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Der heilige, heilende Kuss

von Ralf Friedrich (Dieburg)

Predigtdatum : 18.05.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Pfingstmontag
Textstelle : 2. Korinther 13,11.(12).13
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Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
Amen.
Liebe Gemeinde,
vor drei Jahren habe in Teheran meinen Freund Kasra kennengelernt. Kasra ist mit einer deutschen Frau verheiratet, die er während seines deutschen Exils kennengelernt hatte. Wie es in Persien üblich ist, hat Kasra mich dann auch dreimal mit seinen Lippen auf meine Wangen geküsst und ich durfte ihn auch auf seine Wangen küssen. Für mich war es das erste Mal, dass ich ein Gesicht mit einem Dreitagesbart küsste. Ein Kuss, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Ein Kuss als Zeichen der der Freundschaft, Gleichheit und der Ehrerbietung.
Ein Kuss ist auch im heutigen Predigttext ein zentrales Zeichen. Ich lese aus dem Briefschluss des 2. Korintherbriefs, in dem Paulus ganz persönlich wird:
11 Zuletzt, liebe Brüder, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
12 Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen.
13 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Amen
Küssen ist eine sinnliche Erfahrung. Fühlen Sie mit den Fingern über Ihre Lippen. Der Mund, der so verletzende Worte sprechen kann, kann auch so zärtlich sein. Ich lade Sie ein, sich einmal an ganz besondere Küsse Ihres Lebens zu erinnern. Wie war es zum Beispiel mit Ihrem ersten Kuss? Wie alt waren Sie da – wie ernst fühlten sie? War dies Gefühl von Dauer, hat es Sie tief beeindruckt? War es vielleicht wie Schmetterlinge im Bauch? Oder war es anders?
Welche anderen Küsse sind Ihnen noch in Erinnerung? Eventuell ein besonderer Abschiedskuss? Oder, nach einer langen Zeit der Trennung, ein inniger Begrüßungskuss?
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss, rät Paulus.
In einigen Kulturen ist das Küssen zur Begrüßung Tradition. In Frankreich oder Belgien zum Beispiel. Abhängig von der Region küssen sich Frauen und Männer zur Begrüßung zwischen zwei- und viermal. Ich finde, diese Geste der Herzlichkeit schön, anderen mag sie missdeutbar erscheinen oder sie finden sie aufdringlich, je nach den Erfahrungen, die man machte. Vielleicht drückt sie ja auch zu viel Intimität zu „fremden“ Menschen aus.
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss.
Und es gibt noch andere Küsse. Stellen Sie sich bitte einmal vor, ein anderer Mensch würde Ihre Füße küssen? Natürlich, nachdem er sie Ihnen erfrischend gewaschen hat! Oder stellen Sie sich doch einen Rollenwechsel vor. Sie waschen jemand die Füße und küssen sie anschließend? Was für eine Handlung ist das? Ist das ein Zeugnis von Ehrfurcht oder eher ein Ausdruck der totalen Unterwerfung? Jesus hat es bei seinen Jüngern getan. Könnten Sie es annehmen? Könnten Sie es tun? Je nachdem in welcher Rolle und in welcher Beziehung Sie zu dem anderen Menschen stehen?
Mit einem Kuss hat Jesus häufig eine überraschend dichte Beziehung zu Menschen hergestellt: „Ja, der redet nicht über mich, der meint mich persönlich, so wie ich gerade bin!“ Solche Zuwendung Jesu war Medizin gegen die Hartherzigkeit von Mitmenschen, die Kranke, Arme, Verzweifelte schon abgeschrieben hatten. Jesu Kuss übermittelte Kraft zur Heilung, zur Gesundung an Leib und Seele. Er hat sogar vom Tod ins Leben zurück geholt. Küsse können auch heute noch heilen. Wenn Vater oder Mutter die Wunde ihres Kindes küssen, schmerzt sie schon viel weniger.
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Was meint Paulus mit „heilig“? Wir kennen den Gegensatz: „scheinheilig“.
Es gibt Küsse, die werden missbraucht. Wir erinnern uns an den Judaskuss (in Mt 26, 48 + 49) "Und der Verräter hatte ihnen ein Zeichen genannt und gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist's; den ergreift. Und alsbald trat er zu Jesus und sprach: Sei gegrüßt, Rabbi! und küsste ihn."
Auch der Genossenkuss zwischen Honecker und Gorbatschow im Jahre 1989 war scheinheilig. Zwei Wochen später gab es die DDR nicht mehr.
Das Zeichen der Freundschaft, des Vertrauens und der Intimität: missbraucht für eine Kumpanei, mit der Gorbatschow nichts mehr zu tun haben wollte! Haben Sie schon einmal in Ihrem Leben einen scheinheiligen Kuss bekommen? Einen Kuss von einem Menschen, der für Sie wichtig war und durch den Sie sich enttäuscht und getäuscht fühlten?
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss: Paulus fordert Offenheit und Ehrlichkeit unter den Christen in Korinth – selbst wenn sie in manchen Fragen zerstritten sind. Das ist mehr als Menschen nur nach Sympathie auswählen.
