf nicht im Schrank stehen bleiben. Sie wird nicht helfen, wenn ich nur darum weiß, sie aber nicht einnehme.
Erfahrungen mit diesem Gott, der mit dem erhöhten Jesus Christus unsere Welt wie auch unser Leben regiert, können wir aber nur machen, indem wir uns auf ihn einlassen und uns vertrauend auf seine Verheißungen verlassen.
Salomo betet: “Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zum Flehen, damit du hörest das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.”
Wir kommen vom Sonntag Rogate her: “Betet!” Im Gebet, sei es im Gotteshaus, sei im stillen häuslichen Bereich oder unterwegs erfahre ich die Liebe, die Treue und die Herrlichkeit Gottes. Ich erlebe es, daß Gott auch heute noch zu seinem Wort steht.
Gott ist nicht faßbar, aber Gott ist erfahrbar.
Vielleicht kennen auch wir solche Gotteserfahrungen, wie Margaret Fishback Powers sie in dem bekannten Gedicht “Spuren im Sand” festgehalten hat:
“Ich träumte eines Nachts, ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn. Und es entstand vor meinen Augen, Streiflichtern gleich, mein Leben. Nachdem das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war, sah ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, daß an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Besorgt fragte ich den Herrn: ‚Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?‘ Da antwortete er: ‚Mein Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.‘”
Amen.
Verfasserin: Prädikantin Mechthild Gäntzle, Egerländer Str. 33, 64354 Reinheim
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Pfarrer Thomas Borchers
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