Der Wahrheit ins Auge sehen
von Rudolf Stein (Paulusgemeinde Wiesbaden)
Predigtdatum
:
10.02.2013
Lesereihe
:
ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr
:
Estomihi
Textstelle
:
Lukas 18,31-43
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Predigt
Verfasser: Prädikant Rudolf Stein, Berliner Str. 197, 65205 Wiesbaden
Datum: 10.02.2013
Lesereihe: V
Feiertag: Estomihi
Textstelle: Lukas 18,31-43
Thema: Nachfolge – der Wahrheit ins Auge sehen
Wochenspruch: "Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn." (Lukas 18, 31)
Psalm: 31 (EG 716)
Lesungen
Altes Test.: Amos 5, 21 - 24
Epistel: 1. Korinther 13, 1 - 13
Evangelium: Markus 8, 31 - 38
Liedvorschläge
Eingangslied: EG 447 Lobet den Herren alle, die ihn ehren
Predigtlied: EG 391 Jesu, geh voran
Wochenlied: EG 384 Lasset uns mit Jesus ziehen
oder EG 361 Befiehl du deine Wege
Schlußlied: EG 136 O komm, du Geist der Wahrheit
Liebe Gemeinde,
heute hören Sie etwas Ungewohntes, denn der Predigttext erzählt gleich zwei Geschichten. Die eine spricht von der Ankündigung der Leiden Jesu, die andere von der Heilung eines Blinden. Beide scheinen nichts miteinander zu tun zu haben – und doch gehören sie zusammen. Hören Sie, was wir bei Lk 18,31-43 lesen:
Die dritte Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung
31 Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. 32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und mißhandelt und angespieen angespuckt werden, 33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. 34 Sie aber begriffen nichts davon, und a der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.
Die Heilung eines Blinden bei Jericho
35 Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, daß ein Blinder am Wege saß und bettelte. 36 Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. 37 Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei. 38 Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! 39 Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! 40 Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: 41 Was willst du, daß ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, daß ich sehen kann. 42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen dich gerettet. 43 Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.
Ich den Text entfalten unter der gemeinsamen Überschrift ‚Der Wahrheit ins Auge sehen’.
Nach drei Jahren ist Jesus Wirken in Galiläa zu Ende. Jetzt zieht Jesus hinauf nach Jerusalem, um zu vollenden, um zu erfüllen, was er, der Menschensohn, zum Heil der Menschen zu tun hat und was die Propheten schon geweissagt haben. Seinen Jüngern erklärt er bereits zum dritten Mal (nach Lk 9,21-22; Lk 9,43-45), um was es geht: Er wird den Heiden (hier sind die Römer gemeint) überantwortet werden und sie werden ihn verspotten und verhöhnen und foltern und dann töten. Drei Tage danach aber wird er auferstehen.
Was Jesus da mit einfachen Worten mitteilt, ist drastisch: Es ist soweit! Jesu Weg führt in die entscheidende Phase, von nun an heißt der Weg für Jesus Leiden und Sterben, hinauf nach Golgatha. Jesus macht Ernst. Er klagt nicht an, er sucht keine Ausflüchte; Er weiß; was er tut, was sein Auftrag ist: Sein Weg führt hinauf nach Jerusalem und dort wartet das Kreuz auf ihn. Er sieht der Wahrheit ins Auge.
Was aber tun die Jünger? Sie kennen die Ankündigungen der Propheten zu Jesus und zum dritten Mal schon spricht Jesus selbst aus, was geschehen wird. Aber (V34)
- sie begreifen nichts davon,
- der Sinn der Rede bleibt ihnen verborgen,
- sie verstehen nicht, was Jesus sagt.
Gleich 3x betont Lk das Nicht-Verstehen der Jünger. So erschütternd klar wie die Rede von Jesus, so schroff entschieden ist die Weigerung der Jünger, die Worte zu hören und der Wahrheit ins Auge zu sehen. Das können, das wollen sie nicht.
