Menü

Der Gottessohn

von Uwe Handschuch (Dietzenbach-Steinberg)

Predigtdatum : 02.01.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 2. Sonntag nach dem Christfest
Textstelle : Johannes 1,43-51
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:

Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Johannes 1,14b)
Psalm: 138,2-5

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 61,1-3 (4.9) 11.10
Epistel:
1. Johannes 5,11-13
Evangelium:
Lukas 2,41-52

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 34
Freuet euch, ihr Christen alle
Wochenlied:
EG 51
oder EG 72
Also liebt Gott die arge Welt
O Jesu Christe, wahres Licht
Predigtlied:
EG 66
Jesus ist kommen
Schlusslied:
EG 35,1-3
Nun singet und seid froh

43 Jesus wollte nach Galiläa gehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach! 44 Philippus aber war aus Betsaida, der Stadt des Andreas und Petrus. 45 Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth. 46 Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es! 47 Jesus sah Nathanael kommen und sagt von ihm: Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist. 48 Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bevor Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich. 49 Nathanael antwortete ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel! 50 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum. Du wirst noch Größeres als das sehen. 51 Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn.

Hinführung
Der zweite Sonntag steht auch in seinen übrigen Texten (Evangelium: Zwölfjähriger Jesus im Tempel) am Übergang von der historisch eher dunklen Zeit der Kindheit und Jugend Jesu zu seinem öffentlichen Auftreten. Für die Gemeinde markieren sie in der Kirchenjahreszeit den Übergang vom weihnachtlichen Geschehen hin zum „normalen“ Alltag, auch wenn der Weihnachtsfestkreis noch lange nicht abgeschlossen sein mag.
Die Begegnung Jesu mit Nathanael ist eine merkwürdige Geschichte, die auch für viele Ausleger voller Rätsel bleibt bzw. zu keinem einhelligen Urteil führt: War Nathanael nun Schriftgelehrter und saß als solcher lehrend und studierend unter dem Feigenbaum oder verbindet sich ein anderes Ereignis in seiner Biografie mit dieser Pflanze? Warum kann aus Nazareth nichts Gutes kommen: Weil Nathanael aus dem Nachbarort Kana stammt und sich Nachbardörfer auf der ganzen Welt durch eine gepflegte Feindschaft auszeichnen oder gibt es theologische Gründe dafür?
Ich nehme in meiner Predigt die Aussage Jesu über Nathanael („Ein rechter Israelit“) zum Anlass, diesen den anderen Evangelien unbekannten Jünger (dort heißt er wohl „Bartholomäus“) als einen in sich ruhenden Mann mit klaren Ansichten und Meinungen über die Welt an sich zu zeichnen. Ich kann nicht verhehlen, dass ich in Jesu Anrede an Nathanael ein wenig „messianische“ Ironie zu entdecken glaube. Diese versuche ich in meinen Ausführungen zu den Vorurteilen aufzunehmen. Nathanael weiß, wie er die Welt zu sehen hat. Allerdings ist er durchaus bereit, seine Urteile zu überprüfen. Sehen und Erkennen gehen ihm über Glauben und Meinen. Doch das „Sehen“ und „Kennen“ bzw. „Erkannt werden“ (die häufigsten Verben in diesem Text!) führen bei ihm zum Glauben an Jesus.
Zum Schluss möchte ich den Gottesdienstbesuchenden Mut machen, es dem Nathanaelfreund Philippus gleich zu tun. Den Mitmenschen anzubieten, ihre wohlgehüteten Vorurteile über Glaube und Kirche zu überprüfen, in der festen Überzeugung: Wir sind besser als unser Ruf!

