Menü

Der Schmerzensmann

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 13.04.2001
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Gründonnerstag
Textstelle : Matthäus 27,33-50.(51-54)
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3,16)

Psalm: 22,2-6.12.23-28 (EG 709/710)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja (52,13-15);53,1-12
Epistel:
2. Korinther 5,(14b-18).19-21
Evangelium:
Johannes 19,16-30

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 91
Herr, stärke mich, dein Leiden
Wochenlied:
EG 83
oder EG 92
Ein Lämmlein geht
Christe, du Schöpfer aller Welt
Predigtlied:
EG 85
O Haupt voll Blut und Wunden
Schlusslied:
EG 93
Nun gehören unsre Herzen

33 Als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.[A] 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König.
38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen:
42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.
45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.
[51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. 52 Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf 53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. 54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!]

Liebe Gemeinde!
In den letzten Kriegsjahren 1943-45 sind viele Kirchen zerstört worden. Eine davon war die Lutherkirche in Frankfurt. Als man den Trümmerschutt der Kirche aufräumte, fand man in ihr die Überreste eines Kruzifixes: die Arme waren abgebrochen, die Beine fehlten fast ganz. Aus irgendeinem Grund war rote Farbe über die zersplitterte Figur gelaufen, so dass sie wie über und über blutverschmiert aussah.
An die neue Lutherkirche hat man eine Kapelle für die Opfer des Krieges angebaut. Dort steht über dem Altar nun das Kruzifix, wie es im Trümmerhaufen gefunden worden ist. Wer sich in dieser Kapelle niederlässt, gerät eigentümlich in den Bann dieser Figur. „Noch einmal gekreuzigt und geschunden”, so sagte jemand.
Eigentlich müsste man die Kapelle tief deprimiert verlassen. Aber die meisten Besucher erleben das Gegenteil. Sie spüren, dass von dieser Figur Trost ausgeht. Denn jeder Splitter sagt „Für euch!” Man beginnt etwas zu ahnen von der Macht des Mannes, der da abgebildet ist, von der Macht des Ohnmächtigen, von der Macht des Gekreuzigten.
Von der Macht des Gekreuzigten - kann davon wirklich die Rede sein? Unser Predigtwort zeigt ihn uns anders: ohnmächtig, ausgeliefert, fertiggemacht. Er hängt am Kreuz, ist festgenagelt, ist preisgegeben. Es ist fast erschreckend, wie sachlich-kühl Matthäus berichtet: „Da sie ihn aber gekreuzigt hatten...” Die Soldaten, die die Hinrichtung durchgeführt hatten, waren schon zur Tagesordnung übergegangen - sie teilten den Nachlass unter sich. Sie hatten ja nichts mehr zu tun als die Sterbenden zu bewachen. Nein, der da hängt, ist nicht mächtig, er ist Opfer. Und er ist nicht einmal ein besonderes Opfer: Das Kreuz war eine alltägliche Angelegenheit.
Die Perser hatten es erfunden. Durch die Karthager kam es nach Rom. Dort wurde oft gekreuzigt: Schwerverbrecher, entlaufene Sklaven und Aufständische endeten am Kreuz. Quintilius Varus hat einmal 2000 Menschen in einer Strafaktion kreuzigen lassen. Titus ließ später an manchen Tagen während der Belagerung Jerusalems mehrere hundert Juden hinrichten.
