Der Schmerzensmann
von Ernst Standhartinger (64331 Weiterstadt)
Predigtdatum
:
18.04.2003
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Gründonnerstag
Textstelle
:
Johannes 19,16-30
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Wochenspruch:
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3,16)
Psalm: 22,2-6.12.23-28 (EG 709/710)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja (52,13-15);53,1-12
Epistel:
2. Korinther 5,(14b-18).19-21
Evangelium:
Johannes 19,16-30
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 83
Ein Lämmlein geht
Wochenlied:
EG 83
oder EG 92
Ein Lämmlein geht
Christe, du Schöpfer aller Welt
Predigtlied:
EG 552
Einer ist unser Leben
Schlusslied:
EG 171
Bewahre uns, Gott
Diese Predigt wurde ursprünglich für einen Gottesdienst entworfen, zu dem besonders KonfirmandInnen und ihre Eltern eingeladen waren.
Sie scheint mir aber auch für eine ganz „normale“ Karfreitagsgemeinde gut geeignet, weil die Geschichte von „Kri“ ja durchaus schon beim Erzählen als eine Parabel für Jesus Christus erkannt wird. Schon ehe exegetisch auf die Aussagen eingegangen wird, mit denen das Johannesevangelium die Kreuzigung Jesu in seiner ganz besonderen Weise beleuchtet, wird so in Widerspruch und Zustimmung das eigene Nachdenken darüber herausgefordert, warum Jesus eigentlich am Kreuz gestorben ist.
Das schafft Interesse und Neugier und wird sicher auch aufgegriffen, falls nach dem Gottesdienst ein entsprechendes Gesprächsangebot besteht.
16 Pilatus überantwortete Jesus, dass er gekreuzigt würde.
Sie nahmen ihn aber 17 und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. 21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
23 Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. 24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.
25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. 26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. 29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund. 30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied.
Liebe Gemeinde!
Zu Beginn dieser Predigt möchte ich Ihnen gerne eine Geschichte erzählen – eine Geschichte für Kinder.
Sie beginnt in einem Ort, in dem einfach alles grau ist. Alle Häuser und Gartenzäune sind grau angestrichen, die Straßen sind sowieso grau, die Kleidung der Leute ist grau und auch die Fabrik, die mitten im Dorf steht und grauen Rauch in die Luft bläst, ist grau. Es gibt keine Blumen und das Gras ist grau vom Staub der Fabrik. Und was in der Fabrik produziert wird, passt natürlich auch dazu: Es ist eine Produktionsstätte für graue Knöpfe.
Eines Tages kommt einer ins Dorf, der heißt Kri. Kri ist ein freundlicher und fröhlicher Mensch. In seinem Gepäck hat er viele bunte Sachen. Er zeigt sie den Kindern, und die spielen mit diesen bunten Dingen und beginnen ebenfalls fröhlich zu werden. Auch einige Erwachsene lassen sich anstecken. Sie beginnen, bunte Kleidung zu tragen, und streichen die Häuser und Zäune weiß oder bunt. Sie pflanzen Blumen in ihre Vorgärten und bald gibt es auch Schmetterlinge und Vögel, die singen. Aus dem grau-in-grauen Ort ist ein buntes Dorf mit fröhlichen Menschen geworden.
Dann ist Kri wieder fort, genauso plötzlich und rätselhaft, wie er gekommen war. Die Leute sind ein bisschen traurig, aber sie sagen sich: Wir können ja das, was wir von ihm gelernt haben, weiterführen. Sie nennen ihren Ort Kridorf und freuen sich im Frühling über die Blumen und im Sommer über das reife Korn, im Herbst über das süße Obst und im Winter über die glitzernde Reifkristalle an ihren Fenstern.
Kri ist inzwischen in einem anderen Ort angekommen. Auch dort ist alles grau in grau. Er setzt sich auf den Dorfbrunnen und zeigt den Kindern seine bunten Steine. Einige spielen mit ihm. Aber die Erwachsenen jagen ihn fort. Vor dem Dorf fällt ihm eine kleine Ziege auf, die kläglich meckert, weil sie ohne Wasser und Futter in der heißen Sonne angebunden ist. Er führt die Ziege zum Brunnen, aber die Leute schimpfen nur über seine Einmischerei.
