Der kommende Erlöser
von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)
Predigtdatum
:
06.12.1998
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
2. Advent
Textstelle
:
Matthäus 24,1-14
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Wochenspruch:
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lukas 21,28)
Psalm: 80,2-7.15-20
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja 63, 15-16 (17-19a) 19b; 64,1-3
Epistel:
Jakobus 5,7-8
Evangelium:
Lukas 21,25-33
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 19
O komm, o komm, du Morgenstern
Wochenlied:
EG 6
Ihr lieben Christen, freut euch nun
Predigtlied:
EG 5
Gottes Sohn ist kommen
Schlußlied:
EG 16
Die Nacht ist vorgedrungen
1 Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. 2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.
3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, daß euch nicht jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muß so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen.
9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehaßt werden um meines Namens willen von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. 11 Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. 14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.
Liebe Gemeinde!
Jesus und seine Jünger stehen auf dem Ölberg. Von dort aus hat man einen großartigen Blick über ganz Jerusalem. In der Mitte der Stadt - Zentrum für alles - steht der Tempel. Er ist nicht nur ein imponierendes Gebäude. Er ist zugleich ein Symbol: Der Tempel bietet Halt, bietet Zuflucht, ist die Mitte für das ganze Volk, ist der Ort der Gegenwart Gottes.
Das müssen wir wissen, um zu verstehen, was Jesus seinen Jüngern und allen Zuhörern zumutet, wenn er sagt: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen wird. Was die Jünger und das ganze Volk für die Mitte ihres Glaubens und und Lebens halten, das wird zerbrechen. Was für die Jünger und das ganze Volk der Garant der Beständigkeit ist, das wird ihnen genommen werden.
Es ist kaum möglich, daß wir eine Parallele finden, die das für uns vergleichbar ausdrückt. Ich versuche es doch: Wer nach Frankfurt kommt und durch das Bankenviertel geht oder fährt, der wird sicherlich beeindruckt sein von den Häuserschluchten, den Türmen der Banken mit ihren spiegelden Fenstern. Sie sind unser Symbol für Verläßlichkeit, Lebensfülle, für Zufriedenheit und Wohlstand. Dort wird - nach Aussage eines hochrangigen Politikers - das Beste verwaltet, das unser Volk hat, die D-Mark. Sie sind - das kann man bis in die Architektur sehen - die Tempel unserer Zeit. Und unzählige Menschen suchen in diesen Tempeln Zuflucht, suchen dort Halt und Geborgenheit. Denn in einer Welt, in der so vieles ins Wanken geraten ist, braucht man doch etwas, an das man sich halten kann.
Hören wir jetzt das Wort Jesu: Es wird nichts von dem, was ihr seht, aufeinander bleiben. Darum mache dein Leben nicht an dem fest, das dich doch nicht halten kann.
1. Mache dein Leben nicht am Traum von der heilen Welt fest.
Erinnern Sie sich: Als vor fast 10 Jahrendie Mauer gefallen ist, da haben nicht wenige gedacht, daß jetzt alles noch besser und noch schöner und noch komfortabler werden würde. Als der Ost-West-Gegensatz in sich zusammen gebrochen ist, da dachten und hofften viele, daß die Zeit für Krieg und Blutvergießen nun endgültig vorbei sei - so wie es in der Bibel einmal heißt: „Sie werden nicht mehr Kriegführen lernen.“
Die Wirklichkeit hat uns schrecklich eingeholt. Jede Tagesschau liefert uns weiterhin die Bilder des Krieges ins Haus - von erklärten und unerklärten Kriegen, erklärlichen und unbegreiflichen Kriegen. Wir sind entsetzt, zu welchen Grausamkeiten Menschen in der Lage sind, die sich keinen Deut um Menschenrechte scheren. Und mit Beklemmmung sehen wir, daß solche Barbareien nicht nur irgendwo weit weg geschehen: Mitten in Deutschland werden Menschen angegriffen, belästigt, mißhandelt, und manche umgebracht, weil sie nicht sind wie ihre Angreifer. Mitten in Deutschland fürchten Menschen um ihr Leben - aus dem einen Grund, weil sie eine andere Hautfarbe haben, eine andere Sprache sprechen, einer anderen Religion folgen oder eine andere Lebensweise pflegen.
Es ist, als würde uns jeder Tag sagen: Der Traum von der menschenfreundlichen Gesellschaft, der gerechten Welt ohne Schatten ist vorbei. Das Reich der Menschlichkeit, das viele in den Jahren um 68 bewegt hat, wird von der Wirklichkeit zur Seite gefegt, zerplatzt als große Illusion.
Es hat bei so vielen, auch in der Kirche, die Hoffnung gegeben, daß eine mächtige und alles verwandelnde Evolution die alte Welt, in der wir leben, allmählich in das Reich Gottes verwandeln würde, wenn wir es nur richtig anpacken. Und noch heute übt diese Hoffnung eine tiefe Anziehungskraft aus.
Jesus aber sagt: So wird es nicht sein. Das Reich Gottes kommt nicht in eine heile Welt, die ihr heil macht. Es kommt in eine Welt, die aus tausend Wunden blutet. Bis ans Ende der Weltzeit wird das Leid und das Geschrei der Schmerzen der Begleiter eures Lebens sein.
Ist das nicht Wasser auf die Mühlen derer, die sagen: Laß alles laufen, wie es läuft? Aber es geht hier nicht um das Schüren der Ängste im Blick auf das Jahr 2000, auch nicht um die zynische Haltung: Hauptsache, ich komme ungeschoren davon. Es geht um die nüchterne Warnung: Macht euch nicht vor, daß ihr es seid, die das Reich Gottes bauen können. Alles, was ihr baut, trägt eure Handschrift von Schuld und Ungerechtigkeit, auch in den besten Leben und mit den besten Wollen.
