Der gute Hirte
von Claudia Neumann (Neudietendorf)
Predigtdatum
:
19.04.2015
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Quasimodogeniti
Textstelle
:
Johannes 10,11-16.(27-30)
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Wochenspruch:
"Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben." (Johannes 10, 11 a.27.28 a)
Psalm: 23 (EG 711)
Lesungen
Altes Testament: Hesekiel 34, 1 - 2 (3 - 9) 10 - 16.31
Epistel: 1. Petrus 2, 21 b - 25
Evangelium Johannes 10, 11 - 16 (27 - 30)
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 99 ff Ein Osterlied
Wochenlied: EG 274 Der Herr ist mein getreuer Hirt
Predigtlied: EG 369 oder EG 346 Jesu meine Freude oder Such wer da will, ein ander Ziel
Schlusslied: EG 428 Komm in unsre stolze Welt
Hinführung
Das Bild vom guten Hirten ist den Gottesdienstbesuchern vertraut. Es nimmt das menschliche Bedürfnis auf, verläss-lich geleitet zu werden. Gleichzeitig erzeugt das Bild in unserer individualisierten und auf Selbstbestimmtheit bau-enden Zeit auch heftige Abwehr.
Im Gottesdienst begegnet das Hirtenmotiv vor der Predigt bereits im Ps 23 und in der AT-Perikope, die der Autor von Joh. 10 das vermutlich gekannt hat. Beide Texte bauen als Bild und Gegenbild eine Spannung auf, die sowohl die ambi-valenten Hörer-Reaktionen zulässt als auch den Blick hinter die Bildebene in der Predigt vorbereitet. In der folgenden Predigt wird auf den Text Bezug genommen.
Predigt
Die Worte vom guten Hirten habe ihre Faszination bis heute nicht verloren. Der Psalm 23 klingt noch im Ohr; als Bild oder Plastik hat ihn fast jede/r schon gesehen: Christus, der gute Hirte.
Im Bild von Hirten klingt unsere menschliche Sehnsucht nach Geborgenheit an. In unübersichtlichen und schwierigen Situationen ist das Bedürfnis verlässlich getragen und ge-führt zu werden besonders groß. Urvertrauen und Glau-benserfahrung schwingen mit und entfalten ihre tröstliche Kraft.
Aber das Bild hat schnell ein Zuviel an Harmonie. In Zeiten ausgeprägter Individualität und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen kann es auch wie platte Vertröstung klingen: Wie eine heimliche Aufforderung zur Unterordnung, die der ver-steckten Machtausübung den Weg bereitet.
Wer ein selbstbestimmtes Leben führt und Verantwortung übernimmt wird in diesem Bild eher das dummes Schaf ent-decken, das sich - viel zu gutgläubig und ein bisschen naiv – nicht nur leicht führen, sondern auch ver-führen lässt.
Im Johannesevangelium ist das Bildwort vom guten Hirten Teil der Auseinandersetzung mit den Pharisäern, die Jesu Handeln beobachten, aber nicht wirklich verstehen.
Jesus nutzt dieses bereits bekannte Bild als Selbst-Be-schreibung. Er redet im Bild um etwas auszudrücken, was mit Logik und Begriffen nur schwer definiert werden kann. Es geht ihm um etwas, für das es kein „muss“, sondern nur ein „kann“ gibt. Es geht ihm um die Beziehung zwischen Hirt und Herde, die sich entwickeln kann … wenn Vertrauen und Verlässlichkeit die Basis bilden. Erst diese Basis, lässt Kennen und Hören und Folgen möglich werden.
Aber Vertrauen ist flüchtig. Niemand kann beweisen, dass es berechtigt ist. Enttäuschte Hoffnung und ausgenutztes Vertrauen – wer kennt das nicht?
In der alttestamentlichen Lesung dieses Sonntages wird von solchen Hirten berichtet. Sie liefern sozusagen das Gegen-modell: den schlechten Hirten:
Hirten, die ihr Amt nicht wahrnehmen, sondern ihren per-sönlichen Vorteil suchen. Verantwortliche, die ihren Einfluss nicht für die Zukunft des Volkes geltend machen, sondern alles tun, was ihnen ihre Macht erhält. Der Prophet Ezechiel liefert eine bittere Beschreibung der Zustände im Land: Die Schafe sind wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. Sie irren … und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet. (Ez. 34,5.6)
Auch er nutzt das Hirtenbild, aber jeder weiß sofort: Es geht um die politisch Verantwortlichen. Es geht um Gewalt, Ar-mut und Ungerechtigkeit unter Menschen.
Vermutlich hören Sie sofort die Ungerechtigkeit unserer heutigen Welt zum Himmel schreien. Unzählige Situationen wären zu nennen, in denen Menschen Gewalt schutzlos aus-geliefert sind und unter widrigsten Bedingungen zu über-leben versuchen (ggfs aktuelle Beispiele einfügen). Wir ken-nen überall Beispiele, wo weder Menschenwürde noch Schutzbedürfnis, weder eigene Geschichte noch Träume vom Leben eine Rolle spielen. – Und das sind keineswegs nur Beispiele aus einer fernen Nachrichtenwelt.
Der Prophet Ezechiel kündigt an, dass in dieser Situation Gott selbst das Amt des Hirten übernehmen wird (V11 - 22), weil die Hirten des Volkes so kläglich versagt haben. Er wird für Gerechtigkeit sorgen und das Volk wieder zusam-menführen. Er wird Nahrung wachsen lassen und für Frie-den sorgen. Er wird die Bedürfnisse seines Volkes in den Mittelpunkt rücken.