Wie Kri nochmals in den Ort kommt, erlebt er, wie die Leute einen anschleppen und mit Stöcken prügeln. Auf dem Dorfplatz soll er an einen Pfahl angebunden werden. Kri fragt, was los ist und erfährt, dass der Mann ein Trinker sei und seine Schulden nicht bezahlt hätte. Nun würde er dafür bestraft.
„Lasst ihn doch laufen“, bittet Kri. „Ich besitze Gold. Ich kann euch bezahlen, was er euch schuldet.“ Doch die Leute bleiben dabei, dass sie diesen Mann bestrafen wollen. Da stellt Kri sich schützend vor ihn. „Auch gut“, schimpfen die Leute, „dann schlagen wir euch eben beide“. Kri sagt nichts, als sie auf ihn einschlagen. Er sagt auch nichts, als sie aufhören, zu schlagen. Er kann nichts mehr sagen: Sie haben ihn totgeschlagen.
Die Kunde vom Tod des Kri kommt auch nach Kridorf. Viele sagen: „Ihr seht, es hat keinen Zweck. Man kann eben doch nicht so leben, wie Kri lebte.“ Sie ziehen wieder ihre grauen Kleider an und streichen ihre Häuser und Zäune wieder grau. Andere zögern damit allerdings noch.
Dann kommen eines Tages fremde Kinder nach Kridorf. Sie beginnen mit den einheimischen Kindern zu spielen. Bunte Steine haben sie in ihren Taschen und die Kinder von Kridorf stellen fest: Das sind die selben Steine, die wir auch haben. Sie erzählen sich gegenseitig von Kri, dem sie die bunten Steine verdanken. Sie lachen und tanzen.
Einige von den Erwachsenen, die noch nicht wieder zum alten Grau zurückgekehrt sind, gesellen sich dazu. Sie sagen: „Es ist schlimm, dass Kri einfach totgeschlagen wurde. Aber er hat uns gezeigt, wie schön und bunt und voller Freude und Liebe das Leben sein kann. Wenn wir weiterführen, was wir bei ihm gesehen und gelernt haben, dann ist es, als wäre Kri gar nicht tot.“
Seitdem gibt es in all den grauen Dörfern auch bunte Menschen voller Hoffnung. Und vor allem bunte Kinder und Jugendliche.
Sie haben es sicher gemerkt, liebe Gemeinde, diese Geschichte von Kri will für Kinder erzählbar und verstehbar machen, was uns an Karfreitag und Ostern beschäftigt. So wie Kri war ja auch Jesus Christus. Er war einer, der Menschen aus dem grauen Einerlei des Alltags herausführte und ihnen die Schönheit des Lebens zeigte; einer, der ihnen vorführte, wie Menschen füreinander leben können, statt nur neben- oder gar gegeneinander. Er war einer, der um sich Licht und Freude, Hoffnung und Zuversicht verbreitete; der die Tränen der Traurigen nicht verachtete, der es aber auch verstand, ihnen neuen Lebensmut zu schenken.
Und so wie Kri verlor auch Jesus Christus das Leben, weil er sich zu sehr einsetzte für die, die in den Augen der anderen bestraft werden mussten; weil er die heiligen Ordnungen störte und stattdessen freien Raum für das Leben propagierte. Er starb als Unschuldiger stellvertretend für die Schuldigen. Er wurde umgebracht von denen, denen er doch gerade helfen wollte.
Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen dem Tod des Kri und dem Tod Jesu - jedenfalls wenn wir uns an das halten, wie das Johannesevangelium diesen Tod Jesu schildert. Denn Kri stirbt einfach als unschuldiges Opfer. Jesus bleibt selbst dem allmächtigen römischen Staat gegenüber eigentümlich souverän. Er ist schutz- und hilflos in der Hand des Pontius Pilatus und seiner Soldaten, aber er geht den Weg ans Kreuz mit aufrechtem Gang, gerade so, als wäre es seine eigene, freiwillige Entscheidung.
Dabei ist es nicht so, dass er gerne sterben würde. Auch wenn das Johannesevangelium den Gebetskampf Jesu im Garten Getsemane nicht aufgenommen hat, so berichtet es doch lang und ausführlich von den Sorgen, die Jesus sich vor seinem Tod macht - Sorgen vor allem um seine Jünger, die er ja nun allein lassen muss in einer Welt, die den Weg Gottes nicht gehen will.
