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Der gute Hirte

von Meinhardt Remy (Alsfeld)

Predigtdatum : 08.05.2011
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Quasimodogeniti
Textstelle : Hesekiel 34,1-2.(3-9).10-16. 31
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Wochenspruch: „Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“(Johannes 10, 11 a. 27. 28 a)
Psalm: 23 (EG 711)

Lesungen
Altes Testament: Hesekiel 34, 1 – 2 (3 – 9) 10 – 16.31
Epistel: 1. Petrus 2, 21 b – 25
Evangelium: Johannes 10, 11 – 16 (27 – 30)


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 288 Nun jauchzt dem Herren, alle Welt
Wochenlied: EG 274 Der Herr ist mein getreuer Hirt
Predigtlied: EG 616 Auf der Spur des Hirten
Schlusslied: EG 299, 1 + 5 Aus tiefer Not


Kurze Hinführung:

Ein Bibeltext kann in unserer Gegenwart nur „sprechen“, wenn wir ihn zuerst auf dem Hintergrund seiner Entstehungszeit verstehen lernen.

Bei dem Predigttext handelt es sich um einen zentralen Text aus der Zeit des babylonischen Exils Israels. Hesekiel (hebräisch Ezechiel“, das bedeutet „Gott möge kräftig machen“) stammt aus einer Priesterfamilie und gehörte zu den Judäern, die 597 v. Chr. mit ihrem König Jojachin nach Babylonien deportiert wurden. Propheten sind „Wahrsager“ in einem anderen als dem landläufigen Sinn: Sie sagen nicht die Zukunft vorher, sondern sie sagen die Wahrheit hervor, auch und gerade die unbequeme Wahrheit ihrer Zeit. So legte auch Ezechiel den Finger in die Wunde und scheute sich nicht, das Königshaus und seine Herrschaftscliquen verantwortlich zu machen für die Entwicklung, die zur Katastrophe des Exils führte. Aber auch das „abtrünnige Volk“(Hes 2, 3), das „Gewalt übt, die Armen bedrückt und den Fremden Unrecht tut“ (Hes 22, 29), verschont er nicht. Zugleich ist Ezechiel getreu seines Namens ein Prophet des Trostes, der das Volk im Glauben stark macht für die Zukunft, die vor ihm liegt, stark in der Gewissheit, dass Gott allein der rechte Hirte seines Volkes ist.

Der Text kann zugleich verstanden werden als zentraler Text in unserem christlichen Verhältnis zum jüdischen Volk. Wie in den Psalmen äußert sich in ihm auch der Glaube Jesu, der die Wurzel unseres Glaubens an Gottes Offenbarung in Christus ist.

Predigt

Textlesung Hesekiel 34, 1 - 16.30 f.

Liebe Gemeinde,

(Der Text in seiner Gegenwart)
„Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein“: Dieses Gotteswort ergeht zuerst an Israel und nicht an uns. Denn es ist in seinem Ursprung ein Wort an die, die Gott „mein Volk“ nennt, „die vom Hause Israel, die mein Volk sind, spricht Gott, der Herr“ (V. 31).

Das Volk Israel hörte dieses Gotteswort damals durch das Menschenwort des Propheten Hesekiel. Das war kurz nachdem Israel aus seiner Heimat vertrieben worden war in das babylonische Exil, vor mehr als 2500 Jahren.

Das jüdische Volk lebt auch noch heute, und die Bibel des Alten und Neuen Testaments, die Heilige Schrift des Christentums, ist ein Zeugnis dafür, dass Gott sein Wort für sein Volk nicht rückgängig gemacht hat, dass seine Verheißung ihm auch heute noch gilt. Auch nach allen Pogromen der Geschichte, nach Auschwitz und Treblinka bleibt Gottes Verheißung bestehen: „Sie sollen erfahren, dass ich, der Herr, ihr Gott, bei ihnen bin und dass die vom Hause Israel mein Volk sind.“

Dies ist die erste und wichtigste Erkenntnis, die ich als Christ beim Hören dieses Bibeltextes achten will: Es ist und bleibt zuerst ein Wort an Gottes Volk, ein Wort an Israel.

Das Wort erging damals in einer für Israel sehr schweren Zeit an die Menschen: Sie waren aus ihrer Heimat verschleppt worden, und mit der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier waren auch die letzten Hoffnungen zerstört worden. Auch der Prophet Hesekiel war unter den Verschleppten. Er ist es, der in dieser Situation zum Sprach-rohr Gottes wird, sein prophetisches Wort trifft mitten hinein in die Hoffnungslosigkeit, in die Sprachlosigkeit seiner Zeit: „Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?“ (V. 2)
Deutliche Worte! Worte gegen die, die Hirten des Volkes sein sollten und doch nur „ihre eigenen Schäfchen ins Trockene gebracht“ haben. Konkret waren es Worte gegen das judäische Königshaus und seine Herrschaftscliquen. Sie hatten auf ganzer Linie versagt und die Katastrophe Israels heraufbeschworen: „Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden“ (V.3).

