Menü

Der Herr und sein Volk

von Christian Fuhrmann (39104 Magdeburg)

Predigtdatum : 08.08.2010
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 9. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Römer 9,1-5.(6-8.14-16)
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:

„Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat!“ (Psalm 33, 12)

Psalm: 74, 1 – 3.8 – 11.20 – 21

Lesungen

Altes Testament:
2. Könige 25, 8 – 12
Epistel:
Römer 11, 25 – 32
Evangelium:
Lukas 19, 41 – 48

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 288
Nun jauchzt dem Herren, alle Welt
Wochenlied:
EG 138
Gott der Vater steh uns bei
Predigtlied:
EG 432 EG 447
Gott gab uns Atem, damit wir leben oder Lobet den Herren alle, die ihn ehren
Schlusslied:
EG 157
Lass mich dein sein und bleiben

Liebe Gemeinde,

im Jahr 1996 stiftete die Evangelische Kirche im Rheinland in Wuppertal der jüdischen Kultusgemeinde ein Grundstück. Dies war ein besonderes Geschenk, denn es war mit einer einzigartigen Zweckbestimmung verbunden. Auf dem Grundstück sollte neben der Kirche eine Synagoge gebaut werden.

Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde begrüßte diese Stiftung. Er verstand sie als Zeichen der Annäherung von Juden und Christen. Gleichzeitig stellte er fest, dass mit der Nachbarschaft die Feier gemeinsamer Gottesdienste nicht verbunden sein kann. Denn als erwachsene Geschwister gehen Juden und Christen ihre eigenen Wege.

Die Stiftung und ihre Annahme im Jahr 1996 stehen im Sinn der eben gehörten Verse, die Paulus ca. 1940 Jahre früher schrieb.
Paulus, der durch die Welt reisende Apostel der Heidenvölker, war im Erstberuf jüdischer Rabbiner. Als Rabbiner waren ihm gewisse Gruppen in den Synagogen ein Dorn im Auge. Das waren jüdische Menschen, die in Jesus aus Nazareth den auferstandenen Sohn Gottes verehrten. Sie wurden von ihm der religiösen Unruhestiftung bezichtigt.

Dann kam seine eigene Lebenswende. Zum Glauben an Jesus Christus gekommen, setzte er sich nun mit seinem ganzen Leben für den zuvor bekämpften Glauben ein. Jetzt erlebte er selbst Ablehnung und ihm wurde religiöse Unruhestiftung vorgeworfen.

Die Geschichte von Juden und Christen ist von Beginn an eine spannungsvolle Geschichte. Besonders war sie Geschichte des Leidens der Juden unter der Gewalt der Christen.

Die Schenkung des Grundstückes 1996 in Wuppertal und die möglich gewordene Nachbarschaft verdeutlicht, was Paulus den Christen in Rom schrieb. Nachbarschaft bedeutet: Es leben unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Anschauungen und unterschiedlichem Glauben gleichberechtigt nebeneinander.
Seit der Lebenswende zum Christen blieb für den einstigen Rabbiner Paulus eine Frage spannend: Wie ist das mit meinem jüdischen Volk? Sind ihm nicht zuerst die Verheißungen gegeben, denn wir lesen sie ja alle – Juden und Heiden gleichermaßen – im Alten Testament.

Und diese Fragen beantwortet Paulus mit Worten, die wir gerade gehört haben:

Es ist und bleibt ein Geheimnis. Von Gott kommt die Verheißung zum jüdischen Volk. Von Gott kommt das Geschenk für uns Christen. Und dieses Geschenk ist damit verbunden, dass die Mehrheit der Juden nicht zum christlichen Glauben übertritt. So ist es von Gott gewollt.

Es ist und bleibt ein Geheimnis – sagt Paulus. Die Versprechen, die Gott seinem Volk Israel gegeben hat, sind nicht hinfällig und nicht überholt. „Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn niemals gereuen.“

Und dieses Geheimnis ist mit Gottes Auftrag verbunden, dass Juden und Christen in guter Nachbarschaft leben.

