Der gute Hirte
von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)
Predigtdatum
:
29.04.2001
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Quasimodogeniti
Textstelle
:
Johannes 21,15-19
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Wochenspruch:
Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben. (Johannes 10,11.27.28)
Psalm: 23 (EG 711)
Lesungen
Altes Testament:
Hesekiel 34,1-2.(3-9).10-16.31
Epistel:
1. Petrus 2,21b-25
Evangelium:
Johannes 10,11-16.(27-30)
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 288
Nun jauchzt dem Herren, alle Welt
Wochenlied:
EG 274
Der Herr ist mein getreuer Hirt
Predigtlied:
EG 400
Ich will dich lieben, meine Stärke
Schlusslied:
EG 209
Ich möchte, dass einer mit mir geht
15 Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! 16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. 19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!
Liebe Gemeinde,
Einem Bekannten von mir ist Folgendes passiert: Er war vor einigen Jahren war auf dem heiligen Berg Athos. Ein junger russischer Mönch führte ihn durch das große Panteleimon-Kloster und zeigte ihm dabei wunderbare Ikonen. Vor einer blieb er stehen, zeigte mit der Hand auf sie und sagte: „Das ist der Herr Jesus. Ich habe ihn lieb.” Und dann - an meinen Bekannten gewandt: „Hast du ihn auch lieb?” Dem blieb fast die Luft weg - so hatte ihn in seinem ganzen Leben noch niemand gefragt. „Ich war völlig fertig nach dieser Frage“ - so erzählte er mir.
Ich kann seine Verblüffung und seine Verwirrung gut verstehen. Diese Frage kommt bei uns nicht vor, nicht im Studium an der Universität, nicht in der Ausbildung im Seminar, nicht in den Gemeindekreisen, nicht in der Konfirmandenstunde. Das gehört sich nicht, so zu fragen. Und wenn einer doch so fragen würde, dann bekäme er wohl die entsprechenden Antworten: Warum fragen Sie so emotional? Was bedeutet das schon für unsere Zeit? Man mag uns fragen nach den Aufgaben für Jesus - ja; nach dem Einsatz für Jesus - ja; nach dem Glauben an Jesus - Ja, aber nach der Liebe zu ihm? Geht das nicht wirklich zu weit?
Unser Predigtwort aber erzählt genau davon, dass Jesus so gefragt hat. Dreimal - wir haben es ja gehört - stellt er seinem Jünger diese Frage: Hast du mich lieb? Dreimal fragt er den so, der sich doch ins Meer gestürzt hatte und ihm entgegen geschwommen war. Dreimal fragt er ihn so, der doch mit ihm das Mahl gehalten hatte.
Dieses Fragen trifft die offene Wunde im Leben des Petrus, hat er doch dreimal den Herrn verleugnet. Hat er doch, der den Beinamen „Felsenmann“ erhalten hatte, in der Stunde der Gefahr sich ganz anders erwiesen. Da war ihm das Herz in die Hose gerutscht, da war es vorbei mit dem Bekennermut, da war es vorbei mit dem „ich lasse mich für dich zerreißen“ Auch wenn kein Wort mehr darüber fällt - die dreimalige Frage macht es klar. Hier wird Stück um Stück diese Last der Vergangenheit abgetragen.
Das ist etwas Großartiges. Petrus muss diese Last eben nicht abarbeiten. Er wäre vielleicht am liebsten meilenweit für seinen Herrn gelaufen, um diese Scharte auszuwetzen. Er hätte die schwierigsten Aufgaben übernommen. Er hätte alles Mögliche getan, um sich zu rehabilitieren.
So ist es doch bei uns: Wer versagt hat, der muss jetzt erst recht seine Tauglichkeit nachweisen. „Nicht 100% Leistung, sondern 120%. Der erwarte ich von der Mannschaft, das sie sich nun aber besonders anstrengt. Deshalb gebe ich ihr eine neue Chance.” So sagen die Trainer nach der Schlappe ihrer Mannschaft. So sagen manche nach einem Versagen ihres Kindes in der Schule. So sagen manche nach einem Versagen im Beruf oder im Miteinander einer Gemeinschaft.
