Der Schmerzensmann
von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)
Predigtdatum
:
29.03.2002
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Gründonnerstag
Textstelle
:
Jesaja (52,13-15);53,1-12
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Wochenspruch:
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3,16)
Psalm: 22,2-6.12.23-28 (EG 709/710)
Lesungen
Altes Testament:
Jesaja (52,13-15);53,1-12
Epistel:
2. Korinther 5,(14b-18).19-21
Evangelium:
Johannes 19,16-30
Liedvorschläge
Eingangslied:
EG 87
Du großer Schmerzensmann
Wochenlied:
EG 83
oder EG 92
Ein Lämmlein geht
Christe, du Schöpfer aller Welt
Predigtlied:
EG 88
Jesu, deine Passion
Schlusslied:
EG 93
Nun gehören unsre Herzen
[13 So spricht der HERR: Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. 14 Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, 15 so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken. 1 Aber]
Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? 2 Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. 3 Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.
4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. 8 Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. 9 Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. 10 So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.
Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. 11 Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. 12 Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.
Liebe Gemeinde!
Ein junger Mensch hat eine uralte Geschichte gehört: die Geschichte vom Baum des Lebens. Er hat gehört: wer diesen Baum findet und von seiner Frucht isst, dem kann der Tod nichts mehr anhaben. Wer von diesem Baum isst, der gewinnt die Unsterblichkeit der ist geschützt gegen den Tod vor dem Sterben und gegen das Sterben. Als er das gehört hat, da hat ihn das in Bewegung gesetzt:
Er hat seine Familie verlassen, er hat seinen Beruf verlassen, er hat seine Lebensgewohnheiten verlassen. Er ist zum Wanderer geworden, zu einem Suchenden. Er hat die Länder durchstreift, hat ungeheure Abenteuer bestanden aber er ist dem Baum des Lebens keinen Schritt näher gekommen. So wie der Horizont sich uns immer wieder entzieht, so entzieht sich der Baum des Lebens diesem Sucher, diesem Menschen auf seiner Wanderschaft.
Ist dieser Baum des Lebens denn überhaupt erreichbar? Es will uns doch so scheinen, als sei diese wehmütige Geschichte ein Märchen und wer sich auf die Suche nach dem Baum des Lebens macht, der jagt einem Phantom nach.
Sagt uns die Bibel nicht das Gleiche: an zwei Stellen redet sie vom Lebensbaum. Am Anfang heißt es: Gott stellt nach dem Sündenfall einen Engel mit bloßem Schwert vor den Baum, damit der rebellische Mensch sich nicht auch noch das ewige Leben gewaltsam aneigne. Und auf den letzten Seiten der Bibel wird wieder von diesem Baum geredet: im ewigen Jerusalem wird er stehen, in der neuen Welt Gottes, in der es kein Leid und kein Geschrei mehr gibt, in der der Schmerz abgetan und die Tränen getrocknet sind, in der der Tod nicht mehr ist.
Das scheint ja unser Denken zu bestätigen: der Baum des Lebens ist nur ein schöner Traum, allenfalls schöne Zukunftsmusik. Aber in unserer Welt gibt es ihn nicht da regiert der Tod. Da, ist es doch sinnlos sich auf diese Suche zu machen der Weg ist versperrt, von Gott selbst.
Irgendwann - zwischen 1350 und 1450 hat ein Künstler eine unerhörte kühne Antwort gegeben auf diesen Einwand. Er hat es durch das Bild, das wir hier vor Augen haben, gesagt: die Suche nach dem Baum des Lebens ist nicht vergeblich. Das ist keine Zukunftsmusik und keine wehmütige Märchengeschichte. Der Baum des Lebens steht mitten in unserer Welt. Der Baum des Lebens ist erreichbar für uns: Das Kreuz Jesu Christi ist der Baum des Lebens. Sie sehen diesen Lebensbaum hier auf dem Messgewand aus unserer Kirche. Das Kreuz ist kein totes Holz, es ist nicht behauen und abgestorben wie sonst die Kreuze. Es ist ein Baum, in dem Leben ist, es ist ein Baum, aus dem Wachstum kommt. Und das Opfer an diesem Baum ist kein Todesopfer, es ist ein Opfer zum Leben.
Das Kreuz Jesu Christi ist der Baum des Lebens das ist ein unerhört kühnes Bekenntnis: Mitten in der Welt, die von Tod und Todesgeruch gezeichnet ist, steht der Baum des Lebens. Mitten in dieser Welt ist ein Ort der Rettung, ein Ort, von dem Leben ausgeht.
Der Künstler hat sich das nicht selbst ausgedacht. Dieses Bild ist nicht der schöne Traum eines Einzelnen. Er hat das Bekenntnis der Gemeinde, das wir vorhin gesprochen haben, mit diesem Bild nachgestaltet. Er hat das Danklied der alten Gemeinde, das wir als Predigtwort gehört haben, nachgestaltet mit diesem Bild. Es ist das Bekenntnis der ersten Christenheit von ihrer ersten Stunde an: Das Kreuz, das auf der Müllhalde vor der Stadt Jerusalem aufgerichtet worden ist, ist kein Zeichen des Sieges des Todes. Es ist der Sieg des Lebens, der hier errungen wird.
Darum kann dies auch sachgemäß nicht anders gesagt werden als durch ein Danklied. Ausleger der Bibel machen darauf aufmerksam, dass Jesaja 53 in seiner sprachlichen Form ein Dankpsalm ist: da wird der Dank erstattet für die Errettung aus dem Tod. Da stehen Menschen vor Gott und vor dem Wunder, dass ihnen das Leben an neu geschenkt ist.