Gott kündigt durch den Propheten einen neuen Hirten an, der die Seinen kennt und für sie sorgen wird. Wie ein guter Hirte wird er erste Spuren der Hoffnung legen und das ver-lorene Vertrauen wieder aufbauen.
Von da aus spannt sich der Bogen bis zum Predigttext bei Johannes: Der, der alles tut, was ein guter Hirte tut – ist jetzt da. Er sieht, er kennt, er ruft, er geht nach, er gibt eine neue Chance und neue Hoffnung, er sorgt und er behütet. Er kennt Gott und Gott kennt ihn. Darum ist er mehr als ein normaler Hirte, nämlich einer, der sein Leben für die Schafe einsetzt.
Wer sich auf Jesu Einladung einlässt, folgt nicht wie ein blindes Schaf. Es geht nicht um den Herdentrieb als Zeichen mangelnder Selbstbestimmung. Die Bildrede beschreibt den Hirten, nicht die Schafe. Und dieser Hirte hat bereits seine Zeichen gesetzt: hat Kranke geheilt, hat Wunder gewirkt und sich als Sohn Gottes zu erkennen gegeben.
Dieser gute Hirte fordert keine Unterordnung, sondern ge-währt Anteil. Wer sich auf ihn einlassen kann, wird von Ver-trauen und Verlässlichkeit profitieren. Leben in Fülle sollen die haben, die zu ihm gehören (V 10 b).
Die Einladung dazu gilt allen – aber die Entscheidung dafür oder dagegen, muss jede/r selbst treffen. Bei dieser Ent-scheidung sind Logik und Argumente nur bedingt hilfreich. Wer nur das „+“ und „-„ abwägen will, erfasst das Wesentliche nicht.
Nicht umsonst redet Jesus im Bild, beschreibt und schildert, was zwischen den Zeilen und hinter der Botschaft des Bildes an Beziehung steckt, an Vertrauen und Erfahrung. Wo sie die Grundlage bilden, trägt eine Beziehung. Auch im zwischenmenschlichen Bereich ist das so.
Viele spannende Fragen stecken da verborgen:
- Trauen wir uns, so zu vertrauen - oder sind wir lieber vorsichtig – aus Angst vor Enttäuschung?
- Haben wir den Mut, uns jemandem anzuvertrauen – ohne die Angst, sich dem Gegenüber auszuliefern oder ihm/ihr zur Last zu fallen mit den eigenen Sorgen?
- Deuten wir unsere Erfahrungen mit anderen aus einem gesunden Maß Vertrauen – oder unterstellen wir generell erst mal Eigennutz oder Desinteresse?
Beantworten kann diese Fragen nur jede/r für sich. Und die Antworten werden vermutlich sehr unterschiedlich ausfallen. Jede/r hat da so seine/ihre Erfahrungen und gute Gründe für das eigene Handeln.
Und doch suchen wir – je in dem uns eigenen Maß – nach Beziehung und Begegnung. Offenbar steckt in uns eine tiefe Sehnsucht nach einem Gegenüber, dem wir ohne einen Restvorbehalt vertrauen können. Wir wünschen uns, dass uns jemand achtsam begegnet und behutsam, aber ver-lässlich begleitet. – Oder im Gegenbild ausgedrückt: Wir möchten nicht, dass über uns verfügt wird und wir benutzt werden für die heimlichen Interessen anderer. Wir möchten von einem „guten“ Freund oder eine „guten“ Freundin gerade dann nicht enttäuscht und allein gelassen werden, wenn es schwierig wird. Manchmal brauchen wir jemanden, der an unserer Seite steht und uns behutsam in seine Obhut nimmt. Jemanden, der ein Stück unseres Weges mitgeht und für uns da ist.
Nun lassen sich Erfahrungen mit Menschen nicht einfach auf unsere Beziehung zu Gott übertragen. Im Predigtwort heute tritt uns der Sohn Gottes mit dem Bild vom guten Hirten entgegen, der auf Beziehung setzt.
Als guter Hirte kennt er unsere Lebensgewohnheiten und unsere Geschichte, kennt unsere Prägungen und den Geist unserer Zeit. Er weiß, dass es schwer ist die Balance zu halten zwischen dem großen Bedürfnis nach Souveränität und dem genauso großen Bedürfnis nach Geborgenheit.
Als guter Hirte sieht er und kennt er und ruft er – und wird dem selbstbestimmten Zeitgenossen genauso nachgehen wie dem Vertrauensseligen. Er wird einfach für uns da sein. Er wird sich ansprechen lassen oder fragen oder rufen lassen in der Not. Und er wird damit unsere tiefe Sehnsucht nach einem Gegenüber berühren, dem wir ohne einen Restvorbehalt vertrauen können.
Als guter Hirte setzt er auf Beziehung – und die darf sich auch langsam entwickeln. Dieser gute Hirte fordert keine Unterordnung, sondern gewährt Anteil. Wer sich auf ihn einlassen kann, wird von Vertrauen und Verlässlichkeit profitieren.
Leben in Fülle sollen die haben, die zu ihm gehören (V 10 b). Die Einladung dazu gilt uns allen – wir können sie in unserer je eigenen Weise aufnehmen.
Verfasser: Pfarrerin Claudia Neumann
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