Hätte Jesus zu Petrus so gesprochen - es wäre sehr verständlich gewesen. Auch Petrus hätte es wohl verstanden. Aber Jesus verlangt nicht Rehabilitation von Petrus. Er lässt ihn auch nicht links liegen, er sagt auch nicht: ab sofort in der Rangliste der Jünger ans Ende, vielleicht mit der Chance auf Bewährungsaufstieg. Er fragt ihn: „Hast du mich lieb?”
Und Petrus: „Herr, du weißt es, dass ich dich gern habe.“ Kein großer Treueschwur mehr wie vor der Kreuzigung. Keine großen Worte. Der Mann mit der schnellen Zunge und den treffenden Worten ist sehr kleinlaut geworden. Nicht einmal vom „liebhaben” wagt er mehr zu reden - du weißt, dass ich dich gern habe.
Aber das genügt Jesus. Es genügt ihm, dass sein Petrus ihn gern hat, ihn liebhat. Es genügt ihm, dass sein Petrus sich ihm in diesen Antworten ganz ausliefert. Es genügt ihm, dass sein Jünger sich mit diesen Antworten neu an ihn bindet, nicht in großen Tatversprechen, nicht mit großen Beschlüssen und guten Vorsätzen, nicht mit großen Gehorsamszusagen, sondern mit der Liebe.
Liebe Gemeinde, ich bin froh, dass Jesus auch uns nicht nach allen möglichen Dingen fragt, sondern nach der Liebe. Er könnte ja auch nach anderem fragen: nach unserer Treue, nach unserem mutigen Bekenntnis vor Menschen, die nicht glauben, nach unserem Gehorsam in den kleinen und großen Dingen des Alltages, nach unserem überzeugenden Lebensstil als Christen, nach unserem sorgsamen Umgang mit seiner Schöpfung und seinen guten Gaben...
Und wer möchte das alles denn nicht: Ich wünsche mir für mein Leben und für das aller Christen, das wir treu sind, dass wir vor Menschen wirklich zu unserem Glauben an Jesus stehen, dass wir den Gehorsam gegen sein Wort einüben, dass wir es lernen und versuchen, wirklich überzeugend zu leben, dass wir die Gaben Gottes in seiner Schöpfung achten und sorgfältig mit ihnen umgehen.
Aber ich bin froh, dass das alles nicht das Zentrum meines Verhältnisses zu Jesus ausmacht, sondern dass er diese Frage in die Mitte stellt: Hast du mich lieb? Da muss ich nichts können als dieses eine, dass ich mir das Herz abgewinnen lasse von ihm, dass ich es wage mit meinem ganzen Leben und seinen vielen Wunden und Verirrungen zu ihm zu gehen. Denn wenn ich ihn liebhabe, dann darf ich das wagen, dann traue ich seiner Liebe zu, dass sie auch mein Versagen umschließt.
Das ist die Liebe, nach der Jesus hier fragt: Dass wir mit unserem ganzen Leben bei ihm bleiben, dass wir nicht dann von ihm weggehen, wenn uns Schuld verklagt, wenn uns Leid bedrängt, wenn uns Dunkelheit überwältigen will. Das ist die Liebe, nach der Jesus hier fragt, dass wir auch dann bei ihm bleiben, wenn es durch Tiefen geht, wenn wir ihn nicht verstehen, wenn wir uns mit ihm lächerlich machen können.
Diese Frage Jesu macht etwas deutlich. Im Letzten geht es im Glauben von uns Christen nicht ums Wissen, nicht um einen Standpunkt, nicht um ein Handlungsprogramm, sondern im letzten geht es um eine Beziehung - um die Beziehung zwischen uns und Jesus, und dann eben auch um die Beziehung zu denen, die wie wir zu Jesus gehören.
