Der gute Hirte
von Mechthild Gäntzle (64354 Reinheim)
Predigtdatum
:
04.05.2003
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Quasimodogeniti
Textstelle
:
Johannes 10,11-16.(27-30)
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Wochenspruch:
Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben. (Johannes 10,11.27.28)
Psalm: 23 (EG 711)
Lesungen
Altes Testament:
Hesekiel 34,1-2.(3-9).10-16.31
Epistel:
1. Petrus 2,21b-25
Evangelium:
Johannes 10,11-16.(27-30)
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 116
Er ist erstanden, Halleluja!
Wochenlied:
EG 274
Der Herr ist mein getreuer Hirt
Predigtlied:
EG 616
Auf der Spur des Hirten
Schlusslied:
EG 602,6
Du hast gesagt „Ich bin der Hirte“
Liebe Gemeinde,
Es gibt Bilder, die sind so eindrücklich, dass wir sie sofort vor Augen haben. Auch dann, wenn es Bilder aus vergangenen Tagen sind. Das Bild des Hirten gehört dazu. Seit der Konfirmandenzeit, da viele den 23. Psalm auswendig gelernt haben, begleitet uns dieses Bild. Auch in unserem heutigen Predigttext hören wir vom Hirten und von Schafen. Jesus hat dieses Bild aufgenommen.
11 Jesus sprach: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -,
13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.
29 Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. 30 Ich und der Vater sind eins.
Liebe Gemeinde,
wenn Jesus seinen Hörern etwas verdeutlichen wollte, sprach er oft in Gleichnissen und Bildern ihres alltäglichen Lebens. Er wollte kein philosophisches Gedankengebäude errichten, sondern wollte mitten in die Lebenssituation der Menschen hineinsprechen, um ihnen Hilfe und Wegweisung zu geben.
Haben in unserer modernen, technisierten Welt, diese Bilder von damals uns noch etwas zu sagen? Wir merken, wie sehr sich unser Leben, unsere Gesellschaft, verändert hat. Hirte und Schafherden kann man nur noch selten bei uns sehen. Sicher wäre es für Konfirmanden und Konfirmandinnen besser zu verstehen, wenn von einer „Computermaus“ oder von „Moorhühnern“ die Rede wäre.
Viele meinen, Schafherde und Mietling passen nicht mehr in unsere Gesellschaftsstrukturen, ja vielleicht ist der Begriff „Mietling“ jüngeren Menschen sogar ganz unbekannt.
Vielleicht haben wir aber noch idyllische, romantische Erinnerungen an Kindertage da wir gern das Lied gesungen haben: „Weil ich Jesu Schäflein bin.“
Oder aber wir verbinden mit dem Begriff negative Erfahrungen und Aussagen. Wir denken an das schwarze Schaf in einer Familie und wir kennen die bösartige Titulierung „dummes Schaf“.
Und so könnte sich vielleicht alles in uns dagegen auflehnen, wenn wir in unserem Text hörten: Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir.
Keiner, so denke ich, möchte heute als Schaf deklariert werden, denn all die negativen Eigenschaften eines Schafes stehen uns nur zu deutlich vor unseren Augen. Einfältig, ohne eigenen Willen und Durchsetzungskraft, führungsbedürftig, schutzlos, bestimmt vom Herdentrieb. Wäre es nicht schon beleidigend, uns Menschen von heute mit Schafen zu vergleichen? Nein, dieses Bild ist in keiner Weise mehr für uns geeignet, so könnten wir feststellen, oder etwa doch? Ertappen wir uns nicht oft dabei, dass wir etwas tun, weil alle so handeln und es allgemeiner Konsens ist. Merken wir nicht manchmal, dass ein wenig vom diesem Herdentrieb auch in uns steckt?
Beispiel: Da gehen Schüler zu einer Demo. Viele waren zusammengekommen, andere schlossen sich an, immer mehr kamen hinzu. Als man einige der jungen Leute fragte: „Wofür demonstriert ihr eigentlich?“, war die erschreckende Antwort, das wissen wir selbst nicht so genau, Hauptsache, wir gehen mit, wir sind dabei!
