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Der erhöhte Christus

von Uwe Handschuch (Dietzenbach-Steinberg)

Predigtdatum : 05.05.2016
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Rogate
Textstelle : Apostelgeschichte 1,3-4.(5-7).8-11
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Wochenspruch:
"Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen." (Johannes 12, 32)

Psalm: 47, 2 -10 (EG 726)

Lesungen
Altes Testament: 1. Könige 8, 22 - 24.26 - 28

Epistel: Apostelgeschichte 1, 3 - 4 (5 - 7) 8 - 11

Evangelium: Lukas 24, (44 - 49) 50 - 53

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 454, 1 - 6 Auf und mach die Herzen weit
Wochenlied: EG 123, 1 - 4 + 9 Jesus Christus herrscht als König
Predigtlied: EG 622, 1 - 3 Weißt du, wo der Himmel ist
Schlusslied: EG 168, 4 - 6 Du hast uns, Herr, gerufen

Predigttext Apostelgeschichte 1, 3 - 11
Den Aposteln zeigte Jesus sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, „die ihr“, so sprach er, „von mir gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.“ Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Er sprach aber zu ihnen: „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und bin ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.“

Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“


Predigt
Ich hebe meine Augen auf zu den Himmeln: Wohin ist Er gegangen? Ich blicke zurück – ohne Zorn: Was ist geschehen? Ich sehe an meine Seite: Wer ist bei mir? Ich schaue nach vorn: Wie wird es weitergehen?

Ja, wer mit offenen Augen durch diese Welt geht, dem stellen sich fast zwangsläufig Fragen, Fragen nach dem Woher und Wohin, Fragen nach Herkunft, Zukunft und Gegenwart. Ja, wer seine Augen dagegen vor der Welt verschließt, der bleibt meist fraglos; doch wer in seinem Leben nicht fragt, der bleibt auch fraglos dumm. Allerdings ist die Klugheit der Sehenden teuer erkauft. Denn die Fragen, die sich ihren of-fenen Blicken stellen, bleiben manchmal so offen wie ihre Augen. Und gar nicht so selten begleiten Menschen die Fragen ohne Antworten ein Leben lang so wie eine unlösbare Aufgabe.

Woher? – Wohin? Offene Fragen auf einem Lebensweg unter dem offenen Himmel.

Gerade am Himmelfahrtstag scheint es so, als würden Christinnen und Christen wie an keinem anderen Feiertag sonst diesen offenen Himmel geradezu suchen und Antwort auf ihre offenen Fragen vom offenen Himmel erwarten. Christinnen und Christen sind ja an Christi Himmelfahrt für gewöhnlich „aus dem Gotteshäuschen“ und stellen sich – auf diese Weise gewissermaßen „entäußert“ - gemeinschaftlich unter das Himmelszelt.
Warum nur?

Weil sie sich, befreit von den ebenso heimeligen wie abgrenzenden Kirchenmauern, Gott näher fühlen wollen? Weil sie demonstrieren möchten, dass heute nicht nur der Tag für die irdischen Väter, sondern auch noch himmlischer Vater-Tag ist? Weil die Weite des Himmelsrundes ihnen eine Ahnung gibt von der Größe des göttlichen Horizontes? Oder weil sie noch hoffen wollen oder sogar hoffen können - auf eine Antwort auf ihre unbeantworteten Fragen unter dem offenen Himmel?

Ich hebe meine Augen auf zu den Himmeln: Wo ist Gott? Was ist geschehen? Wer ist bei mir? Wie wird es weitergehen?

Ich finde es da gleichermaßen beruhigend wie beunruhigend, dass die Jüngerinnen und Jünger Jesu vor knapp zweitausend Jahren wohl nicht anders und auch nicht fragloser in den Himmel schauten als wir heute; dass sie genauso fragend in den offenen Himmel sahen, obwohl oder gerade weil ihre Nähe zu Jesu damals eine ganz andere Qualität hatte als unsere heute.