Die vermeintlichen Hirten werden selbst zu Wölfen, sagt der Prophet, diese Hirten fressen auf, was sie schützen sollten. Keine Wölfe im Schafspelz, Wölfe im Hirtenmantel sind sie.

(Der Text in unserer Gegenwart)
Liebe Gemeinde: wem würden hier keine Bilder aus unserer Gegenwart einfallen? Korrupte Politiker, wie es sie damals, heute und in allen Zeiten gegeben hat, und die immer wussten, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen können. Wölfe im Hirtenmantel, Diktatoren in feinem Zwirn: Sie lächeln in die Kameras und halten ihr eigenes Volk in Geiselhaft.

Das ist das zweite, was mir an unserem Bibeltext auffällt: Die prophetische Botschaft ist eine hochpolitische Botschaft. Gottes Wort trifft mitten hinein in die Zustände der Zeit. Allerdings sollten wir es nicht allein als kritische Botschaft gegen die „Hirten“ hören. Gottes Wort kann nicht dienen als billige Politikerschelte. Gottes Wort muss man zuerst für sich selber hören. Wölfe stecken auch in manchem Schafspelz. Auch in der Herde können sich reißende Wölfe verstecken, Menschen, die mit schreien, wenn alle schreien, die johlende Menge, die so gerne einen Sündenbock sucht und in die Wüste schickt. Auch wir verstecken uns gerne in der Herde, auch wir schreien manchmal mit, wenn alle schreien.
„Meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben“: Wie sehr trifft dieses Gotteswort auch die Situation unserer Zeit. Wie sehr trifft dieses Bild auch unsere Befindlichkeit. Uns, die wir umherirren, und ein jeder sieht nur auf seinen Weg, ohne Blick für den anderen, ohne Orientierung, ohne Ziel.

(Der Text als Verheißung für die Zukunft)
„Denn so spricht Gott der Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Plätzen des Landes“ (VV. 11 - 13).

Noch einmal zur Erinnerung, liebe Gemeinde: Diese Worte gehen zuerst an Israel, an Gottes Volk. Wir Christen sind nicht „das neue Israel“, wie oft behauptet, denn das alte Israel lebt auch heute noch, das jüdische Volk inmitten aller Völker auf Erden. Und was da geschrieben steht beim Propheten Hesekiel, das ist wörtlich gemeint: Gott sucht und sammelt sein Volk und bringt es in sein Land Israel.
Wir Christen sind aber mit hinein genommen in diese Sehnsucht und Hoffnung Israels. Eine Sehnsucht und eine Hoffnung, in die auch für Israel selbst schon immer andere Völker mit hinein genommen waren. Eine Hoffnung und Sehnsucht, die Israel nicht für sich allein behalten wollte. Jesus von Nazareth, ein Prophet seines Volkes, den Gott selber zum Messias für die Völker geschickt hat, hat uns gelehrt, in dieser Sehnsucht und Hoffnung gemeinsam mit seinem Volk zu beten. So wie wir in jedem Gottesdienst beten: „Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme.“ Jesus hat uns gelehrt, mit ihm alle Zuversicht zu setzen auf diesen Vater im Himmel, der allein der rechte Hirte ist: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser… Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“ (Ps 23). Es ist das Herzstück der Psalmen Israels, mit dem auch wir Christen so beten können. Es ist das Herzstück der biblischen Zuversicht, die Christus mit seinem Leben und Sterben, mit seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt hat. Es ist der Glaube, der uns mit dem Volk Israel trägt. Der Glaube, der uns trägt in unserem Hoffen und Bangen, in unseren Freuden und Nöten. Der jüdische Religionsphilosoph Abraham Heschel hat die Wurzel dieses Glaubens so beschrieben: „Die gesamte menschliche Geschichte, wie die Bibel sie sieht, kann in einem Satz zusammengefasst werden: Gott ist auf der Suche nach dem Menschen.“

Ja, Gott ist auf der Suche nach dem Menschen. darum ruft er auch uns durch das Wort des Propheten Hesekiel: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist“ (V. 16).

Dazu können wir nur sagen „Amen, das ist gewisslich wahr“.

Verfasser: Pfarrer Peter Remy, Kirchplatz 4, 36304 Alsfeld

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