Was soll einer da anders sagen als Danke?! Wie kann einer da nicht staunen, wenn er am Ende war und neu leben darf?! Wie kann einer da nicht jubeln, wenn das Todesurteil über ihm aufgehoben ist, nicht, weil sich seine Unschuld herausgestellt hätte, sondern weil ein anderer an seine Stelle getreten ist?!
Ich habe das vor Jahren einmal mit einer Bibelgruppe gemacht, dass wir überall, wo in diesem Lied aus Jesaja 53 ‚wir’ oder ‚unser’ steht, unsere Namen eingesetzt haben. Da hat sich etwas vom Staunen dieses Liedes auf uns übertragen: wir sind es dem Knecht Gottes wert, dass er sich für uns fertig machen lässt. Wir sind es dem Knecht Gottes wart, dass er sich für uns der Rohheit eines voreingenommenen Gerichtsverfahrens aussetzt, dass er sich für uns unter Verbrecher und Räuber rechnen lässt, dass er für uns den Kopf hinhält. Wir sind es dem Knecht Gottes wert, dass er sich für uns zum allerverachtesten Menschen, zu Spott und Hohn machen lässt, zum Abschaum der Menschheit. Wir sind es dem Knecht Gottes wert, dass er sich für uns auf die Müllhalde kippen lässt, wegwerfen als nutzlos und unbrauchbar.
Wer das anfängt zu sehen, für den wird der Karfreitag ein heller Tag: Gott zeigt mir an diesem Tag wie viel ich ihm wert bin. Ich bin Gott den eigenen Sohn wert. Ich bin Gott so wertvoll, dass er das Liebste, was er hat, für mich dahingibt. Durch die Lieder des Karfreitags zieht sich noch ein Abglanz von diesem Staunen, zieht sich ein Abglanz dieses Dankes: Danke Gott, dass ich Dir deinen Sohn wert bin.
Aber neben dieses Staunen, neben diese frohe Dankbarkeit tritt noch etwas anderes: der Schrecken, das Entsetzen. Denn am gekreuzigten Gottesknecht geht uns ja auch auf, wie es um uns steht: Wir sind Leute, die sich selbst durch ihr Leben zum Tod verurteilt haben.
Was dem leidenden Gottesknecht widerfährt, das ist ja unser Schicksal! Der Tod, den er stirbt, das ist ja unser Verderben! Die Last, die er trägt, das ist ja unsere Last!
Vor einiger Zeit las ich, dass jemand jahrelang eine Bombe in seinem Haus als Bratpfanne verwendet hat. Er hatte keine Ahnung davon, welch tödliches Handwerkszeug er da gebrauchte. Er war sich keiner Gefahr bewusst. So ähnlich geht es uns doch auch: Wir sagen es zwar schnell, dass jeder von uns seine Fehler hat und macht. Wir singen es auch einmal „Wir sind alle kleine Sünderlein“. Wir reden auch davon, dass wir gesündigt haben, wenn wir uns überfressen haben.
Aber dass die Sünde uns zum Tod verurteilt, dass wir durch die Sünde hoffnungslos vom Leben abgeschnitten sind das wollen wir doch letztlich nicht wahr haben. „Ich bin doch auch nicht schlechter als die anderen“ „Ich lebe doch im großen und ganzen anständig.“ – wie soll es da so schlimm um mich stehen?
Wie schlimm es um uns steht, das erfahren wir nicht auf den ersten oder letzten Seiten der Zeitungen, wo die Kriminalfälle und Skandale berichtet werden; das erfahren wir nicht durch die Nachrichten; das erfahren wir nicht in den Gesprächen mit den Freunden. Wie schlimm es um uns steht, das erfahren wir auch nicht, wenn uns einmal einer den Kopf wäscht. Das erfahren wir da, wo uns vom Leidens und Sterbensweg des Gottesknechtes erzählt wird: Das geschah für dich! Da wird es deutlich: Es gab für Gott keinen anderen Weg, mich aus meiner Sünde, unter meiner Schuldlast herauszuholen als die eigene Hingabe, als das eigene Lebensopfer.
Nicht weil wir so gut sind, weil wir so hervorragende Fähigkeiten haben, weil wir so unersetzlich wären, geht der Gottesknecht diesen Weg weil es so schlimm um uns steht, dass kein anderes Mittel mehr helfen kann. „Das kenne ich. So hat die Kirchen immer Menschen klein gemacht,“ hat neulich einer zu mir gesagt: „den Menschen ihre Sünde einreden und dann sind sie abhängig von der Kirche.“ Aber das ist ja nicht wahr. Die Kirche ist nicht für mich ans Kreuz gegangen, die Kirche hat doch nicht unsere Schuld getragen. Jesus hat das getan und er macht keinen klein, der sich ihm anvertraut. Er macht die Menschen nicht niedrig - er macht sie frei.
Seit dem Kreuz auf Golgatha, auf der Müllhalde vor der Stadt, hat unser Leben wieder Zukunft. Seit dem Kreuz haben wir wieder Zugang zu dem Baum das Lebens. Wer von diesem Baum des Lebens geschmeckt hat, der wird neu leben als ein dankbarer, als ein staunender Mensch als einer, der sich einreiht in die Gemeinde des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Amen.
Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg
© Copyright:
Herausgegeben vom

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de
in Kooperation mit dem
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland
Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich
(Bestellformular).