Wie Menschen mit Menschen umgehen können. Die drei Gekreuzigten, von denen unser Predigtwort erzählt, sind auch Beispiele für die zahllosen Opfer der Unmenschlichkeit in der Geschichte der Menschen. Jesus ist unter den Opfern, Er, der Sohn Gottes ist an der Seite aller Gemarterten aller Zeiten und Völker. Er geht am sündigen Zustand der Welt zugrunde. Da, wo man nichts mehr spürt von der Gegenwart eines Gottes, der die Welt in Ordnung hält, wo man nichts mehr spürt von der Gegenwart eines Gottes, der darauf achtet, dass keinem Unrecht geschieht - da ist Jesus und da gibt er sein Leben hin. Jesus ist da und stirbt da, wo die Sünde tobt und ihr wahres Gesicht zeigt.
Es mehren sich heutzutage die Stimmen, die da sagen: Was wollt ihr Christen eigentlich ständig mit eurem gekreuzigten Gott? Was wollt ihr ständig damit, dass einer sein Leben lassen musste.? Merkt ihr das nicht: Wenn der Mensch erlöst werden muss, dann macht ihr die Verantwortlichkeit des Menschen für sich selbst und seinesgleichen kaputt. Wenn der Mensch erlöst werden muss, dann wird er klein und schwach gemacht. Wir aber wollen doch, dass der Mensch groß und stark und schön ist. Und überhaupt: Seht ihr die Welt nicht viel zu dunkel, viel zu schwarz? Was ist so schlimm an dieser Welt, dass sie nur durch solch ein blutiges Opfer zurecht gebracht werden kann?
Es gibt heute eine Menge Einwände gegen das Kreuz und gegen den Gekreuzigten. Einen Jesus als Beispiel für glückende Menschlichkeit, den können viele akzeptieren. Einen Jesus, der uns Maßstäbe des Handelns lehrt, den nimmt man auch noch hin. Einen Jesus, der uns die Harmonie des Kosmos vorlebt, den finden viele attraktiv. Aber vor diesem gekreuzigten Jesus, da packt Menschen die Abscheu, so wie es die Konfirmanden oder Sie aus Ihrer Bibel vielleicht kennen: „Er war der Allerverachteste und Unwerteste, da war keine Gestalt und Hoheit, die uns gefallen hätte. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg.”
Muss uns das wirklich immer wieder zugemutet werden, dieser gekreuzigte, gehenkte Jesus von Nazareth? Wo die Sünde tobt - das stirbt Jesus, so habe ich gesagt. Das ist der Kern, um den es geht. Der Zustand der Welt wird am Kreuz und an dem Gekreuzigten offenbart. Der Zustand der Welt, der eben nicht so freundlich und harmonisch ist, wie wir ihn uns gerne vorerzählen: „Wir haben zwar einige Probleme, aber mit etwas Gutwilligkeit sind sie alle zu lösen. Nein, hier wird klar, was wir in einem Weihnachtslied singen, wohl ohne es in der schönen Weihnachtsstimmung so recht wahrzunehmen: „Welt ging verloren.”
Jesus stirbt nicht an der kleinkarierten Bosheit einiger Juden oder Römer. Jesus stirbt nicht am religiösen Fanatismus oder am politischen Kalkül. Er stirbt am Wesen der Welt.
Noch stärker zugespitzt sagen es unsere Passionslieder. Er stirbt an meiner und an deiner Schuld:
„Ach, das hat unsere Sünd’ und Missetat verschuldet,
Was du an unsrer Statt, was du für uns erduldet.
Ach unsre Sünde bringt dich an das Kreuz hinan.
O unbeflecktes Lamm, was hast du sonst getan?”
Liebe Gemeinde, da spätestens ist die Stunde der Wahrheit: lasse ich das über mir gesagt sein, dass mein Leben nicht gutzumachen ist außer durch dieses Sühnopfer? Lasse ich das über mir gesagt sein, dass mein Leben mich vor Gott zum Tod verurteilt hat? Lasse ich das über mir gesagt sein, dass Fehler meines Lebens nicht nur Entgleisungen, Irrtümer, bedauerliche Schwächen sind, sondern dass sie mich für Zeit und Ewigkeit ins Unrecht setzen - und dass es nur einen Weg gibt, dies aus der Welt zu schaffen, nämlich dass Gott selbst sich unter diese meine Sünde beugt?