Wenn Jesus dieses Bild aufgriff, das Bild des Hirten und der Schafherde, so wollte er damit etwas Positives aufzeigen und deutliche machen. Wir wollen versuchen, dem nachzuspüren und herausfinden, welche Bedeutung dieses für unser Leben haben könnte.
Jesus hat das Bekenntnis des Psalmisten im 23. Psalm aufgenommen und hat es auf sich bezogen. Aber nicht in der Form, ich bin ein guter Hirte, sondern er sagt: Ich bin d e r gute Hirte.
Steckt in diesem Anspruch nicht zugleich auch eine Warnung, vor anderen Hirten, von Jesus als „Mietlinge“ bezeichnet. Sie haben rein formal den äußeren Anschein Hirte zu sein, sind es aber nicht. Das Wohlergehen der Schafe liegt einem Mietling nicht am Herzen, seine eigene Sicherheit ist es, auf die er vor allem bedacht ist. Der rechte Hirte aber, hat eine Beziehung zu seinen Schafen aufgebaut. Sie hören seine Stimme, sie folgen ihm.
Unvergesslich bleibt mir ein Urlaubserlebnis, das mir diese Beziehung, die zwischen Hirte und Schafen bestehen kann, in ganz besonderen Maße verdeutlichte.
Zu einer langen Bergtour in Österreich waren wir aufgebrochen. Unser Bergführer erwähnte, er müsse noch nach seinen Schafen sehen, sie zählen und ihnen Salz hinauf in die Berge bringen. Am Bergkamm angekommen, lief er uns voraus, stieß eigenartige Laute aus, die ein Echo wiedergab. Zunächst ereignete sich nichts, doch dann kamen sie von allen Seiten, große, kleine, blökend kamen sie von weit her, rannten auf den Hirten zu, der rufend und lockend ihnen jetzt sogar entgegenrannte. Es war tatsächlich eine Freude zu spüren, die vom Hirten ausging und die uns alle, die wir dieses erlebten, ergriff. Und ich verstand damals etwas von dieser Beziehung, die zwischen Hirte und Schafen bestehen kann und muss.
Sie hören meine Stimme und sie folgen mir.
Der erste Schritt zu einer solchen Beziehung, geht von Jesus, dem guten Hirten aus.
Von Karfreitag und Ostern kommend klingt uns diese Botschaft noch sehr deutlich im Ohr und in unseren Herzen. Er gab stellvertretend für die Rettung aller sein Leben. Mehr als sein Leben kann keiner geben. Jesus gab es für alle, bedingungslos, auch für die Feinde, er zeigte damit die grenzenlose Liebe, die keinen ausschließt, die aber auch alles eigene Bemühen und alle Versuche, etwas zur Rettung beizutragen, zunichte macht. Er hat uns zuerst geliebt, er bietet uns seine Nähe, seine Gegenwart, seinen Schutz und seine Liebe an und verheißt: „Ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“
Selbst in den dunkelsten Tagen und Stunden unseres Lebens selbst in des Todes Schrecken gilt diese Verheißung als grundlegendes Angebot, als feste, hilfreiche Zusage. So wie es der Psalmist ausdrückt, denn ihm stand deutlich vor Augen, was er von diesem Herrn, diesem guten Hirten erwarten will und kann, und wir hören es staunend: keinen Mangel, frisches Wasser, grüne Auen, Führung und Leitung, Trost und Hoffnung, global gesehen, Gutes und Barmherzigkeit - und das ein Leben lang. Zweifelnd fragen wir nach so viel Mut, wenn er sogar bekennt:
„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, den du (der gute Hirte) bist bei mir.“
Denken wir vielleicht, wenn der Psalmist heute leben würde, könnte und würde er bestimmt nicht mehr so sprechen und bekennen? Sind die Bedrohungen nicht größer geworden? Und unsere Zeit, voll von Katastrophen, bedeutend schrecklicher und finsterer? Unsere Ängste und Kümmernisse sind schier riesengroß und wir fürchten das Unglück und das Unheil noch ehe es uns erreicht. Die zweifelnde Frage der Menschen scheint uns berechtigt: „Wo ist der gute Hirte? Wo ist Führung, wo Hilfe oder Rettung?“ Oft sind es auch persönliche Nöte, Trauer oder Krankheit, die uns abhalten, diesem guten Hirten und Herrn zu vertrauen.