Liebe Gemeinde,
es geht doch nichts über ein schönes Vorurteil. Es ist phantastisch, wie unser Denken dadurch vereinfacht wird! Wir brauchen uns kaum noch eigene Gedanken machen, kaum werden wir vor eine neue Situation gestellt, können wir aus dem Schatz unserer Vorurteile das Passende hervorholen. Das geht schnell, das ist einfach, das funktioniert völlig unkompliziert. Darüber hinaus demonstrieren wir noch unsere Entschlussfreudigkeit, gelten nicht mehr als zögerliche Menschen, auf deren Meinung man jahrelang warten muss.
Es geht doch wirklich nichts über ein schönes Vorurteil; naja, höchstens eines ist besser als ein schönes Vorurteil: Wenn man sein Vorurteil nämlich bestätigt bekommt. Denn so ganz wohl ist uns mit den Vorurteilen ja auch nicht: Wir wissen um das Risiko, dadurch mit unsren Einschätzungen völlig daneben zu liegen, einem anderen Menschen unter Umständen nicht gerecht zu werden, an einer Sache völlig vorbei zu reden oder jemanden vorschnell zu verurteilen, der das gar nicht verdient hat.
Also: Das Beste ist ein offiziell bestätigtes Vorurteil. Dann können wir sagen: Wir haben es schon immer gesagt! Dann können wir denken: Das haben wir schon immer gewusst. Dann können wir uns sanft zurücklehnen und uns in unserer eigenen Urteilskraft sonnen.
Mag sein, dass so einer wie wir damals unter einem Feigenbaum in Galiläa saß. Nathanael aus Kana, ein grundsolider Vertreter seines Stammes, mit sich und seiner Umwelt im Reinen. Einer, der sich durch nichts so leicht aus der Ruhe bringen lässt. Den uralten Stamm im Rücken, die beschattete Sonne im Angesicht, ein paar Schriftrollen zum Studieren neben sich, wartet er ab, was auf ihn zukommt. Und es kommt etwas auf ihn zu: Ein Mann, ein Freund, eine Nachricht, die sein Leben gründlich auf den Kopf stellen sollen.
Sein Freund Philippus aus Betsaida kommt auf ihn zu: „Wir haben den Verheißenen aus unseren alten Schriften gefunden, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth.“ Und offenbar war Nathanael unter seinem Feigenbaum schon etwas weggedämmert: So als hätte er nur die letzten Worte des Philippus gehört, geht er gar nicht auf den Anfang der Botschaft ein. Nathanael fragt nicht, wen er denn gesucht habe, der da jetzt angeblich gefunden worden sei; er erkundigt sich nicht nach den schriftlichen Belegstellen für diese Nachricht bei Mose, dem Gesetz und den Propheten; er fragt nicht näher nach, nach diesem Menschen Jesus, von dem er solch Unerhörtes zu hören bekommt. Es scheint als habe Nathanael nur die letzten Worte des Philippus registriert. „Aus Nazareth“ - und hat nun sogleich das passende Vorurteil parat: „Was kann den schon aus Nazareth Gutes kommen?!“
Nun, mit diesem Vorurteil scheint er damals nicht allein gewesen zu sein, und wir finden selbst in unserer Bibel verschiedene Belege für dieses schöne Vorurteil: Zum ersten kommt Nazareth im gesamten Alten Testament nicht vor, zum zweiten machen, wie wir in den letzten weihnachtlichen Tagen ja gehört haben, die Evangelisten Matthäus und Lukas einige literarische Klimmzüge, um „Jesus aus Nazareth“ in Bethlehem auf die Welt kommen zu lassen. Und zum dritten gehen die Dorfgenossen Jesu nicht gerade zimperlich mit ihm um, wollen ihn sogar nach einer Predigt in der Synagoge von dem Abhang eines Berges stürzen. „Also, es geht nichts über ein schönes Vorurteil!“, denkt sich Nathanael, „Mein Freund Philippus bekommt von mir eine durch ein fundiertes Vorurteil abgesicherte Antwort, und ich habe endlich wieder meine Ruhe.“
Liebe Gemeinde,
Nun passiert allerdings etwas, womit Nathanael wohl nicht gerechnet hätte. Philippus lässt nicht locker, und Philippus macht ihn neugierig. „Komm, und sieh!“ Philippus bietet Nathanael sozusagen die Überprüfung seines Vorurteils mit eigenen Augen an, und da kann Nathanael nicht widerstehen. „Ich werde ihm schon zeigen, wer recht hat. Er wird schon sehen, was da hinter seinem dahergelaufenen Messias aus Nazareth steckt. Dafür werde ich meine Siesta unterm Feigenbaum gerne unterbrechen. Ich glaube nur, was ich sehe. Und ich sehe schon, wie dieser Jesus das Weite suchen wird, wenn ich ihm auf die Finger schaue.“