Aber dann, als es so weit ist, als er verhaftet, verhört, gefoltert und zum Tod verurteilt wird, da wird - so will es uns Johannes zeigen - deutlich, dass all die Mächtigen in Wirklichkeit und Werkzeuge sind, die nur ausführen müssen, was Gott längst zuvor beschlossen und festgelegt hatte.
Pilatus bestimmt, was als Grund der Verurteilung am Kreuz Jesu zu lesen sein soll. Jesus von Nazareth, der König der Juden. Er lässt das so formulieren, weil er den jüdischen Hohen Rat, der ihn zur Verurteilung Jesu genötigt hat, ärgern will. Gleich dreisprachig sollen sie es lesen: Da hängt er, euer König. Er hängt am Kreuz.
Und unfreiwillig wird Pilatus so zum Prediger für Jesus. Er verkündet mit der Tafel am Kreuz, wer Jesus wirklich war: Der Christus, der König der Juden, der, in dem die Erwählung Abrahams ihren krönenden Höhepunkt findet: In dir sollen gesegnet sein alle Völker der Erde.
Nicht umsonst haben die Christen sich diese Inschrift des Pilatus zu eigen gemacht. I.N.R.I. - „Jesus Nazarenus, Rex Judeorum“, „Jesus von Nazareth, der König der Juden“ - so steht es bis heute über den meisten Darstellungen des Gekreuzigten, auch hier bei uns in der Kirche.
Auch die Soldaten, die nur tun, was sie bei solchen Hinrichtungen immer tun, indem sie die Kleider des Verurteilten untereinander aufteilen, um sein nahtloses Oberkleid aber lieber einen Losentscheid treffen, werden damit zu unfreiwilligen Predigern. Wörtlich erfüllen sie, was im 22. Psalm als Los des Gerechten geschildert wird: Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und über mein Gewand das Los geworfen. - Die Soldaten werden dadurch zu unfreiwilligen Zeugen dafür, dass hier kein Verbrecher, sondern ein Gerechter stirbt.
Dann ergreift Jesus, schon am Kreuz hängend und sicher von Qualen gekennzeichnet, noch einmal die Initiative. Unter den vier Frauen, die unter dem Kreuz stehen und die nicht, wie fast alle männlichen Jünger davon gelaufen sind, sieht er seine Mutter. Einer der Jünger ist immerhin auch da. Jesus beauftragt ihn, sich um seine Mutter zu kümmern und er bietet zugleich seiner Mutter einen neuen Sohn an. „Frau, siehe, das ist dein Sohn!“ und „Siehe, das ist deine Mutter!“ Beide werden später zur ersten Christengemeinde gehören.
Selbst in dem naheliegenden Wort Jesu, der in der heißen Sonne Palästinas am Kreuz hängend sagt: Mich dürstet, sieht der Johannesevangelist ein Stück Predigt. Es erinnert ihn wieder an den 22. Psalm, in dem der Gerechte von sich sagt: Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen. Danach hat Jesus, nachdem ihm noch etwas Essigwasser zur Erleichterung gegeben wurde, seine schwere Aufgabe vollendet. Es ist vollbracht, sagt er und stirbt.
Johannes will mit dieser Art, die Kreuzigung Jesu darzustellen, vor allem dies deutlich machen: Hier stirbt nicht einer, der zwar das Gute gewollt hat, der aber mit seinen guten Absichten gescheitert ist, so wie man es vom Kri meiner Geschichte durchaus sagen könnte. Sondern hier stirbt einer, dem Gott selbst diesen schweren Weg zugemutet hat.
Er stirbt, damit wir leben. Er stirbt, damit wir sehen, wohin unsere Wege führen, und damit wir von diesen Wegen umkehren. Er stirbt, damit wir frei werden von unserem Irrglauben, wir könnten selbst bestimmen, was gut ist und was böse.
Er stirbt, damit wir Menschen uns aufmachen können, zurück ins Paradies, dorthin, wo alles gut war, weil der Mensch Mensch und nicht Gott sein wollte.
Übermorgen werden wir feiern, dass der Tod Jesus nicht halten konnte, dass Gott ihn auferweckt hat. Seitdem wissen wir: Er ist unser Leben. Er ist das Licht auf unseren Wegen. Er ist die Hoffnung, die aus dem Tod erstand, die uns befreit. Amen.
Verfasser: Pfr i. R. Ernst Standhartinger, Grüner Weg 2A, 64331 Weiterstadt
© Copyright:
Herausgegeben vom

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de
in Kooperation mit dem
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland
Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich
(Bestellformular).