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Der rettende Ruf

von Michael Benoit (35321 Laubach-Wetterfeld)

Predigtdatum : 04.07.1999
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 4. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Johannes 1,35-42
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Wochenspruch:

Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es. (Epheser 2,8)

Psalm: 73,14.23-26.28 (EG 733)

Lesungen

Altes Testament:
1. Mose 12,1-4a
Epistel:
1. Korinther 1,18-25
Evangelium:
Lukas 5,1-11

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 503
Geh aus, mein Herz
Wochenlied:
EG 245
oder EG 241
Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren
Wach auf, du Geist der ersten Zeugen
Predigtlied:
EG 406
Bei dir, Jesu, will ich bleiben
Schlußlied:
EG 445,5
Führe mich, o Herr, und leite

35 Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; 36 und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! 37 Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. 38 Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo ist deine Herberge? 39 Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen's und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. 40 Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. 41 Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. 42 Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.

Liebe Gemeinde!
I.
“Anschauung ist das Fundament aller Erkenntnis”.
Nach diesem klugen Satz handeln viele Unterrichtende landauf und landab. Denn wir Menschen sind alle darauf angewiesen, daß wir etwas zu sehen bekommen. Bereits ganz kleine Kinder lernen schon im ersten Lebensjahr, zu sehen und zu unterscheiden. Da ist das Gesicht der Mutter, das Gesicht des Vaters oder anderer wichtiger Personen. Tauchen die über der Wiege, dem Körbchen, oder dem Kinderbett auf, lächelt das Kind. Zuerst erscheint das Lächeln fast automatisch. Uns ist angeboren, als Kinder dem zuzulächeln, der auf uns zukommt.
Bald verändert sich das Lächeln der ganz Kleinen. Schon im ersten Lebensjahr wenden sie sich der Mutter, dem Vater oder anderen besonders Nahestehenden zu. Und sie wenden sich auch von denen, die ihnen fremd sind, besonders ab: Die Kinder haben gelernt, daß die Gesichter von Mutter und Vater, von besonders Nahestehenden in der Regel etwas Gutes bedeuten. Die nehmen das Kind auf, helfen ihm aus den nassen und kalten Windeln heraus, sorgen für Nahrung, klopfen und streicheln und schaukeln das Kind - kein Wunder, daß sich die Kleinen freuen, wenn ihnen ein liebes Gesicht entgegenkommt.
Bald lernen sie die Gesichter der Nahestehenden von anderen Gesichtern zu unterscheiden. Kommt ein fremdes Gesicht auf sie zu, sehen sie zunächst nachdenklich und noch neugierig auf dieses fremde Gesicht. Dann aber wenden sie sich ab, beginnen das Gesicht zu verziehen, und je nach Erfahrungen reagieren sie heftig, mit Schreien, mit Strampeln, mit Ärger.
Die “Anschauung” ist also schon für ganz kleine Kinder das “Fundament ihrer Erkenntnisse”: Sie lernen durch “Anschauung”, wer ihnen gut ist. Sie verbinden mit dem ihnen lieben Gesicht gute Erfahrungen. Und sie verbinden mit dem ihnen fremden Gesicht, daß ihnen hier Gefahr droht, nicht gut versorgt zu werden.
II.
Wenn “Anschauung das Fundament aller Erkenntnis” ist, dann gilt das ja wohl für den Glauben und Glaubenserfahrungen von uns allen. Und hier tut sich nun vor uns ein Problem auf: Darf man sich als Glaubender, als gläubiger Mensch überhaupt etwas vorstellen? Was können wir von Gott wissen? Ist er nicht völlig unanschaulich? “Du sollst dir kein Bildnis machen noch irgendein Gleichnis!” An dieses alttestamentliche Gebot erinnern Konfirmanden immer, wenn sie auf Gott und Gottesbilder zu sprechen kommen. Unsere Sprache verweist ja darauf, daß ich mir “etwas vorstelle”, den Gegenstand meiner Betrachtung also in mein Blickfeld hole, vor mir aufbaue. Kann man das mit Gott? Kann man sich “Gott vorstellen”?