Liebe Gemeinde,

„damit ihr euch nicht von eurer eigenen Klugheit zu falschen Schlüssen verleiten lasst ..“ (Röm. 11, 25; Gute Nachricht) – schreibt Paulus vor ca. 1940 Jahren den Christen der ersten Generation kritisch ins Stammbuch. Ob er die Gefahr der Selbstüberschätzung und des Irrtums der Christenheit geahnt hat?

Juristen wissen es aus ihrem alltäglichen Berufsleben – Nachbarschaft ist oft strittig. Ob die Hecke zu viel Schatten wirft oder das Laub die Wiese des Nachbarn beschmutzt, ob zu laut gefeiert wird – was auch immer – da kracht es bisweilen mächtig.

Die Geschichte von Juden und Christen wurde zu einer mörderischen Geschichte. Die kritischen Worte des Paulus, im Römerbrief an alle Christen gerichtet, wurden Jahrhunderte überhört. Und deutsche Christen standen nicht nur daneben, Christen waren beteiligt, als über 6 Millionen jüdische Menschen in der NS- Zeit ermordet wurden.

Die Geschichte von Juden und Christen wurde schon viel früher zur Geschichte des Rufmords, als die Worte „Schriftgelehrter“ und „Pharisäer“ zu Schimpfnamen wurden. Und in mancher Kanzelrede ist es heute noch nicht anders. Da werden Pharisäer mit den Unbelehrbaren, Schriftgelehrte mit Heuchlern in eins gesetzt und „die Juden“ unbedacht als Negativbeispiele des Glaubens genutzt.

Die Geschichte von Juden und Christen wurde zu einer Geschichte der Selbstüberschätzung, vor der Paulus uns Christen warnte. Es war damit eine Geschichte christlichen Unglaubens, weil dieses Geheimnis Gottes für Christen nicht erträglich schien.

Gottes Liebe und Erbarmen sind unverbrüchlich. Weder Juden noch Christen können von Gottes Liebe und seinem Erbarmen getrennt werden. Niemand hat vor dem andren Recht – beide sind in Gottes Liebe gegründet.

Die geschwisterliche Nachbarschaft von Synagoge und Kirche in Wuppertal kann ein neues, ein biblisches Kapitel des friedlichen Zusammenlebens zum Ausdruck bringen.

Und da beide Gebäude auf demselben Grund ihr Fundament haben, wird auch sinnfällig, wo Juden und Christen wurzeln. Ein und derselbe barmherzige Gott schenkt uns Menschen das Leben. Seine Liebe gilt uns beiden. Aus seinem Erbarmen dürfen Juden und Heiden leben. Ganz unterschiedlich sieht dieses Leben bei Juden und Christen aus – so unterschiedlich, wie es in Häusern von Nachbarn nun einmal zugeht.

Gott schenkt Liebe und Barmherzigkeit. Gott nimmt kein Geschenk zurück - ein göttliches Geheimnis!

Mit einem Rätsel beschäftigen wir uns, um es lösen zu können.
Mit Gottes Geheimnis beschäftigen wir uns, um damit leben zu können. Das ist der große Unterschied zwischen Rätsel und Geheimnis. Diese besondere Nachbarschaft zu gestalten, ist eine Aufgabe für Juden und Christen – eine von Gott gegebene Aufgabe.

Und damit – liebe Gemeinde – wird ein Grundproblem der Menschheit angesprochen. Nur schwer akzeptieren wir, dass andere Menschen sich von einem anderen Glauben getragen wissen. Schnell sind wir verunsichert, wenn Menschen andere Wege wählen. Und ist dies alles nicht Ausdruck von Unsicherheit im eigenen Glauben und Hoffen? So ist es Folge christlichen Unglaubens, wenn es heute absolute Seltenheit ist, dass Christen und Juden tatsächlich als Nachbarn zusammenleben können.