Unsere Geschichte erzählt noch ein zweites, dass Jesus Petrus neu beauftragt: „Weide meine Schafe!” Den gleichen Petrus, der davongelaufen war, stellt Jesus neu in Dienst. Den gleichen Petrus, der ihn verleugnet hatte, beauftragt er mit der Leitung der Gemeinde: „Halte du Ausschau nach den Schwachen und Beladenen, halte du Ausschau nach denen, die mutlos geworden sind im Glauben, halte du Ausschau nach denen, die sich manchmal verstecken möchten mit ihrem Glauben!“
Jesus braucht als Hirten, als Leiter seiner Gemeinde nicht die, die den Verein mit eiserner Hand zusammenhalten. Jesus braucht als Hirten, als Leiter seiner Gemeinde nicht die, die dafür sorgen, dass alle gleichgesinnt und gleichgerichtet marschieren. Jesus braucht als Hirten, als Leiter seiner Gemeinde nicht die, die einen christlichen Standpunkt in allen Fragen hochhalten: er braucht dazu Leute, die ihn liebhaben und die bei ihm die Liebe zu den Brüdern und Schwestern gelernt haben. Er braucht dazu Leute, die im eigenen Leben erfahren haben, was Vergebung ist, was Gnade ist, was Bewahrung ist und die das dann auch den anderen mitteilen können - nicht nur mit Worten, sondern auch in den Taten der Liebe, auch im Nachgehen, im Suchen, im Festhalten und Durchtragen in schweren Zeiten.
Wir wünschen uns wohl manchmal für unsere Gemeinde als Leiter Leute, die etwas losmachen, die die Gemeinde von einer Aufgabe zur anderen führen, die es fertig kriegen, das eine Gemeinde sich all den Problemen um sie herum widmet und sie lösen hilft.
So einer war Petrus in seinen jungen Jahren. Jesus sagt es ihm auf den Kopf zu: Als du jünger warst, da hast du die Ärmel aufgekrempelt und warst überall dabei, wo es anzupacken galt - ein richtiger Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Als du jung warst, da hast du gesprüht vor Leidenschaft und Hingabe.
Jetzt aber, jetzt kommt eine andere Zeit: nicht mehr nach deinem Kopf wird es gehen, nicht mehr nach deinem Gutdünken - Schritt um Schritt werde ich dich führen. Und das ist nun die Bewährung deiner Liebe, dass du dich diesen Führungen anvertraust, dass du Station um Station mit mir gehst. Das ist die Bewährung deiner Liebe, dass du mir zutraust, dass dein Weg, den ich mit dir gehe, auf dem ich dich führe, gut ist, auch wenn er durch Leiden geht, auch wenn wer sich scheinbar im Dunkel des Todes verliert.
Liebe Gemeinde, von solchen Hirten der Gemeinde geht Kraft aus. Von solchen Hirten der Gemeinde geht Trost aus. - weil sie nicht leuchten in ihrer eigenen Stärke und in ihren eigenen Werken, sondern weil an ihnen die große Güte Jesu aufleuchtet, die festhält an denen, die ihn lieben.
Ich schließe mit einem Zitat von Fritz Schwarz, der in Herne Pfarrer war. Er hat zu diesem Abschnitt einmal geschrieben:
„Ich möchte wie ein Licht sein, das unaufhörlich für Jesus brennt, und manchmal brenne ich auch für ihn. Aber ich muss auch in manchen Aschenhaufen blicken in meinem Leben. Da hat mal was gebrannt, aber nun ist da nur noch ein Häufchen Asche. Aber selbst wenn da nur noch Asche ist - ja, Herr, ich habe dich lieb. Ob du mich wohl auch noch als dieses Aschenhäufchen liebst? Liebst du mich und liebe ich dich, dann ist noch eine Geschichte zwischen uns drin, eine Geschichte zwischen dir, dem wunderbaren Herrn und mir, dem Aschenhaufen. Du bläst in ihn hinein. Und er lodert wieder neu auf.”
Das wünsche ich uns allen, das erbitte ich für uns alle, dass der Herr in uns hineinbläst durch seinen Geist und wir dann antworten können: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Dann wird er uns auch unseren Weg führen und uns zeigen, wo er uns braucht. Amen.
Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg
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