Das Alte Testament kennt eine Reihe von Erzählungen, die darauf verweisen, daß Gott nicht sichtbar und also nicht verfügbar ist. Mose sieht den brennenden Dornbusch, vernimmt die Stimme Gottes, aber Gott selbst sieht er nicht (2. Mose 3,4). Elia möchte erleben, wie sich ihm Gott offenbart. Er erlebt Sturm, Erdbeben und Feuer, aber in keiner dieser drei Natur-Erscheinungen ist Gott zu erkennen. Gott ist nicht in den Natur-Katastrophen dieser Welt, sondern er ist im stillen, sanften Sausen, im zarten Wind, der kühlt und beruhigt (1. Könige 19,12).
Auch im Islam sind die Gebetsstätten bilderlos: Man darf sich von Gott kein Bild machen. Lediglich Schriftzeichen dürfen besonders künstlerisch ausgestaltet sein und die Gebetsstätten schmücken. Und in der Gotteslehre des Islam gibt es die Lehre, daß der Mensch 99 Namen Gottes lernen kann: Gott ist der Allmächtige, der Allgegenwärtige, der Allweise, der Allgütige... Und in jedem dieser Namen stecken menschliche Erfahrungen mit Gott. Mit all diesen Erfahrungen und Namen kann der Mensch Gott aber nicht erfassen und verfügbar machen. Der Mensch kann sich “Gott nicht vorstellen.” Gott entzieht sich dem Menschen: Wenn jemand den hundertsten Namen Gottes wüßte, dann wäre Gott enträtselt, dann wäre er für den Menschen verfügbar. Aber das ist ja unmöglich: Der Mensch kann eben nur die 99 Namen Gottes kennen - der letzte Name Gottes bleibt verborgen. Gott bleibt damit dem Menschen unverfügbar.
III.
Sind also alle Möglichkeiten, Gott zu erkennen und “ihn sich vorzustellen”, zum Scheitern verurteilt? Die Traditionen des Alten Testaments und des Islam legen das nahe. Aber es gibt auch Gegenbewegungen. Schon im Alten Testament finden sich Hinweise darauf, daß das “Bilderverbot” - also das Verbot, “sich Gott vorzustellen” - nicht ganz durchgehalten wird: Als sich Gott am Sinai den Ältesten und Mose offenbart hatte, heißt es “und als sie Gott geschaut hatten, aßen und tranken sie” (2. Mose 24,11b). Diese äußerst merkwürdige Bibelstelle zeigt, daß im Alten Testament Menschen der Meinung waren, man könne “Gott schauen”.
In der jüdischen Tradition ist auch erklärt worden, warum der Mensch Gott eigentlich nicht schauen kann: Wer Gott begegnet, muß sterben! Die Ältesten und Mose durften nach ihrer Schau Gottes essen und trinken, also leben: Gott will nicht den Tod der Menschen und damit Unheil für sie, sondern er will das Heil für die Menschen und damit ihr Leben. Tatsächlich hat die christliche Kirche in vielerlei Hinsicht mit dem Verbot, sich Gott “vorzustellen” gebrochen, denn nach christlicher Vorstellung gilt: Wer wissen will, wer Gott ist, der ist auf Jesus Christus verwiesen. “Das Wort ward Mensch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit”, heißt es darum am Anfang des Johannes-Evangeliums (1,14).
Wir Menschen brauchen eine “Vorstellung von Gott”. Darum hat sich Gott uns Menschen “selbst vorgestellt”. In seinem Sohn - Jesus Christus - ist Gott selbst auf die Welt gekommen, hat sich als der die Menschen Liebende gezeigt. Wir alle brauchen “Anschauung”, und im Kontakt mit Nahestehenden und Fernstehenden haben wir zu Beginn unseres Lebens gelernt, wer es gut mit uns meint und wer nicht. Die gleiche Anschauung und den gleichen Kontakt brauchen wir am Beginn unseres Lebens als Christen.