Das Miteinander von Juden und Christen ist eine besondere Aufgabe, an der wir viel lernen können. Zwischen Menschengruppen, die aus Gottes Gnade leben, kann das Miteinander und das Gespräch gelingen. Zu diesem Dialog ist nicht viel mehr notwendig, als dass wir zunächst Hinhören. Und dann müssen wir noch heute die lebensfeindlichen Vorurteile beiseite legen. So können Christen und Juden etwas Wunderbares erleben:

Wir sind beide bewegt von der Frage nach unserem Gott des Lebens. Wir sind beide beängstigt von den Gespenstern des Zweifels und be-freit durch die biblischen Hoffnungsbilder. Wir sind beide beunruhigt von der Trostlosigkeit im Verlust des Vertrauens, befreit durch Erfahrungen im Glauben – Juden und Christen. So erfahren wir, wie gut es tut mit unserem Gott leben zu lernen. Oft sehr unterschiedlich, doch dabei getragen von Hoffnung.

Für uns Christen steht heute außer Frage, dass wir inmitten von Gottes Welt eingeladen sind, unter Menschen als Gottesgeschöpfe und gute Nachbarn zu leben. Könnte es nicht eine besondere Weltverantwortung der Christen sein, aus der Position der mit Gottesliebe Beschenkten den Dialog des Verstehens zu beginnen?

Am Beispiel von Juden und Christen können wir lernen, wie viel Platz in Gottes Herz für unterschiedliche Menschen und Glaubenshoffnungen ist. Zu allem „JA“ sagen müssen wir nicht. Es wird vieles Geheimnis bleiben und wir dürfen lernen, mit Gott, dem Geheimnis der Welt zu leben.

Wenn Synagoge und Kirche auf einem Grund leben, und die Nachbarn natürlich unterschiedliche Wege gehen, haben wir einiges von Gottes Liebesgebot verstanden. Solche Nachbarschaft ist Ausdruck davon, dass es sich für Christen immer lohnt, das Gespräch mit Menschen anderer Religionen und Überzeugungen zu suchen. Wie unterschiedlich Menschen auch immer sind, es bleibt geheimnisvoll und spannend, mit dieser Tatsache zu leben. Menschen glauben und hoffen verschieden. In dem Leben der guten Nachbarschaft, in der vieles beim Andern verborgen bleibt, begleitet uns Gottes Erbarmen.

Fürbittengebet:

Gott, mit Erschrecken
schauen wir auf das Leid,
das Christen ihren jüdischen Geschwistern antaten.
Deutsche, unter ihnen viele Christen und Christinnen
haben ihre Mitmenschen erniedrigt, verfolgt und getötet:
Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Behinderte.
Trauer und Fragen überkommen uns
angesichts von Kleinmut und Feigheit.
Erwecke unsere Gewissen,
befreie uns zu neuen Anfängen
eines geschwisterlichen Lebens mit allen Menschen.
Hilf uns zu einem guten Verhältnis mit dem jüdischen Volk.
Lass es uns achten als das Volk,
unsere älteren Geschwister im Glauben an dich.
Lehre uns diejenigen, die anders sind als wir,
zu tolerieren und ihr Anderssein als Bereicherung zu erfahren.
Im geschwisterlichen Glauben an dich gegründet
befähige unsere Herzen und Sinne dafür,
mit anderen Menschen zu denken und zu fühlen.
Ohne Ängste um uns selbst
lass uns mit ihnen Wege des Friedens gehen.

Dazu segne uns
an allen Orten und in allen Gemeinschaften in unserem Land.

(Nach: Hans-Jürgen Roth, in: 27. Januar Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, hrsg. von der Beratungsstelle für Gestaltung und dem Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau, Frankfurt 1996, S. 49)

Verfasser: Kirchenrat Christian Fuhrmann, Am Dom 2, 39104 Magdeburg

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich (Bestellformular).