Doch es kommt anders, so haben wir es gehört. Der Augenmensch Nathanael bekommt tatsächlich etwas zu sehen, doch zuerst, so heißt es in unserem Text, zuerst wird Nathanael von Jesus gesehen. Der als unabhängiger Beobachter zur Bestätigung eines weit verbreiteten Vorurteils angetretene Nathanael erfährt eine besondere Beachtung durch Jesus. Und Jesus sieht ihm bis auf den Grund seines Herzens: „Siehe, ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist.“
Alles kann Nathanael nun tun, nur eines nicht: Diesem Urteil Jesu widersprechen, denn das ist genau sein Bild von sich selbst. Mag Jesus den rechten Israeliten durchaus mit einem Augenzwinkern begrüßt haben, er hat ihn damit auf seiner Seite. Denn Jesus akzeptiert Nathanael sozusagen als messianische Prüfkommission und sieht deshalb bei ihm sofort Land. „Woher kennst du mich?“ antwortet Nathanael auf diese ungewöhnliche Begrüßung, und verschanzt sich damit gleich wieder in der Reserve einer Frage.
Jesus weiß nun, wie Nathanael zu nehmen ist: „Ich sah dich unterm Feigenbaum.“ Was für manch andern ein müdes Schulterzucken hervorgerufen hätte, vielleicht die Mutmaßung, Philippus wäre als Informant Jesu tätig gewesen, das öffnet Jesus die Tür zu Nathanaels Herzen. Weil Jesus ihn vorher gesehen hat, sieht Nathanael ihn nun unverstellt durch die schönsten Vorurteile an. Lange bevor Petrus sich auf diese Weise zu ihm bekennen wird, bekennt Nathanael: „Jesus, Meister, du bist Gottes Sohn, der König von Israel.“
Und Jesus weitet die Tür zu Nathanaels Zukunft: „Du hast noch nicht alles gesehen. Größeres steht dir noch bevor. Die Weiten des Himmels werden dir offen stehen.“
Liebe Gemeinde,
da sieht ein kritischer Zeitgenosse tiefer, da überprüft einer sein liebgewordenes Vorurteil und sieht der Wahrheit ins Gesicht. Ich wünsche mir, dass es uns in diesem neuen Jahr gelingen möge, Menschen so zu bewegen wie Philippus seinen Freund Nathanael. Aufzustehen von den gemachten Plätzchen, abzusehen von den schönen Vorurteilen, hinzugehen, um sich selbst zu überzeugen, aufzusehen auf Jesus, zu erkennen, wer der ist.
Wir sind doch als Mitglieder einer Kirchengemeinde und Gottesdienstbesucher in unsrem Alltag von lauter Nathanaels, von so wackeren, rechten, ordentlichen Menschen umgeben, mit denen wir gut Freund sind, die sich aber in ihrem Verhältnis zu unserer Kirche und zu unseren Gottesdiensten in ihren Vorurteilen eingerichtet haben. „Die in die Kirche rennen, wollen doch nur gesehen werden, führen ihre neuen Mäntel vor, wissen vor lauter Verlogenheit gar nicht, wohin mit. Ich kann auch ein rechter Christ sein – ohne Gottesdienst und Gemeinde.“
Sagen wir doch diesen Menschen immer wieder: „Komm, und sieh!“ Appellieren wir an ihre Wahrhaftigkeit, dass Vorurteile doch zu überprüfen sind, dass Dinge und Menschen und Institutionen sich ändern können, dass sie sich mit ihren eigenen Augen überzeugen sollen.
„Komm, und sieh!“ Und sie werden sehen: Hier sind die Menschen auch nicht besser als anderswo, aber hier geben sie es zu und bekommen den Anstoß dazu, es besser zu machen. „Komm, und sieh“. Und sie werden sehen: Hier geht es um das Leben, so, wie es ist, und so, wie es von Gott gemeint war. „Komm und sieh!“ Und sie werden sehen: Nicht auf die Glaubwürdigkeit der Menschen kommt es an, sondern auf die unsres Gottes. „Komm und sieh!“ Und sie werden sehen: Offene Türen und offene Herzen öffnen den Weg zum Himmel, und das nicht nur zur Weihnachtszeit. „Komm und sieh“. Und sie werden sehen: Hier bist du angesehen, hier darfst du sein, hier bist du willkommen, hier bist du mit Gott auf Du und Du. „Komm und sieh“, so lasst uns sehen, dass sie das sehen! Amen.

Verfasser: Pfr. Uwe Handschuch, Waldstraße 12, 63128 Dietzenbach

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich (Bestellformular).