Wie ist möglich, daß sie die Worte ihre Herrn so ignorieren? Jesus hatte sie vor drei Jahren berufen und sie hatten alles zurückgelassen, um ihm zu folgen. Drei Jahre sind sie mit Jesus durch das Land gezogen. Auf dem Weg haben sie erlebt, wie Jesus mit seinen Worten die Menschen aufrichtet, wie er Menschen heilt, wie er sie befreit von Angst und Schmerzen, sie nährt an Leib und Seele mit grenzenloser Liebe. Mit Jesus haben sie praktisch erfahren, wie die Welt zum Guten gelangen kann, ganz real und handfest weltlich. Daß jetzt damit Schluß sein soll, daß der Tod ausgerechnet den treffen soll, der Tag für Tag so vielen neues Leben geschenkt hat, das ist ihnen unvorstellbar. Und Auferstehung? Das hat die Welt noch nicht gesehen, das überhören sie einfach, denn Jesus hat doch ganz irdisch den Leidenden geholfen. Ihr Leben mit Jesus war ein Leben im Licht, im Licht dieser Welt. Ihr ganzes Vertrauen liegt auf Jesus, aber auf dem Jesus, der täglich bei ihnen ist. Das sollte nun zu Ende sein? Nimmermehr! Das kann, das darf nicht zu Ende gehen.
Vielleicht kommt ihnen diese Haltung - es kann nicht sein, was nicht sein darf - bekannt vor:
- Scheuen wir nicht alle, uns mit dem Tod zu befassen, obwohl er doch jeden von uns trifft?
- Kann ich Ja sagen zu der Tatsache, daß Leid und Leiden zu unserem Leben dazugehört?
- Kann ich aushalten, wenn mir jemand sagt, daß er mich überhaupt nicht leiden kann?
- Kann ich mir eingestehen, daß ich bei der Arbeit überfordert bin, oft Fehler mache?
- Kann ich akzeptieren, wenn ich in der Erziehung versage oder als Partner gescheitert bin?
Was machen solche Erfahrungen mit mir? Wollen wir der Wahrheit immer ins Auge sehen? Nein, das wollen wir nicht wissen. Lieber strengen wir uns an, solche Tatschen zu verstecken, greifen dazu auch Mal zur Lüge und merken gar nicht, daß wir uns damit selbst Fesseln anlegen, Fesseln aus Angst vor der Wahrheit. Sie hindern uns, unbekümmert, frei und freudig unser Leben offen zu gestalten.
So geht es auch den Jüngern. Sie verschließen ihre Augen vor dem Unausweichlichen. Deshalb können sie auch nicht erkennen, was hinter Leid und Tod steht. Sie nehmen die Auferstehung nicht ernst und finden deshalb auch nicht zu der Hoffnung, die daraus erwächst. Ihre Erwartungen sind ganz dieseitig. Denn es geht hinauf nach der großen Stadt Jerusalem, dem Ort der Entscheidung. Sie hoffen auf einen glorreichen Einzug, daß Jesus endlich das Zepter in die Hand nimmt.
So verhallen die Worte von Jesus un-erhört.
Der Zug der Zwölf und vieler Anhänger in Jericho kommt in Gang und da sitzt ein Bettler am Weg, ein Blinder. Als er hört, daß Jesus von Nazareth vorbeizieht, da ruft er laut: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner“. Das aber stört das Volk im Zug und sie fahren ihn an, er solle schweigen. Der Blinde aber schreit noch lauter: „Du Sohn Davids, erbarme dich meiner.“
Haben sie es bemerkt? Auf Nachfrage erfährt der Blinde, daß Jesus von Nazareth vorbeizieht; er aber ruft nach Jesus, dem Sohn Davids. Er ruft nicht Jesus von Nazareth, er ruft ‚Sohn Davids’! Diesen Namen kennen wir aus den Weihnachtsgeschichten. Denn Lk legt größten Wert auf die Abstammung des Jesus von König David. Schon der Engel verkündet Maria:
„du wirst ... einen Sohn gebären ... und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, ... und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“ (Lk 1,31-33) Und dann preist Maria Gott, weil er sie zur Mutter des Heilands, des Messias, macht (Lk 1,46-48)
Immer wieder klingt es an: Dieser Jesus aus Nazareth, Marias Sohn, aus dem Hause Davids, er ist der Heiland, der Messias, den die Propheten angekündigt haben, auf den die Juden schon lange mit Sehnsucht warten.
Der Blinde, der die Welt nicht mit Augen sieht, er erkennt als einziger das wahre Wesen des Jesus. Das Volk aber gebietet gerade diesem Blinden zu schweigen, es fühlt sich gestört. Zwar können alle im Volk gut sehen mit Augen, aber selbst als der Name ‚Davids Sohn’ fällt, bemerken sie nicht, daß der Messias für sie zum Greifen nahe ist. Sie wollen nicht hören, daß dieser Jesus der Messias ist, eben der, auf den alle - angeblich - warten.
