Der gute Hirte
von Melanie Lohwasser (Frankfurt)
Predigtdatum
:
30.04.2017
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Quasimodogeniti
Textstelle
:
Hesekiel 34,1-2.(3-9).10-16. 31
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Wochenspruch:
"Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben." (Johannes 10, 11 a.27.28 a)
Psalm: 23 (EG 711)
Lesungen
Reihe I: Johannes 10, 11 - 16 (27 - 30)
Reihe II: 1. Petrus 2, 21 b - 25
Reihe III: Hesekiel 34, 1 – 2 (3 – 9) 10 – 16.31
Reihe IV: 1. Petrus 5, 1 - 4
Reihe V: Johannes 21, 15 - 19
Reihe VI Hebräer 13, 20 - 21
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 361, 1 - 2, 6 (12) Befiehl du deine Wege
Wochenlied: EG 274, 1 - 3 Der Herr ist mein getreuer Hirt
Predigtlied: EG 631 In Gottes Namen wolln wir finden
Schlusslied: EG 552 Einer ist unser Leben
Predigttext Hesekiel 34, 1 - 2.(3 - 9).10-16.31
Die schlechten Hirten und der rechte Hirt
„Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt.
Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten ha-ben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut.
Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hü-geln und sind über das ganze Land zerstreut und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet.
Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort!
So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten, darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort!
So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein En-de damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.
Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.
Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zurzeit, als es trüb und finster war.
Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Plätzen des Landes.
Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels.
Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.
Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.“
Liebe Gemeinde,
weich. Unglaublich weich sehen sie aus, die Lämmer, die im Frühling über Wiesen und Weiden springen. Nicht nur Kinder möchten liebend gern solch ein Lämmchen streicheln. Und wirklich – diese kleine, warme Schnauze, dieses weiche Fell! Doch nicht immer lässt sich ein Lamm berühren. Oft sorgt das Muttertier dafür, dass niemand ihrem Kleinen zu nahe kommt. Aber auch ausgewachsene Schafe brauchen zuwei-len jemanden, der gut auf sie aufpasst. Es sind – zumindest hier bei uns - nicht mehr so sehr die wilden Tiere wie Wölfe, die den Schafen gefährlich werden können. Das Leben der Schafe ist bedroht durch rasende Autos, durch die Situation der Umwelt insgesamt: Wie viele Wiesen und Weiden sind schon für immer verschwunden! Gut, wenn es in solch ge-fährlichen Situationen jemanden gibt, der – oder die - die Übersicht behält. Ein guter Hirte also, der sorgsam führt und leitet, jedes einzelne Tier im Blick hat und in Notsituationen ein verwundetes Schaf auf die Schultern nimmt und es trägt.
Gott ist wie ein guter Hirte. Diese Glaubenszuversicht ist für viele Menschen tröstlich, sie trägt gerade in den finsteren und schweren Zeiten des Lebens. Und das, obwohl Hirten – Hirtinnen –, die mit ihren Herden über die Weiden ziehen, nicht mehr unbedingt zu unserem täglichen Leben gehören. Dennoch bleibt das Bild von Gott als gutem Hirten nahe.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“, so haben wir vorhin gebetet mit Psalm 23, dieses Gebet, das viele Menschen seit Kinder- oder Konfirmandentagen auswendig kennen. Besonders berührend finde ich immer diesen Vers: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“
Der jüdische Theologe Martin Buber übersetzte diese Stelle so: „Auch wenn ich gehen muss durch die Todschatten-schlucht, fürchte ich nichts Böses …“
Das ist ebenfalls eindrücklich: Wie viele Todschatten-schluchten gibt es, wenn wir auf das persönliche Leben von Menschen, wenn wir auf die Kriege und Katastrophen auf dieser Welt schauen! –
Gott ist wie ein guter Hirte, der gerade auch in finsteren Zeiten nahe bleibt, leitet und trägt. Diese Hoffnung findet sich auch in dem Predigttext für heute. Er steht im Buch des Propheten Hesekiel (auch Ezechiel genannt) im 34. Kapitel.