Der Kuss unter Christen hat noch eine weitere Bedeutung: Die Bedeutung der Gleichheit, der Gleichwertigkeit, der Begegnung auf gleicher Augenhöhe. Denn wir sind alle gleich vor Gott und Jesus Christus. Wir sollen einander unterstützen und dienen! Niemand steht über dem anderen!
Ein Kuss unter Christen bezeugt die Liebe und Beachtung der Gemeindeglieder zueinander, die Teil des einen Leibes, des lebendigen Organismus Jesu Christi sind. Liebe in der Gemeinde gibt Stärke, Rückhalt und Ausdauer für das liebevolle Kümmern um die weltliche Gemeinde, um die Mitmenschen jeder Herkunft und Religion. Und wenn wir alle mehr Liebe in die Welt tragen, dann wird die Welt ein Stückchen friedlicher. Frieden in der Gemeinde strahlt Frieden in die Welt aus: Eine Aufgabe für uns Christen und diese Aufgabe beginnt mit eindeutigen Zeichen der Beachtung, zum Beispiel mit einem Kuss. Deshalb zeigt diese gegenseitige Beachtung untereinander: zwischen Jung und Alt, Mann und Frau, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Schüler und Lehrer, Pflegendem und Krankem. Erfindet viele glaubwürdige, mit Sinnen erfahrbare Zeichen wie den Kuss!
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss, ist ein Segenswunsch des Paulus. Segen, den Gott stiftet.
Stellen Sie sich einmal vor, wie es wäre, wenn Gott Sie küssen würde. Wo würde Gott Sie küssen? Wie würde Gott Sie küssen? Was würde dieser Kuss für Sie bedeuten? Was wäre für Sie nach solchem Kuss möglich?
Ich stelle mir zum Beispiel vor, mich würde Gott auf der Stirn küssen. Wie ein Vater. Er würde mich ganz leicht küssen – so als ob er mich damit entlässt - und ich weiß dann, dass ich behütet bin und an meine Aufgabe gehen kann. Während Gott mich küsst, spüre ich eine wohlige, warme Nähe um mich herum und als Echo in mir drin. Nach solchem Kuss kann ich ganz ich selbst sein. Ich brauche dann keine Maske mehr zu tragen, mir selbst nichts vorzuspielen. Ich kann der sein, der ich bin, mit allen meinen Schwächen und Stärken.
Und nun stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Jesus Sie küssen würde. Wo würde Jesus Sie küssen? Wie würde Jesus Sie küssen? Was würde dieser Kuss für Sie bedeuten? Was wäre möglich nach diesem Kuss?
Meine Vorstellung ist: Jesus würde mich auf die Wangen küssen. Wie ein Bruder, wie ein Freund aus alten Tagen. Ich würde dabei Jesus Körper spüren, mich an ihn anlehnen und mein ganzes Herz ausschütten können. Der Kuss Jesus wäre wie eine Auferstehung für mich, eine Befreiung. Nach diesem Kuss wäre mein Herz weit und meine Seele rein. Eine wohlige Ruhe macht sich in mir breit und ein tiefes Gefühl von Glück. Nach diesem Kuss wäre ich wacher für die Menschen und Dinge um mich herum.
Und zuletzt, wie geschähe ein Kuss vom Heiligen Geist? Wo würde der heilige Geist Sie küssen? Wie würde der Heilige Geist Sie küssen? Was würde dieser Kuss für Sie bedeuten? Was wäre möglich nach diesem Kuss?
In meiner Vision würde der Heilige Geist mich vom Kopf bis zu den Füssen küssen. Das wäre wie von einer zarten, warmen Sommerbrise gestreichelt zu werden. Danach würde dieses Gefühl der Verzückung von außen über meine Haut langsam in mich einsickern, mein Herz erwärmen und mich über alle Täler und Tiefen meines Lebens davon tragen. Ich würde beginnen zu schweben.
Für mich würde dieser Kuss bedeuten, dass Gott mich persönlich kennt und berufen hat. Mein Leben und Wirken während meines irdischen Lebens erhalten von ihm einen Sinn. Ich weiß mit diesem Kuss, welchen Auftrag Gott mir zugedacht hat. Ängste und Zweifel fallen von mir und ich in ganz präsent im hier und jetzt. Ich habe dann eine große Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung und anderen Menschen. Ich traue mich dann, dass zu tun, wozu mir jetzt noch der Mut und die Kraft fehlt. Mit der Kraft des Heiligen Geistes fühle ich mich erfüllt und berufen. Dinge, die vorher wichtig schienen, können auf einmal unwichtig werden. Das Leben ist einfach und schön.
Drei besondere Küsse, drei sehr unterschiedliche Erfahrungen. Diese unterschiedlichen Gotteserfahrungen feiern wir heute am Sonntag „Trinitatis“, das heißt: Drei-Einigkeit Gottes als der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Ich wünsche jedem unter uns, dass wir heilende, heilige Küsse in unserem Leben ganz intensiv und real spüren, wenn wir es am dringendsten brauchen. Unser Leben wird verwandelt werden, wie wir es allein nicht zuwege bekommen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, behüte und bewahre unsere Herzen und Sinne.
Amen