Wer das anfängt zu hören und zu bedenken und in seinem Herzen zu bewegen, der verliert die Harmlosigkeit und der beginnt zu ahnen: In diesem blutigen Geschehen auf Golgatha wird mein Heil verhandelt und erworben.
Aber von dem allem hören wir nichts in unserem Predigtwort. Es erzählt in einer erschreckenden Nüchternheit den Ablauf der Dinge, ohne auszuschmücken, ohne die Qualen Jesu zu beschreiben. Es erzählt einfach nur, was geschieht. Und im Zentrum des Berichtes des Matthäus steht, was die sagen, die unter dem Kreuz stehen, die das Sterben Jesu beobachten - spöttisch, höhnend und doch fragend zugleich: Wenn du wirklich der Sohn Gottes bist, dann hilf dir doch selbst! Wenn du wirklich den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen kannst, dann lass uns doch jetzt deine Wunderkraft sehen. Wenn es wirklich etwas ist mit deinem Glauben an Gott, an deinen ‚Vater’ dann muss er doch jetzt aus dem Himmel kommen, dann wird er dich doch nicht so kläglich vor die Hunde gehen lassen.
Das ist nicht nur einfach Spott und Hohn. In den Stimmen dieser Menschen tritt Jesus am Ende seines Weges noch einmal der Versucher entgegen: Nimm doch deine Möglichkeiten, die du hast, und rette dein Leben. Das kann doch nicht wahr sein, dass du dich hinschlachten lässt. Dass kann doch nicht wahr sein, dass du, der Sohn Gottes, dein Leben so hinopferst. Das kann doch nicht wahr sein, dass du dir alles nehmen lässt und darin den Weg Gottes glaubst. Zeige doch durch ein großes Schauwunder, wer du bist - und alle Welt wird dich anbeten und dir bleibt der Weg in den Tod erspart.
Es ist die große Versuchung, die sich hier meldet, wie sie auch am Anfang des Weges Jesu war: aus den Möglichkeiten Gottes etwas zu machen zum eigenen Glanz, zum eigenen Ruhm, zur eigenen Selbstbehauptung. Es ist die große Versuchung, nicht den Weg des Sterbens zu gehen, den Weg, auf dem Jesus die Sünde der Welt tragen wird, sondern einen anderen Weg: des Triumphes, der Macht und der eigenen Herrlichkeit.
Aber: auf diesen Weg führt nicht der Gehorsam gegen den Vater. Auf diesen Weg führt nicht das Vertrauen auf den verborgenen Gott. Auf diesen Weg führt die Suche nach den eigenen Möglichkeiten. Und wenn Jesus diesen Weg geht, dann bleibt das eine große Problem der Welt ungelöst, wie die Schuld, wie die Sünde aus dem Weg zu Gott heraus geschafft werden kann, so dass der Weg für uns wieder frei ist.
Aber dazu ist Jesus in die Welt gekommen - nicht um glühende Bewunderer zu finden, nicht um die Anerkennung der Leute zu erwerben. Sondern um die Sünde der ganzen Wert hinaufzutragen an das Kreuz, um durch die Gottesferne zu gehen, damit wir wieder nahe zu Gott kommen können. Und so bleibt er der Gehorsame, bis dahin, wo ihn die große Dunkelheit der Gottesferne umfängt, wo er nichts mehr spürt von der Liebe des Vaters. Aber auch da hält er an dem Gehorsam fest - und das ist unser Heil.
Trost geht von dem geschundenen Kruzifix aus, Macht von dem Ohnmächtigen, Befreiung von dem Gekreuzigten. Das Geheimnis dahinter ist der Gehorsam: „er war gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.”
An dem Gekreuzigten, an Jesus sehen wir: Das Leben wird da gewonnen, wo einer den schmalen und harten Weg des Gehorsams geht, auch wenn dieser Weg vor den Augen der Welt am Kreuz endet. Auf diesem Weg hat Jesus das Leben der Welt gewonnen. Und auf diesem Weg des Glaubens-Gehorsams hinter ihm her gewinnen auch wir das Leben, Leben und volle Genüge. Amen.

Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de
Die „Predigtvorschläge“ sind auch auf CD-ROM (Text- und MS WORD-Datei) erhältlich (Bestellformular).