Sie schauen fragend in den Himmel, und es ist offenbar gerade dieser Himmel, der sie und ihr Leben in Frage stellt: In den knapp sechs Wochen nach Ostern, in den 40 Tagen nach Jesus Auferstehung lernten sie einen neuen Blick auf ihren Meister kennen, für den sie Familie, Beruf und Heimat, für den sie alle Verbindlichkeiten und Verlässlichkeiten verlassen hatten, die Menschen normalerweise durchs Leben tragen.

Ein neuer Blick stellt sich ihnen nun als neue Aufgabe, und sie beginnen zu begreifen: Jesus, dieser so einmalige Botschafter Gottes ist offenbar die Botschaft selbst. Einer, über den offenbar selbst der Tod, jener uralte Machthaber über das Leben, keine Macht hat, so einer verändert nicht nur ihre kleine Welt. So einer erweitert nicht nur ihren eigenen engen Horizont. So einer lässt etwas grundlegend Neues entstehen, das sich nur als zweite, als neue Schöpfung benennen und begreifen lässt (2. Kor 5, 17; Gal 6, 15).

Und sie spüren: Wer Anteil an diesem Neuen hat, wer sich als Teil dieser neuen Schöpfung begreift, der muss sich dann auch buchstäblich vorkommen wie der erste Mensch. Alles ist neu, alles ist ungewohnt, und auf die neuen Fragen können sie nicht mehr auf das Reservoir der alten Antworten zurückgreifen:

Ja, Johannes taufte mit Wasser, den kennen sie, sie waren dabei, als er zur Buße rief, sie haben es am eigenen Leib erlebt vor ein paar Monaten am Jordan. Aber wie soll nun das gehen: mit dem heiligen Geist getauft werden?

Ja, Jerusalem, Judäa, Samarien, das sind für sie keine böhmischen Dörfer, sondern vertraute Umwelt, der Sitz im Leben für ihre Heimatgefühle im besten Sinn. Aber wo bitte ist nun das Ende der Erde?
Ja, vom Königreich Davids haben sie gehört und in den alten Schriften der Väter gelesen; das römisch Weltreich ist grausame Gegenwart in ihrem Alltag. Aber was, und vor allem wo ist das Reich Gottes?

Ja, Jesus von Nazareth, der leidenschaftliche Prediger, der wunderbare Heiler und glaubwürdige Botschafter eines liebenden Gottes, das war einmal, das war ihre Vergangenheit. Und das soll nun doch nicht alles gewesen sein, sondern erst der Anfang?

Offene Fragen unter einem offenen Himmel. Und kaum haben sich die Fragen des Herzens in Worten ausgedrückt, kaum sind die Fragezeichen Sprache geworden, schon ist der verschwunden, den man noch so vieles fragen wollte. Aus den Augen, und demnächst vielleicht sogar noch aus dem Sinn? Augen offen – aber nichts in Sicht? Münder offen – aber immer öfter ohne Worte?

Also dann eben: Ohren auf! Und da erreicht sie die Antwort. Doch die Antwort kommt nicht aus den Wolken, sie ertönt nicht aus dem Blau des sich über sie wölbenden Himmels. Die Antwort kommt daher als Frage von „Männern in weißen Gewändern“ mitten unter ihnen: „Ihr Galiläer, was steht ihr da und seht zum Himmel? Ihr Menschen aus…, was steht und sitzt ihr da und schaut nach oben? Weil ihr das tiefe Blau genießt? Weil ihr euch über die Kondensstreifen der Flugzeuge empört, die auch am Feiertag viel zu oft und laut ihre Bahnen da droben ziehen? Weil ihr befürchtet, dass es gleich zu regnen beginnt?

Oder weil ihr doch noch von dort die Antwort auf eure Fragen erhofft? Weil ihr vielleicht noch nicht verlernt habt, von Gott etwas zu erwarten, was über euren beschränkten Horizont hinausgeht?

Der neue Blick in den offenen Himmel verlangt offensichtlich nach einer neuen Einstellung. Und diese Einstellung ist geprägt von einer Art aktiven Erwartungshaltung. Die Fragen wollen nämlich kein Selbstzweck oder akustisches Getöse sein, sondern leidenschaftlich auf Antwort hoffen und ganz konkret darauf warten. Denn wer weiß, auf was er wartet und wen er erwartet, der lebt auf und lebt schon im Heute von der Zukunft. Dessen Augen haben trotz aller offenen Fragen ein neues Ziel.