Verlesen des Predigttextes: Hesekiel 34, 1 - 2 (3 - 9) 10 - 16.31
Gott ist wie ein Hirte, der seine Schafe sucht und sie erretten will von allen Orten, wohin sie zerstreut waren. So verheißt es der Prophet Hesekiel hier. Er sprach diese Worte hinein, in eine Zeit, die trüb und finster war, eine Zeit, in der sich die Menschen verloren fühlten wie Schafe, die sich verirrt haben:
Es ist die Zeit des Babylonischen Exils. Die Babylonier haben, als sie das kleine Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem einnahmen zu einer Kriegsstrategie gegriffen – so wie Kriegsparteien bis heute sich Methoden überlegen, um den Zusammenhalt der Besiegten zu zerstören, ihr Rückgrat zu brechen. Die Babylonier verschleppten die sogenannte Oberschicht – zu der auch die Familie des Propheten Hesekiel gehörte - ins Exil.
Die „kleinen Leute“, Menschen also, die vor allem damit beschäftigt waren, ihr tägliches Brot zu verdienen, ließen sie orientierungslos im zerstörten Jerusalem und in den ver-brannten judäischen Dörfern zurück. Die nach Babylon Ver-schleppten aber, die früher in Jerusalem wichtige Entschei-dungen getroffen haben und andere Menschen leiteten, jene, die gewissermaßen Hirten gewesen waren … Sie haben sich in der Fremde, im Exil vielleicht selbst gefühlt wie verlorene Schafe. Mag sein, dass einige von ihnen bald mit den Babyloniern kooperierten, um ein besseres Auskommen zu haben, manche waren wohl auch bereit, ihre Lebensweise, ihren Glauben dafür ganz aufzugeben. Nach Hesekiel jeden-falls geht Gott mit ihnen hart zu Gericht: Es seien schlechte Hirten, die nur an sich selber dächten. Nun sei es an Gott selbst, sich um die Herde, um die Menschenherde zu sorgen, und alle, die zusammengehören neu zu sammeln – in Jerusalem.
Für viele Menschen auf der Welt ist jetzt eine trübe und finstere Zeit. Es gibt viele, die sich verzweifelt und in To-desangst fühlen wie ein Schaf, das in eine Kluft gefallen ist und alleine nicht mehr herauskommt. Vielen wird es er-scheinen als müssten sie wandern durch die Todschatten-schlucht: Durch schlimme Erfahrungen im persönlichen Le-ben. Besonders finster, scheinbar unentrinnbar muss die Todschattenschlucht für die Menschen in Kriegs- und Krisen-gebieten wirken – in Syrien und Libyen, im Südsudan und in Eritrea, an so vielen weiteren Orten unserer Welt. Was ist da mit den Hirten, den Hirtinnen, die gerade in bedrängten Situationen leiten sollen?
Wenn man die Prophezeiung Hesekiels auf die politisch Mächtigen in den Kriegs- und Krisengebieten bezieht, dann ist sie sehr aktuell: Dort sind die Machthaber schlechte Hirtinnen und Hirten. Fast immer zutiefst in Unrecht verstrickt, sind sie oft sogar der Auslöser und die treibende Kraft für Krieg und Gewalt. Was ist aber mit Menschen, die im weiteren Sinne zu Hirten und Hirtinnen werden können? Zum Beispiel mit Lehrern, Ärztinnen, Journalisten und Schriftstellerinnen? Viele von ihnen fliehen aus ihren Heimatländern. Wer kann es ihnen verdenken? Sie sind ja selbst in Todesgefahr. Schwerer als die Angst um das eigene Leben wird oft die Sorge um die Liebsten, ganz besonders um die Kinder wiegen – sie vor allem sollen geschützt werden, sollen leben.
Ich finde viel erstaunlicher, dass es in solchen Situationen Menschen gibt, die bleiben. Menschen, die für andere zu gu-ten Hirtinnen und Hirten werden.
Etwa Lehrer und Lehrerinnen in Afghanistan, die Schulen gründen, um den Mädchen und Jungen rechnen und schrei-ben beizubringen, aber auch um die Kinder zu Frieden und Versöhnung zu erziehen. Ärzte und Ärztinnen im syrischen Aleppo, an so vielen Orten dieser Welt, die nahezu nichts mehr haben in ihren Krankenhäusern. Der Strom fällt aus, die Frühgeborenen in den Brutkästen sind unversorgt. Und dennoch arbeiten die Ärztinnen, die Ärzte weiter, weil sie – wie es bei dem Propheten Hesekiel heißt – das Verwundete verbinden und das Schwache stärken.