Die Jünger verstehen nichts, das Volk will nichts hören von Jesus, dem Sohn Davids. Es wird einsam um Jesus.
Jesus aber hört den Ruf des Bettlers und bleibt stehen. Er fragt ihn „Was willst du, daß ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, daß ich sehen kann.“ (V41) Und Jesus macht ihn sehend. Die Frage des Blinden ist unbedingt notwendig. Denn der Blinde selbst muß aussprechen, was sein sehnlichster Wunsch ist, er selbst muß Jesus bitten, weil es keinen Automatismus bei der Heilung gibt. Erst danach wird er sehend. Der Mensch muß sich in voller Freiheit zum Glauben, damit für das Reich Gottes entscheiden. Jesus betont dann „Dein Glaube hat dir geholfen“, denn der Geist wirkt dort, wo das Wort Jesu aufgenommen wird.
Die zentrale Frage in beiden Texten ist, wie wir den Herrn in richtiger Art erkennen. Können wir der Wahrheit ins Auge sehen? Sie heißt, daß die Nachfolge, der Weg in das Reich Gottes nicht über irdische Werke und weltliche Macht führt, sondern über Leiden und Kreuz. Denn Auferstehung (wie Erlösung) geschehen aus dem Tod heraus, wenn das Irdische mit der Sünde abgefallen ist von Seele und Geist.
Die Jünger, die Jesus drei Jahre lang begleiten, die von Jesus selbst wieder und wieder belehrt wurden, sie verharren in ihren weltlichen Erwartungen, sie glauben, daß Jesus sich als Herr dieser, der materiellen Welt erweisen werde. Sie sind so verstockt, so festgefahren in ihrer Illusion von Königtum, daß selbst die wiederholten Worte von Jesus keine Einsicht bewirken. Sie selbst versperren sich den Blick in das Reich Gottes.
Der Blinde dagegen, dem die sichtbare Welt verschlossen ist, er erkennt in Jesus von Nazareth sofort den Sohn Davids, und er weiß, daß dieser der so lange ersehnte Heiland ist. In seinem Leid als Blinder und als Bettler, hat er intuitiv geschaut, woher ihm Hilfe werden kann, wo die wahre Quelle allen gelingenden Lebens liegt, das ist die geistige Welt, die Welt des Heiligen Geistes. Deshalb folgt er Jesus ohne Zögern und preist Gott, denn er weiß sich auf dem richtigen, dem wahren Weg in die Zukunft.
Die Heilung des Blinden ist hier nur das Zeichen an die Welt, der Beleg, für das, was der Glaube, also die Kraft aus dem Geist zu schöpfen, bewirkt; hier ist es die Herstellung des Augenlichts. Denn Jesus betont, daß nicht er, sondern der Glaube geholfen hat (bzw. gerettet hat).
Die Jünger mögen gestaunt haben, begriffen haben sie nichts. Sie sind die wirklichen Blinden. Ihre Augen beginnen sich erst zu öffnen nach Ostern, als der Auferstandene sich ihnen zeigt. Wiederum sind handfeste Beweise nötig (denken sie an Thomas, Joh 20,24), damit auch sie endlich ihre Augen für die Wahrheit öffnen.
Wie die Jünger können wir in den Dingen der Welt die Schönheit und Liebe unseres Herrn überall finden, sie liegen vor Augen. Diese sind aber nicht der Beweis, daß alle Macht der Erde bei Jesus liegt, sondern sie weisen hin auf die Quelle seiner Macht, die Leben und Liebe schenkt, die Wachsen läßt im Überfluß, Tag für Tag. Dort ist sein Reich, dort ist Jesus der Herr. Wir können ihn dort ebenso finden wie der blinde Bettler, wenn wir auf seine Art sehen lernen (Das Lied, EG384, das wir gleich singen, beschreibt diese Form des Sehens als „immerfort zum Himmel reisen, irdisch noch schon himmlisch sein“)
Wie dem Blinden schenkt uns Jesus den Mut und die Kraft zu diesem Glauben, der bei ihm ein Sehen ist, wenn wir danach streben. Damit können wir jeder Wahrheit ins Auge blicken und insbesondere erkennen, daß auf dem Weg nach Jerusalem, hinauf zum Kreuz, Jesus die Auferstehung alles Lebens, das Heil der Welt gewinnen wird, für jeden einzelnen von uns.
Deshalb können wir Jesus Christus vertrauensvoll nachfolgen und mit der Hoffnung leben, denn immer bleiben wir in seiner Liebe geborgen. Amen