Das war der neue Blick, die neue Aussicht für die Gefährten des Mannes aus Nazareth. Und eine Woche später, auf wundersame Weise gestärkt durch Gottes Geist, führt sie diese neue Aussicht dann zum Umsehen und Umdenken: Die Jüngerinnen und Jünger Jesu werden zu Aposteln, aus den Gefährten werden Gesandte, aus Hörern werden „Botschafter an Christi Statt“ (2. Kor 5, 20).

Sie denken um und sehen: Das bisher so Vertraute muss anderes werden, weil der Vertraute ein anderer geworden ist. Und sie sehen ein: Nur wenn wir den Auferstanden die gewohnte Nähe zu uns verlassen lassen, kann Gott allen Menschen über Zeiten und Weiten hinweg spürbar nahe sein.

Himmelfahrt bedeutet damit nämlich nicht die Umschulung eines Zimmermanns zum „Kosmonauten“, sondern die Wandlung des menschgewordenen Gottes zum „Kosmokra-tor“, zum Herrscher über die Welt. „Jesus Christus herrscht als König“ - und der Himmel ist der Ort, wo sich so wunderbar symbolisch seine Herrschaft über das ganze Erdenrund wölben und erstrecken kann. Der Himmel ist der Ort, den von jedem Ort der Erde der erwartungsvolle menschliche Blick erreicht. Der Himmel ist der Ort, von dem aus sich jeder Mensch von Gott angesehen fühlen kann.

Auch wir dürfen darum glauben: Jesus Christus sieht auch uns an. Der König der Welt schaut auf diese Stadt. Und der König der Welt hat eine Antwort für unsere Fragen. Eine Antwort, die anders ist als erwartet; eine Antwort, die ein Auftrag ist: „Was sitzt ihr da und steht rum? Macht euch Beine und setzt euch in Bewegung! Was seht ihr zum Himmel? Seht zu, dass ihr Land gewinnt und die Weite der Erde sucht!“

Mit seinem Weg zu seinem himmlischen Vater will Jesus den Menschen zum Menschen bringen. Jesus Christus will, seitdem er eben nicht vom Erdboden verschluckt sondern von einer Wolke aufgehoben wurde, zu jedem Menschen kommen. Und er tut das, indem er von nun an in jedem Menschen zur Welt kommt. Nicht der Himmel, sondern der Mensch wird durch Christi Himmelfahrt zu einem Tempel, zum Haus Gottes.

Das heißt dann aber auch: Wenn der Himmel dort ist, wo Jesus Christus ist, dann kann jeder Menschen der Himmel mitten unter uns sein. Dann kann mit jedem Menschen, der mir begegnet, Christus auf mich zukommen. Dann beginnt jedes Mal, wenn ich versuche mit einem anderen Menschen etwas in Gottes Sinn anzufangen, das Reich Gottes - heute, jetzt.

Christi Himmelfahrt lässt mich sehen: Gott stellt mir meinen Mitmenschen zur Seite, damit ich Ihn in ihm erkenne. Gott hält mir den Rücken frei, weil meine Vergangenheit nicht mehr wie ein immer währendes Verhängnis auf mir lasten muss. Und Gott öffnet meinen Horizont, sodass meine Zukunft ein Ziel und mein Weg einen Auftrag haben.

Ja, der Blick in den offenen Himmel mag mir immer noch Fragen stellen, die Antwort darauf darf ich aber getrost hier unten suchen – und finden.

Ich hebe meine Augen auf zu den Himmeln, ich blicke zurück, sehe an meine Seite und schaue nach vorne: Ich kann weitergehen, weiter als ich es mir jemals träumen ließ.
Denn Er bleibt bei mir.
Amen.

Verfasser: Pfarrer Uwe Handschuch
Waldstraße 12, 63128 Dietzenbach


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