Es sind aber oft auch die „einfachen Leute“, die für andere zu guten Hirtinnen und Hirten werden. In vielen Ländern, in denen Gewalt und Chaos herrschen, in denen unzählige Menschen auf der Flucht sind wie im Südsudan nehmen Fa-milien, die selbst schon mehrere Kinder haben noch ein Kind auf. Sie nehmen das Kind zu sich, weil sonst niemand für es da wäre, weil das Kind mutterseelenallein auf der Welt ist. Sie werden für das Kind zu guten Hirten.
Gottes Verheißung geht aber weit über das Menschenmögli-che hinaus. Gott will das Verlorene wieder suchen, das Ver-irrte zurückbringen, das Verwundete verbinden und das Schwache stärken … Das ist die große Verheißung, nicht allein beim Propheten Hesekiel, sondern sie zieht sich durch die gesamte Bibel, das Alte wie das Neue Testament: Eine Verheißung, die uns durchaus nachdenklich machen sollte, zumindest wenn wir darauf schauen, wie wir als Gesellschaft funktionieren: Gott stellt sich nicht auf die Seite der Gewin-nertypen, der Erfolgreichen, die ihr Leben im Griff haben – sofern das überhaupt möglich ist. Gottes Herz schlägt für jene, die verletzlich, die verwundet und wehrlos sind.
Verletzlich, verwundet und wehrlos – wie Jesus Christus. Jetzt, in der Osterzeit schauen wir besonders auf Gottes Sohn, der gekreuzigt wurde, der wie ein Lamm zur Schlachtbank ging. In jedem Menschen, der heute gefoltert, in jedem und jeder, die heute gesteinigt, gekreuzigt, hinge-richtet wird … In jedem dieser Menschen wird Jesus Christus aufs Neue geschlagen und getötet. Aber dabei wird es nicht bleiben!
Schon das Alte Testament verheißt, dass Gott Todesstruktu-ren und den Tod selbst überwinden wird. In diese überwäl-tigende Hoffnung sind wir durch Jesus Christus hinein ge-nommen. Gott hat Jesus Christus vom Tod auferweckt.
Das bedeutet auch: Für jede, die todkrank ist und gegen schwere Schmerzen ankämpft. Für jeden, der gefoltert und getötet wird. Für jeden und jede von ihnen, für uns selbst, dürfen wir hoffen, dass Gott im ewigen Leben alle Schmer-zen stillt und Frieden schenkt. Das ist sozusagen die persön-liche Hoffnung bei der Auferstehung.
Doch die Auferstehungshoffnung ist noch mehr, sie ist welt-bewegend: Gott wird die Welt von Grund auf verändern. Gott wird die Welt zu einem Ort machen, an dem Gerechtig-keit und Frieden herrschen, einem Ort, an dem besonders auf jene geachtet wird, die verloren und verirrt, die ver-wundet und schwach sind – und behutsam mit ihnen umge-gangen wird.
Das wird geschehen – so verheißt es die gesamte Bibel. Bis das aber geschieht, braucht Gott uns. Uns, die wir vielleicht nicht gerade perfekte Hirtinnen und Hirten sind. Uns, die wir fehlbar sind und auch mal in die Irre gehen. Und doch braucht Gott uns, um schon hier und jetzt die Welt ein wenig zu verwandeln.
Wie es in dem Lied heißt, das wir gleich gemeinsam singen: In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist, in Got-tes Namen wolln wir suchen, was verirrt ist, in Gottes Na-men wolln wir heilen, was verletzt ist, in Gottes Namen wolln wir stärken, was geschwächt ist….
Verfasserin: Pfarrerin Melanie Lohwasser
Jahnstraße 20, 60318 Frankfurt
Anmerkungen
Psalm 23 in der Übersetzung Martin Bubers findet sich in: Das Buch der Preisungen. Die Psalmen. Verdeutscht von Martin Buber, Gütersloh, 1. Auflage, 2008
Bei den Gedanken zu Menschen mit Zivilcourage ist möglicher Wei-se das syrische Aleppo durch ein aktuelleres Beispiel zu ersetzen
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