Es war darum nicht zufällig, daß man von der “Neugeburt” der Menschen sprach, die Christen wurden und sich taufen ließen. Ich meine das nicht nur im Blick auf die Kindertaufe, bei der Eltern und Paten das Kind aufnehmen und annehmen und ihm auf dem Weg zum Leben und durchs Leben helfen wollen. Sie helfen ihm, im Kontakt mit Nahestehenden und Fernstehenden herauszufinden, was gut und förderlich und hilfreich ist.
Tatsächlich wurden früher Erwachsene getauft, indem man sie im Wasser untertauchte. Der erste Atemzug nach dem Auftauchen war der Beginn eines neuen Lebens - ein Kind des lebendigen Gottes war neu geboren.
Das spiegelt sich in den Geschichten der ersten Jüngerberufungen des Johannes-Evangeliums. Johannes der Täufer und zwei seiner Jünger begegnen Jesus. “Als er - Johannes der Täufer - Jesus vorübergehen sah, sprach er: ‘Siehe, das ist Gottes Lamm!’” (V. 36) Dieses “Siehe!” des Täufers Johannes überhören wir in der Regel. Wir nehmen es als eine allgemeine Aufforderung an. Dabei kommt es im Alten Testament 979mal, im Neuen Testament 210mal vor. Der Ruf “Sieh hin!”, “Schau hin!” ist mehr als nur ein schüchterner Versuch, die Aufmerksamkeit von Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Der Ruf meint “Gebrauch deine Augen! Verschaff dir eine wirkliche Anschauung!”
“Die zwei Jünger hörten ihn (Johannes den Täufer) reden und folgten Jesus nach”, heißt es weiter im Predigttext. Die beiden wollten sich “ein Bild” von diesem “Lamm Gottes” machen, und sie suchten Jesus in seiner “Herberge” (V. 38) kennenzulernen. “Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf!”, steht dazu in Johannes 1,11, gleichsam als Überschrift über dem Johannes-Evangelium. Aber zugleich fährt das Johannes-Evangelium fort: “Wieviele ihn aber aufnehmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden.” (1,12)
Zu denen gehörten die Johannes-Jünger. Dem Simon Petrus gab Jesus - als einem “neuen Menschen” - einen neuen Namen.
IV.
Da “Anschauung das Fundament aller Erkenntnis” ist, haben wir Heutigen eine Chance zu eigenen Glaubens-Erfahrungen. Wir haben alles Rüstzeug, die Nähe Gottes zu uns Menschen zu entdecken, wie sie uns in Jesus Christus entgegentritt. Das “Siehe!” in dem Ruf “Siehe, das ist Gottes Lamm!” lehrt uns auch heute noch, unsere Augen für die Herrlichkeit Gottes offenzuhalten: Was wir brauchen, sind wache Augen für die Herrlichkeit Gottes.
Vom berühmten Vater Bodelschwingh, der die Anstalten für Epilepsiekranke in Bethel bei Bielefeld gründete, wird erzählt, daß er bei einem Spaziergang ein “Holzmarterl” fand, also eine Darstellung des Gekreuzigten am Wegrand. Unter dem Kreuz stand geschrieben: “Das tat ich für dich. Was tust du für mich?” Dieses “Das tat ich für dich!” öffnete dem Vater Bodelschwingh die Augen.
Nicht immer sind es Holzmarterl, in denen Menschen dem lebendigen Gott begegnen. Ich denke an die vielen modernen Lieder unseres Gesangbuches, die Passionen Johann Sebastian Bachs, das Requiem des Johannes Brahms - überall wird bildreich von Jesus Christus erzählt, wird er uns vor die Augen gemalt. Immer sind wir Christen dabei gut beraten, in und hinter allen Bildern den zu erkennen, von dem Paulus im 1. Korintherbrief sagte (1,21-25): “Weil die Welt - umgeben von der Weisheit Gottes - durch ihre eigene Weisheit Gott nicht erkannte, gefiel es Gott, durch die Torheit der Predigt die zu retten, die glauben. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus: Denen, die berufen sind, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.” Amen.

Verfasser: Pfr. Michael Benoit, Ruppertsburger Str. 18, 35321 Laubach-Wetterfeld

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