Jesus sagt: „Sie hören meine Stimme und sie folgen mir“.
Wir hören heute auf viele Stimmen, Stimmen, die uns das Fürchten lehren. Wir hören von Umweltzerstörung, Kriegsgeschehen, von Arbeitslosigkeit, grausamen Morden, Hungersnöte und Terroranschlägen. Wir klagen, jammern, schimpfen oder wir resignieren, aber hören wir noch auf seine Stimme, die uns einlädt, unser ganzes Vertrauen auf Jesus zu setzen, es auch im finsteren Tal mit ihm zu wagen. Wahrlich, eine mutige Einstellung, immer zu denken und zu sagen: „Ich fürchte kein Unglück, denn du bist bei mir, niemand und nichts kann mich aus seiner Hand reißen, denn größer als der Helfer ist die Not ja nicht.
Folgende Geschichte hat mich tief bewegt. Ein 14-jähriges Mädchen, von Geburt an todkrank, lernte schon sehr früh den 23. Psalm vom Guten Hirten auswendig. Man hatte ihr dazu eine Geschichte von einem behindert Hirtenbub erzählt. Er konnte nicht viel lernen, nichts blieb in seinem Kopf haften. Der Lehrer gab ihm den Rat: „Benutze deine Finger dazu!“ So lernte er mit Hilfe seiner fünf Finger die Worte zu behalten. Der Herr ist mein Hirte. Eines Tages kam der Hirtenbub nicht mehr nach Hause. In der Dunkelheit hatte er sich wohl verirrt und war abgestürzt. Als man ihn fand, hielt er noch ganz fest den Ringfinger mit der anderen Hand umklammert (mein Hirte).
Nur der Lehrer und die Mutter wussten, was der behinderte Junge damit aussagen wollte.
Das kranke Mädchen aber hatte sich die Geschichte so gut eingeprägt, dass sie zu Ihren Eltern sagt:
„Wenn ich sterbe und ihr seid nicht bei mir, dann halte auch ich meinen Ringfinger ganz fest. Das ist dann auch für euch ein Zeichen „Er ist m e i n Hirte auch im dunkelsten Tal des Todes.“
Wenn Jesus unser Hirte ist, kann uns nichts aus seiner Hand reißen, denn er bestätigt: mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles und niemand wird sie aus des Vaters Hand reißen, so unser Text.
Aber unsere Fragen bleiben und die Zweifel sind groß. Da stirbt eine junge Mutter mitten in der Blüte ihres Lebens. Wie oft bringt das drohende Wort „Krebs“ tiefe Verzweiflung in eine Familie. Ratlos ohne Erklärung bleiben wir stumm nach Grund und Ursache all der schweren Leiden gefragt. Wir sehen und spüren nicht mehr die Hand, die uns hält. Können die Fürsorge des guten Hirten nicht mehr erkennen. Die ängstliche Frage treibt auch uns manchmal schier um: Wo warst Du, als das Tal am dunkelsten, die Nacht am schwärzesten war und ich keinen Ausweg sah?
Vielleicht könnte folgendes Gedicht, uns heute Antwort geben:
Ich träumte eines Nachts, ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn, und es entstand vor meinen Augen, Streiflichter gleich, mein Leben.
Nachdem das letzte Bild an meinen Augen vorbeigezogen war, sah ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Besorgt fragte ich den Herrn: „Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Warum hast du mich allein gelassen als ich dich am meisten brauchte?“ Da antwortete er: „Geliebtes Kind, nie ließ ich dich allein, schon gar nicht in den Zeiten der Angst und Not. Wo du nur eine Spur im Sand gesehen hast, da habe ich dich getragen. Amen.
Verfasserin: Prädikantin Mechthild Gäntzle, Egerländerstr.33, 64354 Reinheim
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