2. Mache dein Leben nicht an einer Kirche fest, die du für fehlerlos hältst.
Wenn die Welt es schon nicht kann, dann sollte doch wenigstens die Kirche uns Halt geben. Der Tempel ist doch das Symbol für die Kirche als den Zufluchtsort. Aber Kirche ist kein Ort unangefochtener Sicherheit. Die Zerstörung des Tempels zeigt es uns: Die Kirche teilt das Schicksal der Welt, in der sie steht und lebt. Es kann uns nicht gelingen, uns mitten in der Welt eine Glaubensburg zu bauen, die nicht mehr gefährdet und angegriffen ist.
Jesus sagt: Es kommen viele falsche Propheten, es kommen viele, die die Gläubigen irritieren. Es wird sich mitten in der Kirche ein Bewußtsein breit machen, das nicht mehr zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden weiß und es auch nicht mehr will. Das sind Erfahrungen, die wir auch heute kennen: Wenn wir kein klares Wort mehr finden, das Sünde Sünde und Unrecht Unrecht nennt, wenn wir mit unseren Kirchen-Worten und Predigtworten mehr von der Rücksichtnahme auf Parteien und die Mehrheitsmeinungen der Bevölkerung geleitet werden als von dem Hören auf die Heilige Schrift.
Anfechtungen von außen und Anfechtungen von innen - das ist die Wirklichkeit der Kirche. Sie ist es nicht nur in unseren Tagen, sindern sie ist es seit allem Anfang und sie wird es sein bis ans Ende. Es gehört bis ans Ende der Zeit zur Gestalt der Kirche, daß sie sich mit Irrlehre und Irrleben auseinander setzen muß, daß sie innerlich auf härteste Zerreißproben gestellt wird. Und wo die Lehre nicht mehr klar ist, wo die guten Ordnungen Gottes preisgegeben werden, da wird es bis tief in die Kirche hinein ein Klima geben, in dem jeder sich selbst der Nächste ist.
Kann es schlimmere „Prognosen“ für die Kirche geben? Wie harmlos ist gegen diese Sicht all das, was wir über Finanzprobleme und Strukturfragen heutzutage in der Kirche diskutieren. Kann es schlimmere Prognosen für die Welt geben - eine Welt ohne Mitte und eine Kirche, die keine Zuflucht mehr ist? Was bleibt denn dann?
3. Jesus sagt: Laß dich senden von mir
In diese Welt hinein sendet Jesus seine Jünger. In diese Kirche sendet er seine Leute. Er sendet sie mit einem einzigen Auftrag: Predigt das Evangelium. Bezeugt die unerschütterliche Liebe Gottes. Bezeugt es dieser Welt, die so krank ist, daß Gott sie liebt. Bezeugt es dieser Kirche, die so gelähmt und zerrissen ist, daß Gott sie liebt. Bezeugt es den Menschen, die so auf der Jagd nach dem Leben sind, daß sie Gottes geliebte Leute sind. Bezeugt es denen, die unter Lebensschuld und Lebenslast nicht mehr aufrecht gehen können, daß da einer ist, der Schuld von den Schultern nimmt und auf seine Schultern lädt, der entlastet, der Haß aus den Herzen nimmt und dafür seine Liebe schenkt.
Es ist schier unglaublich. Die Antwort Jesu auf seine Diagnose und Prognose heißt: Predigt das Evangelium! Sagt es weiter, was ihr an mir gesehen habt. Sagt es weiter, was am Kreuz geschah. Sagt es weiter, daß Gott an seiner Welt und seiner Kirche festhält. Es gibt kein anderes Programm zur Rettung der Welt, das wir anbieten könnten als dies eine: Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist der Heiland. Mit etwas anderem könmen wir Christen nicht aufwarten - aber darauf sollen wir die Welt auch nicht warten lassen.
4. Jesus lädt uns ein: Halte durch mit mir.
Es ist gewiß kein Zufall, daß in den Stücken, die in der Bibel vom Vergehen der Welt sprechen, die „Überwinder-Worte“ besonders häufig sind. Das gilt für die Offenbarung des Johannes und es gilt auch für die Wiederkunftsreden Jesu. Es heißt da immer wieder: Wer überwindet..., wer beharrt bis ans Ende....
Christsein - das wird in der Beschreibung der Welt und der Kirche deutlich - ist kein beschauliches Dasein im romantischen Paradiesgärtlein. Chrisein ist Leben in der Anfechtung. Es ist Leben in der gespannten Erwartung und oft genug unter dem Aufschrei: Wie lange noch? Es ist Leben, das in dieser Welt am eigenen Lebensort treu bleibt gegen das Evangelium. Es ist Leben, das die Welt nicht sich selbst und ihrem Schicksal überläßt. Es ist Leben, das gegen allen Augenschein für sich selbst und für andere glaubt, daß Gott das letzte Wort haben wird - er, der sich uns in Jesus Christus als der Heiland und Erlöser gezeigt hat.
Durchhalten - das erwächst daraus, daß ich mich unter das Evangelium halte, daß ich mir dieses Wort sagen lasse und hineinkrieche als in meine Zuflucht und meine Hoffnung. Durchhalten - das ist die Bewährung des Glaubens, der sich von Jesus immer neu beschenken läßt mit Hoffnung und Liebe. Durchhalten - das kann ich nur, wenn ich sehen kann mit den Augen des Glaubens: hinter allem, was in der Welt geschieht, in der großen Weltgeschichte und in meinem kleinen, persönlichen Leben, steht - zum Kommen bereit - der Herr. Durchhalten - das ist das Geschenk, das Jesus Dir und mir macht, wenn ich, Du, wir uns von ihm halten lassen.
Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg
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